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Judentum und Israel
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Verlieren, entdecken - und Kunst:
Landschaft in Israel

Ardyn Halter

Welche Landschaft kommt uns in den Sinn, wenn wir an Israel denken? Zypressengesäumte Haine von Zitrusbäumen? haGalil, die Hügel Galiläas, die sich zu Bananen- und Mangoplantagen um den See Genezareth herabsenken? Die judäischen Berge mit ihren Ziegenpfaden und den bis fünftausend Jahre alten Höhlen von Flüchtlingen und Vertriebenen? Die weite Wüste der 'Arawah, durchsetzt mit Punkten kräftigen Grüns?

Sehen wir Israel vom Glauben her, als Heiliges Land? Betrachten wir es als zum Mittelmeerraum oder zum Nahen Osten gehörig? Gilt es uns als Land zwischen drei sich hier verbindenden Kontinenten, eine natürliche Zugstraße für Flora, Fauna und den Menschen? Sind wir beeinflusst von dem, was wir über seine Archäologie und Geschichte wissen? Wollen wir, bewusst oder unbewusst, das Erfahrene weitergeben? Machen wir uns ein einseitiges Bild?1 Oder ist es eine Folge von Bildern: fruchtbar, öde, kärglich, besiedelt, städtisch? Haben wir die schon nicht mehr so weiße Stadt am Strand oder die steinerne Metropole in den Hügeln vor Augen? Denken wir an die Pioniere? Ist unser Bild, ideologisch bedingt, schief?

Sieht ein Künstler heute in Israel die Landschaft unter rein ästhetischen oder gleichsam pantheistischen Gesichtspunkten, so gilt dies, entsprechend der überwiegend kritisch ausgerichteten allgemeinen Gefühlslage, als irgendwie verdächtig, absichtlich naiv. Wie wäre denn die Landschaft kein Ausdruck von Werten wie materiell, sentimental, affektiv, ideologisch, tröstlich, beruhigend? Gibt es überhaupt so etwas wie eine unbefangene Betrachtungsweise? Ja, es gibt sie in einem gewissen Sinn. Ein Teil unseres Antriebs, Landschaft zu schauen, rührt vom Bedürfnis her, die vorübergehenden Sorgen des Tages abzustreifen, Politik, Steuern, soziale Probleme, Neuigkeiten oder den grundlegend ethisch bestimmten Konflikt über dieses Land zu vergessen. Es ist der Antrieb, Ruhe zu finden. Doch der Hang zu ländlicher Idylle ist im wesentlichen städtisch. Man braucht nur an die Oden von Theokrit, Horaz oder Andrew Marvell zu denken, um sich dieser differenzierten Quelle der Hinwendung zum Pastoralen bewusst zu zu werden.2

Viel von unserer Anschauung der Natur hängt davon ab, wie wir die eigene Vergangenheit sehen. Es ist menschlich, sich nach einer reineren Zeit zu sehnen, einer unschuldigen Welt, einem Zeitalter grün und golden, einfacher, besser. Und wir suchen es in der aktuellen Gegenwart durch die Landschaft, durch den Augenschein dessen, was von dieser Vergangenheit blieb. Natürlich ist dies ländlich bestimmt. Und es ist etwas, das wir nicht nur in unscharfer Erinnerung oder über verklärende Nischen des Gehirns genießen, sondern auch in dem, was wir um uns herum sehen. Und ich möchte behaupten, dass der Drang, eine Landschaft zu betrachten, nicht unähnlich demjenigen ist, unsere Kindheit zu idealisieren oder eine vergangene Zeit für besser, reiner, einfacher zu halten. Landschaft kann Menschen einschließen, doch wird sie nicht von ihnen beherrscht. Der Mensch muss, um mit Frank Lloyd Wright zu sprechen, zum Land gehören und darf nicht über ihm stehen oder es gar verschwinden lassen. Der Reiz, der Antrieb, eine Landschaft zu malen, wird also meist von der Rückschau her bewirkt.3

Der Ausdruck "Prospect" setzte sich im 18. Jahrhundert in England durch für eine Aussicht von einer beherrschenden Höhe, wobei häufig Besitzerstolz mitschwang. Es war eine "beherrschende" Aussicht im Sinne einer visuellen Einordnung von Besitz. Das sich in Canalettos und Guardis Bildern von Venedig widerspiegelnde Tourismusgeschäft (mit dessen Hilfe wohlhabende Reisende Zeugnisse der Kultur der von ihnen besuchten Länder mit zurückzubringen vermochten) beeinflusste die orientalistische Tradition des 19. Jahrhunderts. Roberts' orientalistische Impressionen vom Heiligen Land wurden als Ansichten verkauft, die zu "gewinnen" waren. Das war ein Schritt vom Eigentum zum Erwerb, wie er für den Tourismus bezeichnend ist.

Der hebräischen Sprache ist eine solche Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten, wie sie im Wort Prospekt zum Ausdruck kommt, fremd. Statt dessen muss man sich mit "Nof" begnügen, einem allgemeinen Begriff für jede Art von Landschaft, der die Stellung des Betrachters völlig außer Betracht läßt. Das Hebräische belegt die Landschaft nicht mit militärischen oder besitzergreifenden Untertönen. Wie vom Volk des Bibeltextes wohl zu erwarten, besitzt seine Sprache keinen so ausgeprägten Wortschatz des Schauens, obwohl es einen solchen für die - prophetische - Vision durchaus gibt. Die Landschaft Israels wurde im Bereich der Verbreitung der Bibel idealisiert, seit Moses die Israeliten aus dem von Plagen heimgesuchten Ägypten in ein Land von Milch und Honig führte. Ob das Buch der Lieder nun von menschlicher Liebe oder der Liebe zwischen Gott und seinem Volk handelt, sein gedankliches Konzept beruht letztlich auf dem Land:

Komm mit mir, meine Braut, vom Libanon,
Komm mit mir vom Libanon,
Steig herab von der Höhe des Amana,
Von der Höhe des Senir und Hermon,
Von den Wohnungen der Löwen,
Von den Bergen der Leoparden...
Du bist schön, meine Freundin, wie Tizra,
Lieblich wie Jerusalem,...
Deine Haare sind wie eine Herde Ziegen,
Die herabsteigen vom Gebirge Gilead.
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Für die Welt der Christen und Juden verbindet sich die bloße Erwähnung biblischer Namen mit der Vorstellung einer idealen Landschaft. Wird eine Landschaft in Israel erwähnt, erinnert oder betrachtet, ist dies kaum unvoreingenommen möglich. Das Thema ist befrachtet. Die Bewohner des Heiligen Landes gelten vielen außerhalb als Hüter ihrer Träume, und sie werden unter eine besondere moralische Lupe genommen.

Wenn das moderne weltliche Israel die Landschaft verklärt, erinnert man sich in sentimentaler Weise an die zwanziger und dreißiger Jahre, die Zeit nach der zweiten Aliya: Die ersten Kibbuzim, die damaligen jüdischen Siedler, das Tel Aviv von Bürgermeister Dizengoff, Nahalal, die erste, von Kauffman 1921 begründete Arbeitersiedlung,5 großer grüner konzentrischer Ring im Tal Jizreel, die Siedlungen Rothschilds um die Jahrhundertwende. Das gilt als heilig, eine Gesellschaft übervoll guten Willens und einer Ideologie. Die Ideologie der Rückkehr ins Land der Väter. Für viele, die sich für einen landwirtschaftlichen Beruf entschieden, bedeutete es keine Rückkehr, sondern eine neue Erfahrung.

Israelischen Siebzigjährigen, die am Ende der zwanziger Jahre aufwuchsen, gilt die damalige Landschaft als ideal, weil es die ihrer Kindheit und weil es eine Epoche war, in der die Gesellschaft ihre Kinder nach ideologischen Prinzipien aufzog, die vom Land bestimmt waren. Beides Grund genug, zurückzublicken und das Land durch eine rosige Brille zu sehen. Diese Zeit wird nostalgisch verklärt, doch versucht man, ihr nicht nachzueifern. Heute ist es Politik des Jüdischen Nationalfonds, örtliche Baumarten wieder zu bevorzugen, um dem Ungleichgewicht entgegenzusteuern, das sich achtzig Jahre lang aufgrund der Einführung von Fichten und Eukalyptus herausgebildet hat.

Als bei der Intifada Brandstifter große Teile der Wälder des Carmel zerstört hatten, debattierten die Behörden darüber, ob man aufforsten oder es vielmehr dem Land überlassen sollte, sich auf natürliche Weise zu regenerieren. Die Verfechter einer natürlichen Entwicklung behielten die Oberhand, und der Wald reagiert wie gewünscht und verjüngt sich. Diese Politik gilt nur für die Staatsforste.

In den Städten und ihrer Umgebung benutzt man heute ein anderes, begrenzteres Modell: Man nehme ein halbes Dutzend voll ausgewachsener Palmen, füge ein paar Siccas und einen fertigen Rasenteppich von Paspallum hinzu, umgebe das ganze mit einer Bordkante von Granolitkiesel, hoppla, das war's. Diese Formel wird heute überall praktiziert, in Parks, Wohnblocks, Verkehrsinseln, Luxusvillen und Promenaden. Da ein privater Bürger für eine solche Palme mehr als fünfhundert Dollar auszugeben hätte, wird Kritik durch dergleichen Extravaganz entwaffnet. Das kostet viel Geld. Und es geht sofort, in ein oder zwei Tagen läßt sich der Garten anlegen. Doch ist es das exotische Minimum, bloßes Lippenbekenntnis für die Landschaft. Die Gärten der Villen in Caesarea und Herzliya Pituach sind mit Palmen vollgestopft. Jeder eine private Oase. Dabei ist der natürliche Baum der Region von Caesarea die robuste, knorrige Mittelmeereiche. Die meisten Gärten in Herzliya Pituach finden sich mit riesigen antiken Mühlsteinen ausgestattet (von denen die meisten in den letzten zwanzig Jahren in den Steinbrüchen von Bethlehem oder Hebron gefertigt wurden). Die Formeln für die städtische Landschaftspflege haben sich zu einer Art von Verordnungen entwickelt.

Im Gegensatz dazu sind Stätten natürlicher Schönheit zu geschützten Gebieten geworden. Die Naturschutzbehörde verrichtet in Israel ausgezeichnete Arbeit, und ihre Tätigkeit ist mit dem Umweltministerium gut koordiniert. Ihre Fürsorge hat aus Natur Naturpflege gemacht. Das hat seinen Preis. Der nach dem Gott Pan benannte untere Wasserfall von Banias, Quelle eines der Ursprungsflüsse des Jordan, ist jetzt mit Hilfe von Parkplatz und Kartenkiosk sowie eines mit Informationsschildern versehenen Naturpfades zugänglich, und alles erinnert daran, dass man sich auf geschütztem Boden befindet. Immerhin bleiben dem Besucher die in Amerika üblichen Hinweise auf die günstigsten Fotostandorte erspart. Dergleichen Betreuung der Natur ist gewiss notwendig, um sie vor den Verwüstungen des Tourismus zu bewahren, doch verliert sie mit der Einschaltung des Menschen an Unmittelbarkeit. Das lässt sich ärgerlicherweise nicht übersehen. Zudem wird die Natur als Teil eines bewusst erzieherischen Prozesses auf ein Podest gehoben: Man pilgert zu einem Tempel der Naturschönheit. Jemand hat dies entschieden und es entsprechend plakatiert. Da gibt es Menschen und Programme. Die Natur wird uns als Konserve angeboten.

  1. Der verstorbene Axel Springer, engagierter Zionist, kam in Krisenzeiten stets nach Israel, um seine Solidarität zu bekunden. Bei der Ankunft suchte er die Kirche Dominus Flavit östlich der Altstadt von Jerusalem auf und betrachtete vom Westfenster das Goldene Tor, durch das, wie es prophezeit ist, der Messias einziehen soll. Springer hob jedoch, so wurde erzählt, die rechte Hand, um die beiden Moscheen auf dem Tempelberg aus seinem Bück zu bannen. Diese absichtliche Ausblendung gehorchte seiner Logik, dass Jerusalem die Wiege zweier, nicht dreier Religionen ist. Die Wiege des Islam steht in Mekka und Medina, bestimmt nicht in Jerusalem. So sah er es.
  2. John Cläre, Jean-Francois Millet oder Van Gogh könnten hier angeführt werden, um diesem Argument zu begegnen. Doch bemühten sie sich absichtlich darum, das Ländliche abzumalen. Mit dieser sehr bewußten Entscheidung stellten sie sich außerhalb des blassen Primitivismus oder der naiven Kunst. Es lag ihnen daran, das einfache, harte Landleben schriftlich und bildlich darzustellen, denn sie fühlten sich von der darin zum Ausdruck kommenden Redlichkeit und Glaubwürdigkeit angezogen.
  3. Man könnte argumentieren, daß zum Beispiel Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" in der Hamburger Kunsthalle Landschaft als Vision darstellt. Wir neigen indessen dazu, es auf diese Weise aufgrund eines einfachen und wirksamen Kunstgriffs wahrzunehmen: In der Betrachtung der Landschaft durch eine andere Person. Alles, was wir vom Wanderer sehen, ist die umrißweise Rückansicht eines schwarzen Rocks, von Hosen und eines Wanderstabs, von einem Windstoß zerzaustes rotes Haar und das auf den Kragen fallende Licht. Auf einem Felsvorsprung, von dem er aus- oder herabblickt, stellt er die Spitze eines Dreiecks dar. Indem er unseren Blick versperrt, definiert er dessen Richtung. Seine Stellung ist klar, das, was er sieht, aber undeutlich. Der Wanderer hat den Rand erreicht, er kann in dieser Richtung nicht weitergehen. Was er sieht, stellt sich ihm - und durch ihn uns - als die Zukunft dar, schrecklicher Abgrund oder Erhabenheit, und die Landschaft als formloses, in Nebelschwaden verschwimmendes Chaos. Das Bild regt zum Grübeln an, besonders weil wir das Gesicht des Wanderers nicht sehen. Es kann ohne weiteres als Allegorie gelten: die Zukunft, die Aussicht auf Entdeckungen, die in der Wissensvermehrung liegenden Gefahren, die Risiken des Intellekts. Wir kennen seine Reaktion nicht. Jedoch stellt ein solches Bild eine Ausnahme in der traditionellen Landschaftsmalerei dar. Das ist es nicht, woran wir denken, wenn wir über die Landschaft Betrachtungen anstellen, noch hat sich das Wort in diesem Sinne entwickelt.
  4. Schir haSchirim, Buch der Lieder, 4, 8 und 6, 4 und 5.
  5. Nahalal und Kfar Jecheskel waren die ersten geplanten Siedlungen dieser Art, obwohl bereits fünfzehn Jahre früher in Beer Jaakov (1907), Ein Ganim (1908) und Nahalat Jaakov (1913) Versuchssiedlungen gegründet worden waren.

Zweiter Teil:

Israels Landschaft in der Kunst:
Nostalgie und Gegenwart
Das Image des idealisierten Israel drückt sich in volkstümlicher Musik (die sich häufig der Gedichte von Chaim Nachman Bialik, Saul Tschernikovsky und Natan Alterman als ihrer Barden bedient) ebenso wie in fotografierten oder gemalten Bildern aus...

Aus der "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 zum 70. Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel: Recht und Wahrheit bringen Frieden.

hagalil.com 13-03-2008


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