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Jüdische Weisheit
 
 
[Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau]
Von Zuzana Mosnáková

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]

2. Verhältnisse:
Einlieferung nach Dachau und Lebensbedingungen im Lager
2.3 Häftlingskategorien

2.3.3 Jüdische Häftlinge

Die jüdischen Häftlinge gehörten zu einer eigenen Kategorie, welche sich sowohl äußerlich als auch in ihrer inneren Zusammensetzung von allen anderen Häftlingsgruppen deutlich unterschied. Im Gegensatz zu den politischen Häftlingen waren die Juden in erster Linie der rassischen Verfolgung ausgesetzt. In den Augen der SS galten sie als "Untermenschen", als "Volksschädlinge" und sollten so schnell wie möglich vernichtet werden. Diese Sichtweise, durch die sie ihres menschlichen Wesens beraubt wurden, bestimmte stets das Verhalten der SS-Wachmannschaften, die die jüdischen Häftlinge bei jeder Gelegenheit unvorstellbar quälten. Stanislav Zámečník, welcher die elenden Lebensbedingungen der Juden im Lager selbst beobachten konnte, schreibt, dass das Leben in Dachau zwar schwer war, doch "was die Juden dort erleiden mussten, übersteigt die normale menschliche Vorstellungskraft."[143] Gekennzeichnet waren die Juden mit einem verschiedenfarbigen Winkel, je nach den sonst üblichen Kategorien, manchmal rot, manchmal grün, rosa oder schwarz. Dieser war bei ihnen ferner mit einem gelben Dreieck hinterlegt, der zusammen mit dem Winkel einen sechs-eckigen Davidstern bildete. So waren die Juden für alle auf den ersten Blick zu erkennen, falls sie nicht schon zuvor durch ihre besonders elende Erscheinung auffielen, die für sie aufgrund der schlechten Lebensbedingungen zusätzlich charakteristisch war. "Am Ende der jüdischen Abteilung zieht sich eine Reihe spukhafter Gestalten dahin, in Strümpfen, die schweren Holz-schuhe in der Hand, weil die entkräfteten Beine die Schuhe nicht mehr tragen können."[144]

Durch das Konzentrationslager Dachau gingen insgesamt 1.661 tschechische Juden. Die meisten von ihnen, nach dem bisherigen Stand etwa 1.355 Personen, kamen, wie oben bereits dargestellt, in den Jahren 1944 und 1945 völlig entkräftet im Zuge der Evakuierungen der großen Konzentrations- und Vernichtungslager.

In Dachau sowie in anderen Konzentrationslagern bildeten die Juden das unterste Ende der Häftlingshierarchie.[145] Sie lebten in völlig überbelegten, streng isolierten Blöcken, ihre Essensrationen waren deutlich kleiner und weniger nahrhaft als die der nichtjüdischen Häftlinge. Im KZ Dachau wurden die Juden zunächst in die "Strafkompanie" eingereiht, in der die Häftlinge die "schwersten und widerlichsten"[146] Arbeiten ausführen mussten, ohne von den wenigen Ruhepausen, die im Konzentrationslager möglich waren, profitieren zu können. F. Pingel analysiert sehr treffend, dass die Juden "generell davon ausgeschlossen (waren), die wenigen Regenerations- und Einflußmöglichkeiten wahrzunehmen, die das Lager für die anderen Häftlinge in seinen Verwaltungseinrichtungen, differenzierten Arbeits-kommandos und dem Funktionärssystem bot."[147] Es war für sie daher kaum möglich, die elenden Lebensbedingungen aus eigener Kraft zu verbessern. Chronischer Hunger, Kälte, Krankheiten und völlige Erschöpfung waren für die jüdischen Häftlinge besonders kennzeichnend. Die meisten verfielen physisch und psychisch binnen kürzester Zeit und starben unter besonders elenden Umständen. Damit erfüllten sie schließlich den Zweck ihrer Haft, denn vor der letzten Kriegsphase, in der jede Arbeitskraft benötigt wurde, sollten sie einfach nicht überleben. Kennzeichnend dafür ist auch das Verbot, Juden in das sogenannte Revier[148] aufzunehmen, um sie dadurch an ihren Krankheiten schneller zugrunde gehen zu lassen. Mit dem Beginn des totalen Arbeitseinsatzes wurden die meisten von ihnen schließlich in den großen Außenlagerkomplexen, wie etwa Kaufering oder Mühldorf, eingesetzt, wo ihre Arbeitskraft unter katastrophalen Lebensbedingungen für die Rüstungsindustrie bis zur Erschöpfung ausgebeutet wurde.

Hinzu kam noch die brutale Behandlung der Juden durch grausame Kapos und SS-Männer, der sich kaum einer entziehen konnte. Geschlagen, getreten und getötet wurde völlig grundlos, entscheidend war nur der Davidstern. Karel Kašák, der seine Beobachtungen von der "Plantage” in seinen Aufzeichnungen festhielt, berichtet nicht selten, dass die SS-Wachen einem jüdischen Häftling die Mütze vom Kopf rissen und diese hinter die Postenkette warfen, die von keinem Häftling überschritten werden durfte. Der "Kapo zwang ihn mit dem Knüppel, sie zu holen. Diese Menschen sind bis zur Unkenntlichkeit entkräftet, so wie in Trance, mit einem Blick ins Unbestimmte. Er machte ein Paar Schritte hinter die Postenlinie, und eine Stunde später fuhren sie den Toten in einem Wagen an der Kanzlei vorbei."[149] Der tschechische jüdische Häftling Erich Kulka, der bereits im Dezember 1940 nach Dachau eingeliefert wurde, schildert wiederum die folgende Situation, welche stellvertretend für viele andere gesehen werden kann: Im Strafblock "hat man mit Reinheit getötet. [...] Der Fußboden ist poliert, wir dürfen überhaupt nicht mit den Schuhen in das Zimmer. Der Knoll[150] hat auf einmal gebrüllt: Los strafexerzieren, auf den Hof! Und der Stubendienst hat mit den Knüppeln geschlagen und wir mußten schnell laufen ... und so lief man barfuß hinaus und war voll Dreck. Und man ist zurückgekommen und hat selbstverständlich das ganze verdreckt. So ein Misthaufen! Ablecken! Und so leckten wir den Kot mit den Zungen. Und sie haben geprügelt und einige Leute wurden dabei erschlagen."[151] In den Arbeitskommandos wurden die Juden oft genötigt, im Laufschritt zu arbeiten und dabei völlig sinnlose Tätigkeiten auszuführen. Ähnlich wie die Geistlichen mussten sie auf Tischplatten und manchmal nur in Mützen den Schnee in die Würm tragen, mit schweren Pfählen die Erde stampfen oder in der Kiesgrube den Kies unaufhörlich von einer Stelle auf die andere schippen. Der tschechische jüdische Journalist und Publizist Alfred Fuchs wurde bei einer solchen sinnlosen Arbeit zu Tode gequält. Nach der Aussage der Überlebenden Karel Kašák und Karel Frinta, welche direkt nach der Befreiung vor der Kommission des tschechischen Nationalkomitees in Dachau gemacht wurde und daher als verhältnismäßig authentisch betrachtet werden kann, musste Fuchs bei eisiger Kälte im rasenden Tempo und unter schweren Schlägen der Kapos und SS-Männer den Schnee in den Fluss räumen. Nachdem er diese Schikane nicht lange durchhielt und bewusstlos wurde, übergossen ihn seine Peiniger mit Wasser und befahlen ihm zweimal in den eiskalten Bach zu steigen. "Draußen ist es gerade an die minus 30 Grad Celsius. Nun muss er seine Mütze abnehmen, seine Handschuhe, sowie den nassen Mantel"[152] und so mehrere Stunden lang am Tor strafstehen. Alfred Fuchs und sein tschechischer jüdischer Kollege waren vor Kälte ganz erstarrt und "sahen so aus, als ob sie aus Blech wären."[153] Da beiden nach dieser Tortur die Aufnahme ins Revier verweigert wurde, starben sie binnen weniger Tage an Lungenentzündung und schweren Erfrierungen.

Zu all diesen entsetzlichen Lebensbedingungen kam der Umstand, dass die Kategorie der jüdischen Häftlinge eine vollkommen zufällig zusammengeworfene Häftlingsgruppe war, der eine "gemeinsame Handlungsbasis"[154] fehlte. Anders als die Nationalitätengruppen, die sich durch ihre gemeinsame Nationalität, Sprache, Kultur und oft auch die "vorkonzen-trationäre"[155] Prägung identifizierten, verband die Juden meist nur ihr Stigma und das damit zusammenhängende große Elend. Sehr viele von ihnen fühlten sich nicht einmal zum Judentum zugehörig, waren bereits getauft oder lebten ein Leben ohne eine Religion. Auch ihre politische Überzeugung sowie ihre soziale Verhältnisse waren nicht selten völlig verschieden. "Unter ihnen fanden sich Anhänger der politischen Linken und der Rechten, Gläubige und Atheisten, Kaufleute und Arbeiter, Kriminelle und unbescholtene Staatsbürger, Belgier, Griechen, Polen, Russen und Italiener."[156] Und eben auch Tschechen. Doch das Rassenmerkmal "Jude" war viel dominanter, so dass man bei den jüdischen Häftlingen nicht nach einzelnen Häftlingsnationalitäten differenzieren kann. Unter ihnen konnte sich außerdem kaum Zusammenhalt oder gar Solidarität entwickeln, denn ihre Gruppe war mehr als alle anderen durch den alles dominierenden Selbsterhaltungstrieb geprägt. Der Überlebende E. Kupfer-Koberwitz berichtet in seinem Tagebuch von einem Gespräch mit fünf intellektuellen Juden über ihre qualvolle Haft im KZ Dachau. Nachdem er die "Israeliten" für ihre berühmte gegenseitige Hilfsbereitschaft gelobt hatte, die wie er vermutete "nun in der Gefangenschaft doppelt so stark sein" müsste, entgegnete ihm einer der Juden: "Du darfst nicht vergessen [...], daß wir lauter verhungernde Menschen sind. Finde du einmal Vernunft und Nächstenliebe bei Verhungernden."[157] Die elenden Lebensbedingungen spiegeln sich schließlich in der enorm hohen Sterberate innerhalb dieser Häftlingsgruppe wider. Für das gesamte Lager ist sie aufgrund der schlechten Quellenlage kaum exakt ermittelbar, doch bei den tschechischen jüdischen Häftlingen betrug sie nach dem bisherigen Stand etwa 51 % und war somit mehr als viermal so hoch als bei den nichtjüdischen Tschechen.[158]

Spezielle Winkel sollten die Häftlinge im NS-Konzentrationslager "kennzeichnen":
Politisch (rot)  homosexuell (rosa)  Bibelforscher (lila)  emigriert (blau)  sog. asozial (schwarz)  kriminell (grün)

Erste Reihe: Einfache Kenzeichen,
Zweite Reihe: Angehörige bestimmter Strafbataillone erhielten ein zusätzliches Kennzeichen, ebenso wie Häftlinge, die bereits zum wiederholten Mal inhaftiert wurden (dritte Reihe).



Auf Fluchtgefahr wurde durch einen "Zielpunkt" hingewiesen.
Tschechische Häftlinge wurden u.U. noch durch ein "T" gekennzeichnet, in der Regel auf rotem Grund. Armeeangehörige erhielten ein umgedrehtes rotes Dreieck.


Bei Juden wurden die Kennzeichen noch durch ein gelbes Dreieck unterlegt, so dass ein Stern entstand.

Sog. "Rassenschänder" bzw. Rassenschänderinnen" wurden ebenfalls gekennzeichnet.

2.3.4 Sonstige Kategorien

Im Konzentrationslager Dachau wurden neben den roten Winkeln und den verschieden-farbigen jüdischen Davidsternen noch sehr viele andere Kennzeichnungen verwendet. Die zweitgrößte Gruppe unter den Häftlingskategorien bildeten im Allgemeinen die "kriminellen" Gefangenen, welche im Lager einen grünen Winkel trugen. Darunter gehörten zum einen die sogenannten polizeilichen Sicherungsverwahrten (PSVer), welche ihre Strafe zu der sie von der Justiz verurteilt worden waren, im KZ verbüßten. Zum anderen zählten dazu die "befristeten Vorbeugehäftlinge" (BVer), im Lagerjargon "Berufsverbrecher" genannt, die wiederum nach der vollstreckten Justizstrafe zur Vorbeugung in ein Konzentrationslager eingewiesen wurden.[159] Nach W. Sofsky unterschieden sich diese zwei Gruppen innerhalb der Kategorie der "Grünen" weiter dadurch, dass die "Berufsverbrecher" von der SS extrem bevorzugt wurden und zwar besonders dann, "wenn Ordnung nicht durch Disziplin, sondern durch Brutalität durchgesetzt werden sollte."[160] Die "polizeilichen Sicherungsverwahrten" waren dagegen angeblich äußerst benachteiligt, wurden von sämtlichen Privilegien ausgeschlossen und zudem zu den schwersten Arbeiten herangezogen.[161] Da in Dachau die politischen Häftlinge eindeutig dominierten, bildete dieses Lager gerade den Einfluss der "kriminellen" Häftlinge betreffend eine eher seltene Ausnahme. Mit den "Kriminellen" besaß die SS nämlich ein wichtiges Gegengewicht zu den "Politischen" und förderte daher in vielen Konzentrationslagern ihren Aufstieg in der Häftlingsselbstverwaltung. Dort entbrannte dadurch ein regelrechter Kampf zwischen den "Roten" und den "Grünen" um wichtige Funktionsstellen, bei dem sich in vielen KZs gerade die "Kriminellen" durchsetzen konnten.[162] Die "Kriminellen" waren zudem aufgrund ihres schlechten Rufes ein unabdingbarer Teil der nationalsozialistischen Lagerpropaganda, welche alle KZ-Häftlinge mit Schwerverbrechern und Mördern gleichsetzte. Um die KZ-Haft und damit die Isolierung der politischen Feinde des NS-Systems in der deutschen Bevölkerung überzeugend rechtfertigen zu können, ließ die nationalsozialistische Propagandamaschinerie verlauten, dass die meisten Häftlinge "unverbesserliche Wirrköpfe, pathologische Verbrecher, erbbelastete Menschen (seien), von denen eine soziale Gemeinschaft nie gutes zu erwarten haben wird"[163].

Unter den tschechischen Häftlingen befanden sich laut Häftlingsdatenbank insgesamt nur 31 "polizeiliche Sicherungsverwahrte" sowie ein jüdischer "Berufsverbrecher". Unter den PSVern ist auch eine 21-jährige tschechische Frau zu finden, die im Jahr 1944 aus Ravensbrück kam und welcher nach "Faust" im März 1945 sogar die Flucht aus dem Lager gelungen sein soll.[164] Die überwiegende Mehrheit der männlichen Häftlinge kam in den Jahren 1942 und 1943 bereits aus anderen Konzentrationslagern, wie etwa Groß-Rosen, Auschwitz, Mauthausen oder Buchenwald. Zehn von ihnen wurden nach dem Aufenthalt in Dachau erneut in verschiedene andere Lager überführt und dadurch immer wieder neuen Torturen ausgesetzt. Dreizehn Personen starben im KZ Dachau, wobei zwei von ihnen auf einen tödlichen "Invalidentransport" geschickt wurden. Die Sterberate unter den tschechischen "Kriminellen" betrug demnach ganze 42 % und war somit viermal so hoch wie bei den politischen Häftlingen. Dieser Umstand könnte die These von W. Sofsky untermauern, dass gerade die "Sicherungsverwahrten" im Lager sehr schlechten Lebensbedingungen ausgesetzt waren. Man muss dabei allerdings bedenken, dass die meisten von ihnen schon eine Leidensgeschichte in anderen KZs hinter sich hatten und durch die Transporte sehr entkräftet waren. Dieser Umstand spiegelt sich sicherlich auch in der hohen Sterblichkeit wider. Sieben "grüne" Tschechen wurden schließlich im April 1945 im Lager befreit. Über die Haftgründe sowie über ihre Verfolgung in Dachau ist leider kaum etwas bekannt. Ebenso, ob zwischen ihnen und den "roten" Tschechen irgendwelche Kontakte bestanden haben. In der Erinnerungsliteratur tauchen sie überdies kaum auf.

Eine ähnlich große Gruppe stellten die tschechischen "Asozialen" dar, die im Lager offiziell als "Arbeitszwang Reich" (AZR) erfasst waren und einen schwarzen Winkel erhielten. Diese Häftlingsgruppe bildeten im Allgemeinen "hauptsächlich Bettler, Landstreicher und Alkoholi-ker, aber auch Zuhälter und Personen, die mit Unterhaltszahlungen im Rückstand waren"[165]. Im Fall der Tschechen könnten viele Häftlinge auch aufgrund "ungenügende(r) Arbeits-leistung und häufige(r) Fehlzeiten am Arbeitsplatz"[166] nach Dachau verschleppt worden sein, da beides besonders während des Krieges als "asozial" galt. Die genauen Haftgründe sind jedoch nicht bekannt. Unter ihnen befanden sich zudem zahlreiche "Zigeuner", welche auf diese Weise doppelt stigmatisiert wurden: einerseits als "gemeinschaftsfremd" und anderer-seits als "rassisch minderwertig". Ebenso wie bei den "kriminellen" Häftlingen, handelte es sich bei den "Asozialen", bzw. "Arbeitsscheuen" um keine homogene Gruppe.[167] Ihre Überlebenschancen waren darum extrem gering. Nach der Häftlingsdatenbank gingen durch Dachau insgesamt 41 tschechische "asoziale" Häftlinge, darunter neun "Zigeuner"[168]. Fünf von ihnen durchlebten einen ähnlichen Leidensweg. Sie wurden nach einer Selektion aus anderen KZs nach Dachau gebracht, weil sie besonders jung und gesund waren und dort den grausamen Versuchen mit Meerwasser ausgesetzt werden sollten.[169] Sie erlitten alle unvorstellbare Qualen.[170] Obwohl ihnen versprochen wurde, dass sie nach den Versuchen mit reichlich Essen versorgt werden würden, wurden nahezu alle tschechischen Versuchspersonen wieder in andere Lager überführt. Die übrigen "asozialen" Häftlinge wurden in verschiedenen Jahren ins Lager verschleppt, überwiegend jedoch im Jahr 1942 und 1944. Die Hälfte von ihnen kam aus verschiedenen anderen Konzentrationslagern. Wie schlimm die Leidens-geschichte der "Schwarzen" unter den Tschechen gewesen sein muss, bezeugt die Statistik über ihr "weiteres Schicksal"[171]. Danach wurden lediglich vier von einundvierzig befreit und zwei entlassen. Weitere sechzehn wurden in andere KZs überführt und so immer wieder von Neuem gequält. Siebzehn "Asoziale" starben im Lager, darunter zwei auf einem "Invaliden-transport". Auch über sie schweigt die Erinnerungsliteratur weitgehend.

Eine weitere Häftlingskategorie in den Konzentrationslagern waren die sogenannten Ernsten Bibelforscher, die mit einem violetten Winkel gekennzeichnet waren. In Dachau bildeten sie nur eine kleine Häftlingsgruppe, doch sie wurden von der SS in extremer Weise verfolgt. Ihre massive Widerstandshaltung, unter anderem gegenüber dem "Hitlergruß", dem Militärdienst sowie dem Arbeitseinsatz in der Rüstungsindustrie, machte sie zu einem "besonderen Haßobjekt der SS."[172] Auch in Dachau waren die Zeugen Jehovas aufgrund ihrer Stand-haftigkeit Opfer von grausamen Schikanen und Misshandlungen.[173] Erst seit dem Jahr 1941/42 traten allmähliche Verbesserungen ihrer Situation ein. Aufgrund der Erkenntnis, dass bei den "Bibelforschern" wegen ihres Glaubens keine Fluchtgefahr bestehe, sondern dass es sich bei ihnen um extrem zuverlässige und vertrauenswürdige Menschen handelte, wurden sie zunehmend "zu Arbeitsplätzen abkommandiert, die schwer zu bewachen waren, etwa in der Landwirtschaft", oder "als Dienstpersonal im Haushalt hoher SS-Würdenträger"[174]. Für diese Häftlingsgruppe waren in allen KZs ein besonders enger Zusammenhalt sowie ein ausgeprägtes Solidaritätsempfinden charakteristisch. Dies hob sie unter den anderen Kategorien eindeutig hervor. Unter den tschechischen Häftlingen befanden sich in Dachau laut "Faust" lediglich fünf Zeugen Jehovas. Im Protektorat wurde diese Gruppe bereits kurz nach der Besetzung durch die Gestapo verfolgt, ihre Tätigkeiten wurden allmählich eingeschränkt, bis im März 1941 die gesamte Vereinigung verboten und ihr Vermögen beschlagnahmt wurde.[175] Drei der fünf "Bibelforscher", nämlich die Brüder Emil, Oldřich und František Lín, die zusammen im "tschechischen” Block Nr. 20 untergebracht waren, überlebten Dachau und kehrten im Mai 1945 in ihre Heimat zurück. Die übrigen beiden wurden nach einem kurzen Aufenthalt in diesem Lager im Jahr 1940 bzw. 1944 in andere KZs überführt. Nach einem Verzeichnis von Herbert Adamy befanden sich in Dachau noch fünf weitere tschechische Zeugen Jehovas, welche in der Häftlingsdatenbank lediglich als Schutzhäftlinge oder gar nicht geführt werden.[176] Dies könnte darauf hindeuten, dass diese Personen erst während ihrer Haftzeit zum Glauben der Zeugen Jehovas übergetreten waren, was aufgrund der beharrlichen Missionstätigkeit dieser Gruppe im Lager sicherlich im Bereich des Möglichen liegt.

Die nächste Häftlingsgruppe stellten die homosexuellen Häftlinge dar, die in den Konzentrationslagern spätestens seit dem Jahr 1937 einen rosafarbenen Winkel tragen mussten. Verfolgt wurden die Homosexuellen bereits seit der "Machtergreifung" im Jahr 1933, wobei die Verhaftungspraxis erst mit der Verschärfung des § 175 im Juni 1935 eine gesetzliche Grundlage erhielt.[177] Die Nationalsozialisten betrachteten sie als eine "Seuche", welche mit "Stumpf und Stiel ausgerottet" werden sollte.[178] Im Lager mussten die Homo-sexuellen, ähnlich wie andere Randgruppen, sehr schlechte Lebensbedingungen erdulden, wobei sie "nicht nur den Vernichtungswillen der SS einbeziehen (mussten), sondern auch ein verständnisloses, ablehnendes und überwiegend unsolidarisches Verhalten der Mithäftlin-ge."[179] Aufgrund ihrer Stigmatisierung wurden sie von manchen anderen Häftlingen sowie von der SS gequält, misshandelt, sterilisiert, kastriert und zahlreichen medizinischen Versuchen unterzogen. 103 der etwa 600 homosexuellen Häftlinge haben Dachau nicht überlebt. Unter den tschechischen Häftlingen sind in der Häftlingsdatenbank sieben als homosexuell erfasst. Die meisten kamen ins Lager zwischen 1940 und 1942. Zwei von ihnen waren zugleich katholische Geistliche und damit im KZ extrem schlecht gestellt. Beide starben innerhalb eines Jahres.[180] Weitere zwei waren sowohl Homosexuelle als auch PSVer. Über sie fehlen leider alle weiteren Angaben, so dass ihr Schicksal im Dunkeln bleiben muss. Ein weiterer tschechischer Homosexueller war zugleich Jude und damit doppelt stigmatisiert. Er starb im Lager nach knapp drei Monaten. Von den übrigen beiden wurde einer im Jahr 1941 aus unbekannten Gründen entlassen. Den anderen überführte die SS, nachdem er als Versuchsperson auf der Malariastation eingesetzt worden war, in das Konzentrationslager Buchenwald. An dem Schicksal dieser Personen wird das Ausmaß des nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Vernichtungsapparates gegenüber Menschen, die mit der NS-Ideologie unvereinbar waren, klar ersichtlich.

Die sogenannten Spanienkämpfer bildeten im KZ Dachau eine ähnlich große Häftlingsgruppe. Sie trugen, wie auch die anderen politischen Häftlinge, den roten Winkel. Unter ihnen befanden sich nicht nur Spanier, sondern auch Angehörige anderer Nationalitäten, die im spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der republikanischen Armee gekämpft hatten. Nach der Niederlage flohen viele von ihnen nach Frankreich, wo sie sich den französischen Armee-Einheiten anschlossen. Nach der Besetzung Frankreichs im Jahr 1940 wurden viele ehemalige "Spanienkämpfer" festgenommen, einige von ihnen standrechtlich erschossen, andere wiederum in die Konzentrationslager verschleppt. Dort stellten sie eine außergewöhnlich charakterstarke Gruppe dar, welche die Fähigkeit besaß, "auf die eigenen und die Lebensverhältnisse anderer Häftlinge positiven Einfluß zu gewinnen"[181]. Viele von ihnen verfügten nach der ersten Internierungshaft in Südfrankreich bereits über wichtige Lagererfahrung, die sie oft zu ihren Gunsten einzusetzen wussten. In vielen Erinnerungsberichten werden sie ebenfalls aufgrund ihrer "kämpferischen antifaschistischen Vergangenheit, wegen ihres unerschrockenen Verhaltens im Lager und wegen ihrer solidarischen Haltung zu den übrigen Häftlingen"[182] extrem positiv geschildert. Auch viele Tschechen kämpften in Spanien gegen die Truppen des Generals Franco. Nach ihrer Verhaftung wurden insgesamt elf zwischen 1941 und 1944 nach Dachau deportiert. Drei von ihnen wurden im Durchschnitt nach sieben Monaten in andere Konzentrationslager überführt, und lediglich einer starb nach dreieinhalb-jährigem Aufenthalt im KZ Dachau. Die übrigen sieben wurden im Lager befreit. Im Gegensatz zu ähnlichen Statistiken von sozial und rassisch "minderwertigen" Randgruppen fällt bei den "Spanienkämpfern" die verhältnismäßig hohe Überlebensrate auf, die sowohl den geringeren Vernichtungsdruck als auch das entschlossene Verhalten dieser Häftlingsgruppe in Dachau deutlich belegt.

Die letzte zahlenmäßig beachtliche Kategorie stellten im KZ Dachau die tschechischen "Arbeits-Erziehungshäftlinge" dar. Insgesamt kamen 88 Tschechen mit dieser Häftlings-bezeichnung in den Jahren 1943 und 1944 ins Lager. Es waren junge, im Durchschnitt 24 Jahre alte Männer, welche ohne Umwege über andere Konzentrationslager direkt nach Dachau deportiert wurden. Die Arbeitserziehungshaft war nach Weinmann neben der Schutzhaft und der Vorbeugungshaft eine der drei möglichen Haftarten, die sich "außerhalb des ordentlichen Strafrechts"[183] befanden. Sie wurde für Personen angeordnet, die etwa wegen "Arbeitsuntreue" verhaftet worden waren. Die Haftdauer war zwar zeitlich befristet, um den Produktionsprozess aus dem die Häftlinge herausgerissen wurden möglichst wenig zu stören. Doch die Frist wurde meist nicht eingehalten.[184] Die Arbeitserziehungshäftlinge erhielten offenbar eigene Nummernserien und wurden auf der Häftlingskleidung mit dem Buchstaben "E" von den übrigen Häftlingsgruppen unterschieden.[185] Die überwiegende Mehrheit wurde im Laufe der KZ-Haft in andere Haftanstalten überführt. Welche das waren, ist leider unbekannt.

Neben den Winkeln verwendete die SS in den Konzentrationslagern noch etliche andere Kennzeichen. Darunter etwa die "Fluchtpunkte", welche diejenigen, die in den Augen der Bewacher einen Fluchtversuch gewagt hatten, als weiß-rote Zielscheibe auf der Brust und auf dem Rücken tragen mussten. Angehörige der "Strafkompanie" mussten wiederum zwischen der unteren Winkelspitze und der Häftlingsnummer einen schwarzen Punkt tragen.

Insgesamt gesehen stellten die sonstigen Kategorien jedoch nur einen winzigen Bruchteil der tschechischen Häftlingsgruppe dar. Wenn man beachtet, dass sich viele Kategorien überlappten, verkörpern die Häftlinge, die nicht ausschließlich aus politischen Gründen im Lager inhaftiert waren, weniger als 3 % der Tschechen im KZ Dachau.[186]

Zur Diskussion im Forum:
[
Nationalsozialistische Konzentrationslager]

  • [143] Zámečník, Dachau, S. 102.
  • [144] Die Aufzeichnungen von Karel Kašák, S. 176.
  • [145] Zum Begriff Häftlingshierarchie siehe Kapitel 2.4.
  • [146] Zámečník, Dachau, S. 102.
  • [147] Pingel, Häftlinge, S. 93.
  • [148] Das "Revier" war im KZ Dachau das Häftlingskrankenhaus.
  • [149] Die Aufzeichnungen von Karel Kašák, S. 176.
  • [150] Christian Knoll war nach Aussagen vieler Häftlinge einer der brutalsten Kapos im KZ Dachau. Zámečník, Dachau, S. 154.
  • [151] Interview zwischen Erich Kulka und Falk Pingel. Zitiert nach Pingel, Häftlinge, S. 268, Anm. 151.
  • [152] Kašák, Karel: Dvojí setkání s Drafem. [Zweifaches Treffen mit Dr. A. F.], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Almanach Dachau. Ein Strauss von Ereignissen und Erinnerungen], Prag 1946, S. 34.
  • [153] Henych, Ludvík: Konec Dra Alfreda Fuchse v Dachau. [Das Ende des Dr. Alfred Fuchs in Dachau], in: Almanach Dachau. Kytice událostí a vzpomínek. [Almanach Dachau. Ein Strauss von Ereignissen und Erinnerungen], Prag 1946, S. 35.
  • [154] Pingel, Häftlinge, S. 95.
  • [155] Begriff von Falk Pingel. Er bezeichnet vor allem die politische Orientierung oder die sozialen Verhältnisse vor der KZ- Haft. Pingel, Häftlinge.
  • [156] Sofsky, Die Ordnung des Terrors, S. 145.
  • [157] Kupfer-Koberwitz, Die Mächtigen, Bd. 1, S. 162.
  • [158] Da sich die Lebensbedingungen sowie die Behandlung der jüdischen Häftlinge bedeutend von der der übrigen politischen tschechischen Gefangenen unterschieden, und da diese Kategorie am wenigsten auf gemeinsamer Nationalität basierte, bleibt sie bei den nächsten Untersuchungen der Arbeit weitgehend ausgeklammert.
  • [159] Weinmann, Martin (Hrsg.): Das nationalsozialistische Lagersystem, Frankfurt/Main 42001, S. LIII.
  • [160] Sofsky, Die Ordnung des Terrors, S. 141.
  • [161] Ebenda, S. 141. Um die grünen Kategorien voneinander besser unterscheiden zu können, mussten nach Sofsky die PSVer seit dem Jahr 1943 ihre Winkel mit der Spitze nach oben tragen. Dieses Kennzeichnungssystem ist für das KZ Dachau bislang allerdings nicht bekannt.
  • [162] So war es etwa in Neuengamme, Flossenbürg oder in Mauthausen, welches aufgrund der dortigen besonders schlechten Lebensverhältnisse, zu denen die "grünen" Häftlinge offenbar deutlich beitrugen, den Beinamen "Mordhausen" erhielt.
  • [163] Illustrierter Beobachter vom 3.12.1936, zitiert nach Zámečník, Dachau, S. 94.
  • [164] Offensichtlich befanden sich im Lagerkomplex des KZ Dachau auch einige tschechische Frauen. Eine Recherche nach dem Geschlecht ist jedoch ohne sehr großen Aufwand in der Häftlingsdatenbank leider nicht möglich. Auch sind die Umstände, unter denen die tschechischen Frauen in Dachau inhaftiert waren, bislang völlig unbekannt, da diese Angaben in den Häftlingskarteien für die letzte Kriegsphase fehlen.
  • [165] Darunter befanden sich allerdings auch Personen, die einfach als "asozial" denunziert worden waren. Ayaß, Wolfgang: "Asoziale" – die verachteten Verfolgten, in: DH 14 (1998), S. 50.
  • [166] Ebenda, S. 53.
  • [167] Ebenda, S. 50.
  • [168] Unter den tschechischen Häftlingen befanden sich insgesamt fünfzehn "Zigeuner", von denen sechs nicht gleichzeitig als AZR-Häftlinge nach Dachau kamen. Sie wurden bis auf einen alle am 2. April 1945 aus dem evakuierten KZ Natzweiler nach Dachau überführt und erlebten nur vier Wochen später die Befreiung. Alle wurden im Lager mit dem schwarzen Winkel gekennzeichnet. Vgl. Angaben der Häftlingsdatenbank.
  • [169] Näheres zu dieser Versuchsreihe siehe Zámečník, Dachau, S. 292 – 295.
  • [170] "Die Betroffenen verloren täglich bis zu 1 kg Gewicht und wurden sehr schnell so schwach, dass einige nicht mehr gehen konnten. Der unerträgliche Durst, gesteigert durch das pflichtgemäße Trinken des Wassers, brachte sie häufig in einen unzurechnungsfähigen Zustand. Einige lagen apathisch da, andere schrieen vor Verzweiflung. Sie warfen sich auf den frisch gewischten Fußboden und saugten die Feuchtigkeit auf." Ebenda, S. 294.
  • [171] Dies ist eine Rubrik in der Häftlingsdatenbank "Faust”.
  • [172] Garbe, Detlef: Der lila Winkel. Die "Bibelforscher" (Zeugen Jehovas) in den Konzentrationslagern, in: DH 10 (1994), S. 12.
  • [173] Ebenda, S. 14.
  • [174] Zámečník, Dachau, S. 228; Garbe, a. a. O., S. 22 – 24.
  • [175] Adamy, Herbert a kolektiv. Fialivé Trojúhelníky. Zapomenutá kapitola holocaustu. [Lila Winkel. Ein vergessenes Kapitel des Holocaust], Praha 2000, S. 63.
  • [176] Adamy, a. a. O., S. 38.
  • [177] Knoll, Albert: Totgeschlagen – totgeschwiegen. Die homosexuellen Häftlinge im KZ Dachau, in: DH 14 (1998), S. 82.
  • [178] Zitiert nach: ebenda, S. 77; Zámečník, Dachau, S. 230.
  • [179] Knoll, Totgeschlagen – totgeschwiegen, S. 86.
  • [180] Das Schicksal von Maximilian Beran, der einer der beiden Geistlichen gewesen war, ist bereits oben ausführlich geschildert worden.
  • [181] Pingel, Häftlinge, S. 101.
  • [182] Zámečník, Dachau, S. 227.
  • [183] Weinmann, a. a. O., S. XXVIII.
  • [184] Ebenda, S. XXVIII.
  • [185] Ebenda, S. XXVIII; nach Kogon erhielten sie als Kennzeichnung einen schwarzen Winkel mit dem weißen Buchstaben "A". Nach seiner Darstellung waren sie "meist nur wenige Wochen im Lager." Kogon, a. a. O., S. 72.
  • [186] Da sich außerdem, ähnlich wie bei den Juden, die Lebensbedingungen dieser anderen Kategorien aufgrund ihrer Randstellung von der Mehrheit der politischen Häftlinge in den meisten Fällen deutlich unterscheiden, bleiben auch sie im weiteren Verlauf der Arbeit weitgehend außen vor.

5. ANHANG
5.1.1 Quellenverzeichnis
5.1.2 Literaturverzeichnis
5.2.0
Abkürzungen

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Nationalsozialistische Konzentrationslager]
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