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Spurensuche:
Der jüdische Friedhof in Bad Wildungen

Zweimal im Jahr bietet Johannes Grötecke Rundgänge zur jüdischen Geschichte in Bad Wildungen an. Einer führt durch die Altstadt, wo früher viele Juden wohnten, der andere widmet sich ausschließlich dem jüdischen Friedhof.

Kontakt für die nächsten Termine

Johannes Grötecke hat dazu auch das Heft "Spurensuche" herausgegeben, aus dem der nachfolgende Text zur Geschichte der Bad Wildunger Juden zur Zeit des Nationalsozialismus entnommen ist. Das Heft kann per Email beim Autor bestellt werden. Außerdem erhältlich: Juden und NS-Zeit in Bad Wildungen.

Ein Rundgang über den jüdischen Friedhof in Bad Wildungen

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zogen dunkle Wolken über Wildungen auf: Seit Mitte der 20er Jahre verzeichneten rechtsextreme Parteien erste Wahlerfolge bei Reichstagswahlen. Vereinigungen wie der Wikingbund oder die Ehrhardt-Brigade trieben ihr Unwesen. Eine NSDAP-Ortsgruppe wurde hier bereits 1929 gegründet, und Nazi-Aktivisten wie Joachim von Ribbentrop (später Reichsaußenminister) oder Roland Freisler (später Vorsitzender des berühmt-berüchtigten Volksgerichtshofes) betrieben lange vor der NS-"Machtergreifung" hier ihre Propaganda-Veranstaltungen. Die Feindschaft zwischen Nazis und der Linken (Sozialdemokraten, v.a. aber Kommunisten) und zwischen Nazis und Juden stieg an, wie es auch die Geschichte der NSDAP-Ortsgruppe minutiös erzählt.

So endete denn auch die Epoche der trügerischen Idylle zwischen Juden und Nichtjuden in Wildungen mit Beginn der NS-Zeit. Beispiele für die systematische Verfolgung, Demütigung und Entrechtung sind: Juden wurden in die sogenannte "Schutzhaft" genommen, ihnen wurden die Gewerbescheine entzogen und das Schächten verboten; Schilder an den Ortseingängen, an Arztpraxen und Geschäften verboten Juden den Zutritt; am 1. April 1933 wurden jüdische Geschäfte boykottiert, kurz zuvor einige Juden zu einem demütigenden Umzug durch die Stadt gezwungen (einer soll einen christliche Bauern durch unfaire Kreditgeschäfte in den Tod getrieben haben, deshalb musste er ein Schild mit "Ich bin ein Mörder" tragen); Juden wurden nachts von unbekannten Tätern überfallen, sie wurden mitsamt ihren Vereinigungen von der Stadtverwaltung systematisch registriert. Mitte, Ende der dreißiger Jahre durften jüdische Kinder nicht länger die Schule besuchen. Juden durften nur noch zu festgelegten Tageszeiten in vorgeschriebenen Geschäften einkaufen, der Zutritt ins Schwimmbad und zu Kureinrichtungen war untersagt. Dass die Dr. Marc-Straße in Goecke-Straße umbenannt wurde, weil Dr. Marc "ein jüdischer Mischling ersten Grades" sei, zählt dabei eher zu den "kosmetischen" Maßnahmen (ebenso wurde die heutige Brunnenstraße in Adolf-Hitler-Straße umbenannt, die Friedrich-Ebert-Straße hieß Hermann-Göring-Straße; Hitler, Göring und der Innenminister Frick wurden zu Ehrenbürgern Wildungens ernannt).

Ein Beispiel für diese Zeit ist das Grab rechts des Eingangs von Sally Hirsch (Bild rechts), der Ende der 20er Jahre für die Vereinigung "Handel und Gewerbe" Stadtverordneter in Bad Wildungen und in den 30er Jahren zudem Vorsitzender der jüdischen Gemeinde war. Er betrieb ein Geschäft in der Brunnenstraße 3 (heute Nr. 36) und starb (man sagt, auch aus Verbitterung und Verzweiflung über die zunehmende Diskriminierung der Juden) am 21.8.1938, kurz vor der Pogromnacht. Es war und ist bis heute die letzte Beerdigung auf dem hiesigen Judenfriedhof.


Anzeige im "Adreßbuch 1025 Bad Wildungen

Als Folge eben dieser Pogromnacht starben zwei Wildunger Juden, nämlich der Fellhändler Julius Katz und der Viehhändler Max Marx. Die letzten, noch vor Ort verbliebenen Juden wurden Ende 1939 nach Kassel transportiert und dort kaserniert (Wildungen war jetzt also, so hieß das, "judenfrei"). Von hier aus gingen 1941/42 die Deportationen in den Osten. Etwa 50 Wildunger Juden kamen in den Konzentrationslagern um, nur drei überlebten die Lager. 80 Juden flohen zuvor in deutsche Großstädte (wegen der Anonymität) oder ins Ausland.

Wenn auch in jüngster Zeit wieder zunehmend jüdisches Leben (durch etwa 100 sogen. "Kontingentflüchtlinge" aus Osteuropa) in Wildungen einkehrt, bleibt festzuhalten, dass es lange Zeit nicht danach aussah: Zwar gab es nach Kriegsende eine ca. 30 Mitglieder umfassende Gemeinde, die v.a. aus us-amerikanischen Soldaten und sog. "displaced persons" bestand, einen kleinen Betsaal im Hessischen Hof hatte, und deren Vorsitzender Sally Zuckermann aus Grünberg war (noch 1952 wurden in einem Lokal in der Hufelandstraße 15 jüdische Gottesdienste abgehalten); und auch später lebten vereinzelt von außerhalb stammende Juden hier. Aber das waren Ausnahmen, denn die Verfolgungen der NS-Zeit waren insgesamt derart prägend und abschreckend, dass keiner der einstigen Wildunger Juden dauerhaft in seine Heimatstadt zurückkehrte.


Max und Selma Hammerschlag

Ein dafür repräsentatives, in seinem Ausmaß schreckliches Beispiel ist die Familie Hammerschlag, deren Grab sich in unmittelbarer Nähe von Sally Hirsch befindet: Adolf Hammerschlag hatte ein Konfektionsgeschäft in der Brunnenstraße 12 (heute Nr. 20) eröffnet, das seine Söhne Hermann und Max übernahmen. Die Frau von Max namens Selma war eine Rot-Kreuz-Schwester.
Sie überlebte später das KZ Theresienstadt nur durch Zufälle und weil sie sich als Krankenschwester "nützlich" erweisen konnte. Durch Flecktyphus geschwächt, kehrte sie zwar nach Bad Wildungen zurück (Abb. 16). Als sie aber dort erfuhr, dass ihr Mann in Buchenwald (wenige Tage vor der Befreiung) und Sohn Edgar in Auschwitz ermordet wurde, brach für sie eine Welt zusammen, Selma fragte sich, wie sie noch froh werden könne, wenn ihr Liebstes (die eigene Familie) ihr für immer entrissen worden sei. Ein bemerkenswerter Brief (erhältlich auch im Kur- und Altstadt-Museum) zeugt von dieser, für Selma überaus schweren Zeit. Sie emigrierte 1947 in die USA und verstarb 1963 in New York. Eine Gedenktafel auf dem Hammerschlag-Grab erinnert an die verstorbenen "Märtyrer"- sie enthält eine Liste mit folgenden Namen:

• Adolf Hammerschlag (1943 im KZ Theresienstadt gestorben),
• Max Hammerschlag (1945 im KZ Buchenwald verstorben),
• Edgar Hammerschlag (wahrscheinlich im KZ Auschwitz verstorben, gilt als verschollen),
• Hermann Hammerschlag (gilt als verschollen, Deportationsziel: Auschwitz),
• Irene Hammerschlag, geb. Vöhl (gilt als verschollen, Deportationsziel: KZ Auschwitz),
• Inge Hammerschlag (gilt als verschollen. Deportationsziel: KZ Auschwitz),
• Käthe Wolf, geb. Hammerschlag (verschollen. Deportationsziel: KZ Auschwitz),
• Meier Wolf (umgekommen im KZ Theresienstadt)
• Hans Wolf (verschollen. Deportationsziel: KZ Riga),
• Anita Wolf (verschollen. Deportationsziel: KZ Auschwitz; die Familie Wolf stammte übrigens aus Marburg; Käthe Wolf war die Schwester
von Selma).

Der Schmerz in Selma lässt sich anhand der abschließenden Inschrift nur erahnen: "In Liebe gewidmet von der einzig Überlebenden Selma
Hammerschlag, geb. Katz".

Solche Gedenktafeln gibt es mehrere auf dem Friedhof, sie stammen also aus der Zeit nach 1945; beispielsweise auf dem Grab von Leopold Külsheimer, der in der Brunnenstraße 36 (heute Nr. 61) ein Textilgeschäft betrieb. Die Gedenktafel für seine Schwester Helene besagt: "gest. im Januar 1943 im KZ Theresienstadt". Ein weiteres Beispiel ist Isaak Samuel, "umgekommen im KZ Riga als Opfer des Faschismus".

Sowohl für den Holocaust als auch für die Möglichkeit der Emigration steht die Familie Baruch, die das zweite der bereits erwähnten koscheren Hotels der Stadt führte. Dieses "Palasthotel" in der Brunnenallee 29 wurde von Joseph Baruch gegründet und von Berthold und Paula Baruch übernommen. Ihr Grab befindet sich links des Eingangs, in der 3. Reihe. Die Baruchs waren eine eher untypische jüdische Familie für Wildunger Verhältnisse.


Anzeige im "Wegweiser für den Kurgast", 1926

Schon die Wohngegend, nämlich das Kurgebiet, unterschied sie von den meisten ihrer Glaubensgenossen, die in der Altstadt wohnten. Der Sohn von Berthold und Paula, Werner Baruch, nahm nach dem Abitur ein Medizin-Studium in Würzburg auf. 1938 wurde er, 27-jährig, nach der Pogromnacht für dreieinhalb Wochen in das KZ Buchenwald verschleppt. Danach war für ihn klar, dass seine Zukunft außerhalb Deutschlands lag. Er bereitete sich auf die
Ausreise vor, emigrierte 1939 nach Palästina und überlebte so den Zweiten Weltkrieg. Er arbeitete zunächst in einem Kibbuz, war später Kellner und betrieb schließlich ein eigenes kleines Cafe. Werner Baruch verstarb 1996 in
Haifa und hinterlässt zwei Kinder. Übrigens wurde aus dem Palasthotel 1948 vorübergehend ein Kurheim für ehemalige KZ-Häftlinge; heute befindet sich dort die Verwaltung der Wicker-Kliniken. Die Eltern Werner Baruchs starben 1942 "als Märtyrer im KZ Riga" (so die Grabmalinschrift).

Stadtrundgang:
Juden und NS-Zeit in Bad Wildungen

hagalil.com / 13-02-2005


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