Hinzu kam noch ein - von der Kaufmanns- und
Kleinbürgerschaft geforderter - Ukas, den Katharina II. am 21.12.1791
erließ, und der die Juden zwang in den sogenannten ''TCHUM'',
einem ihnen zugewiesenen Ansiedlungsrayon
an der Westgrenze des Zarenreichs, zu übersiedeln.
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Als TCHUM galten nun die neuen russischen
West-Provinzen: das war halb Polen, Weißrußland und Litauen,
- sowie der südliche Teil: die Ukraine, Bessarabien und Podolien.
Die Einreise ins zentrale russische Zarenreich blieb jedoch für Juden
lange Zeit versperrt.
Hier (in Bessarabien, Provinz Kiew, Czernigow,
Poltava, Minsk, Volhynia, Podolien, Krim, Litauen, Polen, Weißrußland und
Ukraine) mußten sie fortan wohnen - allerdings nur in Städten und und
größeren Dörfern; und hatten als Juden eine
doppelt so hohe Steuerlast zahlen als die übrige,
christliche Bevölkerung.
Der Widerruf dieses Ukas erfolgte erst zur
Revolution, und zwar durch die provisorische Regierung, im November 1917.
In diesem Ansiedlungsrayon entwickelte sich, während
der zunehmenden PAUPERISIERUNG - der allgemeinen Verarmung -, ein eigenes,
tiefreichendes religiöses Empfinden und es entfaltete sich gleichzeitig
auch ein spezifisch jiddisches Kulturleben. Vornehmlich war es der
Chassidismus
der sich im 18. Jahrhundert von Podolien (Ukraine) ausbreitete und bald
die anderen Länder Osteuropas ergriff.
Die russische Verfassung war den Juden nie
wohlgesonnen. Sie versuchte ihre neue, also vorwiegend jüdische
Bevölkerung, in ihr zaristisch-bürgerliches System einzubinden und hob
gleichzeitig die bis zu diesem Zeitpunkt in Polen bestandene jüdische
Kultur-Autonomie auf.
Im Zusammenhang einer wachsenden Judeo-Phobie gaben
sich, zumindest seit 1820, immer wieder Streitigkeiten und Pogrome
abwechselnd die Hand, oder lösten das eine mit dem anderen ab.
Und doch erlaubte eine gewisse Auslesepolitik es, in
späterer Zeit, einigen wenigen Familien aus der gebildeten
russisch-jüdischen Großkaufmannschaft sich wieder in städtischen
Kulturzentren des Zarenreichs niederzulassen. Sie übernahmen die Führung
im kurzlebigen Emanzipations-Kampf, besonders unter der Regentschaft des
liberal gesonnenen Zaren ALEXANDER I. (1801-25).
Alexander I. hegte nämlich die Hoffnung, auf Judenbekehrung und hob in
diesem Zusammenhang gewisse alte diskriminierende Zwangsmaßnahmen auf.
Deshalb wurde er auch in weiten Kreisen des russischen Judentums gerne als
'Wohltäter' gesehen; was er jedoch keineswegs war.
Unter Zar NIKOLAUS I.(1825-55)
gingen alle Hoffnungen der Juden auf verbesserte Lebensbedingungen
schnell unter. Während seiner Regentschaft wurden über 600 judenfeindliche
Verordnungen erlassen, darunter auch - seit 1827 - die
Zwangsrekrutierung 12-jähriger jüdischer Knaben für eine 25 Jahre
dauernde Dienstzeit. Betroffen waren von dieser Massnahme rund
70.ooo Jugendliche. Oft wurde damit - oder gegen Ende der Militärzeit -
der Übertritt zum Christentum erzwungen, oder zur Bedingung gestellt.
Dieses Gesetz wurde 1850 sogar noch verschärft und bis 1874 beibehalten.
Zahlreiche bedeutende Juden der westlichen Welt
haben - jedoch mit nur wenig Erfolg - zu intervenieren versucht,
wenigstens in einigen Bereichen die auswegslose Lage der russischen Juden
zu lindern. Eines der großen Fürsprecher war z.B. Moses MONTEFIORE
während seines Russland-Besuchs im Jahre 1846; (auch der britische
Staatsmann Benjamin DISRAELI und die
ROTHSCHILDs setzten sich für ihre Glaubensbrüder ein.)
1825 kam es erstmals in Odessa zu Ausschreitungen
gegen Juden, die sich 1841 und 1871 wiederholten; sie können als Vorboten
der Pogrome von 1881-1882 gesehen werden. Sie waren
vorwiegend von kirchlicher Seite geschürt, wie jene Ritualmordprozesse die
in Welisz (Gouverment Witebsk) 1823/24 und Sartow 1857 schließlich, wegen
nicht erwiesener Schuld, zu Freisprüchen führten.
Eine leichtere Verbesserung der Verhältnisse trat
erst unter Alexander II. (1855-81) mit der Abschaffung
des Kantonismus ein, in dem er die strengen Verordnungen seiner Vorgänger
teilweise aufhob oder weitgehend sogar zurücknahm.
Jedoch schon gleich nach der Ermordung von Zar
Alexander II, 1881 und in in den ersten Regierungsjahren
Alexander III. (1881-94), dem sogenannten 'Pogrom-Zar', kam es
1881-1882 zu den bis dahin blutigsten Ausschreitungen.
Der Haß schwelte unterschwellig rund zehn Jahre und
führte 1891 erneut zu einer Vertreibung der Juden aus Moskau. Es kam zu
weiteren harten antijüdischen Gesetzen, die letztlich zur ersten großen
Emigration in den Westen, vor allem nach Amerika führte.
Die Revolutionäre sahen diese blutigen
Ausschreitungen als Zeichen der ''Volks-Gärung'', und die Beamten schürten
sie als Ventil. Nicht minder war an den Pogromen - zumindest ideologisch -
auch der bekannte Schriftsteller Dostojewski
an Provokationen beteiligt, bei denen er gerade mit seinen Schriften
'Tagebuch eines Schriftstellers' (geschrieben ab 1845 bis zu seinem Tod im
Jahre 1881) kräftig mitschürte.
Waren es zunächst noch die arbeitslosen Scharen
großrussischer Bauern, die als hauptsächliche Träger dieser Pogrome
galten, so kann in späteren Jahren die beachtliche Mitwirkung der
Gesamtbevölkerung - vornehmlich bei den groß angelegte Plünderungen -
beobachtet werden, die mit den kleinrussischen Bauern gemeinsame Sache
machten.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt, also ab 1881,
erfolgte die erste große Fluchtwelle hin zum Westen - und schließlich nach
Amerika.
Immer wieder folgten etliche Ritualmordfabeleien in
den nachfolgenden Jahren, wie jene von Kutajsi (Georgien), der 1879, und
der Kiewer-Prozeß (Fall Mendel BEJLIS) der 1913 ebenfalls in einem
Freispruch endete.
Ferner ist 1835 die berüchtigte 'Linie der
hebräischen Ansässigkeit' gezogen worden, was der damalige Metropolit
FILARET mit seiner antijüdischen Haltung begrüßte.