1933 bis 1945:
Naziherrschaft in München
Ilse Macek
Aus
dem Vorwort und der Rede zur
Buchvorstellung
Nirgendwo trat der Charakter des Naziregimes so unverhüllt zutage wie
in den Untaten gegenüber Kindern im Zeichen des Rassenhasses. Die jüdischen
Überlebenden, damals noch Kinder, äußern sich über den einstigen manchmal
noch unbeschwerten, dann immer stärker albtraumhaften, kaum zu
beschreibenden Alltag. Sie lassen uns teilhaben an ihrer früheren, durchaus
regional, lokal, subjektiv geprägten Wirklichkeit.
Die meisten sehen aus dem Ausland auf die ehemalige Heimat, manche
verbittert, manche skeptisch, manche auch mit liebevoller Ironie.
Erstaunlicherweise herrscht nicht durchgehend eine Darstellungsweise vor,
die von der Finalität geprägt ist, von der Erfahrung der Shoah, eine
mahnende, warnende Haltung. Alle Schilderungen aber machen in ihrer
Unmittelbarkeit deutlich: Die Geschichte ist nicht vergangen, sie lebt fort,
für die Überlebenden wie für uns.
Die biographischen Artikel über die Opfer der nationalsozialistischen
Verfolgung sollen die Menschen möglichst als Schwabinger Nachbarn in ihren
normalen Lebensbezügen darstellen. Deshalb konzentrierte sich die Suche nach
Fotos auf solche, die nicht von Nazibehörden aufgenommen worden waren.
Fanden sich keine, was sehr häufig der Fall war, wurden Kennkarten-Portraits
aus dem Biographischen Gedenkbuch des Stadtarchivs München verwandt und von
den NS-Stempeln, welche oftmals in die Gesichter hinein gestempelt waren,
befreit. "Quellenfälschung"? Nein, sondern bewusster Entschluss der
Autorinnen und Autoren und der an der Arbeit beteiligten Überlebenden, den
Porträtierten symbolisch Würde zu erweisen, durchaus im überlegten Gegensatz
zu anders lautenden fachlichen Erwägungen.
Für Kapitel, zu denen keine Überlebenden befragt werden konnten, werden die
vorhandenen Fakten der Biographien fokussiert, wohlwissend um die damit nur
bruchstückhaften Einblicke in die Erlebniswelt der Opfer: Schüler, die in
das Schwabinger Alte Realgymnasium — das heutige Oskar-von-Miller-Gymnasium
— gingen, ein Lehrer, der am Gisela-Gymnasium wirkte, namhafte und
weitverzweigte Schwabinger Familien. Straßenzüge, wie die Bauerstraße und
die Jakob-Klar-Straße werden untersucht, wo so genannte "Judenwohnungen" und
"Judenhäuser" entstanden waren, in welche Menschen für die Deportation
jederzeit greifbar eingewiesen und zusammengepfercht wurden. Hunderte von
jüdischen Münchnerinnen und Münchnern hatten zuletzt, bevor sie ins Ausland
flüchten konnten oder in den Tod geschickt wurden, eine Schwabinger
"Zwangsadresse".
Unter den jüdischen Schwabingern - dazu wurden auch jene gezählt, die sich
der christlichen Religion zugewandt hatten, Menschen, die das Deutsche Reich
aufgrund einer in ihrer "intellektuellen Dürftigkeit und Verbohrtheit" (so
der Soziologe Werner Cahnmann) seinesgleichen suchenden "Rassenlehre" als
Feinde stigmatisierte - gab es auch viele, die juristische oder medizinische
Berufe ausübten. Ihrer wird in eigenen Kapiteln gedacht. Im Nachgang zu
einer umfassenden Studie über die Verfolgung der jüdischen Rechtsanwälte in
Bayern wird die Verfolgung von zwei Richtern beschrieben.
Daneben gab es die große Gruppe der politisch Verfolgten, die in Schwabing
auch prominente Vertreterinnen und Vertreter hatte. Es gab die
Bibelforscher, heute "Zeugen Jehovas", die mit ihrer aufrechten Haltung in
den Konzentrationslagern oft große Achtung bei ihren Leidensgenossen
erwarben und die größte Gruppe der zum Tode verurteilten
Kriegsdienstverweigerer stellten.
Es gab Menschen mit nonkonformistischen Lebensentwürfen, die sich den
nationalsozialistischen Regeln und Zwängen nicht beugten und die dafür
hundertfach bestraft, gefoltert, ihrer Gesund heit
und ihres Lebens beraubt wurden.
Es gab Homosexuelle, die vorgeblich "wegen unmittelbarer Gefährdung der
öffentlichen Ordnung und Sicherheit" in Konzentrationslager verschleppt,
grausam misshandelt und ermordet wurden.
Menschen mit physischen und psychischen Behinderungen ist ein eigenes
Kapitel gewidmet, das aus Gründen des Datenschutzes und nach Überzeugung der
Verfasserin keine Namen aufweist. Doch wird in der Forschung über das
menschenverachtende NS-Gesundheitssystem von einer halben Million Opfer
ausgegangen, die zwangssterilisiert wurden. Dies entspricht etwa einem
halben bis zu einem Prozent der damaligen Bevölkerung.
Alleine an der Universitäts-Frauenklinik in München sind über 1.300
Zwangssterilisierungen dokumentiert. Von diesen und den - nach gut
recherchierten Schätzungen - etwa 200.000 "Euthanasie"-Opfern in
Nazi-Deutschland, die in Gaskammern der Tötungsanstalten, oder (nach dem so
genannten "Euthanasie"-Stopp, der immer noch suggeriert wird) durch
Überdosen von Medikamenten und Nahrungsentzug umgebracht wurden - wohnten
auch viele in Schwabing.
Schwabing war und ist ein Klinikviertel, das auch durch großzügige Spenden
jüdischer Mäzene Renommee erlangte. Die freiwillige und beflissene
Kooperation, oft mit dem schwammigen Wort "Verstrickung" verharmlost, die
Wegbereitung und Legitimation der Verfolgungs- und Mordpolitik durch
Wissenschaftler, wird im Kapitel über den Leiter und die Mitarbeiter des
Kaiser-Wilhelm-Instituts, heute Max-Planck-Institut für Psychiatrie,
dargestellt. Den Tätern und Mitläufern unter den Ärzten und den
Funktionsträgern der Gesundheitspolitik wurde der Weg schon früh bereitet.
Die jüdischen Konkurrenten — unter ihnen die Chefärzte des Schwabinger
Krankenhauses — verloren 1933 ihre Stellen. Den Angaben über Täter, die in
Kliniken und Heimen oder im KZ Dachau die Medizinverbrechen begingen und
fast alle ohne Strafe blieben, stehen die Ärzteschicksale gegenüber, wie das
einer jüdischen Ärztin, die vom Leiter der Psychiatrieabteilung im
Schwabinger Krankenhaus versteckt und dadurch gerettet wurde.
Welchen Beitrag das Münchner Judentum zu Berühmtheit und kulturellem Glanz
Münchens beigetragen hat - ein wiederholt vorgetragener, manchmal recht
utilitaristisch anmutender und nur einseitiger Ansatz - wird in dem Kapitel
behandelt, das auch zwei Schwabinger Künstlerinnen vorstellt, eine berühmte
Tänzerin und Choreographin sowie eine inzwischen von der Literaturwelt
wieder entdeckte Schriftstellerin. Thema ist jenes München, wie es hätte
sein können, sind die Wechselwirkungen zwischen Minderheit und Mehrheit, die
gegenseitige Befruchtung. Dass weder die Minderheit noch die Mehrheit eine
in sich geschlossene Einheit bildete, weder religiös-kulturell noch
politisch-gesellschaftlich, weder was das "Zuag'roaste" noch was das
Münchnerische anbelangte, das machte die urbane Kultur Münchens vor 1933
aus.
Wie die Münchner Juden auf jede nur erdenkliche Weise ausgegrenzt,
drangsaliert, entrechtet und ausgeplündert wurden, und wie an der
Auswanderung und selbst an der Deportation noch verdient wurde, lässt sich
in den Kapiteln zur wirtschaftlichen Existenzvernichtung, zur "Arisierung"
in Schwabing und zur Auswanderung nachlesen. Dass die erzwungene, dennoch
oft behinderte Auswanderung mit dem Raub jüdischen Eigentums einherging, ist
bekannt. Wenn man diese an Grausamkeit und Zynismus kaum zu überbietenden
Vorgänge als Raub begreift, dann erweist sich die ab Kriegsbeginn noch
verschärfte Verfolgungspolitik der NS-Regierung und ihrer Helfer und
Helfershelfer eindeutig als Raubmord allergrößten Ausmaßes.
Die Verbrechen an den Bürgerinnen und Bürgern, die das
nationalsozialistische Regime zu Feinden erklärt hatte, geschahen nicht von
alleine. Die Dinge nahmen keinen blinden Verlauf. Die meisten Zeitgenossen,
auch die in Schwabing, schauten zu oder sahen ostentativ weg, ließen
geschehen. Manche förderten bewusst, denunzierten, verdienten am Elend der
Nachbarn, bezogen die frei gewordenen Wohnungen - "die sind doch
weggekommen", hörte das Wohnungsamt oft - und übernahmen deren berufliche
Funktionen.
Der neuen deutschen Sehnsucht nach einem unbefangenen Nationalgefühl stehen
die Toten und Überlebenden von Auschwitz entgegen. Der ungebrochenen
positiven Identifikation mit dem Ort, an dem wir leben, steht die
nationalsozialistische Vergangenheit desselben im Wege, nicht als Hürde,
sondern als Herausforderung.
"Stadtteilbewusstsein" umschließt auch die Aufforderung, die manchmal recht
unbehagliche Mitverantwortung an vielem zu übernehmen, was heute geschieht
oder geschehen könnte.
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"ausgegrenzt – entrechtet – deportiert"
Schwabing und Schwabinger Schicksale 1933 bis 1945
Volk Verlag München
www.volkverlag.de
Schwabing in der NS-Zeit:
Ausgegrenzt – entrechtet – deportiert
Das Buch beleuchtet die Entwicklung des einstigen Literaten-
und Künstlerviertels zu einem Stadtteil, dessen Bürgerinnen und Bürger in
der Märzwahl 1933 deutlich mehr für die Nazi-Partei als im Stadtdurchschnitt
votierten...
Ausgegrenzt – entrechtet – deportiert:
Schwabing 1933 bis 1945
Jüdische Kinder und Familien, Kranke, Behinderte,
Homosexuelle, Bibelforscher, politisch Engagierte, die sich nicht
'gleichschalten' ließen. Sie alle wurden isoliert, ausgeraubt, weggesperrt,
vertrieben, in Konzentrationslager verschleppt und ermordet...
"Die Nazis werden scheitern":
Olga
Benario
Olga Benario wurde am 12. Februar 1908 in München in eine
bürgerliche jüdische Familie geboren, beginnt bereits als Jugendliche sich
politisch zu engagieren, in den Polizeiakten aus der Zeit der Weimarer
Republik wird sie als "kommunistische Agitatorin" geführt... |