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[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]
3. Verhalten:
Tschechische Häftlinge und der KZ-Alltag

3.2 Solidarität

3.2.1 Art der Hilfestellung

Viele Gruppen, darunter auch die tschechische Häftlingsgruppe, erhoben das solidarische Verhalten sogar zu ihrem Grundprinzip und forderten dieses von jedem Mitglied, je nach seinen Möglichkeiten ein. Sicherlich wirkten sich dabei nationale, politische aber auch individuelle Affinitäten begünstigend aus. Zámečník erklärt dazu, dass der Häftling vielleicht "nirgends eine solche Zusammengehörigkeit mit seinen Landsleuten gefühlt (habe) wie in diesem extremen Umfeld."[5]

Die tschechischen Häftlinge waren jedoch erst nach einiger Zeit in Dachau fähig, ihren Landsleuten oder anderen Häftlingen zu helfen. Erst nachdem sich ihre Lebensbedingungen und die brutale Behandlung durch die SS gebessert hatten, erst als einige von ihnen im Lager Zugang zu wichtigen Stellen, wie etwa "Arbeitseinsatz", "Lagerschreibstube", "politische Abteilung" oder zum "Krankenrevier" erhielten, waren die Tschechen im Stande, ihre Landsleute zu unterstützen. Es ist schwierig, hierfür einen genauen Zeitpunkt anzugeben, doch in den meisten Erinnerungsberichten wird solidarisches Verhalten etwa seit dem Jahr 1942 geschildert[6], wobei dies im individuellen Fall durchaus unterschiedlich sein konnte.

Zu einer wichtigen Hilfestellung gehörte in Dachau die Aufklärung und Unterstützung der Neuzugänge. Wenn ein neuer Häftlingstransport nach Dachau kam, wurden die Neuzugänge neben den SS-Wachen von verschiedenen Funktionshäftlingen, wie etwa Schreibern, Friseuren oder Krankenpflegern, in Empfang genommen.[7] Diese überwiegend niedrigen Funktionen bekleideten auch viele ausländische Häftlinge, darunter zahlreiche Tschechen. Einigen von ihnen war es nach Angaben von Karel Littloch möglich, in der Lagerschreibstube zu erfahren, wie viele der Neuzugänge "Tschechen sind, wie sie heißen und woher sie sind. Nur kurze Zeit später wurde auf dem Block gemeldet, welche Neulinge kommen und schon veranstaltete man eine Sammlung von Brot und Zigaretten."[8]

Sie gaben ihnen erste Orientierungshilfe, spendeten Trost und ermunterten die Verzweifelten. Es war zudem sehr wichtig, die Neuzugänge zu warnen und anzuhalten, beim Empfang ihre Krankheiten zu verschweigen, und sich von den Versuchsstationen im Krankenrevier fernzuhalten, da kranke und arbeitsunfähige Häftlinge im Lager keine Überlebenschancen hatten.[9] Für Neuzugänge, die erst am späten Abend Dachau erreichten und für die kein Abendessen mehr vorgesehen war, wurde wiederum heimlich ein Teil der Essensrationen, wie etwa Kraut oder ein Eimer mit Kartoffeln zur Seite gelegt, um den schrecklichen Hunger nach dem erschöpfenden Transport für einen Moment zu stillen.[10] Der Überlebende Vladimír Šacha, welcher im Juni 1942 nach Dachau kam, schildert, dass er noch während des Empfangs von einem tschechischen Friseur erste Ratschläge, warnende Worte aber auch Aufmunterung hörte: "Wenn ihr vorsichtig seid, werdet ihr alles überleben."[11]

Während der mehrwöchigen Quarantänezeit, die jeder Neuzugang auf dem "Zugangsblock" unter zum Teil sehr schlimmen Bedingungen verbringen musste, versorgten viele Häftlings-gruppen ihre Landsleute mit zusätzlicher Nahrung, welche sie eigens dafür aufsparten. Šacha, der in diesem Block die Funktion des Hilfsschreibers ausübte, berichtet, dass man nicht selten "aus dem tschechischen Block volle Schachteln mit Brot geschickt"[12] habe, das unter den Hungrigen verteilt werden sollte. Nach der Quarantänezeit kümmerten sich wiederum einige Mitglieder der tschechischen Häftlingsgruppe, die etwa im "Arbeitseinsatz" die Verteilung von Kommandos beeinflussen konnten, darum, ihre Landsleute in eine gute Arbeitsstelle einzuführen. Einerseits lag es im Interesse jeder "Solidargruppe"[13], möglichst viele einflussreiche Funktionen oder "bessere" Arbeitskommandos zu besetzen, da nur so ihr Einflussbereich erweitert werden konnte.

Andererseits waren die "Uneingeteilten" im Lager durch Misshandlungen oder erneute Transporte in andere KZs besonders gefährdet. Seit 1942/43 bestand eine zusätzliche Bedrohung durch die Überführung der Internierten in ein Dachauer Außenkommando, in dem schlechtere Verhältnisse herrschten als im Stammlager. Leider ist es aufgrund der mangelnden Quellenlage nicht möglich festzustellen, wie viele tschechische Häftlinge in welchen Außenlagern vertreten waren. Besonders gefährdete Tschechen, wie etwa ältere Häftlinge oder Vertreter der Intelligenz, wurden zudem nach Angaben zahlreicher Erinnerungsberichte, zumindest übergangsweise in verhältnismäßig leichten Arbeitskommandos untergebracht, wo sie von der SS meist in Ruhe gelassen wurden. Als solche galten beispielsweise die Kommandos "Gurtweberei" oder "Strumpfstopferei".[14] Ein Blick in das Blockbuch des Blocks Nr. 20 bestätigt solche Aussagen, indem hier aufgeführt wird, dass die meisten Tschechen, die in diesen Kommandos arbeiteten, überwiegend zu den Jahrgängen 1880 bis 1890 zählten und nicht älter als Jahrgang 1900 waren.[15] Zu ihnen gehörte eine Zeit lang auch Karel Feierabend, welcher mit Jahrgang 1861 der älteste Häftling des KZ Dachau war.

Lebensrettende Hilfeleistungen erfolgten auch an kranke Häftlinge. Da die Patienten, die sich im Krankenrevier aufhielten von der SS lediglich als "unnütze Esser" betrachtet wurden und darum stark reduzierte Kost erhielten, wurde ihre Genesung oder sogar ihr Überleben erheblich erschwert. Daher war es immens wichtig, dass sie von anderen Häftlingen mit zusätzlicher Nahrung versorgt wurden. Bevor in Dachau die Lebensmittelpakete erlaubt wurden, war dies besonders schwer, da auch die Essensrationen der arbeitenden Häftlinge völlig unzureichend waren und durch zusätzliches "Organisieren" aufgebessert werden mussten. Als jedoch im Winter 1942/43 eine große Typhusepidemie ausbrach, welche unter den Häftlingen viele Opfer forderte, waren die Tschechen durch den Paketempfang bereits im Stande, kranke Landsleute materiell zu unterstützen. Im "tschechischen" Block wurden nach Angaben der Zeitzeugen zu diesem Zweck Lebensmittelsammlungen veranstaltet. "Jeder, der ein Paket erhält, muss einen bestimmten Teil an Gebäck und Früchten für die Kranken abgeben. Jarda kocht täglich ein Kompott und sammelt Zwieback in einem Kasten, damit er das danach mit Freude ins Krankenrevier bringen kann."[16]

Ähnliches Verhalten war auch während der zweiten Typhusepidemie im Winter 1944/45 zu beobachten, die jedoch aufgrund der katastrophalen Verhältnisse der letzten Phase weit mehr Opfer forderte. Ohne eine solche Unterstützung wäre die Sterberate unter den tschechischen Häftlingen in Dachau vermutlich viel höher gewesen. Der Inhalt der aus der Heimat empfangenen Pakete wurde zudem auch unter den gesunden Mitgliedern der tschechischen Häftlingsgruppe verteilt, wobei für ein kollektives Prinzip dieser Handlung keine Belege gefunden werden konnten. Daher fand diese Art der Solidarität vermutlich nur auf individueller Ebene, manchmal sogar nationalitäten-übergreifend, statt.[17]

Schließlich bestand ein wesentlicher Teil der gegenseitigen Hilfe darin, die Mitglieder der eigenen "Solidargemeinschaft" vor den Transporten in andere Konzentrationslager zu bewahren, bzw. falls diese bereits auf eine Transportliste gerieten, durch andere Häftlinge zu ersetzen, die im Lager nicht über entsprechend einflussreiche Beziehungen verfügten. Da die SS-Führung die Zusammensetzung der Transporte überwiegend den Häftlingsfunktionären überließ, wurden diese bei der Auswahl jedes Mal "in Konflikt mit ethischen Normen gebracht"[18]. Denn wer sollte im Lager bleiben, und wer ins Ungewisse geschickt werden? Ein Transport und ein neues Lager konnten für viele Häftlinge den Tod bedeuten. Doch unter "den extremen Bedingungen eines Konzentrationslagers [...] galten andere moralische Werte als im normalen Leben."[19] Es war für jede Häftlingsgruppe enorm wichtig, dass mindestens ein Mitglied die Entscheidung über die Zusammensetzung der Transportlisten beeinflussen konnte. Denn manchmal konnten die Gefangenen nur dadurch wenigstens einige wenige Persönlichkeiten vor der großen Gefahr eines Transports retten.[20]

Da dieses Unterfangen extrem riskant war und stets hohen Einsatz erforderte, scheint es, dass sich die Rettung besonders auf Personen bezog, die in der bereits angesprochenen Hierarchie innerhalb der Häftlingsgruppe einen hohen Rang einnahmen. In den Erinnerungsberichten tauchen in diesem Zusammenhang überwiegend die Namen der Tschechen auf, die auch im Lager besonders beschützt wurden. Der tschechische evangelische Geistliche Eugen Zelený schildert etwa den Fall des berühmten Philosophen und Widerstandskämpfers Jaroslav Šimsa, der im Lager durch seine Selbstlosigkeit viele seiner Landsleute in ihrem Durchhaltewillen bestärkte. Šimsa wurde im November 1944 für einen Transport ausgewählt, von dem die Häftlinge erfuhren, dass die Ausgesuchten in Schwerstarbeit Schützengraben aushöhlen sollten. "Es war sehr wichtig ihn um jeden Preis vor diesem Transport zu bewahren. Nach großen Anstrengungen ist es uns auch gelungen und zwar so, dass er – im Glauben, dass er tatsächlich an Tuberkulose erkrankte – ins Revier aufgenommen wurde."[21]

Ein Versteck im Krankenrevier war eine relativ sichere Methode, einen bestimmten Häftling vor dem Transport zu schützen. In anderen Fällen wurde wiederum durch das Injizieren von Milch bei dem Transportgefährdeten hohes Fieber ausgelöst.[22] Kranke und fiebernde Gefangene wurden nämlich aufgrund ihrer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit nicht in andere Lager oder Kommandos überführt. Das Krankenrevier erscheint in den meisten Berichten zudem als das Zentrum der solidarischen Handlungen im KZ Dachau und wird daher im nächsten Kapitel gesondert betrachtet werden.

3.2.2 -- Beispiel: Das Krankenrevier

  • [5] Zámečník, Dachau, S. 325.

  • [6] Für diese Zeitangabe spricht auch, dass alle Interviewten, die zwischen 1940 und 1941 nach Dachau gelangten, keine Hilfeleistungen durch andere Häftlinge in der Anfangszeit erwähnt haben. Erst diejenigen Tschechen, die im Jahr 1942 ins Lager kamen, schildern, dass sie bereits während der Aufnahmeprozedur von ihren Landsleuten unterstützt wurden.

  • [7] Zámečník, Dachau, S. 325.

  • [8] Littloch, a. a. O., S. 100.

  • [9] Viele Neuzugänge wollten sich nämlich krank melden, um im Lager schonend behandelt zu werden. Kopřiva, S. 22, DaA 36.075.

  • [10] Zhánel, Karel: Moje cesta do Dachau. [Meine Reise nach Dachau], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Almanach Dachau. Ein Strauß von Ereignissen und Erinnerungen], S. 138 – 139.

  • [11] Šacha, a. a. O., S. 258.

  • [12] Ebenda, S. 344.

  • [13] Zámečník, Dachau, S. 326.

  • [14] Der Redakteur Ludvík Henych berichtet, dass die "Strumpfstopferei" "als eine Durchgangsstation auf dem Weg zu besseren Kommandos für nahezu alle Intellektuellen" diente. Henych, Ludvík: Momenty ze života českého SS bibliotekáře v Dachau. [Momente aus dem Leben des tschechischen SS-Bibliothekar in Dachau], in: Almanach Dachau, S. 105.

  • [15] DaA 35.060.

  • [16] Faltus, a. a. O., S. 56; vgl. auch: Littloch, a. a. O., S. 99; Kopřiva, S. 10, DaA 36.075, Zámečník, Dachau, S. 331.

  • [17] Radovan Dražan erwähnte im Gespräch, dass einige Tschechen auf diese Weise russische Mithäftlinge unterstützten, da diese keine Pakete aus der Heimat empfangen durften. Interview mit Radovan Dražan am 11.9.2002.

  • [18] Zámečník, Dachau, S. 326.

  • [19] Ebenda, S. 326.

  • [20] Näheres dazu siehe Kap. 2.5.

  • [21] Zelený, Eugen: Na samém prahu slobody. [Auf der Schwelle zur Freiheit], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Almanach Dachau. Ein Strauß von Ereignissen und Erinnerungen], S. 188. Während seinem Aufenthalt im "Revier" erkrankte Šimsa jedoch an Typhus und starb am 8.2.1945, weniger als drei Monate vor der Befreiung.

  • [22] Videointerview mit Vladimir Feierabend, DaA R 386; vgl. auch Interview mit S. Zámečník, DaA R 360.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0
Abkürzungen

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Nationalsozialistische Konzentrationslager]
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