Die Welt des
Ostjudentums POLEN
von Chaim FRANK
Der moderne
polnische Staat
Der moderne polnische Staat besaß, noch
lange vor der Katastrophe des II. Weltkriegs, drei jüdische
Haupt-Gruppen:
- die Orthodoxen mit der Bestrebung
einer Kultur-Autonomie
- die zionistischen Parteien, mit
einer unterschiedlich religiösen Bindung, und
- eine weitere, eine Parteien-Gruppe,
mit stark links gerichteten Tendenzen, die die beiden anderen
Richtungen bekämpfte.
Es gab auf der einen Seite
Klassenkampf-Vertreter und auf der anderen Seite das Verlangen nach
vollständiger Autonomie, auf Jiddischer Basis.
Die Familien in den Städten und Shtetln
waren nun politisiert.
Nicht selten kam es vor, daß sie in sich selbst soviele Richtungen
vertraten, wie sie Mitglieder zählten. Und doch waren die Juden immer
nur passiv an der Politik beteiligt; Vielmehr hatten sie, im Kampf des
Überlebens, für sich hart und schwer zu sorgen.
Auch in der religiösen Bewegung tat sich
einiges:
So entstand 1912 in Kattowicz die Welt-Organisation der Thoratreuen
orthodoxen Juden zur Pflege und Vertretung ihrer religiösen Interessen,
genannt 'Agudas Jisroel'. Sie wurden ab 1921 nicht nur
Förderer des Thorastudiums, sondern auch ein Finanzinstrument
agudistischer Arbeiterorganisationen.
Es schien, als sollte sich doch noch
alles für die polnischen Juden zum Guten wenden. Zahlreiche kulturelle
Clubs entstanden in fast allen größeren Städten, das Verlags- und
Pressewesen florierte und die polnischen Juden waren neben den
russischen die bekanntesten Musiker. Vor allem die 'Nationalsprache' das
(->)
Jiddisch nahm in
Zeitungen, in Büchern, am Theater und später auch im Film einen
außerordentlichen Raum ein.
Unter Einfluß der großen Revolution die
zwischen 1917 bis 1919 ganz Mittel-und Osteuropa erfaßte, an der auch
zahlreiche Juden beteiligt waren, bildete sich die bürgerliche
Republik Polen, die zwar nicht die wirtschaftlichen und
sozialen Probleme lösen konnte, doch aber mit seiner Gesetzgebung allen
Bürgern unabhängig ihrer Nationalität und Konfession volle
Gleichberechtigung gewährte.
In den Jahre zwischen den beiden
Weltkriegen war der junge Staat Polen in einer außerordentlich
schwierigen Lage, wie die gesamte Bevölkerung und darum die Juden erst
recht.
Besonders während des I. Weltkriegs und
in den leidigen Zwischenkriegsjahren waren unzählige Juden in den
Shtetln Polens, Litauens, Podolien und der Ukraine verarmt. Sie lebten
entweder am Rand des Existenzminimums oder waren bereits auf die
großzügige Hilfe amerikanisch-juedischer Wohlfahrts-Organisationen
angewiesen.
Täglich sahen sie sich dem ständig
heftiger werdenden Druck ihrer Umgebung ausgeliefert. Pogromwellen und
größere Übergriffe, von Seiten der christlichen Bevölkerung, zwangen sie
dem Übel zu entfliehen. Ausreise-Stroeme brachten sie nach
Westeuropa, nach Nord- oder Südamerika und natürlich ins Land der Väter,
nach Palaestina.
Die wirtschaftliche Situation, die
Arbeitslosigkeit, aber auch der 'economische' Antisemitismus führte
zwischen 1921 bis 1937 zur Massenauswanderung von annähern 400.000 Juden
nach Mitteleuropa, Palaestina und den USA.
Nach der Volkszählung von 1931
war der Anteil der Juden unter der Gesamtbevoelkerung von 32 Millionen
Einwohnern Polens knapp 10%. Von diesen 3 Millionen bestritten 42% ihren
Unterhalt durch Arbeit in Industrie, Bergbau und Handwerk, 36% durch
Handel, ca. 20% fand sich in diplomierten (Ärzte, Juristen,
Wissenschaftler u.Forscher) und freien Berufen (Journalisten,
Schriftsteller, Künstler usw) und natürlich gab es auch Arbeitslose.
Das Unglück aber, daß auf das polnische,
oder überhaupt auf das gesamte ost- wie westeuropaeische Judentum
hereinbrach: der Ausbruch des II. Weltkriegs und die systematischen
Ausrottung durch Nazi-Horden, läßt uns verstummen.
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