Die Erwürgung der Tschechoslowakei:
Das Protektorat 27)
Chaim
Frank über Täter und Opfer, Schuld und Verantwortung
im III. Reich
Mit dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938, in dem Hitler
schon als Sieger über Chamberlain und Daladier stand - Mussolini war ja
ohnehin auf seiner Seite, Rußland hatte man erst gar nicht dazu eingeladen -
war die vollständige Zerschlagung der SR mit Beginn des 1. Oktober
beschlossene Sache.
Während der Gespräche standen nämlich schon die Wehrmachtsverbände
vollständig zum Angriff vorbereitet an der Grenze und warteten nur noch"auf
Hitlers Wort, um den Überfall vollziehen zu können. Die sogenannten
Gegner Hitlers hatten sich in dieser Angelegenheit (um des"Friedens?
willen, wie sie es meinten) wie"Verbündete? benommen, bei der sie eher ihre
Schäfchen ins Trockene brachten; Schließlich, waren sie ja selbst alle
gegen die Gefahr des Bolschewismus, oder? Denn Chamberlain schrieb,
was er dachte:
"Ich muß bekennen, daß ich Rußland mit tiefstem Mißtrauen
gegenüberstehe. Ich halte nicht das geringste von seiner Fähigkeit, eine
wirksame Offensive durchzuführen, selbst wenn es den Willen dazu hätte.
Und ich mißtraue seinen Absichten, die mir nichts mit unserer Auffassung
von Freiheit gemeinsam zu haben."
Wie sehr sie sich dabei alle geirrt hatten, als sie mit Hitler
Geschäfte gemacht hatten, sollten sie, jeder für sich" auch Stalin" nach dem
1. September 1939 auf die tragischste und blutigste Weise erfahren.
Zunächst aber fiel am 21. November 1938 lediglich das
Sudetengebiet an Deutschland, mit Henlein als Gauleiter. Dann nahm sich
Polen einen größeren Teil Te?ins und einige nord-slowakischen Orte. Die
südlichen Gebiete der Slowakei wurden an Ungarn angehängt.
Innenpolitisch zerfiel das Koalitionssystem, wodurch eine tiefe
politische und moralische Krise zu Tage kam. Mehrere Parteien wurden im
Oktober 1938 verboten, darunter auch die Kommunisten. Im gleichen Monat
legte E. Bene? sein Amt nieder und emigrierte nach England, so daß Emil
Hacha, als Diener Hitlers, Präsident der"zweiten Republik? wurde. In der
Slowakei übernahm der katholische Geistliche Jozef Tiso als
klerikal-faschistische Marionettenfigur die Macht, an der sich auch Franz
Karmasin 28), der Führer der slowakischen deutschen
Minderheit, als wirksames Nazi-Organ beteiligte. Sie alle hatten:
"Sympathie für den Führer; Dank, daß durch den Führer den
Slowaken das Selbstbestimmungsrecht ermöglicht worden ist. (...)
Judenproblem wird ähnlich wie in Deutschland gelöst. Kommunistische
Partei verboten. Deutsche in Slowakei wollen nicht nach Ungarn, sondern
bei der Slowakei bleiben. Deutscher Einfluß auf slowakische
Staatsführung groß; ein deutscher Minister zugesagt."
29)
Am 4. Dezember 1938, es waren sudetendeutsche Ergänzungswahlen
zum"Großdeutschen Reichstag? angesagt, bekannten sich in geheimer Abstimmung
98% der Wähler zum Retter des Sudetenlands, Adolf Hitler. Der also
nahm ungeschminkt den ersten Platz ein, gefolgt von Konrad Henlein an
zweiter und Karl Hermann Frank an dritter Stelle!
Danach ging eigentlich alles sehr rasch, und zwar im Sinne
Hitlers: Am 14. März 1939 schufen die slowakischen Separatisten ihren
unabhängigen Slowakischen Staat; einen Tag später, am 15. März gaben
Präsident Hacha mit seinem Außenminister Chvalkovsky in Berlin ihre
Zustimmung für das Protektorat Böhmen und Mähren:
"Der tschechoslowakische Präsident ... legt das Schicksal des
tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers
des Deutschen Reiches."
Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Prag hörte das Herz
der Tschechischen Republik auf zu schlagen. Damit war aber vorerst nur eines
der Ziele erreicht, die sich die Nazis auf ihrer Konferenz in Berlin, am 5.
November 1937(!), gesteckt hatten, und alsbald sollte Polen folgen.
Die Strategie der Nazis war folgende" Mr. Alderman brachte sie
während der Nachmittagssitzung des Nürnberger Prozesses am 4. Dezember 1945,
präzise zum Ausdruck:
"Außer den Slowaken benutzten die Nazi-Verschwörer auch die
wenigen Deutschen, die noch immer in der verstümmelten
Tschechoslowakischen Republik wohnten. KUNDT, der Vertreter Henleins,
der zum Führer dieser deutschen Minderheit ernannt worden war, schaffte
möglichst viele"Brennpunkte deutscher Kultur?. Deutsche aus den
Gebieten, die an Deutschland abgetreten waren, bekamen von Berlin aus
den Auftrag, ihre Studien an der deutschen Universität in Prag
fortzusetzen und diese zu einem Zentrum des aggressiven Nazismus zu
machen. Mit Hilfe von deutschen Beamten wurde
ein wohlerwogener Feldzug zur Nazi-Durchdrin-gung der tschechischen
öffentlichen und privaten Einrichtungen durchgeführt, und die
Henlein-Bewegung stellte ihre volle Mitarbeit den Agenten der Gestapo
aus dem Reich, die auf tschechischem Boden erschienen, zur Verfügung.
Die politische Tätigkeit der Nazis hatte zum Ziel, die tschechische
Widerstandskraft gegen die Herrschaft Deutschlands zu unterminieren und
zu schwächen."
Von nun an lag alle Macht in den Händen des Reichsprotektors
Konstantin von Neurath, bei seinem Stellvertreter, dem"?-Gruppenführer Karl
Hermann Frank (ein ehemaliger Abgeordneter der Henlein-Partei im
tschechoslowakischen Parlament), bei Henlein selbst und beim Chef des
Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich. 30)
Das"tschechische Problem? wurde in einem Memorandum folgendermaßen
geregelt: 31)
"a) Deutsche Durchdringung Mährens und Rückbau des
tschechischen Volksteiles auf Restböhmen.
b) Aussiedlung der gesamten Tschechen (Anm.: dies wurde dann
doch verworfen.) c) Assimilierung des Tschechentums, d.h.
Aufsaugen etwa der Hälfte des tschechischen Volksteiles im Deutschtum,
insoweit diese blut- und sonst wertmäßige Bedeutung hat."
Den restlichen Teil der Tschechen, hatte man "entmachtet,
ausgeschaltet und außer Landes gebracht", was vorwiegend für die
rassisch-mongoliden Teile (?), auf einen Großteil der intellektuellen
Schicht und natürlich für alle Juden galt.
Was schließlich folgte, abgesehen von dem schrecklichen Holocaust,
der Vernichtung von 6 Millionen Juden und mehreren Hunderttausend Zigeunern
(Roma / Sinti), ist bereits in unzähligen Dokumenten dargestellt worden, und
doch läßt es sich kaum in Worte oder logische Darstellung fassen. Es läßt
sich lediglich aus dem nationalsozialistischem Wahn, seinem Untertanentum
und seinem wahnwitzig überstiegenem Deutschtum erklären, an dem die
Sudetendeutschen, Schlesier und Polendeutschen, Rußlanddeutschen,
Ungardeutschen, Rumäniendeutschen und nicht zuletzt auch die Österreicher
beteiligt waren, die alle durch ihr Verhalten den Weg oder vielmehr
den"Drang nach den Osten? aus ihrer"verklärt historischen Sicht? ebneten und
dazu beitrugen, daß die ost- und westeuropäische Welt bis heute keinen
ausdauernden Frieden finden konnte.
Zusammengefaßt, am Plan-Thema Grün, also der Vernichtung
der Tschecho-Slowakei bzw."Eroberung deutschen Lebensraumes? im Osten, waren
maßgeblich Sudetendeutsche beteiligt, vor allem die, die sich zu Konrad
Henlein und zum Nationalsozialismus bekannt hatten, wobei es nicht nur die
1.250.000 der 1935 gezählten Wählerstimmen waren, die sich bis zum Überfall
sogar noch drastisch erhöhten. Sie alle tragen nicht nur für die
Verschleppung von 600.000 tschechischer Bürger nach Deutschland, während der
Jahre 1939-1944, sondern auch für die Ermordung unzäliger Menschen
(Tschechen, Slowaken, Juden, Zigeuner und Nazigegner) die Mitschuld, ja
selbstverständlich auch die Verantwortung! Ohne sie, den willigen
verbrecherischen Werkzeugen und Handlangern der Nazi-Okkupanten - und dies
gilt gleichwohl für die übrigen Menschen und Kollaboranten des
Hitlerregimes" hätten niemals diese grausamen Ereignisse und Tatsachen
zwischen 1933-1945 stattfinden können, für die sie wohlgeschult" und nicht
erst seit 1933" vorbereitet wurden.
Der"Traum" ist aus, jedoch der"Drang" besteht noch immer!
32)
Ihre große Mitschuld am Verbrechen der Menschheit wollten aber
viele Deutsche und Österreicher sich nicht eingestehen. Sie sahen sich
vielmehr seit dem 9. Mai 1945, dem Tag des Sieges über den Faschismus,
plötzlich als"Opfer?, weil die Welt sie mit Verachtung betrachtete" und weil
ein anderer Teil, eben in Osteuropa, vom heimisch gewordenen Boden, auf dem
sie friedlich mit Slawen und Juden hätten zusammenleben können, mit Schimpf
und Schande" jedoch mit einer unberechtigten Brutalität" hinausgeworfen
wurden.
Dr. Vaclav Kral hat in seiner Dokumentation"Die Vergangenheit
warnt? den Grund für die Vertreibung auf folgenden Nenner
gebracht:
"Bereits 1943 gaben Großbritannien, die Sowjetunion und die
Vereinigten Staaten ihr grundsätzliches Einverständnis dazu, nach dem
Krieg die deutsche Bevölkerung der Tschechoslowakei, soweit sie sich
gegenüber der Republik schuldig gemacht hatte, auszusiedeln. Es wurde
jedoch klar gesagt, daß das Nachkriegslos der Sudeten in ihren eigenen
Händen liege und daß sie durch einen Widerstandskampf gegen die
Nationalsozialisten so manches von dem, was sie 1938 verursacht hatten,
wiedergutmachen könnten. Die Sudetendeutschen, die in ihrer
überwiegenden Mehrheit der nationalsozialistischen Ideologie unterlagen
und zu einem willigen Werkzeug der Aggression geworden waren, blieben
jedoch dem Nazismus bis in die letzten Stunden der Existenz des
Hitler-Reiches treu."
Die Aussiedlung der Sudetendeutschen lag aber nicht alleine im
staatlichen oder wenn man will auch nationalem- Interesse, sondern war klar
auf der Potsdamer Konferenz" von allen Alliierten" bestätigt worden.
Daß sich ein, ins Verbrechen gehender Zorn, seitens der
tschechischen und slowakischen Bevölkerung, auf diese Sudeten beim Abschub
entlud, ist zwar nicht entschuldbar, aber vage aus damaliger Sicht
erklärbar. Viele Tschechen und Slowaken litten, hatten einige
Familienangehörigen bei Verschleppungen, bei Erschießungen und nicht selten
auch in deutschen KZ verloren," wo übrigens auch etliche Sudeten einsaßen,
andere aber dort Dienste verrichteten.
Die Menschen, und da waren die Tschechen nicht die einzigen,
suchten hernach eine ausgleichender Gerechtigkeit für das widerwärtige
Unrecht, das ihnen vor allem während der Nazijahre geschah. Leider griffen
sie gelegentlich auch auf jene Maßnahmen zurück, die seinerzeit ihre
Peiniger anwandten, und die nach 1945 noch frisch und tief in den Wunden
schmerzten.
Reinhard Kühnl hat in seinem bis heute unvergleichlichem Buch"Der
Faschismus? auf die Frage:"Wie kam es, daß Polen und Tschechen ein
solches Maß an Haßgefühlen gegenüber Deutsche entwickelte?? eine
vielleicht erklärbare Antworten gegeben" wohlgemerkt, für die damalige
Sichtweise:
"(Es war) ein Versklavungs- und Vernichtungskrieg
vorausgegangen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Die
gigantischen Pläne der Eroberung Europas vom Atlantik bis zum Ural waren
nur durchzuführen, wenn Methoden äußerster Brutalität angewandt wurden.
Und so ist dieser Zweite Weltkrieg geführt worden: (...) Er ist
besonders geführt worden mit dem Ziel der vollständigen Ausrottung der
geistigen und politischen Führungsschichten in den osteuropäischen
Völkern. Zur ideologischen Rechtfertigung wurde propagiert, daß es sich
ja bei den Deutschen um Herrenmenschen, bei den slawischen Völkern
hingegen um Untermenschen handle."
Wie schmerzhaft aber mußte es für die vielen Tschechoslowaken
gewesen sein, die sich seinerzeit nicht
am"Rächen? beteiligten, sondern sich bemühten alles zu vergessen, als bald
sich nach dem Zweiten Weltkrieg sich wiederum die Sudeten regten, diesmal
gestärkt durch ihre verschiedenen inzwischen neugegründeten
Vertriebenenverbände und Landsmannschaften, nicht aber sich um
Versöhnung bemühend, sondern um lautstark ihr Recht auf Heimat
zu fordern.
Der Stoßtrupp für das Recht auf Selbstbestimmung der Heimat
wurde bereits im Dezember 1958 als"Bund der Vertriebenen? oganisiert,
welcher seine Starthilfe durch die Amtskirche erhielt, wie es Max Hildebert
Boehm (Leiter der Ostdeutschen Akademie in Lüneburg) so zart formulierte:
... die
(...) vielfach die Bedeutung einer schützenden und tarnenden
Glocke über den zunächst noch verbotenen landsmannschaftlichen und
anderen Gruppenbildungen der Vertriebenen gewonnen." ...
hat.
Es war aber nicht nur die Amtskirche an der Gründung
beteiligt, da gab es auch involvierte Politiker und Persönlichkeiten
des frischen Adenauer-Nachkriegs-Deutschlands, wie z.B. die alten ss- und
Henlein-Kameraden, Walter Becher, Franz Böhm, Walter Brand, Konstantin Höss,
Paul Illing, Franz Karmasin, Theo Keil, Fritz Köllner, Heinz Lange, Leo
Schubert, Rudolf Staffen, Walter Stain und der Volksgenossen-Schriftsteller
Ernst Frank," um wenigstens einige beim Namen genannt zu haben" , die
gezielt und bewußt die stark rechtsextremen Tendenzen dieser
Vertriebenen-Organisationen, Turnverbände,
Notverwaltungen, Witiko-Bündnisse etc. und besonders die eigene
Geschichte zu vertuschen wußten.
Warum die Vertriebenengruppen niemals weniger wurden, erklärte
Franz Neubauer, Staatsminister a.D., während eines Treffens im Jahre 1988
damit:"daß jeder Besucher, der durch Tod und Alter ausfiel, durch einen
jüngeren ersetzt wurde?.
Wieso Neubauer dieses sagen konnte, erklärt sozusagen der §7
des Bundesvertriebenen Gesetz (von 1971), wo es da heißt:
"Kinder, die nach der Vertreibung geboren sind, erwerben die
Eigenschaft als Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling des Elternteils,
dem im Zeitpunkt der Geburt oder Legitimation das Recht der
Personensorge zustand oder zusteht".
Weshalb solch ein Paragraph immer noch Gültigkeit hat, läßt
eventuell nur noch Vermutungen zu. Vermutlich hängt dieser Kult u.a. auch
damit zusammen, daß nämlich das nationalsozialistische Gedankengut nicht
verloren geht, welches für die geplante Rückbesiedlung der verlorener
Heimat dann als Basis mit diesen dafür geeigneten Menschen legitimiert
werden könnte.
Richtungsweisend für diese Vermutung ist nämlich ein Ausspruch des
ehemaligen Landesobmanns der Sudetendeutschen, Frank Seibold, der 1958 von
sich gab:
"Der deutsche Osten war nicht nur in der Vergangenheit die
Kornkammer (sic"!) des Reiches. Er wird es wieder einmal sein müssen,
und er wird außerdem deutsche Menschen aufnehmen müssen, damit wir in
der Enge des halben Deutschlands nicht ersticken."
Dieses"halbe Deutschland? wird gewiß nicht ersticken! Dafür
sorgt schon alleine die 1970 im Rahmen einer
Verfassunggebenden Nationalversammlung des deutschen Ostens von Bolko
Richthofen und Fritz Münch gegründete Gemeinschaft Ost- und
Sudetendeutscher Grundeigentümer und Geschädigter (e.V.?). Bei diesem
Nazi-Verein fängt schließlich der"deutsche Osten? bereits am
Atlantischen Ozean an, genauer gesagt in der Erkenntnis: (Zitat)
"...daß die Niederländer ebenso ein Teil des vielfältigen
deutschen Volkes bilden wie die Deutschen im Gebiet des Deutschen
Reiches. Die Elsässer, Luxemburger und die Deutschschweizer zählen
selbstverständlich auch dazu. Die Niederlande sind ebenso wie das
Deutsche Reich ein Teil von Deutschland."
Der Namensgeber des Münchner Flughafens, Franz Josef Strauß,
setzte dem eine viel feinere und subtilere Anschauungsweise entgegen:
"Wenn die Bundesregierung es versteht, dieses Kapital, das in
den Vertriebenenverbänden lebendig ist, mobil zu machen (...), hätte sie
die psychologische Schlacht bereits halb gewonnen. Ehe man neue Truppen
aufstellt, sollte man die vorhandenen einsetzen. Wir haben gegen die
heimatlose Linke die heimatvertriebene Rechte."
Die Frage nach Täter / Opfer
Um nun Untaten genauer gesagt Verbrechen an Menschen, ja sogar an
Volks-Gruppen" die in einem gewissen Moment, in einem gewissen Zeitabschnitt
oder auch konzentriert und speziell in einer Epoche begangen wurden" als
solche zu erkennen oder zu beurteilen, genügt es nicht, bloß mittels
üblichem schwarz-weiß Denken (?hier das Gute, dort das Böse" dort der Täter,
hier das Opfer?), die Geschehnisse und Taten zu analysieren.
33)
Dieses schwarz-weiß Denken wird zwar tagtäglich erfolgreich
praktiziert: z. B von Justiz- und Ermittlungsbeamten, von Polizisten, von
Innenministern, von fanatisierten Polit-Gruppen und anderen Individuen, die
sehr schnell etwas in ein gewisses Licht gerückt sehen wollen, damit ihre
Welt sehr rasch wieder in Ordnung kommt" damit Täter verurteilt, und damit
Opfer" wie auch immer" entschädigt werden können.
Das mag vielleicht bei der täglichen Arbeit zur
Verbrechensbekämpfung so funktionieren" aber all das verhindert jedoch
nicht, daß irgendwo und irgendwann nie wieder Verbrechen begangen werden.
Zu diesem Zweck muß nämlich hinterfragt werden, einmal
wieso
es zu Verbrechen kommen kann und konnte" wo doch jedes Volk auf dieser Welt
fast die gleichen ethischen Regeln kennt, nämlich u.a.: ... du sollst
nicht töten, ... du sollst nicht stehlen, usw." und andererseits
muß ebenfalls gefragt werden, wieso der eine ein Täter und der andere
ein Opfer werden kann" und konnte.
Diese Fragen können jedoch nicht bloß aus einer rein historischen,
respektive lediglich politischen, sondern" wenn überhaupt" dann aus einer
soziologischen und soziometrischen Perspektive erforscht und beantwortet
werden. Denn nur mit einer soziologischen Sichtweise könnte man vieles
hinterfragen und darum auch erkennen, vor allem wie gestört und krankhaft
unsere mitmenschlichen Beziehungen sind." Und weil man vielleicht auch gar
nicht gewillt ist, etwas dagegen zu unternehmen" wird es weiterhin, auch für
die nächsten Generationen, Mißstände und Mißverständnisse geben.
Juristisch gesehen" selbst im Hinblick auf den 60-jährigen
Staubmantel der jüngsten Geschichte" sind jedenfalls die Grenze zwischen
Tätern und Opfern nicht so schwer auszumachen, als es manche glauben. Die
Sichtweise bedarf bloß eines scharfen, nicht aber durch Emotionen
entstellten Blicks in die Vergangenheit und auf die Untaten, die begangen
wurden!
In Den Haag stehen gegenwärtig Kriegsverbrecher vor Gericht, die
sich am Balkan schuldig gemacht haben (hier gibt es kaum wesentliche
Unterschiede zwischen bosnische, serbische oder kroatische Täter)" und sie
sehen sich selber ebenso unschuldig, wie jene betagten Verbrecher die vor
verschiedenen anderen Gerichten stehen, und deren Schuld und Täterschaft
bereits Jahre zurück liegen. Auch diese NS-Verbrecher und Mörder die sich
seinerzeit am Balkan, in der Ukraine, in der Slowakei, in Litauen,
Frankreich, Italien und sonst wo, mit unter auch in Verbindung einer
Kollaboration, schuldig gemacht hatten, sehen sich" weil sie inzwischen alt
und krank geworden" vielmehr als Opfer und jene, die
sie damals peinigten nun als Täter, weil sie es wagten sie vor ein
Gericht zu zerren, nach so vielen Jahren anzuklagen, und immer noch nach
Gerechtigkeit schreien.
In diesem Zusammenhang muß man die (z. T. antisemitischen)
Reaktionen der Schweizer bezüglich dem Raubgold-Skandal sehen, als auch das
Verhalten so mancher Direktoren von Versicherungen und Banken in
Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern, deren Vorgänger
sich dank der Ermordung ihrer Klienten bereichern konnten" und so ist?s auch
mit der verständnislosen Haltung so mancher deutscher und österreichischer
Bürger (Sudeten sind da ebenso gemeint) auf die verspätete aber berechtigte
Forderungen der Zwangsarbeiter aus Osteuropa, denen bis heute weder
Gerechtigkeit noch Lebenshilfe zuteil geworden ist.
Die Menschen des ausgehenden Jahrhunderts möchten gerne eine
Bilanz ziehen; - und Gerichte und Historikerkommissionen bemühen sich diesem
Wunsche nachzukommen und haben es überaus schwer. Nach so vielen Jahren, die
zwischen den Verbrechern und dem Heute liegen, fällt es ihnen wahrlich nicht
leicht den Opfern gerecht zu werden" aber auch die Täter (sobald diese
überhaupt noch am Leben sind) zur Verantwortung zu ziehen.
Nach Jahren der Verschwiegenheit (das war seit 1945 bis zu den
60er Jahren) haben die Historiker und Kommissionen geforscht und Dinge
heraus gefunden, die je nach Bedarf so oder so verwendet werden
konnten" und so fielen die Ergebnisse (falls man es so bezeichnen darf)
jeweils nach ihrem persönlichen Ermessen und eigener Geschichtsauffassung
aus. Insofern dauert also der Historikerstreit folglich noch an ...
Ferner" was für etliche einfache Menschen, und selbst für so
manche Historiker in ihrer starren Denkstruktur bis heute noch nicht so
recht nachvollziehbar blieb" traten unterdessen neue Geschichtsmomente
zutage, wie z.B. der Zerfall der Sowjetunion, der Zusammenbruch des
sogenannten Kommunismus oder die Wiedervereinigung Deutschlands usw.
Diese unerwarteten Gegebenheiten riefen folglich wiederum neue
Historiker und neue Kommissionen hervor, die nun mit neuer,
entsprechend abgeänderter Ansicht ebenfalls zu historisieren begannen.
Eifrig bemühte sich so mancher um Umkehrung gewohnter Sichtweisen" man
könnte fast sagen um einen bewußt geführten Revanchismus. Plötzlich begann
eine sonderbare Abwägung von Dingen und Fakten, und man ergoß sich förmlich
in sonderbare Diskussionsforen, wo beleuchtet wurde, was nun für die
Menschheit schrecklicher gewesen sei: entweder der Kommunismus oder
vielleicht doch" wenigstens wie bisher gesehen" der Nationalsozialismus?!
Und hierin, im Polemisieren und historisierendem Zweifeln standen
die Historiker in Osteuropa keineswegs ihren Kollegen im Westen nach.
Auch hier bemühte man sich eifrig in Büchern, in Dokumentationen
und in entsprechenden Vorträgen und Reden die Geschichte
neu zu interpretiert und zwar so, wie es das momentane Empfinden
der Menschen und Politiker, es von den damit befleißigten Historikern und
Kommissionen abverlangen, nämlich: gewissenhaft und vor allem ungeachtet
aller bisherigen Tatsachen und Fakten. So kam es, daß in Osteuropa (wie auch
in der DDR) nach der"Wende? plötzlich der Nationalsozialismus mit dem
Stalinismus geschmacklos abgewogen werden konnte, - auch Stalingrad wurde
neu untersucht und interpretiert" und selbst die Geschichte von Buchenwald
hat man versucht neu zu schreiben, nämlich dahingehend, daß aus ehemaligen
Täter nun Opfer werden konnten" und umgekehrt, versteht sich.
Hingegen die"klassischen? Themen, wie z. B. Sudeten,
Schlesier und andere Aussiedler-Gruppen, mit ihrer zum Teil immer noch offen
völkisch ausgerichteter Geschichtsauffassung und Ansicht, dieses Kapitel
wurde geradezu unberührt belassen.
Weder Osteuropa-Spezialisten" oder solche Historiker, noch die
betroffenen Gruppen selber haben sich jemals darum bemüht, gerade in ihren
Schriften und Dokumentationen, gewisse Korrekturen (die endlich einmal
getätigt werden müßten) vorzunehmen oder (was sie ja aber stets von der
anderen Seite abverlangen), daß sie sich, wenn möglich sogar mittels
entsprechend aufrichtiger Studien, endlich ihrer eigenen Verantwortung
stellen.
In gleicher Weise muß dieser Vorwurf auch in anderer Richtung
gemacht werden. So waren bisher, weder tschechische, polnische, slowakische,
ungarische, noch russische wie rumänische Historiker daran bis heute
interessiert, ihre eigene glorifizierende Geschichtsschreibung, und was den
Westen betraf die polemisierenden Schriften und Dokumentationen,
entsprechend der Fakten und Tatsachen zu überarbeiten.
Dies gilt einerseits für die Geschichte der Deutschen im Osten
(eben aus slawischer Sicht) und die Beziehung zu ihnen, als auch für die
längst überfälligen Studien bezüglich der Kollaboration mit den Okkupanten"
was nämlich gar nicht so gering war, wie es manchen gerne meinen (!). Darum
müßten meiner Meinung nach auch die, vor allem unter dem stalinistischen
Regime erzeugten Schriften und Dokumentationswerke bezüglich
des"heldenhaften Widerstands? (den es gewiß vereinzelt, aber niemals
kollektiv gab), als auch die Tatsachen über die deutsche Aussiedlung, die
keineswegs so human verlief, neu überarbeitet und mit realistischerem Licht
betrachtet werden.
Dabei muß allen Ernstes aber gesagt werden, daß für die
Wahrheitsfindung" was sich neuerdings bei einigen osteuropäischen
Schriftstellern und Historikern für welchen Zweck auch immer nachweisen
läßt" ein quasi modisch scheinender und übertriebener Philo-Germanismus
ebenfalls unbrauchbar ist.
Die Wahrheit scheint vermutlich" wie immer bei diversen
unversöhnlichen Auseinandersetzungen" genau in der Mitte zu liegen!
Und die goldene Mitte bedeutet jedenfalls: daß die Geschichte in
Mittel- und Osteuropa nicht ohne der deutschen Bevölkerung,
aber auch nicht ohne die der Slawen, Juden und Zigeuner betrachtet werden
kann. Jede dieser Gruppen trug, nicht nur für sich gesehen" und egal in
welchem Land sie als Minderheit oder Mehrheit auftraten", einen wesentlichen
Baustein für das historische Gebilde mit dem Namen "Europa" bei. Es ist ein
kulturell reichhaltiges Gebäude, dieses Europa, das aber nicht hinter
Deutschland oder Österreich endet, ... und enden darf! Für mich reicht
dieses Europa sogar" und ich sag es oft und gerne" bis zum Ural.
Und weil die Fakten so liegen darf es auch kein"Verdrängen?
und"Verschweigen? geben! Weder von existierenden Minderheiten" noch von
irgendwelchen historischen Tatsachen und Problematiken, auch wenn diese für
einige Nationen gewissermaßen schmerzlich und unverdaulich geblieben sind.
Die Vernunft hatte stets und in allen Epochen für sich einen
goldenen Mittelweg gefunden" die Menschen, die eigentlich von Geburt an mit
ihr ausgestattet sind, tun sich jedoch hart, weil sie lieber ihren Gefühlen
und ihren Empfindlichkeiten folge leisten als der Vernunft.
Der Irrtum, der zwischen den Aussiedler-Verbänden und Prag bzw.
Warschau vorherrscht, ist, daß beide stets im anderen
den Täter sehen" und sich selbst aber unentwegt als
Opfer betrachten.
Darum sind die Worte von Frau Dr. Rita Süssmuth, der Präsidentin
des Deutschen Bundestag, die sie am 24. April 1997 bezüglich der
Deutsch-Tschechischen Erklärung sprach" nicht bloß von Tschechen,
sondern endlich auch von den ewiggestrigen Teilen der Vertriebenen zu
beachten: (Zitat)
Wir sind geschichtlich und kulturell
eng miteinander verflochten.
Gerade in dieser Zeit, in der auch das vereinte Deutschland seine neue
Identität und neue Stellung in Europa und der Welt sucht, wächst die
Bedeutung unseres Verhältnisses. Ohne sich den belastenden Wahrheiten
der jüngsten Geschichte zu stellen, können auch die guten Traditionen
unserer Geschichte keine wirkliche Kraft entfalten.
Dabei dürfen "Ursache und Wirkung in der Abfolge der Geschehnisse
nicht verkannt werden". Wir haben gelernt, 50 Jahre sind eine kurze
Zeit, wenn wir daran denken, daß tiefe Wunden nicht allein durch die Zeit
verheilen. Deshalb haben wir Deutschen uns in der Gemeinsamen Erklärung
auch zu dem Unrecht bekannt, das dem tschechischen Volk durch die
nationalsozialistische Gewaltherrschaft angetan worden ist.
Auf beiden Seiten ist Menschen unendliches Leid zugefügt worden. (...)
Der Aussöhnungsprozeß zwischen Deutschen und Tschechen ist durch die
Erklärung auf ein tragfähiges Fundament gestellt worden. Die Botschaft der
Erklärung ist die Zukunftsperspektive: die gemeinsame Arbeit in und für
Europa im Geiste guter Nachbarschaft und Partnerschaft.
Vielleicht darf ich nochmals die zwei entscheidenden Sätze
hervorheben, die sie sagte, einmal in beide Richtungen:
Ohne sich den belastenden Wahrheiten der jüngsten
Geschichte zu stellen, können auch die guten Traditionen unserer
Geschichte keine wirkliche Kraft entfalten.
... und dann, insbesondere in Richtung der Aussiedler-Verbände:
Dabei dürfen "Ursache und Wirkung in der Abfolge der
Geschehnisse nicht verkannt werden".
Wenn wir also diagonal zu dieser Aussage die
Ziffer 2
der deutsch-tschechischen Erklärung (vom 3. Dez. 1996) betrachten, wird man
sehr leicht erkennen, warum die revanchistischen Kreise sich in Deutschland
sträuben, diese endlich einmal offene und versöhnliche Erklärung zu
akzeptieren" weil es da heißt: (Zitat)
Ziffer 2
Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands
für seine Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchner
Abkommen von 1938, der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem
tschecho-slowakischen Grenzgebiet sowie zur Zerschlagung und Besetzung der
Tschechoslowakischen Republik geführt hat.
Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen
Volk durch die nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan
worden ist. Die deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer
Gewaltherrschaft und diejenigen, die dieser Gewaltherrschaft Widerstand
geleistet haben.
Die deutsche Seite ist sich auch bewußt, daß die
nationalsozialistische
Gewaltpolitik gegenüber dem tschechischen Volk dazu beigetragen
hat, den Boden für Flucht und Vertreibung und zwangsweise
Aussiedlung nach Kriegsende zu bereiten.
Nun, und dann bräuchten die Sudeten" und zwar alle" nur einmal
weiter zublättern, wo ja ganz eindeutig unter Ziffer 3 zu lesen steht:
Ziffer 3
Die tschechische Seite bedauert, daß durch die nach dem
Kriegsende erfolgte Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der
Sudetendeutschen aus der damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und
Ausbürgerung unschuldigen Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt
wurde, und dies auch angesichts des kollektiven Charakters der
Schuldzuweisung. Sie bedauert insbesondere die Exzesse, die im Widerspruch
zu elementaren humanitären Grundsätzen und auch den damals geltenden
rechtlichen Normen gestanden haben, und bedauert darüber hinaus, daß es
aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 08. Mai 1946 ermöglicht wurde, diese
Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen und daß infolgedessen diese
Taten nicht bestraft wurden.
Das also sind die Worte, die beide Staaten" neben den anderen
Textstellen, versteht sich" aussöhnen läßt. Nicht so ist es jedoch mit den
Aussiedler-Verbänden. Die Vertribenen-Organisation, die sich unentwegt in
alle außenpolitischen Handlungen einmischt, vor allem die zwischen Bonn und
Prag verliefen, möchte aber nicht zu der
deutsch-tschechischen Erklärung stehen. Solche querulanten Kräfte
gab es schon einmal, und wohin dies führte wissen wir zu genüge! Denn" ich
sagte es ja vorhin" sie möchten auch weiterhin ausschließlich sich selbst
als Opfer sehen, hingegen die anderen als Täter.
Und so war es bereits im 19. Jahrhundert, dann nach 1918 und
schließlich 1938, und darum fühlten sie sich nach 1945 erst recht als Opfer,
eben durch die erfolgte Vertreibung. Dieser Blickwinkel ist völlig
verstellt, und kommt daher, wie es Frau Dr. Süssmuth ja so eindringlich
sagte, weil sie die "Ursache und Wirkung in der Abfolge der
Geschehnisse" (auch zum Teil mutwillig) verkennen wollen.
Und diese Kontinuität der Blindheit läßt sich gewissermaßen auch
erklären:
zum einen damit, weil sich die einzelnen Verbände nie von ihren
ideologisch negativen Kräften trennten und dies auch niemals wollten (die
ideologischen Gründer und Führer waren nicht wenige davon SS- und NS-Größen;
siehe z.B die Unterzeichner der "Eichstätter Erklärung" vom 14. 7.
1947)" und zum anderen, daß eben diese, mit Tschechen-Haß erfüllten Kräfte,
jährlich mittels völkischem Folklore-Aufgebot ihren brösligen Zeitgeist auf
die jüngeren, zum Teil in dritter Generation bereits in Deutschland
geborenen Genossen hinüber leeren, und ihnen weiß machen wollen, daß auch
sie" im wortwörtlichen Sinn" Vertriebene seien.
Dabei sollten diese" und das kann man eben nicht verschweigen"
unter brutalsten Umständen vertriebenen Deutschen" im Rückblick auf die
Jahre danach, eigentlich zufrieden und dankbar sein. Zufrieden dahingehend,
daß sie es geschafft hatten nach dem Krieg ein ordentliches und finanziell
abgesichertes Leben geführt zu haben. Viele von ihnen hatten ein höheren
Lebensstandard erreicht als früher und bereicherten mit ihrem Fleiß und
ihrem Können ihre Deutsche Heimat, zumeist Bayern und Franken, die
wirtschaftlich überaus von diesen hinzugekommenen Deutsch-Böhmern
profitierten.
Und darum sollten die Aussiedler andrerseits auch wiederum dankbar
sein, daß sie über all die Jahre ein zufriedenes Leben führen konnten, im
Vergleich zu den Tschechen, Slowaken und Polen, die nach 1945 eben keine
Freiheit
genasen, sondern erneute politische und physische Unterdrückung erlebten.
Das waren zunächst die letzten Jahre unter Stalin, dann die Zeit
des Kalten Krieges und des politischen Umbruchs, der wiederum Menschen auf
der Strecke zurückließ.
Hier könnte man" als herzloses Individuum" sogar sagen, daß die
Tschechen (die Ungarn, die Rumänen und Polen ebenso) genug gelitten haben
für ihre willkürlichen Untaten, die sie nach
1945 begangen hatten.
Aber so leicht geht das Aufrechnen eben nicht. Denn nicht jeder
Tscheche, Ungar, Rumäne oder Pole beteiligte sich am Abschub der" durch den
Faschismus bedingt verhaßten" Deutschen. Und auch umgekehrt: nicht jeder
Deutsche beteiligte sich am grausamen Nationalsozialismus" aber nur wenige
Gerechte taten etwas, um das Schreckliche zu verhindern. Und man darf
dankbar sein, das es solch mutige Menschen überhaupt gab, in einer
unmenschlichen Epoche.
Welche Antworten gibt man aber der jüngsten Nachkriegsgeneration,
die überhaupt nicht mehr von Trauer und Leid betroffen ist, sie nur von
Erzählungen und Schilderung anderer kennt? Aber sie wird auch heute Fragen
stellen, aufgrund der gegenwärtigen Stellung des vereinten Deutschlands und
den Bezug zwischen Ost- und Westeuropa.
Eine befriedigende Antwort wird man freilich schwer finden" und
was schwelender Haß bedeutet, sehen wir alle heute am Balkan.
Man könnte aber die Jugend im positiven Sinne aufklären, auch
mittels einer ehrlichen Geschichtsaufarbeitung und sie vor allem vor
negativen Kräften warnen, von denen sie angezogen oder verschlungen werden
könnten; vor Nihilisten und faschistoiden Ideologien, die wieder die
Untermenschen-Ideologien avancieren und damit erneut versuchen, die"alte?
Herrenmenschen-Politik, diesmal mittels Einfluß und Macht des Geldes,
heraufzubeschwören.
Viel besser wäre es da sich der Ziffer 4 der deutsch-tschechischen
Erklärung zu widmen, die auch Richtungsweisend sein könnte für eine
demokratische Zukunft:
Ziffer 4
Beide Seiten stimmen darin überein, daß das begangene Unrecht der
Vergangenheit angehört und werden daher ihre Beziehungen auf die
Zukunft ausrichten.
Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen Kapitel ihrer Geschichte
bewußt bleiben, sind sie entschlossen, in der Gestaltung ihrer
Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem gegenseitigen
Einvernehmen Vorrang einzuräumen, wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung
verpflichtet bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine andere
Rechtsauffassung hat. Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre
Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und
rechtlichen Fragen belasten werden.
Die Zukunft, wird es sicherlich zeigen, welchen Weg man in Europa
gehen wird! Und hier gibt es leider nur zwei Möglichkeiten: Entweder einen
vernünftigen Schritt in die Zukunft, mit Verständnis als auch Vergebung"
oder, die tragisch andere Richtung, wie es sich bereits am Balkan
abzeichnet, eine erneut kriegerische Zukunft, bei der wieder der eine zum
Täter, der andere zum Opfer wird.
[Anmerkungen /
Quellenangaben]
Redebeitrag von Chaim Frank, am 21. 4. 1999 in Hohenberg
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