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Judentum und Israel
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Das große anonyme Potential:
Menschen, die Geschichte gestalten

Dov Ben-Meir

Die Frage ist alt und bleibt ungelöst: Wer gestaltet was? Historische Ereignisse, die wegweisende Anführer auf die Weltbühne bringen, oder außergewöhnliche Persönlichkeiten, die mit ihren Taten Geschichte machen?

Man läßt zu oft die wirklichen Faktoren außer acht, die sowohl für die Herausbildung von Begebenheiten als auch für die Hervorbringung von Führern unmittelbar verantwortlich sind: ich meine eben das große anonyme Potential von - historisch betrachtet -Zwischenstufen: die Fachleute, die Wissenschaftler, die Heerführer und Administratoren, die Lehrer und Philosophen - all diejenigen, die den Unterbau schaffen und das Wachsen bewirken, das Gewächshaus sowohl der Führer als auch der Fähigkeit der Völker, wesentliche Ereignisse herbeizuführen. Weltgeschichte wird in der Tat von denen gemacht, die an der Spitze der Gesellschaft stehen, von Königen, religiösen Führern, entschiedenen Rebellen, und nur selten haben wir die Möglichkeit, in das Innere ihres gesellschaftlichen und nationalen Hauses, in die menschliche Küche Einblick zu nehmen. Das ist meist nur in zufälliger Weise möglich, etwa aufgrund von Aufstellungen der königlichen Haushaltsführung, durch generationsweise überlieferte Erzählungen, mit Hilfe der Moral von Geschichten in erbaulichen Büchern usw. Die moderne Epoche, die gut belegt ist und über deren gewaltige Fülle von Begebenheiten dank der weit entwickelten Kommunikationstechnik genau berichtet wird, ermöglicht es uns, auch den Beitrag aufzudecken, den die Akteure der verschiedenen Entwicklungsetappen hinter den Kulissen leisten. Niels Hansen gehört zu denen, die dabei herausragten.

In der Geschichte des Zionismus und der Erneuerung des Jischuw, der jüdischen Siedlungsgemeinschaft im Lande Israel, haben sich die Namen einer Reihe großer Freunde eingeschrieben, die kraft ihres Amts hierherkamen und vom Zauber des jüdischen Volkes so beeindruckt wurden, daß sie die Geschworenen zur Verteidigung bestimmten.

So war es mit dem englischen Offizier Orde Wingate, der nach Palästina entsandt wurde, um bei der Niederschlagung des arabischen Aufstands zu helfen. Er wurde zum Freund der kleinen, belagerten jüdischen Gemeinschaft. So geschah es mit dem amerikanischen Wissenschaftler Walter C. Lowdermilk, der für den Staat Israel und in der Tat für den ganzen Mittleren Osten das Konzept der sparsamen und rationalen Nutzung der hier so knappen Wasserreserven entwickelte. Oder mit dem amerikanischen Atomphysiker Teller. Und so auch mit Niels Hansen, der seitens der Bundesrepublik Deutschland als Diplomat hierher entsandt und der später zum wichtigen Sprecher Israels auf der ganzen Welt wurde.

Es war nicht leicht, sich während der heiklen Epoche der Regierung des Likud mit dem Staat Israel zu solidarisieren, der sich gänzlich den im Abkommen von Camp David eingegangenen Verpflichtungen entzog und Westbank und Gaza den Status voller Autonomie nicht gewährte. Es war nicht leicht, sich mit dem jüdischen Volk in Israel zu solidarisieren, das mehr als einmal beschuldigt wurde, es habe für die Leiden des palästinensischen Volkes taube Ohren, obwohl es sich noch vor kurzer Zeit selbst in ähnlicher Lage befunden hatte. Doch Niels Hansen vermochte auf vielfältige Weise - dank der ausgeprägten Vertrautheit mit unserer Geschichte und unseren Problemen, dank der besonders engen Verbindungen, die er mit so vielen Menschen aufgrund seiner ausgezeichneten Hebräischkenntnisse knüpfte - in die Tiefen des jüdischen und israelischen Wesens umfassend einzudringen. Das ließ ihn die verborgenen Kräfte des jüdischen Volkes erkennen, die Kräfte, die es befähigten, das zweitausendjährige Exil, Pogrome und Diskriminierungen, den Holocaust und den intensiven Existenzkampf um den neuen, von den Überlebenden im Nahen Osten errichteten Staat zu überstehen.

Aus all dem lernte er, daß das jüdische Volk für sich eine Art von historischem Kompaß entwickelte, der es ihm ermöglichte, umzukehren und in die richtige Richtung fortzuschreiten. Trotz aller Widrigkeiten auf seinem Weg, sei es durch die Kreuzzüge, die Verfolgungen der Inquisition, die Vertreibung aus Spanien, oder, wie gesagt, die Pogrome in Europa, die Shoah und das Ringen um den Aufbau unseres Staats, sei es durch Fehlentwicklungen bei uns selbst, wie z. B. der messianische Versuch von Shabtai Zwi, das jüdische Volk ins Land Israel zurückzuführen, der mit dessen persönlicher Tragödie endete. Oder die jüdische Assimilationsbewegung um die Mitte des 19. Jahrhunderts und das Anwachsen religiöser Sekten wie der Karäer, die sich vom etablierten Muster der jüdischen Gemeinden trennten.

Diesen Kompaß erbte auch der Staat Israel, und seine Führer waren klug genug, bei seiner Entwicklung immer wieder Korrekturen Platz greifen zu lassen: Als deutlich wurde, daß der Staat unter der Regierung des Likud durch die unvermeidliche Konfrontation mit den Palästinensern und der arabischen und muslimischen sowie wahrlich der ganzen gebildeten Welt in eine griechische Tragödie verstrickt wurde, schüttelten die Bürger unseres Staats das Regime ab und wechselten es gegen eine neue Regierung aus, die sogleich energisch den Friedensprozeß mit den Palästinensern und den benachbarten arabischen Staaten einleitete.

Niels Hansen sah dies von Anfang an voraus. In meinen vielen Gesprächen mit ihm zur Zeit seiner Mission bei uns verlor er niemals das Vertrauen, daß Israel seinen Weg finden und die inneren Kräfte zur Anbahnung einer vollen Richtungsänderung in der Außenpolitik freisetzen werde, wie es dann auch geschah.

Nachdem er aus dem deutschen auswärtigen Dienst ausgeschieden war, und auch vorher, verschrieb er sich der Aufgabe, überall in der Welt um Verständnis für die Sache Israels und der Juden zu werben. Verteidigung und Interessener-lauterung aus dem Mund eines Ausländers und NichtJuden haben in der Tat viel mehr Überzeugungskraft, und sie gewinnen Israel zusätzliche Freunde. Auch an der Kultur und am Brauchtum Israels nahm Niels Hansen reges Interesse, nicht zuletzt an dem, was die jüdischen Stämme aus der Zerstreuung mitgebracht hatten. Besonders faszinierten ihn Kultur und Bräuche der jemenitischen Juden. Weil dieser jüdische Stamm schon nach der Zerstörung des ersten Tempels aus dem Land Israel verbannt worden war, bewahrte er Sitten und Überlieferungen, die sich ansonsten - Schicksal der nach der Zerstörung des zweiten Tempels Vertriebenen, meist nach Europa geflüchteten - unter den Sachzwängen der Wanderungen von Land zu Land änderten. Der besondere Charakter der Jemeniten und die Vertrautheit mit ihren Traditionen und Sitten setzten Niels Hansen instand, allgemein die verborgenen Kräfte der israelischen Gesellschaft zu erfassen. Das hängt mit der gegenseitigen Befruchtung zusammen, die sich bei uns aus der Begegnung von Einwanderern so verschiedenartiger Herkunft ergibt. Sie brachten, obwohl jüdischen Glaubens, fremde Bräuche, Sprachen und Kulturen mit, die sie von ihren Gastvölkern angenommen und kopiert hatten.

Es gibt nicht viele frühere Botschafter befreundeter Staaten in Israel, die sich hier so zahlreicher bleibender persönlicher Freunde mit weiterhin engen und andauernden Kontakten rühmen können wie Niels Hansen. Diese Festschrift, die seine Freunde ihm zu Ehren herausbringen, ist Beweis dafür. Es gebührt ihm deshalb der Beiname, den bei uns nur wenige verdienen: "Der Freund".

Aus der "Festschrift aus Israel", herausgegeben 1994 zum 70. Geburtstag von Niels Hansen, ehemals deutscher Botschafter in Israel: Recht und Wahrheit bringen Frieden.

hagalil.com 17-10-04


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