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Die Geschichte der Juden in Osterholz-Scharmbeck

Die Bilanz der Verbrechen

Die meisten Juden aus Osterholz-Scharmbeck sind ermordet worden, viele wurden vertrieben, nur vier überlebten den faschistischen Terror innerhalb Deutschlands. Von den etwa 40 Juden, die Anfang der 30er Jahre hier lebten, gab es nach den 12 Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft nur noch 3 in dieser Stadt. Da war die Familie von Sigmund und Klara Cohen mit ihren beiden Kindern, Erich und Hanni. Sie wohnten in der Lindenstraße 6, zur Miete bei Alfred Schmarr. Noch vor 1934 flüchtete Erich Cohen nach Südafrika. Sein Vater Sigmund Cohen, seine Mutter Klara Cohen und seine Schwester Hanni Cohen blieben zunächst in der Stadt. Während der Pogromnacht 1938 wurde der Vater Sigmund Cohen von den Verbrechern der SA so schlimm geschlagen, daß er etwa ein Jahr später an den Folgen starb - ein Arzt wurde ihm verwehrt, er blieb die ganze Zeit bettlägerig. Die Tochter Hanni Cohen wurde gezwungen, ihre bestehende Verlobung mit einem Nichtjuden aus Osterholz-Scharmbeck zu lösen, sie ging nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter nach Bremen. Dort lernte sie den Juden Bernhard Meyer kennen, den sie in Bremen heiratete - es war dort eine der letzten jüdischen Hochzeiten. Den beiden wurde ein Kind geboren. Aber am 18. November 1941 wurden alle, Klara Cohen, Bernhard und Hanni Meyer mit ihrem Kind, ins Konzentrationslager nach Minsk deportiert und dort ermordet.

Auch von der Familie Heidemann überlebten nur die Kinder, die rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten. In der Findorffstraße wohnten die Brüder Alfred und Josef (genannt "Iwan") mit ihren Frauen Grete und Irma und ihren Kindern Lilly und Kurt. Sie betrieben dort ein Geschäft. 1938 gelang es, Lilly (die Tochter von Alfred und Grete) nach London in Sicherheit zu bringen und Kurt (den Sohn von Josef und Irma) nach Palästina ausreisen zu lassen, wo er heute eine große Farm besitzt. Josef und Irma Heidemann wurden 1941 über Hamburg ins Konzentrationslager gebracht und ermordet, während Alfred und Grete 1942 über Bremen ebenfalls ins Konzentrationslager (Minsk) deportiert und ermordet wurden. Ihr Geschäft "übernahm" am 1.10.1937 Fa. Chr. Essen.

Die Brüder Sally und Eduard Davidsohn hatten gemeinsam das große Kaufhaus in der Poststraße geerbt, das während der nationalsozialistischen Terrorzeit von Herrn von Seggern "übernommen" wurde. Eduard Davidsohn verstarb 1919, und sein Sohn Ernst trat die Nachfolge an. Sally Davidsohn wohnte mit seiner Frau Toni und seinen beiden Kindern Ilse und John in der Bahnhofstraße 84. Im Juli 1938 starb Sally, sein Sohn John gelang die Flucht nach Amerika, während sein Neffe Ernst aus der sogenannten "Schutzhaft" nach der Pogromnacht nicht mehr zurückkehrte. Am 11. Januar 1941 wurde Frau Toni Davidsohn zum Verkauf ihres Hauses in der Bahnhofstraße gezwungen und mußte mit ihrer Tochter Ilse nach Bremen umziehen. Von dort wurden beide am 18. November 1941 ins Konzentrationslager nach Minsk deportiert und ermordet.

Völlig ausgelöscht wurde die Familie Meyer-Rosenhoff. Der Vater Hugo Meyer-Rosenhoff wurde in der Pogromnacht verprügelt, danach verhaftet und schließlich wieder nach Hause entlassen. Seine Familie wurde in dieser Nacht in den Keller getrieben und mit dort Weckgläsern beworfen. Am 17./18. November 1941 wurden dann Vater, Mutter und beide Töchter über Bremen nach Minsk ins Konzentrationslager deportiert, wo die NS-Schergen sie ermordeten. Die Familie von Sigmund Cohens Bruder, Alfred und Flora Cohen, konnte ihren Sohn Fritz 1938 nach Brasilien auswandern lassen. 1939 wurden sie zwangsweise bei den Davidsohns in der Bahnhofstraße 84 einquartiert, nachdem sie die von ihnen gemietete Wohnung in der Bremer Str. 47 räumen mußten. 1941 wurden sie zunächst nach Bremen, im Januar 1942 dann von dort ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Nur Flora Cohen überlebte und folgte ihrem Sohn Fritz, indem sie nach ihrer Befreiung ebenfalls nach Brasilien auswanderte. Dr. Richard Cohen wurde zunächst gleich 1933 die Kassenzulassung entzogen, durch einen weiteren Erlaß 1935 faktisch ein Berufsverbot erteilt. Diese Maßnahmen der Faschisten haben ihn in den Tod getrieben, weil sie ihm seine Lebensgrundlage entzogen. Ebenfalls in den Tod getrieben wurde Anna Ratusch. Mit ihrem Mann Leon und ihren drei 14 Kindern zog sie nach Bremen ins "Judenviertel", von dort plante die Familie die Flucht in die USA. Noch bevor dies aber gelang, sollte Anna Ratusch, aus Galizien stammend, ohne ihre Familie zurück in den Osten deportiert werden. Diese zwangsweise Trennung konnte sie nicht verwinden und ertränkte sich. Ihr Mann Leon konnte kurz danach mit den Kindern in die USA gelangen - wie besonders schwer muß es ihnen gefallen sein, diese Reise und den Neuanfang im fremden Land ohne die Mutter zu bewältigen, die doch dabei gewesen sein sollte.

Der letzte Rabbiner der jüdischen Gemeinde von Osterholz-Scharmbeck, Leo Löwenstein, wohnte zunächst noch in der Synagoge in der Bahnhofstraße. 1941 wurde auch er in ein Kon-zentrationslager deportiert und ermordet. Moritz Aaron wurde 1938 zwangsweise bei Meyer-Rosenhoff einquartiert und am 27. Juli 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Sein Bruder Wilhelm Aron überlebte mit seinen beiden Kindern Wilhelm und Annelie. Wilhelm Aron (junior) wurde 1943 wegen seiner jüdischen Abstammung aus dem Wehrdienst entlassen und 1944 zusammen mit seinem Vater zur Baustelle des Bunkers "Valentin" in Bremen-Farge deportiert. Von dort aus wurde sein Vater nach Theresienstadt verbracht, er überlebte das Lager. Wilhelm Aaron (junior) brachte man nach Eschershausen, wo auch er das Terrorregime überlebte. Die Tochter Annelie Aron wurde in ein Arbeitslager bei Oldenburg de- portiert, auch sie überlebte die Herrschaft der Faschisten. Alle drei kehrten nach der Befreiung nach Osterholz-Scharmbeck zurück.

Hugo Feist gelang die Flucht in die USA mit seiner ganzen Familie. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 1935 bemühte er sich um einen Verkauf der Familienbetriebe in Osterholz-Scharmbeck, der aufgrund der Bedingungen unter den Nationalsozialisten allerdings nicht in geschäftsüblicher Weise gelingen konnte. Trotzdem schafften sie 1938 die Ausreise in die Sicherheit Amerikas.

Aus anderen Regionen des Landkreises Osterholz liegen bislang nur wenige Informationen vor. Einige Namen können aber doch hier aufgeführt werden:

Jüdische Familien in Ritterhude:

- Cohen, Erna - Hinter den Höfen 291, November 1941 nach Minsk deportiert, ermordet
- Cohen, Ingeborg - Hinter den Höfen 291, November 1941 nach Minsk deportiert, ermordet
- Cohen, Johannes - Hinter den Höfen 291, November 1941 nach Minsk deportiert, ermorder
- Simon, Berta - Hinter den Höfen 75, November 1941 nach Minsk deportiert, ermordet
- Simon, Jacob - Hinter den Höfen 75, November 1941 nach Minsk deportiert, ermordet
- Simon, Norbert - Hinter den Höfen 75, November 1941 nach Minsk deportiert, ermordet
- ter Berg, Adolf - 1938 nach London ausgewandert
- ter Berg, Isaak - August 1939 nach Bremen umgezogen, weiteres Schicksal unbekannt
- ter Berg, Paula - August 1939 nach Bremen umgezogen, weiteres Schicksal unbekannt

Jüdische Familien in Grasberg-Eickedorf:

1 jüdische Familie - 1940 nach Minsk deportiert, ermordet

Jüdische Familien in Lilienthal:

3 jüdische Bürger in die USA ausgewandert

Die Zeit danach

Mit der Shoa, dem Massenmord an den Juden, und den Vertreibungen wurde auch in 0sterholz-Scharmbeck der jüdische Anteil am alltäglichen Leben, der Wirtschaft und der Kultur vernichtet. Die Häuser und Geschäfte der Juden sind von anderen Besitzern bewohnt oder wirtschaftet. Die Synagoge wurde noch während der nationalsozialistischen Herrschaft zur Luftschutzschule umgebaut. Eine Tafel an dem Haus in der Bahnhofstraße 105 erinnert darab, daß sich in diesem Gebäude die jüdische Gemeinde der Stadt versammelte. Einst geachtete Mitglieder von alteingesessenen kulturellen und wirtschaftlichen Verbänden der Stadt scheinen ebenso vergessen wie ihre Anwesenheit und die ihrer Familien. Und so erschien vielen die Beschäftigung mit dem Thema "Judaismus" oder "Juden in Deutschland" überhaupt nicht mehr aktuell. Manchen scheint auch alles schon gesagt.

Tatsächlich ist es aber so, daß erst jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert nach den unfaßbaren Verbrechen während des faschistischen Terrorregimes, eine Besinnung auf die Realität möglich zu werden beginnt. Über der Entsetzlichkeit weniger Jahre verblasste die Erinnerung an viele Jahrhunderte "alltäglicher" Judenverfolgung, die den Weg zu der Shoa bereitet hat. Die Wahrnehmung, daß es immer noch und wieder Juden in Deutschland gibt, daß inzwischen ein Staat Israel wieder entstanden ist, wird zusammen mit dem unangenehmen Wissen um schlimme Geschehen in Deutschland in den Hintergrund gerückt. Vielleicht war es unter gegebenen Umständen unvermeidlich, daß einige Jahrzehnte vergingen, bevor eine neue, realistische Position zum Judentum bezogen werden kann.

Auf jeden Fall ist es wichtig, diese Chance aufzugreifen. Das, was sich über Jahrtausende an Feindschaft gegen Israel und die Juden entwickelt hat, ist nicht mit der Kapitulation im Mai 1945 einfach verschwunden. Der nationalsozialistische Versuch des Völkermordes an den Juden ist nicht der erste und es gibt keine Garantie dafür, daß es der letzte war. Vielleicht ist gerade jetzt die richtige Zeit, um mit allem Irrsinn von Jahrhunderten zu brechen und einen neuen, respektvollen Anfang zu finden. Vielleicht gibt es auch allen Grund dazu, daß dies gerade in Deutschland versucht wird.

Quellen dieser Zusammenstellung:

Besonderer Dank gilt Herrn Klaus-Peter Schulz, dessen über Jahrzehnte geführte Recherchearbeit ein umfassendes Material zur jüdischen Geschichte hervorgebracht hat. Die vorliegende Broschüre ist im wesentlichen aus diesen Informationen entstanden und dankenswerterweise von Herrn Schulz korrigiert und ergänzt worden. Ebenso ist Herr Menkhoff, der die Geschichtswerkstatt leitet, mit Korrekturen und Ergänzungen wesentlich am Zustandekommen dieser Broschüre beteiligt.

Literaturhinweise:

- Materialsammlung von Klaus-Peter Schulz (Leiter des Heimatmuseums in Osterholz-Scharmbeck), teilweise auch vorhanden im
Archiv des Landkreises Osterholz und im
Osterholzer Kreisblatt (verschiedene Artikel, verfaßt von Klaus-Peter Schulz)
- Außerdem einige ergänzende Hinweise aus folgenden Werken: - Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Niedersachsen I
Juden in Niedersachsen, Die, 1979
Niedersächsische Zeitschrift für Heimat und Kultur, l/März 1980
Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 65, 1993
Nordwestdeutsche Landeszeitung
Parlament, Das, U.88
Segelken, Heimatbuch, 1. Aufl.
Stader Jahrbuch 1977

Bezüglich Informationen über jüdische Friedhöfe sei folgende Internet-Adresse erwähnt: http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/
FRIEDHOF/NIEDERSA/PROJEKTE/titel.htm#titel Hier finden sich die umfassenden Arbeitsergebnisse von Herrn Klaus-Peter Schulz über die jüdischen Friedhöfe der Region.

Zusammenstellung:

Osterholz-Scharmbeck. Oktober 1999, im Rahmen des Offenen Arbeitskreises für Fragen
- zur jüdischen Geschichte in Osterholz-Scharmbeck
- zur jüdischen Geschichte insgesamt
- zur jüdischen Kultur
- zum Verhältnis zwischen Juden und Christen
- zu Beziehungen zwischen Israel und Deutschland
- zur Vermittlung von Informationen in Schule und Öffentlichkeit

Kontaktadresse und verantwortlich für diese Broschüre: Birgit Ernst-Goergens & Harald Goergens
Osternheide 14, 27711 Osterholz-Scharmbeck, Tel./ Fax: 04791 -12 750

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hagalil.com / 29-09-2005


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