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[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]
3. Verhalten:
Tschechische Häftlinge und der KZ-Alltag

3.1 Tschechen als Häftlingsgruppe

3.1.2 Beziehungen zu anderen Häftlingen und Häftlingsgruppen

Die Beziehungen unter den Häftlingen im Lager wurden nicht nur von gegenseitiger Sympathie, sondern auch vom Kategoriensystem, von der Sprache, der Nationalität sowie von der "Funktionsmacht" gelenkt.

W. Sofsky betont mehrmals, dass das Kategoriensystem "als Mechanismus der Differen-zierung"[28] wirkte. Die von der SS aufoktroyierten Häftlingskategorien wurden von den meisten Gefangenen weitgehend kritiklos übernommen. Das lag in erster Linie daran, dass sich die SS bei der Bildung der verschiedenen Kategorien gängiger "Stereotype der gesell-schaftlichen Umwelt" bediente, die "das Lagerregime nur zu radikalisieren brauchte."[29] Die Etiketten kriminell, asozial, homosexuell, aber auch "Jude", "Pole" oder "Tscheche" waren bereits seit vielen Jahren mit Vorurteilen besetzt, welche "auch die soziale Wahrnehmung in der zivilen Gesellschaft prägten."[30] Es lag in der Absicht der SS, die Häftlinge gegeneinander auszuspielen, potentielle Gemeinschaften zu spalten, unter den Gefangenen wechselseitiges Misstrauen zu erwecken und auf diese Weise einen größeren und für ihre Macht bedrohlichen Zusammenhalt zu verhindern. Daher war es ein Teil dieser Strategie, wenn etwa die meisten Häftlinge mit einem schwarzen Winkel tatsächlich als "asozial, arbeitsscheu, feige und verdreckt"[31] galten und dadurch im Lager von den Mithäftlingen verächtlich betrachtet und behandelt wurden. Ähnlich war es auch bei den "kriminellen" und homosexuellen Häftlingen, welche sogar noch viele Jahre nach der Befreiung als sogenannte vergessene Opfer um ihre Anerkennung kämpfen mussten.[32] Bis heute finden sich in den Erinnerungsberichten zahlreiche Hinweise auf die reservierte Haltung gegenüber diesen "gemeinschaftsfremden" Häftlingsgruppen. Die Quellen zu den tschechischen Häftlingen schweigen zu diesem Thema weitgehend, was wiederum vermuten lässt, dass zwischen den "Politischen" und den sonstigen Kategorien, ausgenommen der hoch politischen "Spanienkämpfer" und Geistlichen, keine Kontakte bestanden. Dabei belegt etwa das Blockbuch, dass im "tschechischen” Block Nr. 20 auch ein "Asozialer" und zwei "kriminelle" Tschechen untergebracht waren, so dass unter ihnen zumindest ein räumlicher Kontakt bestanden haben muss. In diesem Zusammenhang erinnert sich Kašák, "mit welcher Freude" er, nachdem er in Dachau seit mehreren Monaten der einzige Tscheche gewesen war, in einem der ersten Transporte nach der Evakuierung des Lagers im Winter 1939/40, den ersten Landsmann "gesucht und gefunden hatte, obwohl er auf der Brust einen schwarzen Winkel trug (Asozialer)."[33] Dieser kleine Zusatz "obwohl" deutet ebenfalls auf eine reservierte Haltung gegenüber den anderen Häftlingsgruppen hin. Es scheint, dass lediglich die "Notsituation", bzw. der Mangel an Alternativen diese zwei Personen im Lager zusammenkommen ließ. Einen weiteren Hinweis auf solche Distanz liefert schließlich auch das Verzeichnis der Überlebenden Tschechen und Slowaken, welches sich als Anhang im "Almanach Dachau" befindet. Von den insgesamt siebzehn in und um Dachau befreiten "Sicherungsverwahrten", "Asozialen", "Zigeunern" und "Homosexuellen" tauchen hier lediglich sechs auf und das im Gegensatz zu den meisten "Politischen" fast immer ohne nähere Angaben, wie etwa Adresse oder Beruf.[34] Dagegen sind in dieser Liste alle Geistlichen und "Spanienkämpfer" nahezu vollständig aufgeführt, was wiederum darauf schließen lässt, dass diese Häftlingsgruppen als politische Gefangene in die tschechische Gemeinschaft überwiegend integriert waren.

Doch schlechte Beziehungen konnten auch unter einzelnen politischen Häftlingen innerhalb der Nationalitätengruppe bestehen. Welche Konsequenzen es haben konnte, bekamen zwei Mitglieder der tschechischen faschistischen Organisation "Vlajka" zu spüren, die im Jahr 1943 nach Dachau eingeliefert wurden. Die Mitglieder der Organisation "Vlajka" versprachen sich durch die Besetzung Böhmens und Mährens einen enormen Machtzuwachs und bemühten sich daher mit den Besatzern zu kollaborieren. Dazu gehörten auch die Verfolgung und Denunziationen von Regimegegnern und Widerstandsgruppen. Auch einige Dachauer Häftlinge sind auf ihre Agitation hin ins KZ verschleppt worden. Die Ankunft von Jan Rys-Rozsévač und Josef Burda im KZ Dachau rief unter den Tschechen eine Welle der Empörung hervor. "Wir bereiteten ihnen einen Empfang vor, den sie nicht vergessen werden"[35], erinnert sich Heřman Tausik. Vladimír Šacha berichtet zudem, dass den beiden Neuan-kömmlingen sogar "mit dem Kamin"[36] gedroht wurde. Auch planten viele Tschechen sie in "Mordkommandos" einzuteilen, "damit sie dort das erleben, was die anderen durch deren Politik über Jahre erleiden mussten."[37] Viele Überlebende, darunter auch Stanislav Zámečník erinnern sich, dass es im Lager zu einer Schlägerei kam, in der die rechten Politiker von vielen wutentbrannten Tschechen "schrecklich verprügelt wurden."[38] Vermutlich war dies der Grund, dass die SS-Führung Rys und Burda nach drei Tagen zu "Ehrenhäftlingen" erklärte, die im Lager im Kommandanturarrest bei viel besseren Lebensbedingungen existieren durften. Sie trugen lange Haare, bekamen besseres Essen und durften sogar Spaziergänge im "Wildpark" machen. "Sie bekamen Schutz."[39]

Zu anderen Nationalitätengruppen bestanden wiederum unterschiedliche Beziehungen. Eine wichtige Basis, um überhaupt Kontakte knüpfen zu können, war eine gemeinsame Sprache. In dieser Hinsicht standen die tschechischen Häftlinge anderen Slawen, wie etwa Russen, Polen oder Jugoslawen sehr nahe. Da alle slawischen Sprachen sehr ähnlich klingen und viele Gemeinsamkeiten besitzen, war eine gegenseitige Verständigung wesentlich erleichtert. Zu Häftlingen, deren Sprache die Tschechen nicht verstehen konnten, herrschte ein weitgehend indifferentes Verhältnis. Ein weiteres wichtiges Kriterium für gute oder schlechte Beziehungen war die politische Orientierung der jeweiligen Landesregierung. Denn gerade an der Politik entfachten sich im Lager zahlreiche Konflikte. Deutsche Häftlinge gehörten für die meisten Ausländer in Dachau zur "Feindnation"[40], auch wenn viele von ihnen politische Gegner des NS-Regimes waren. Begünstigt wurde diese Einordnung besonders dadurch, dass die Deutschen im Lager die meisten Häftlingsfunktionen und damit die größte Macht besaßen. Einige von ihnen beteiligten sich außerdem an den Verbrechen der SS, schlugen und töteten ihre Mitgefangenen und lebten im Lager ihren Sadismus aus. Nach Heřman Tausik entstand unter den tschechischen Häftlingen "eine sehr gespannte Atmosphäre gegenüber den deutschen Funktionshäftlingen, welche in ihrer Brutalität dem SS-Wachpersonal oft in nichts nachstanden."[41] Vladimír Šacha betont indes die "scharfen Charakterunterschiede"[42] unter den deutschen politischen Häftlingen und stellt dabei etwa die deutschen Kommunisten als ein positives Beispiel heraus.[43] Ähnlich scheint auch das Verhältnis zu den Österreichern gewesen zu sein, welche im Lager ebenfalls als reichsdeutsche Häftlinge geführt wurden. Auch hier kann man zwischen bestimmten Personen dieser beiden Nationalitäten eine enge Beziehung feststellen. Im "Almanach Dachau" haben auch vier Österreicher, darunter der damalige Bundeskanzler und Überlebende des KZ Dachau Leopold Figl, ihre Erinnerungen veröffentlicht. Der damalige Ministerrat des Bundeskanzlers, Franz Sobek, beschreibt insbesondere die ausgeprägte Solidarität, die zwischen den Österreichern und den Tschechen vor allem in den Arbeitskommandos bestand.[44] Sie tauschten dort Nahrung, Kleidung aber auch Nachrichten aus. Sehr problematisch waren dagegen Beziehungen zu denjenigen Nationalitäten, die sich an dem Zustandekommen des Münchner Abkommens beteiligt hatten oder die davon profitierten. So verhielten sich die Tschechen gegenüber den Engländern, den Italienern sowie den Franzosen weitgehend reserviert. Der ehemalige französische Häftling Josef Rovan, charakterisiert die tschechisch-französischen Beziehungen in folgender Weise: Die Tschechen "ließen zwiespältige Gefühle gegenüber den Franzosen erkennen. Sie konnten uns kaum verzeihen, daß wir sie mit dem Münchner Abkommen hatten fallenlassen [...]. Ihr Volkscharakter, der nicht so hochgemut, nicht so extrovertiert und nicht so romantisch ist, wie der der Polen, äußerte sich in einer gewissen Zurückhaltung."[45]

Zu den Polen bestand ebenfalls eine sehr schwierige und auf der kollektiven Ebene der Nationalitäten sogar eine ausgesprochen schlechte Beziehung. Die tschechischen Über-lebenden äußern in ihren Erinnerungen eine tiefe Bestürzung darüber, dass die Polen nach dem Münchner Abkommen das sogenannte Olsa-Gebiet und damit einen Teil ihrer "Brudernation" okkupierten. Offensichtlich waren sich die polnischen Häftlinge dabei keiner Schuld bewusst. "Mit gemischten Gefühlen traten wir den polnischen Häftlingen gegenüber und das deshalb, weil sie so stolz waren, dass sie nirgends einen Fehler zugestehen wollten und weil sie nahezu alle Russland hassten. Ihr Patriotismus war nicht human, war nicht objektiv und es krönte sie grenzenloser Stolz."[46] Ladislav Kopřiva äußert wiederum, dass die polnischen "Ansichten [...] reaktionär, antisowjetisch und antisemitisch (waren). Es kam zu Reibereien. Es gab nicht wenig gute Polen, aber sie reichten nicht aus, um die Mehrheit, die schlechte Eigenschaften besaß, zu überstimmen."[47] František Kadlec führt die Problematik zwischen diesen beiden Nationalitäten außerdem auch auf religiöse Unterschiede zurück. Die Tschechen hielten nämlich sehr stark an der hussitischen, protestantischen Tradition ihres Landes fest für die die Polen kein Verständnis geäußert hätten. Insgesamt ist bei nahezu allen Verfassern des "Almanach Dachau" ein Abstand, wenn nicht sogar Antipathie gegenüber dieser Nationalität spürbar. Nichtsdestotrotz betonen aber auch einige Autoren, dass auf individueller Ebene sehr innige Beziehungen und selbst Freundschaften entstehen konnten.

Zu den sudetendeutschen Häftlingen bestand trotz gemeinsamer Heimat nach Angaben von Stanislav Zámečník kein besonderes Verhältnis.[48] Auch wenn zu einigen Wenigen sehr gute Kontakte vorhanden waren, hätten sich die meisten Sudetendeutschen nicht zu den Tschechen bekannt. Dagegen müssen die Beziehungen zwischen Tschechen, Russen und Jugoslawen vielen Erinnerungsberichten zufolge sehr gut gewesen sein. Anscheinend schweißte sie sowohl die gemeinsame Sprache, als auch die gleiche politische Orientierung zusammen. Heřman Tausik spricht in diesem Fall sogar von der "slawischen Internationale".[49]

Schließlich kam es im Lager zu nicht wenigen reinen Zweckbeziehungen, welche nicht auf Sympathien oder Gemeinsamkeiten basierten, sondern ein Teil des strategischen Handelns im Lager waren. Sie signalisieren eine beträchtliche Anpassung der Häftlinge an die Lager-verhältnisse. Das ausschlaggebende Kriterium war hierbei die "Funktionsmacht" der beiden Partner, die an Stellen, wo sie hilfreich war, genutzt und wo sie störte, bekämpft wurde.[50] Eine solche Beziehung bestand scheinbar zu deutschen Kommunisten, die in Dachau "die einflussreichste Solidargemeinschaft"[51] bildeten. Mit deren Hilfe gelang es, einigen Tschechen aus völlig auswegslosen Situationen herauszuhelfen. Die schrecklichen Lebens-bedingungen des tschechischen Juden Erich Kulka, der oben bereits erwähnt wurde, nahmen durch die Verbindung zu den deutschen Kommunisten eine entscheidende Wende. Als der gefürchtete Kapo Knoll nämlich erfuhr, dass Kulka, der früher selbst Mitglied einer kommunistischen Widerstandsorganisation gewesen war, Verbindungen zu den tschechischen Kommunisten besaß, wurde er sogar von ihm persönlich geschützt. "Seit der Zeit habe ich gesehen, der Knoll hat mir Essen gegeben und leichte Arbeit und ich war ,der Junge ist in Ordnung’." Damals habe er zu Ladislav Kopřiva, seinem Freund und ehemaligen kommunistischen Abgeordneten gesagt: "Ich kann das nicht begreifen, du bist im Untergrund, wie könnt ihr so einen Mann unterstützen, das ist ein Verbrecher. Hat er gesagt: Ja, wir haben keine andere Wahl, der Mann ist ein Reichsdeutscher und hat Beziehungen zu der Lagerführung und über ihn können wir verschiedene Sachen durchsetzen. [...] Wir wissen das, wir haben keinen anderen Ausweg."[52] Kopřiva wurde selbst nach seiner Ankunft in Dachau im Jahre 1941 von deutschen Kommunisten im sogenannten Prominentenblock Nr. 2 untergebracht und erhielt schon nach kurzer Zeit die sehr einflussreiche Position des "Revier-schreibers"[53], die er während seiner KZ-Haft zu zahlreichen Hilfsaktionen für seine Landsleute ausnutzte.

  • [28] Sofsky, Die Ordnung des Terrors, S. 143.

  • [29] Ebenda, S. 144.

  • [30] Ebenda, S. 144.

  • [31] Ebenda, S. 143.

  • [32] In der KZ-Gedenkstätte Dachau tauchen etwa die grünen, schwarzen und rosafarbenen Dreiecke am Winkelrelief, welches

  •      im Jahre 1968 auf Initiative des Internationalen Häftlingskomitees am zentralen Mahnmahl angebracht wurde, gar nicht

  •      auf.

  • [33] Kašák, Tschechen im Konzentrationslager Dachau, S. 18.

  • [34] Almanach Dachau, S. I – XXXIX.

  • [35] Tausik, a. a. O., S. 166.

  • [36] Šacha, a. a. O., S. 376.

  • [37] Ebenda, S. 378.

  • [38] Gespräch mit Stanislav Zámečník in der KZ-Gedenkstätte Dachau am 7.7.2003.

  • [39] Šacha, a. a. O., S. 380. Nach dem Ende des Krieges wurden beide in der Tschechoslowakei zum Tode verurteilt und

  •      hingerichtet.

  • [40] Sofsky, Die Ordnung des Terrors, S. 143.

  • [41] Tausik, a. a. O., S. 166.

  • [42] Šacha, a. a. O., S. 287.

  • [43] Vgl. auch Kopřiva, S. 1 - 7, DaA 36.075.

  • [44] Figl, Leopold: Dachau jednou jinak. [Dachau einmal anders], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek.

  •      [Almanach Dachau. Ein Strauß von Ereignissen und Erinnerungen], S. 23 - 24; Sobek, Franz: Kolaborace – spolupráce.

  •      [Kollaboration – Zusammenarbeit], in: Almanach Dachau, S. 24; Pospischil, Pepi: Vzpomínky na "Moorexpress".

  •      [Erinnerungen an Moorexpress], in: Almanach Dachau, S. 25.

  • [45] Rovan, a. a. O., S. 90 – 91.

  • [46] Šacha, a. a. O., S. 297.

  • [47] Kopřiva, S. 22, DaA 36.075.

  • [48] Gespräch mit Stanislav Zámečník in der KZ-Gedenkstätte Dachau am 7.7.2003.

  • [49] Tausik, a. a. O., S. 166.

  • [50] Vgl. Sofsky, Die Ordnung des Terrors, S. 183.

  • [51] Zámečník, Dachau, S. 331.

  • [52] Zitiert nach: Pingel, Häftlinge, S. 268, Anm. 151.

  • [53] Zámečník, Dachau, S. 333.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0
Abkürzungen

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Nationalsozialistische Konzentrationslager]
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