Zum Vorwurf des
ehemaligen FPÖ Europaabgeordneten Peter Sichrovsky, die IKG
vertrete nur einen geringen Teil der Juden in Österreich und sei nur
für einen geringen Teil der Infrastruktur zuständig, entgegnet die
IKG: Vielmehr ist wahr...
Dr. Muzicant antwortet Peter Sichrovsky
Wien (OTS) - Die Aussagen von Peter Sichrovsky in der APA
Aussendung vom 14.5.03 sind unwahr.
Es trifft nicht zu, daß in Österreich 25.000
Juden leben. Bei der letzten Volkszählung 2002 bekannten sich 8140
in Österreich lebende Menschen zum Judentum. Selbst unter der
Annahme, dass nicht alle Befragten ihre Religionszugehörigkeit
korrekt angegeben haben, ist von einer Ungenauigkeit von höchstens
2000 bis 3000 Personen auszugehen.
7300 Personen sind Mitglieder der fünf
österreichischen Kultusgemeinden (das sind genauso viel wie vor zehn
Jahren), davon sind 7000 Personen Mitglieder der Israelitischen
Kultusgemeinde Wien (IKG Wien).
Die österreichischen Kultusgemeinden unterhalten
und betreiben die folgende Anzahl von Synagogen: Sieben in Wien
(darunter den Stadttempel und das Sephardische Zentrum) und je eine
in Linz, Graz, Salzburg, Innsbruck und Baden. Ehemalige Synagogen in
St. Pölten und Eisenstadt werden als Museen geführt. Weitere 10
Bethäuser in Wien werden von der IKG Wien unterstützt bzw.
subventioniert.
Die IKG-Wien betreibt zwei Schulen: die Z.P.C. Schule (Kindergarten,
Volksschule, Mittelschule) und das JBBZ (Berufsbildungszentrum), und
subventioniert drei weitere Ganztagsschulen und eine Reihe von
Thoraschulen, den jüdischen Religionsunterricht in Österreich, sowie
eine Jeshiva.
Weiters betreibt die IKG in Wien ein Elternheim (Maimonides-Zentrum)
mit 135 Bewohnern, und ein psychosoziales Zentrum (ESRA), das
jährlich 1400 Menschen betreut. Dazu kommt ein enges Netzwerk
sozialer Institutionen, Vereine und Einrichtungen, die von der IKG
subventioniert werden.
Es gibt über 100 jüdische Vereine in Wien, die in den
verschiedensten Bereichen (Kultur, Sport, Jugendorganisationen,
usw.) tätig sind und zum Teil von der IKG unterstützt werden.
Jährlich finden 300 jüdische Veranstaltungen in Österreich statt, an
denen die IKG direkt oder indirekt beteiligt ist.
Die insgesamt 79 jüdischen Friedhöfe in Österreich werden ebenfalls
von den Kultusgemeinden betreut.
Die größte finanzielle Belastung der IKG-Wien stellen nach den
Terroranschlägen von 1979/81 (Seitenstettengasse) und 1985
(Schwechat) die Sicherheitsausgaben dar, die sich mittlerweile auf
jährlich 2 Millionen Euro belaufen. Diese Belastung kann nicht mehr
von der IKG Wien getragen werden, die als einzige für die Sicherheit
der jüdischen Einrichtungen und der Personen, die sie benützen,
sorgt. Die Behauptung von Sichrovsky, daß die anderen jüdischen
Organisationen für ihre Sicherheit selber sorgen, ist unrichtig. Es
ist ausschließlich die IKG, die die Sicherheitsaufgaben im Rahmen
der jüdischen Gemeinde erfüllt.
Peter Sichrovsky verwechselt Individualvermögen mit Gemeindevermögen
und hat offensichtlich den Bericht der Historikerkommission nicht
gelesen. Vom jüdischen Gemeindevermögen, das von den Nazis zerstört
bzw. arisiert wurde, hat die Kultusgemeinde lediglich unbebaute
Grundstücke zurückerhalten, sowie Entschädigungszahlungen per
insgesamt 53 Mio. ATS. Die Kultusgemeinde bemüht sich seit 1945
vergeblich um eine gerechte Lösung, die die Individualrestitution in
keiner Weise schmälert. Die vom Bundeskanzler Dr. Schüssel
ausgehandelten, sogenannten "Washingtoner Verträge" bzw. das darauf
basierende Entschädigungsfondsgesetz bewirken, wenn es weiterhin
keine gesonderte Regelung über die Entschädigung für das jüdische
Gemeindevermögen gibt, gerade das Gegenteil der Schlußfolgerungen
von Sichrovsky. Die IKG wird nämlich gezwungen, ihre
gerechtfertigten Forderungen hinsichtlich des Gemeindevermögens im
Rahmen des Entschädigungsfondsgesetzes geltend zu machen, was die im
Rahmen des Entschädigungsfonds für die Entschädigung individueller
Anspruchsteller zur Verfügung stehenden Beträge vermindert.
Dr. Ariel Muzicant
Israelitische Kultusgemeinde Wien
Wien, 15. Mai 2003
Rückfragehinweis: Erika Jakubovits
Israelitische Kultusgemeinde Wien
e-mail:
e.jakubovits@ikg-wien.at
Forum: Wiens
jüdische Gemeine - pleite?
Hintergrund: Im Februar
2003 trat der frühere FPÖ-Generalsekretär Peter Sichrovsky, aus der
Freiheitlichen Partei aus. Er sitzt weiterhin als unabhängiger
Abgeordneter im Europaparlament.
Im Archiv (hagalil.com):
SPÖ fordert Klarstellung:
Antisemitische Übergriffe nicht einfach hinnehmen
Kanzler Schüssels Entgleisungen gegenüber der
Israelitischen Kultusgemeinde sind brandgefährlich...
"Abgetakelte Mossad-Agenten":
Bis
hier her und nicht weiter
Israelitische Kultusgemeinde entsetzt über Schüssel
Aussage...
Die ÖVP und ihr antisemitischer Held:
Verehrter Antisemit
Die ÖVP widmet ihrem "Gründervater" Leopold
Kunschak eine Ausstellung. Khol und Fasslabend eröffneten sie gut gelaunt,
weil mit beträchtlichen historischen Auslassungen...
Sicherheitsrisiko in Österreich:
Weitere
Schüssel-Entgleisung?
Nach Stuart Eizenstat kommentierte Kanzler Schüssel das
verständliche Sicherheitsbedürfnis der Israeltischen Kultusgemeinde mit
dem Hinweis, dass die Regierung nicht bereit sei, 'abgetakelte
Mossad-Agenten' zu subventionieren...
hagalil.com
18-05-03 |