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[V.
KLEMPERER]
[INTERVIEW]
Interview
mit Drehbuchautor
Peter Steinbach
"Wir haben ein Denkmal
geschaffen,
das die Leute von den Stühlen reißen soll"
Am Anfang war das Wort – in Form der umfangreichen Tagebücher von
Victor Klemperer...
Stimmt, am Anfang war das Wort, aber nicht die Tagebücher,
sondern Klemperers "LTI – Notizbuch eines Philologen", über die
Sprache im III. Reich. Wir ehemaligen DDR-Bürger haben das
verschlungen, im Westen kennt das kaum einer. Die Tagebücher habe
ich erst danach, aber dann drei-, viermal gelesen, denn ich war
Suchender, einer der nach der Wahrheit sucht. Hunderte habe ich nach
dieser Zeit befragt. Doch als Antwort habe ich nur gehört: Wir haben
nichts gewusst, Juden haben wir nicht gekannt... Nun lag die
Wahrheit vor mir.
Und wann kam die Idee, den Stoff dramaturgisch für das Fernsehen zu
bearbeiten?
Ich wollte das immer schon. Ich wusste sofort, das kann nur ich
machen. Und eines Tages kam Produzent Kurt Rittig zu mir und hat
mich gefragt. Ein Traum!
Welche Kompromisse gegenüber den verbrieften Fakten mussten Sie
eingehen, um diese Tagebücher zu dramatisieren?
Bei der nochmaligen Lektüre der Tagebücher hatte ich das Gefühl,
dass Eva unterrepräsentiert ist. Ich musste Eva erfinden. Und auch
eine Haushälterin. Als Routinier kann man das – Personen einbauen,
um schöne Geschichten zu erzählen, Personen mit einer anderen
Biographie, anderen Namen versehen, um keine rechtlichen Probleme zu
bekommen und um niemanden zu verletzen. Aber man muss sich dabei
auch beschränken können, dass das nicht ausufert. So ist eine
eigenständige Mischung entstanden aus den Tagebüchern und meinem
Fundus, eine Mischung, die die Wahrheit erzählt.
Einige Leser der Tagebücher werden gewiss sagen, dass in Wahrheit
aber einiges ganz anders gewesen sei...
Meinen Sie wirklich, dass diese Kritik kommt? Das wäre
kleinbürgerlich und mir auch völlig wurscht. Es muss Diskussionen
geben, aber über den Inhalt, über die schreckliche Zeit. Die
Qualität unserer Arbeit wird jede andere Kritik überdecken. Das Werk
spricht für sich.
Nun weiß man relativ viel über die Person Victor Klemperer. Hat
Ihnen dieses Wissen geholfen?
Ich komme ja aus einfacheren Bildungsverhältnissen. In Klemperer
habe ich dieses – heute fast ausgestorbene – Bildungsbürgertum
erkannt und schätzen gelernt. Die wussten nicht nur so obenhin was
von der Welt, die hatten sie in sich. Klemperer war darüber hinaus
ein großartiger Vortragender, wie ich hörte, und in seinen
Tagebüchern scheint überall eine hohe literarische Qualität auf. Mir
fällt Gorkijs Wort dazu ein: ‘Ein Mensch, wie stolz das klingt!’ Ich
will es auf meine Weise auf Klemperer übertragen wissen.
Sie haben die fertigen Folgen von "Klemperer – Ein Leben in
Deutschland" bereits gesehen. Wie ist Ihr Eindruck von der
Umsetzung?
Ich bin so lange im Gewerbe, aber erstmals in meinem langen
Fernsehleben bin ich stolz über meine Arbeit, richtig stolz. Die
Folgen sind ganz hervorragend, richtig gut gemachte Unterhaltung.
Mit diesen tollen Schauspielern, den beiden jungen Regisseuren haben
wir ein Denkmal geschaffen, das die Leute von den Stühlen reißen
wird. Die Verfilmung wird dazu beitragen, dass man dieses Kapitel
deutscher Geschichte nie vergisst. Bei einer Probevorführung habe
ich Leute ergriffen gesehen. Einige haben auch geheult. Ich war
glücklich.
Interview mit Matthias Habich |
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