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Jüdische Weisheit
 
 

Musikmeister der Münchner Hauptsynagoge:
Prof. Emanuel Kirschner et.al.

Nach Tina Frühauf "Orgel und Orgelmusik in Deutsch-jüdischer Kultur", 2005 - 336 Seiten

Viele Komponisten jüdischer Herkunft wuchsen Anfang des 20. Jahrhunderts ohne enge Beziehung zur Musik der Synagoge heran und erst in den 20er und endgültig 30er Jahren begann eine neue Generation von Musikern, vertreten durch Herbert Fromm und Heinrich Schalit, liturgische Musik, auch Orgelmusik für die Synagoge zu komponieren; sie waren besonders von Idelsohns Thesaurus inspiriert.

So wurde ein Aufbruch hin zu einer neuen liturgischen Musik initiiert, wie ihn der Musikkritiker und Musikwissenschaftler Hugo Leichtentritt beschrieb:

»Die Erneuerung der jüdischen Kultmusik gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer mit dem Leben der Gegenwart verbundenen Liturgik. Wohl ist in Deutschland der Tempelgottesdienst reichlich mit Musik versehen, für den Kantor, den gesanglich gebildeten Vorbeter als Solisten, wie auch für den gemischten oder Männerchor, und an vielen Synagogen auch die Orgel. ... Was man in der Gegenwart braucht, ist eine Musik, die einen starken jüdischen Eigenton hat, religiöse Weihe, dabei aber den Forderungen des durch die neuere Musik beträchtlich umgebildeten Ohrs Genüge leistet... In zwei Worten ausgedrückt: Die neue jüdische Musik soll sowohl jüdisch wie neu sein, traditionell und modern zugleich.«

Prof. Emanuel Kirschner, der Musikmeister der Münchner Hauptsynagoge, blieb lange in der Tradition Lewandowskis und brachte weiterhin dessen Werke zur Aufführung. In einem Bericht der Bayerisch-Israelitischen Gemeindezeitung über ein Synagogenkonzert anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Synagoge an der Westenriederstraße am 7. Mai 1926 heißt es, »die Orgel hatte Organist Robert Osenbrunner übernommen. Es wurde ein Festpräludium für die Orgel von Louis Lewandowsky zum Vortrag gebracht.

Nur wenige Jahre später kommt in der Münchener Synagoge auch neue Orgelmusik zur Aufführung, die vor allem zur Einleitung von Synagogenkonzerten dient. Neben der Verwendung von Präludien Louis Lewandowskis oder Moritz Deutschs ging man in den 20er Jahren in München dazu über, eigene Kompositionen zu schaffen; auch Kirschner scheint zum Repertoire beigetragen zu haben.

»Der Jüdische Gesangverein hatte neulich zu einem Synagogenkonzert eingeladen. Der Vortragsabend wurde von dem Chorkörper mit a-capella-Chören und Werken mit Orgelbegleitung ausgefüllt. Zur Einleitung intonierte Robert Osenbrunner in klangschönen und packenden Farben eine Fantasie in g-Moll für Orgel über Kol Nidrej von Jos. Ziegler. ... Das Solostück von Prof. E. Kirschner wies eine einfache Schönheit auf und zeigte in dem begleitenden Orgelsatz das tiefe musikalische Können des Komponisten.«
Cahn 1925. S. 386.

»Der Jüdische Gesangverein Muenchen veranstaltete am 30. April [1927] ein Konzert, das in seinem ersten Teil eine Huldigung fuer Prof. Emanuel Kirschner anlaesslich seines 70. Geburtstages und der Vollendung seines vierbaendigen synagogalen Hauptwerks bedeutete, in seinem 2. Teil den Manen Beethovens anlaesslich der Centenarfeier gewidmet war. Das Konzert wurde mit einem interessanten Orgelpraeludium des verdienstvollen Vereinsdirigenten Joseph Ziegler eroeffnet. Dieses Praeludium war gewissermassen Ouvertüre fuer die synagogalen Kompositionen Kirschners, die fast saemllich aus der Liturgie der Hohen Feiertage stammten.«
Kirschner 1933, S. 112.

Der Münchner Kapellmeister Joseph Ziegler kooperierte hierbei offensichtlich mit Emanuel Kirschner, so dass vokale Kompositionen Kirschners mit den Orgelkompositionen Zieglers eine musikalische Einheit bildeten, die sowohl in der Liturgie als auch im Rahmen von Konzerten in der Synagoge ihren Platz hatte. Die Kompositionen Zieglers, Fantasie über Kol Nidrei in g-Moll für Orgel, Orgelpraeludium, Praeludium (unter Verwendung der Motive Hoher Feiertage), wollte Kirschner nur wenige Jahre später durch weitere Orgelkompositionen ergänzen; ein Auftrag erging dieses Mal nicht an Ziegler, sondern an Jochanan Samuel:

»Wenn ich eine Bitte an Sie richten darf so wäre es folgende: Unserer Synagogenmusik [er]bitte ich brauchbare aus der Praxis geborene u. für die Praxis geschaffene Präludien u. Postludien mit Verwendung traditioneller Motive, die Lewandowskischen 5 Festpräludien scheinen mir für Gebrauchszwecke zu weit ausgesponnen.
Wie wärs, wenn Sie sich entschließen könnten, Ihre Improvisationen zu Papier zu bringen. Wenn ich nicht irre, plant Kollege Adler die Herausgabe eines solchen Sammelwerkes. Sprach er mit Ihnen noch nicht darüber? Ich glaube, eine solche Veröffentlichung würde freudig begrüßt werden in dem freilich kleinen Kreise der Interessenten.«

Gemeint war Hugo Chaim Adler, der bereits an einem Sammelband mit Orgelmusik für den jüdischen Gottesdienst arbeitete. Offenbar hatten einige Gemeinden den Wunsch nach einer spezifischen Orgelmusik für den Gebrauch in der Synagoge geäußert.

Nachdem Samuel seine Orgelkompositionen an Kirschner geschickt hatte, setzen sie ihre Korrespondenz fort. Daraus ist ersichtlich, wie sehr man sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts über den Stellenwert von Orgelmusik als Gebrauchsmusik bewusst war:

»Es sollte aber niemals außer acht gelassen werden, daß in unseren gottesdienstlichen Veranstaltungen u. für diese der Künstler hauptsachlich Gebrauchsmusik für ganz bestimmte Zwecke zu schaffen habe, eine Gebrauchsmusik, die auch für die Köpfe und Ohren von Laien erfaßbar ist, denn nur dann wird der Komponist in der Synagoge erzieherisch wirken können.«

Kirschner forderte außerdem »Einfachheit, Klarheit, plastische Heraus- u. Durcharbeitung der Motive in einem Grade ..., daß auch der Laie den Komponisten in feinen künstlerischen Darbietungen zu folgen imstande sei.«

Kirschner komponierte 6 Präludien für Orgel. Die Kompositionen sind bislang unveröffentlicht und befinden sich in der Emanuel Kirschner Collection der Klau Library am Hebrew Union College, Cincinnati, dem religionspädagogischen Institut des liberalen Judentums.

Die Wende in Kirschners Engagement für die Orgelmusik setzte 1927 ein und ist höchstwahrscheinlich mit der Neubesetzung des Organisten an der Münchner Synagoge zu erklären. Mit der Besetzung durch Heinrich Schalit sah Kirschner seine eigene Positionen gefährdet; und statt mit Schalit zusammenzuarbeiten empfand Kirschner ihn als Konkurrenten. Doch gerade durch Heinrich Schalit sollte sich die Musik in der Münchner Synagoge, wie auch die Orgelmusik, nachhaltig weiterentwickeln.

Nach Beendigung seiner Kompositions- und Gesangsstudien an der Hochschule in Wien und ersten Erfolgen als Komponist weltlicher Musik suchte Schalit schließlich neue berufliche Herausforderungen in München. Dort nahm er im Jahr 1910 an der Königlichen Bayerischen Akademie für Musik für ein Semester ein Orgelstudium auf. In den Jahren 1916 bis 1920 begann für Schalit schließlich eine Rückbesinnung auf die jüdische Musik, motiviert durch die politischen Ereignisse der Zeit und die Erkenntnis, dass seine Möglichkeiten als Komponist begrenzt waren. Für ihn selbst ist das Jahr 1916 der Wendepunkt, als »Beginn der Schaffensperiode der Music jüdischen Inhalts u[nd] jüdischen Characters«.

Heinrich Schalit selbst sah sich als »jüdischer Komponist« motiviert durch den Zionismus, wie er in einem Brief an Anita Hepner schreibt:

»[.. between] 1928 and 1932, when there was no composer of Jewish birth who could have even thought of writing music with a consciously Jewish heartbeat, I was already a well-known composer of Jewish religious music [...] as a conscious Jewish musician and Zionist I considered it my duty to convince him [Paul Ben-Haim] of the necessity of devoting his talent to Jewish music and culture«.

Ein Ergebnis der intensiven Beschäftigung mit jüdischer Musik waren die Ostjüdischen Volkslieder Opus 18 und 19. Im Jahr 1927 schließlich bewarb sich Schalit um eine Anstellung als Organist und Musikdirektor an der Münchner Synagoge; nicht ohne Schwierigkeiten wurde er eingestellt:

»A talented non-Jewish organist had applied for the position and so did Heinrich. Dr. Elias Straus championed Heinrich's cause and insisted that the congregation should hire a Jewish organist A competition was held between the two musicians, and Heinrich won the contest«...

Erst Ende der 20er Jahre begann Schalit, sich mit der liturgischen Musik des jüdischen Gottesdienstes intensiv zu beschäftigen. Während seiner Anstellung an der Synagoge kam er schließlich zur Überzeugung, dass die liturgische Musik des jüdischen Gottesdienstes der Erneuerung bedurfte, was letztendlich die totale Abkehr von der Musik eines Lewandowskis und Sulzers bedeutete:

»There was much to be desired, for the music which prevailed, composed by Louis Lewandowski and Sulzer, gave Jewish liturgical music a romantic and operatic sound rather than a spiritual one.
Heinrich felt that the renovation of Jewish religious music must stem from genuine religious sources and must be based on authentic musical tradition. Moreover, he felt that modern synagogue music must be adequate for the worship service and must likewise satisfy the highest standards of musical art just as it did in the Middle Ages or in Bach's time
«...

Resultat und Höhepunkt dieser Überlegungen und eine Art Wende im Schaffen von Heinrich Schalit war die in nur sechs Wochen im Herbst 1931 komponierte Freitagabend-Liturgie für Kantor, einstimmigen und gemischten Chor und Orgel Opus 29. Dieses Werk wurde durch den Musikdirektor der Synagoge Berlin Lützowstraße, Alexander Weinbaum, angeregt, der bei einem Treffen mit Schalit im Sommer 1931 heftige Kritik an der liturgischen Musik in der Synagoge übte.

Am 16. September 1932 wurde Schalits Freitagabend-Liturgie in der Synagoge Lützowstraße in Berlin uraufgeführt, mit Max Janowski an der Orgel und Hanns John, der die kantoralen Abschnitte sang.

»Seit Jahrzehnten zum ersten Male hörte man in einer Orgel-Synagoge eine Musik, deren Gesinnung und Instinkt als jüdisch-kultisch zu bezeichnen ist. Nicht nur ein Musiker hat hier geschaffen, sondern ein jüdischer Meister, ein jüdischer Mensch, der versucht aus der hebräischen Sprache, ihrem Wortrhythmus, ihrem Sprachakzent, das innewohnende Melos zum Klingen zu bringen. Daher zum ersten Mal eine völlig richtige Betonung des hebräischen Textes. Auch die hebräische Metrik, die Symmetrie und Asymmetrie der Diktion ist berücksichtigt, so daß die musikalische Form nicht die Wortform sinnlos zerstört, sondern aus ihr herauswächst«...

Im nationalsozialistischen Deutschland war es ein zu hohes Risiko, diese Komposition durch einen Verlag zu veröffentlichen, so dass Schalit es 1933 selbst verlegte. Jahre später arbeitete Schalit das Werk für die amerikanischen Reformgemeinden um, die es dann mit weiteren Kompositionen für Orgel solo, ein Werk für den Freitagabend-Gottesdienst, veröffendichten. Diese Version enthält zwei Prelude und Silent Devotion.

  • Deutsch-jüdische Kultur:
    Orgel und Orgelmusik
    In der Zeit zwischen ca. 1810 und 1938 wurde eine jüdisch-liberale Musiktradition für Orgel und Musik in der Synagoge eingeführt bzw. wieder-eingeführt, die ohne das Reformjudentum undenkbar wäre...

  • Als in der Synagoge die Orgel erklang:
    Reinheit des Glaubens oder Einheit der Gemeinden?
    Zur Geschichte des Streits zwischen orthodoxen und liberalen Juden...

  • Forschungsprojekt:
    Synagogenorgeln in Deutschland
    Ein für die jüdische Geschichtsforschung wie auch für die Musikwissenschaft gleichermaßen interessantes Phänomen ist die Einführung der Orgel in den Gottesdienst etlicher jüdischer Reformgemeinden im 19. Jahrhundert...

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