Persönliche
Begegnung
auf einer Reise nach Eretz Israel 1946Nach vierzehn Jahren:
Das Wiedersehen mit meinem Bruder
Chanan
Lehrmann
Kurz vor Eingang des Schabaths fand ich das Haus meines Bruders, was im
modernen
Tel Aviv, im Gegensatz zu Jerusalem, nicht schwer war.
Ich eile die
Treppen hinauf, ein hübsches 17jähriges Mädchen öffnet mir die Türe
- ja, das ist unverkennbar meine Nichte, die ich zuletzt, na, als
dreijähriges Kind gesehen hatte: "Schalom, -- Nenele, wo ist dein
Vater?"
Auf dem Tisch stehen schon die Sabbatkerzen, meine
Schwägerin Cilla stürzt aufgeregt herbei, durch den Poststreik hatte
niemand eine Ahnung gehabt von meinem Kommen. Schon hat ein
Hausbewohner meinen Bruder in der benachbarten Synagoge
benachrichtigt, dass jemand aus Europa gekommen sei, er stürzt die
Treppen hinauf, starrt mich an, ringt nach Luft.
Seine Jugendzeit,
das letzte Beisammensein um den väterlichen Tisch anlässlich des
Festes der religiösen Volljährigkeit — der Bar Mizwa —
unseres jüngsten
Bruders, taucht in seiner Erinnerung auf. Schlicht, aber voll
innerem Leuchten, hatte unser Vater die von allen Landsteilen
herbeigeeilten neun Kinder begrüsst und mit dem Blick gesegnet;
freudig und fast tanzend hatte die Mutter auf ihren flinken Beinen
die Speisen aufgetragen.
Kurz darnach, 1933, hatten alle Kinder das
unselige Land verlassen, nur die Eltern blieben zurück, wurden
deportiert. Sie schrieben noch hilflose Briefe, sind dann verschollen. Wie hatte
ich diesen Augenblick des Wiedersehens gefürchtet, der uns bewusst
machen musste, wie wir Brüder und Schwestern des Hauptes, der Quelle
unserer moralischen Kraft, die bei manchem zu erlahmen drohte, des
einigenden Bandes beraubt waren: unserer heiligen Eltern, die in der
Gaskammer ihr Leben aushauchten, ein reines Sühneopfer für ihre neun
Kinder.
Ich hatte gehofft, dass ich mit einem Scherzwort über die
Szene des Wiedersehens hinwegkommen würde. Aber mein Bruder brach in
ein derart haltloses Weinen aus, alle in vielen Jahren der
Entbehrungen und des Kummers zurückgehaltenen Gefühle brachen derart
spontan hervor, dass die Kinder verlegen und ratlos aus dem Zimmer gingen, wie geschrieben
steht: "Und Joseph schickte alle aus dem Hause, als er sich seinen
Brüdern zu erkennen gab, und er erhob seine Stimme und weinte, dass
man es hörte bis ins Haus von Pharao."...
COLLECTION MIGDAL
Jüdisches Wissen für Jedermann
Hintergrund:
EIN
TRAURIGER SIEG
Am 8. Mai 1945
geht in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende. Millionen Menschen
jubeln und feiern. In die Freude der Juden mischt sich dagegen große
Trauer. Zu diesem Zeitpunkt ist schon bekannt, dass Millionen Juden
von den Nazis ermordet wurden... |