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Regina Jonas' Streitschrift

Elisa Klapheck

Im Jahre 1930 reichte Regina Jonas an der "Hochschule für die Wissenschaft des Judentum" eine "halachische Arbeit" ein. Diese trug den Titel: "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" Jonas war konservativ und lebte streng nach der Halacha. Eine Gleichberechtigung der jüdischen Frauen durch Liberalisierungen der Religionsgesetze (im Sinne des Reformjudentums) kam für sie nicht in Frage. Vielmehr wollte sie nachweisen, daß nach der Halacha Frauen Rabbinerin sein können.

Auf 88 Seiten setzte sie sich intensiv mit Belegstellen aus der Tora, dem Talmud, dem "Mischne Tora" (Maimonides), dem "Schulchan Aruch" (Josef Karo) und anderem rabbinischen Schrifttum auseinander. Dabei führte sie viele herausragende Frauenpersönlichkeiten in der jüdischen Geschichte an, die zwar selbst keine Rabbinerinnen waren, aber doch rabbinische Funktionen ausübten, indem sie z.B. halachische Entscheidungen trafen, die von den Rabbinern anerkannt wurden. Neben bekannten biblischen Protagonistinnen waren dies talmudische Persönlichkeiten wie Beruria, Jalta oder die Hasmonäer-Königin Salome Alexandra, aber auch später die Frauen um Raschi, seine Töchter und Enkelinnen, die an der Auslegung der Halacha mit beteiligt waren und deren Einfluß sich in den Schriften ihrer Männer bemerkbar machte. So wurde etwa über die Frage, ob Frauen einen Tallit tragen dürfen, bereits im Mittelalter gestritten, als Brune aus Mainz zur allgemeinen Empörung einen Tallit Katan trug. Ein um Rat gefragter Rabbiner hatte in einer Response Brune dies erlaubt.

Den verschiedenen frauenfeindlichen Aussagen im Talmud stellte Jonas frauenfreundliche Aussagen gegenüber. Darüber hinaus zitierte sie auch "männerfeindliche" Geschichten, in denen die "Schwächen" hochrangiger Rabbiner beschrieben sind. Jonas unterschied zwischen halachischen Vorschriften und "Meinungen" einzelner Rabbiner. Bei Verboten war für sie nicht das Verbot als solches entscheidend, sondern dessen Begründung. Ein Beispiel: Dürfen Frauen lehren? Traditionell ist der Rabbiner in erster Linie ein Lehrer (Rabbi = "mein Lehrer"). Der Talmud verbietet eindeutig, daß Frauen Kinder unterrichten. Dies wird jedoch nicht damit begründet, daß Frauen zu dumm oder aus anderen Gründen hierzu nicht fähig wären. Vielmehr befürchteten die einstigen Rabbiner, daß durch das öffentliche Auftreten einer Frau als Lehrerin das Gebot der "Zniut" - Zurückhaltung, Sittsamkeit - gefährdet wäre. Wenn ein Vater sein Kind von der Schule abholt und unversehens mit der Lehrerin allein im Raum wäre, könnte es zu einer verfänglichen Situation kommen. Regina Jonas führte nun ein Beispiel auf einem verwandten Gebiet an, bei dem die Rabbiner das Verbot nicht mehr aufrecht erhielten, weil dessen Begründung obsolet geworden war. Laut Talmud durften Frauen auch nicht Händlerin auf dem Markt sein. Das "Hineinzählen von Geld in die Hand eines anderen" könnte nämlich ebenfalls eine verfängliche Berührung verursachen und wieder das "Zniut"-Gebot gefährden. Doch in einer Response hatte ein Rabbiner erklärt, daß die Zeiten wirtschaftlichen Reichtums, als die jüdischen Frauen nicht zu arbeiten brauchten, vorbei seien. Heute gebe es so viele Händlerinnen, daß Männer beim Anblick einer Frau auf dem Markt keinen besonderen Reiz empfänden, deshalb dürften Frauen handeln. Diese Begründung übertrug Jonas nun auf die Frage, ob Frauen Lehrerin sein können.

In Regina Jonas' Denken spielte das Ideal der "Zniut" eine Schlüsselrolle. Gerade von den Frauen erwartete sie, daß diese angesichts moderner Sittenlosigkeit Werte wie Demut, Zurückhaltung und Sittsamkeit im Judentum wiederherstellten. Eine Rabbinerin müßte ihrer Meinung nach unverheiratet bleiben. Jedoch sollte sich eine Frau frei entscheiden können, ob sie ein Leben als Ehefrau und Mutter oder in einem ihren Talenten entsprechenden Beruf führen will. Für das Rabbineramt seien Frauen sogar besonders prädestiniert, weil weibliche Eigenschaften wie Mitleid, soziales Einfühlungsvermögen, psychologische Intuition und ein besserer Zugang zur Jugend wesentliche Voraussetzungen für diesen Beruf seien. Rabbinerinnen seien somit eine "Kulturnotwendigkeit".

Jonas' Streitschrift wurde mit dem Prädikat "gut" benotet. Die Hochschule wollte sie jedoch nicht als Rabbinerin ordinieren und verlieh ihr lediglich das Zeugnis einer "akademisch geprüften Religionslehrerin". Erst fünf Jahre später, 1935, stellte der liberale Rabbiner Max Dienemann in Offenbach Jonas' Rabbinatsdiplom aus. Ihr blieben jedoch nur noch wenige Jahre, als Rabbinerin in Berlin zu wirken. 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet.

Biographie und Edition: "Fräulein Rabbiner Jonas - Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?", Eine Streitschrift von Regina Jonas, ediert, kommentiert, eingeleitet von Elisa Klapheck, Hentrich & Hentrich, Teetz 1999

Im Archiv haGalil onLine:
1. Regina Jonas: Das Vermächtnis des deutschsprachigen Judentums
...ich kam zu meinem Beruf aus dem religiösen Gefühl daß G'tt keinen Menschen unterdrückt, daß also der Mann nicht die Frau beherrscht...
2. Jewish Women in Berlin: Regina Jonas - The First Women Rabbi
Regina Jonas was born on August 3 1902 in Berlin
3. Die weltweit erste Rabbinerin - Regina Jonas
Das Leben und Schicksal der weltweit ersten Rabbinerin...
4. Zwischen Tradition und Aufbruch: Regina Jonas
Zwischen Tradition und Aufbruch: Möge bei aller Treue und Liebe zu unserem Schrifttum und seinen heiligen Vorschriften...

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