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Entschädigungslos:
Die Synagoge von Osterholz-Scharmbeck von 1865

Von Harald Goergens

1731 kam Levi Hertz als erster Jude nach Scharmbeck, damals noch ein eigenständiger Ort neben Osterholz. Es folgten weitere jüdische Familien, und schon 1742 konnten jüdische Gottesdienste stattfinden - aktenkundig wurde dies aufgrund eines Protestschreibens, in dem auch Beschwerde dagegen geführt wurde, daß Levi Hertz den Schabbat halte.

Am 1. Dezember 1762 schlossen sich die fünf jüdischen Familien offiziell zu einer Synagogengemeinde zusammen. 1804 wurde zum ersten Mal eine Synagoge in Scharmbeck aktenkundig - durch die Anstellung von Benjamin Jakob als Schulmeister, Schächter und Vorsänger. 1829 beschloß man den Bau einer neuen Synagoge an der Teichstraße. 1864 brannte diese völlig nieder, zusammen mit benachbarten Gebäuden. Die Brandursache ist ungeklärt, aber da es offensichtlich schon 1742 Mißgunst gegen die Familie Levi Hertz gab, ist eine Brandstiftung wohl nicht auszuschließen. Die Gemeinde beschloß noch im gleichen Jahr den Bau einer neuen, noch größeren Synagoge, der größten und bedeutendsten in der Drostei Stade mit 150 Sitzplätzen für Männer und zusätzlich einer Galerie für die Frauen. Die neue Synagoge konnte 1865 eingeweiht werden.

Das Ende

In der Nacht des 9. November 1938 zog der Pöbel der NSDAP durch Deutschland, um die dort lebenden Juden einer beispiellosen Verbrechenswelle zu bedrücken. Am 3. Dezember 1938 erließ das faschistische Regime dieser Nazibande ein rechtloses "Gesetz" zur weiteren Ausplünderung der verfolgten Juden, es trägt den Titel: "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens" und ist im Reichsgesetzblatt vom 5.12.1938 auf den Seiten 1799 - 1712 nachzulesen. Dieses "Gesetz" bildete die Grundlage für die staatlich verordnete Beraubung der Juden im Machtbereich der NSDAP.

So zog der rechte Mob am 9. November 1938 auch durch Osterholz-Scharmbeck und versuchte - unter anderem die Synagoge in Brand zu stecken, was aufgrund des Eingreifens von Brandmeister Fritz Torbohm mißlang. So blieb dieses jüdische Gebäude stehen und man mußte eine Lösung für die weitere Verwendung des immerhin beschädigten Hauses finden.


Repro der Aufnahme von der Synagogenschändung durch die Nazis

Die "Lösung", die die ortsansässige NSDAP fand, bestand in einem "Kaufvertrag" genannten Dokument, das unter Maßgabe der "Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens'" am 18.08.1939 verfaßt wurde und im Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland mit Sitz in Heidelberg unter B.1/10, Nr. 1111 archiviert ist:

- Geschlossen wurde dieser "Vertrag" zwischen dem Nazi-Bürgermeister Hans Urban und natürlich nicht der Jüdischen Gemeinde, sondern einem für diese bestellten Vertreter, dem Makler Franz Sippel aus Bremen.
- Zustandekommen konnte dieser "Vertrag" nur, weil aufgrund der Verordnung vom 3.12.38 ein zuvor vom Synagogenvorsteher mit einem Bürger geschlossener Kaufvertrag für nichtig erklärt wurde (§ 4 b des "Kaufvertrages'') .
- Die Anwendung der "Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens" wird ausdrücklich hervorgehoben (§ 6 b des "Kaufvertrages")
- Der als sehr günstig anzusehende Kaufpreis von nur 6.500 Reichsmark wurde nicht der jüdischen Gemeinde gezahlt, sondern gemäß der erwähnten "Verordnung" auf das Konto einer Devisenbank unter Verfügungsgewalt des Oberfinanzpräsidenten Weser-Ems überwiesen, (s. Zusatz zum "Kaufvertrag" vom 14.10.1939).

Die weitere Geschichte des Synagogengebäudes

Zum Zweck der zumindest materiellen Entschädigung der Opfer solcher und anderer nationalsozialistischer Verbrechen wurde am 29.06.1956 das "Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung", Bundesentschädigungsgesetz (BEG) genannt, im Bundestag beschlossen.

Dort heißt es im § 1: "Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ist, wer aus Gründen... der Rasse, des Glaubens... durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an... Eigentum, Vermögen, ..erlitten hat (Verfolgter)."

Eine umfassende Definition nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen steht im § 2: "(1) Nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen sind solche Maßnahmen, die aus den Verfolgungsgründen des § 1 auf Veranlassung oder mit Billigung einer Dienststelle oder eines Amtsträgers des Reiches, eines Landes, einer sonstigen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts, der NSDAP, ihrer Gliederungen oder ihrer angeschlossenen Verbände gegen den Verfolgten gerichtet, worden sind. (2) Der Annahme nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen steht nicht entgegen, daß sie auf gesetzlichen Vorschriften beruht haben oder in mißbräuchlicher Anwendung gesetzlicher Vorschriften gegen den Verfolgten gerichtet worden sind."

Der Entschädigungsanspruch ist so klar formuliert, wie es nur möglich ist:
§ 3: "Der Verfolgte hat Anspruch auf Entschädigung nach diesem Gesetz."
§ 4,5: "Für Schäden an Grundstücken besteht der Anspruch auf Entschädigung ohne Rücksicht auf Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt des Verfolgten, wenn das Grundstück im Geltungsbereich dieses Gesetzes belegen ist."
§51,1: "Der Verfolgte hat Anspruch auf Entschädigung für Schaden an Eigentum, wenn eine ihm im Zeitpunkt der Schädigung gehörende Sache im Reichsgebiet nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 zerstört, verunstaltet oder der Plünderung preisgegeben worden ist."

Völlig überflüssig sind Diskussionen darüber, ob die eine oder andere gegen Juden und jüdisches Vermögen
gerichtete Maßnahme nun vielleicht doch nicht unter die Voraussetzungen des BEG fallen könnte:
§ 51,4: "Gehört der Verfolgte zu einem Personenkreis, den in seiner Gesamtheit die nationalsozialistische deutsche Regierung oder die NSDAP vom kulturellen oder wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen beabsichtigte, so wird vermutet, daß der Schaden an Eigentum durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verursacht worden ist."

Ebenso ist festgestellt, daß ein Entschädigungsanspruch nicht auf Einzelpersonen zu begrenzen ist:
§ 142, 1: "Eine juristische Person, Anstalt oder Personen Vereinigung...hat Anspruch auf Entschädigung, wenn sie durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen geschädigt worden ist.

Das Erlöschen einer solchen Vereinigung - z.B. einer Synagogengemeinde - steht dem Entschädigungsanspruch ausdrücklich nicht entgegen:
§ 142,2: "Besteht eine der in Absatz 1 genannten juristischen Personen, Anstalten oder Personenvereinigungen nicht mehr und hat sie auch keinen Rechtsnachfolger, so kann der Anspruch auf Entschädigung von derjenigen Person, Anstalt oder Personenvereinigung geltend gemacht werden, die nach ihrer Verfassung, Zweckbestimmung, Zusammensetzung oder organisatorischen Stellung und nach ihrer tatsächlichen Betätigung als Zwecknachfolger anzusehen ist. Rechtsnachfolger im Sinne des Satzes 1 ist für Ansprüche nach § 51 auch eine auf Grund rückerstattungrechtlicher Vorschriften errichtete Nachfolgeorganisation."

Somit sind eine ganze Reihe möglicher Anspruchsteller vorstellbar, unmittelbar auf jeden Fall nach § 11,2 b des Bundesrückerstattungsgesetzes (BRüG) auch die Jewish Trust Corporation for Germany (ITC). Der somit im
BEG zugesicherte Entschädigungsanspruch besteht folglich eindeutig:
§ 143,2: "Besteht eine juristische Person, Anstalt oder Personenvereinigung nicht mehr, so ist der Anspruch auf Entschädigung nur gegeben, wenn sie ihren Sitz oder den Ort ihrer Verwaltung in Gebieten gehabt hat, die am 31. Dezember 1937 zum Deutsehen Reich gehört haben, und wenn sich der Sitz oder der Ort der Verwaltung eines Rechts- oder Zwecknachfolgers am 31. Dezember 1952 im Geltungsbereich dieses Gesetzes befunden haben."

Unzweifelhaft trifft zu, daß Osterholz-Scharmbeck am 31.12.1937 zum deutschen Reich gehörte und somit die dortige Synagogengemeinde ihren Sitz, zwangsläufig zu diesem Zeitpunkt ebenfalls im deutschen Reich hatte. Ebenso unzweifelhaft trifft zu, daß praktisch alle denkbaren Anspruchsteller nach § 142,2 BEG am31.12.1952 ihren Sitz im Geltungsbereich des BEG hatten; unmittelbar gilt dies auf jeden Fall auch wiederum für die Jewish Trust Corporation for Germany (ITC).

Nun hat es bereits 1946 einen Antrag auf Entschädigung durch Rückgabe des 1939 durch Nazi-Unrecht geraubten Gebäudes durch den zurückgekehrten Heim Wilhelm Aron gegeben, diesem Antrag wurde am 27.82.1946 auch vom derzeitigen Stadtrat entsprochen. Zu einer tatsächlichen Entschädigung oder Rückgabe ist es aber nie gekommen, denn der Stadtratsbeschluß vom 27.02.1946 war an eine absehbar unmögliche Bedingung geküpft: Die Rückgabe sollte "...an den vom hiesigen Amtsgericht zu bestimmenden Pfleger oder Verwalter der jüdischen Gemeinde Osterholz-Scharmbeck..." erfolgen. Hatte man in Osterholz-Scharmbeck schon 1946 vergessen, daß man die Mitglieder dieser Gemeinde in den Jahren zuvor ermordet oder vertrieben hatte?

Entschädigungslos?

Am 03.05.2003 wurde dann veröffentlicht, daß die Stadt Osterholz-Scharmbeck beabsichtigt, das ehemalige Synagogengebäude samt Grundstück zum Zweck des Abrisses an einen Investor zu verkaufen. Daraufhin angemeldete Zweifel an den tatsächlichen Eigentumsverhältnissen der entschädigungslos von der Stadt einbehaltenen jüdischen Immobilie und somit an der Rechtmäßigkeit dieses Verkaufes wurden so beantwortet, daß eine Berücksichtigung der Regelungen des Bundesentschädigungsgesetzes nicht erkennbar ist:

- Der amtierende Bürgermeister von Osterholz-Scharmbeck, Herr Martin Wagener, erklärte in einer Beantwortung einer Anfrage aus der Sitzung des Finanzausschusses (5/2003) vom 10.06.2003: "Die Stadt ist mit Kaufvertrag vom 14.10.1939 Eigentümerin des ehemaligen Synagogen-Gebäudes geworden. ...Rückgabe- oder Entschädigungsansprüche...bestehen [nicht]."
- Herr Pelikowsky vom Landkreis Osterholz beantwortete mit Schreiben vom 04.08.2003 eine ent-
sprechende Anfrage mit harten Worten unter der Geschäftsnummer 30.40.15.11.07/06; "Es ist also davon auszugehen, daß die Stadt Osterholz-Scharmbeck 1939 Eigentümerin geworden ist... Aus dieser klaren Rechtslage heraus zu schließen, dass die Stadt Osterholz-Scharmbeck durch den Verkauf des Grundstückes aus Nazi-Verbrechen Kapital schlagen will, wird auf das schärfste zurückgewiesen."
- Das niedersächsische Innenministerium geht noch weiter und lobt sogar die aktuelle Vorgehensweise: "Zum Eigentumsrecht an dem in Rede stehenden Grundstück hat Ihnen der Landkreis Osterholz mit Schreiben vom 04.08.2003 bereits ausführlich berichtet; dem ist nichts hinzuzufügen... Die bisherige Behandlung gibt nach alledem keinen Anlass, die verantwortungsbewusste und sachgerechte Entscheidung der Angelegenheit zu bezweifeln." (Geschäftszeichen 31.1 -01600/356).

Angesichts dieser Stellungnahmen sei auf die Präambel des Bundesentschädigungsgesetzes von 1956 verwiesen:
"In Anerkennung der Tatsache, daß Personen, die aus Gründen...der Rasse, des Glaubens... unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt worden sind, Unrecht geschehen ist... hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das nachstehende Gesetz beschlossen."

Sollte dies für die Geschehnisse in Osterholz-Scharmbeck wirklich keine Gültigkeit haben und das BEG daher auf den Schaden an Eigentum und Vermögen der ermordeten und vertriebenen jüdischen Gemeinde von Osterholz-Scharmbeck nicht anwendbar sein?

Die letzte Ansicht des 1939 umgebauten Hauses aus dem Jahr 2004:


Die Straßenseite


Die Rückseite

Wie wird es weitergehen?

Das Bundesentschädigungsgesetz kennt keine Verjährungsfrist für die Entschädigung, der Anspruch bleibt also bestehen, bis er erfüllt wird. Keine anderslautende Darstellung vermag daran etwas zu ändern, die Tatsachen bleiben bestehen. Dazu gehören auch die 21 ermordeten und 12 vertriebenen Juden aus Osterholz-Scharmbeck - nur zwei haben im Land überlebt...

Jetzt geht es ganz einfach darum, daß das Vergessen verhindert wird - wozu ein kleine Bausatz (Papiermodell der Synagoge, Bild Anfang) beitragen soll. Er darf - wie dieser Text und die Broschüre "Die Geschichte der Juden in Osterholz-Scharmbeck" - zur kostenlosen Weitergabe (oder Weitergabe gegen ausschließlich kostendeckende Gebühr) beliebig vervielfältigt werden.

Für Fragen und weitere Information und zur Bestellung des Bastelbogens steht der Herausgeber zur Verfügung:
Harald Goergens, Osternheide 14, 27711 Osterholz-Scharmbeck, Tel./ Fax: 04791 -12 750


Der eigentliche Abriß beginnt - nachdem pünktlich am 09.11. (sic!) die
Leitungen der Stadtwerke gekappt worden waren...


Die Nazischmiererei am Trafohäuschen neben der Abrißstelle, gleich in der
ersten Nacht nach dem begonnenen Gebäudeabriß

>> Die Geschichte der Juden in Osterholz-Scharmbeck

hagalil.com / 29-09-2005


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