Lothar Evers über den
Entschädigungsstreit:
Wie sich deutsche Unternehmen aus
ihrer
Verantwortung für Zwangsarbeiter stehlen wollen
Am heutigen
Dienstag beginnen in Bonn zweitägige Verhandlungen zwischen Opferanwälten,
der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung.
Gestritten wird um Entschädigungszahlungen für Zwangsarbeiter in der
NS-Diktatur. Bisher haben die Industrie vier Milliarden und die
Bundesregierung drei Milliarden Mark angeboten. Lothar Evers vom "Bundesverband
Information und Beratung für NS-Verfolgte" in Köln zieht eine Bilanz der
Verhandlungen.
Ein verlorenes Jahr?
Eines der größten
Selbsthilfeprojekte Deutschlands steht vor dem Aus. Die Stiftungsinitiative
der deutschen Wirtschaft "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" meldet seit
über einem Monat nur "tiefrote Zahlen". Die Zahl der stiftenden Unternehmen
habe sich zwar von 12 auf 50 mehr als vervierfacht. Von den am 6. Oktober
auf einer internationalen Verhandlungsrunde in Washington zugesagten 4
Milliarden DM zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter seien trotzdem
jedoch weniger als 2 Milliarden DM gesichert. Dies mache jede Nachbesserung
des Angebots unmöglich, erklärt Stiftungssprecher Wolfgang Gibowski fast
täglich.
Die industriellen Stifter scheinen
die Aufgabe völlig unter-, die Solidarität ihrer Mit-Manager hingegen
gravierend überschätzt zu haben. Trotz täglicher Appelle des deutschen
Verhandlungsführers Otto Graf Lambsdorff, mehr als deutlicher Worte von
Bundespräsident Rau in öffentlichen Interviews und zuletzt gar auf der
150-Jahr-Feier der Industrie- und Handelskammer Bielefeld ist das Ergebnis
ernüchternd: Fest zugesagt sind immer noch unter 2 Milliarden DM, beteiligt
sind nicht mehr als 50 Firmen. Eine mehr als enttäuschende Bilanz für den
Verantwortungsstandort Deutschland!
Bis auf die in den USA verklagten
Firmen verharrt Deutschlands ökonomische Elite in der bekannten Haltung der
letzten 54 Jahre: "Augen zu - Ohren zu - und durch!"
Die Vertreter der Überlebenden hoffen
inständig, dass es sich bei diesem allseitigen Gejammer um einen Bluff der
Firmenvertreter handelt und bei den heute in Bonn beginnenden Verhandlungen
endlich ein neues - und deutlich nachgebessertes - Angebot auf den Tisch
gelegt wird.
Gelingt es der Industrie tatsächlich
nicht, auf ihr Angebot von derzeit 4 Milliarden DM noch einen deutlichen
Nachschlag zu leisten, lässt sich das Ziel einer gerechten Kompensation für
die heute noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nicht
erreichen. Leider mehren sich inzwischen jene alarmierenden Zeichen, die
darauf hinweisen, dass die Stifter an ihrer selbst gestellten Aufgabe
scheitern und diese an die politisch Verantwortlichen zurückgeben müssen.
Korrespondenz ohne Chance
Bis vor wenigen Monaten waren
auch die heutigen Stifter Anhänger dieser Durchhalteparolen. Seit den frühen
neunziger Jahren hatten die früheren Sklaven bei ihnen angeklopft, um
Beschäftigungsnachweise für ihre Altersrente gebeten, freundlich angefragt,
ob man sich an ihre Arbeit noch erinnere, vielleicht sogar bereit sei, einen
kleinen Ausgleich zu zahlen.
Unter ihnen Eugeniusz Szobski. Er
erinnert sich noch gut an jenen Septembertag 1944 im KZ Dachau. Franz
Eschenlohr, Oberingenieur bei Daimler Mannheim, trägt einen Tirolerhut mit
neckischem Federschmuck. Aus den nackt vor ihm stehenden Häftlingen wählt
der Daimler-Manager 1060 für sein Lkw-Werk in Mannheim-Sandhofen aus.
Darunter Szobski, damals 20 Jahre alt. Der Tagesablauf in Mannheim: Wecken
um vier Uhr früh, Appell, fünf Kilometer Fußmarsch zum Werk, zwölf Stunden
Schicht, Achsen und Motoren bauen, Rückmarsch, Appell, Strafen, zu essen ein
Schlag Suppe am Mittag, ein Stück Brot, ein bisschen Margarine.
Im Auftrag von damals noch sechzig
der im September 1944 nach Mannheim Deportierten schreibt Szobski an Daimler
Benz. Über sieben Jahre gehen Briefe zwischen Warschau und Stuttgart hin und
her. Penetrant müssen sich die Überlebenden das bloße Bedauern des Konzerns,
geronnen zu Textbausteinen der Kommunikationsabteilung, versichern lassen.
Man wird sie darüber aufklären, dass bereits beträchtliche Summen in die
wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer Vergangenheit gesteckt wurden.
Inzwischen gemahne sogar ein Denkmal mit dem Titel "Tag und Nacht" vor der
ehemaligen Hauptverwaltung an ihr Schicksal. Der geneigten Lektüre empfehle
man außerdem die beigefügte Rede des Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter aus
Anlass der Denkmalsenthüllung.
Auch von überlebenden
Zwangsarbeitern, da bitte man doch herzlich um Verständnis, könne sich der
Konzern nicht zur Beteiligung an neuen Ungerechtigkeiten verleiten lassen.
Aus einem Brief der Stuttgarter Manager 1991: "Bei der Festlegung, keine
individuellen Leistungen zu erbringen, stand der Gedanke im Vordergrund,
dass es ohne eine erneute Bürokratie kaum möglich sein könnte, die Tatsache
der Zwangsarbeit zweifelsfrei festzustellen. Eine solche Bürokratie hätte zu
langwierigen Verfahren, vor allem aber zu erneutem Unrecht geführt, durch
das alte Wunden eher aufgerissen als geheilt worden wären. Eine Entscheidung
zu individuellen Leistungen hätte außerdem diejenigen begünstigt, die im
Laufe der Jahre ihre psychische und physische Kraft zurückgewonnen haben und
möglicherweise in guten Verhältnissen leben.
Und so weiter . . .
Noch im Dezember 1998 beharrt
der bei Daimler inzwischen und bis heute für das Thema Entschädigung für
NS-Zwangsarbeit verantwortliche Dr. Lothar Ulsamer:
"Beim tragischen und bedrückenden
Thema der Zwangsarbeit darf es nach unserer Meinung nicht in erster Linie um
das Aufrechnen von Stundenlöhnen gehen. Ansonsten besteht die Gefahr, die
Tragweite des Geschehens zu verkennen . . . Einzelentschädigungen haben wir
nicht vorgenommen, da individuelle Regelungen zu keiner befriedigenden
Lösung führen, die auch die politische und moralische Dimension der Frage
hinreichend berücksichtigt."
Brüchige Allianz
Ähnliche Sorgen wie die
Stuttgarter Kollegen hat VW in Wolfsburg, aber auch Grund zur Freude: "Der
Volkswagenkonzern erwirtschaftete 1997 einen Gewinn nach Steuern in Höhe von
nahezu 1,4 Milliarden D-Mark. Damit haben wir in der Geschichte des Konzerns
ein Rekordergebnis erzielt. Es ist uns gelungen, zum dritten Mal in Folge
das Ergebnis zu verdoppeln", verkündet auf der VW-Hauptversammlung am 4.
Juni 1998 sichtlich stolz der Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piech.
Am Abend des selben Tages erinnert
das Fernsehmagazin Monitor an die unrühmliche Vergangenheit der Wolfsburger.
Auch VW verdankt seine Position am Weltmarkt und insbesondere den raschen
Wiederaufstieg nach 1945 der Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Unter
mörderischen Bedingungen mussten KZ-Häftlinge in den deutschen
Mittelgebirgen Tunnel sprengen. Auch VW hat nach der Zerstörung des
Stammwerkes 1944 seine Produktionsanlagen untertage verlegte. Dort
überdauerten die Maschinen fast unversehrt. Nur so ist zu erklären, dass im
zerstörten Deutschland bereits 1946 der zehntausendste Nachkriegskäfer
produziert wird.
Da sich 20 Prozent des Autokonzerns
im Besitz des Landes Niedersachsen befinden, bittet Monitor um ein Interview
mit Ministerpräsident Gerhard Schröder. Thema: Entschädigung für
NS-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bei VW. Kommentarlos lehnt die
Hannoveraner Staatskanzlei die Bitte der Monitor-Redakteure ab.
Für den schweigsamen Hauptaktionär
springt in der Sendung VW-Marketingvorstand Klaus Kocks ein. Und dessen
gestammelte Sorgen gleichen denen seiner Stuttgarter Kollegen aufs Haar:
"Nein, ich glaube, wir müssen weiterhin den Weg gehen, dass wir politische
Öffentlichkeitsarbeit unter dem Oberbegriff ,Nie mehr Faschismus . . .'
fördern müssen und werden nicht den Weg in Einzelentschädigungen und auch
nicht in Hinterzimmer-Agreements gehen. Ich glaube nicht, dass es einen
angemessenen Betrag gibt - und ich sage noch einmal, es geht uns nicht um
Geld. Aber was ist denn angemessen? 400 DM? 600 DM? 4000 DM? Die Fragen
beinhalten einen inneren Zynismus, der geradezu beklemmend ist."
Beklemmend ist wohl eher der Zynismus
des Redners selbst, ebenso bezeichnend die minimalen Summen, die einem
deutschen Konzernlenker noch im Sommer 1998 als angemessene Entschädigung
für die in der NS-Zwangsarbeit verlorenen Jahre einfallen. Dass nicht einmal
fünf Monate später, Daimler-Benz-Kollege Ulsamer tütet noch die zitierten
Textbausteine ein, Kocks jedem ehemaligen VW-Sklaven 10 000 DM anbietet,
hängt mit den politischen Ambitionen des VW verbundenen niedersächsischen
Ministerpräsidenten zusammen.
Der ist bekanntermaßen
Kanzlerkandidat und will kurz nach Ausstrahlung des Monitor-Beitrages durch
einen Besuch bei Bill Clinton außenpolitische Kompetenz signalisieren sowie
die dafür obligatorischen Gruppenfotos vor dem Weißen Haus aufnehmen lassen.
Schröders außenpolitische Berater
ahnen Schlimmes: Seit in den USA im Herbst 1996 erste Sammelklagen gegen die
Schweizer Banken eingereicht worden sind, gibt es dort ein kontinuierlich
wachsendes Interesse an NS-Themen. Nicht auszudenken, wenn sich jede dritte
Frage der amerikanischen Journalisten statt mit außenpolitischen Qualitäten
des Kanzlerkandidaten mit dessen Rolle bei der (Nicht-)Entschädigung von
VW-Zwangsarbeitern befassen würde.
Schon überschlagen sich die
Ereignisse, und die über Jahrzehnte erprobte Verweigerungsallianz deutscher
Unternehmen gegenüber ihren NS-Sklaven zeigt erste Risse: VW richtet einen
firmeninternen Fonds ein und Schröder verspricht, das Thema NS-Zwangsarbeit
unmittelbar nach seinem Wahlsieg zur Chefsache zu machen.
Amerikanische Klagen
Das wird im Herbst 1998 auch
höchste Zeit. Am 4. März diesen Jahres hatte Elsa Iwanowa, Zwangsarbeiterin
aus Rostow, beim Bezirksgericht in Newark/New Jersey Klage gegen die Kölner
Ford-Werke und das Ford-Stammwerk in Dearborn/ Michigan eingereicht. Am 12.
August 1998 endete der seit 1996 laufende Prozess gegen zwei Schweizer
Großbanken mit einem Vergleich. Die Schweizerische Kreditanstalt und die UBS
AG erklärten sich darin bereit, 1,25 Milliarden Dollar zu zahlen und so
einer für sie negativen Entscheidung des Bezirksgerichtes New York
zuvorzukommen.
Zu Schröders Amtsantritt im Herbst
sind bereits mehr als ein Dutzend deutsche Firmen wegen ihrer Rolle bei der
Beschäftigung von NS-Sklaven vor amerikanischen Gerichten verklagt.
Vielleicht auch deshalb findet sich
in der Koalitionsvereinbarung der neuen rotgrünen Mehrheit des Deutschen
Bundestages eine erfreulich präzise Aussage zur Entschädigung von
NS-Zwangsarbeit: "Die neue Bundesregierung wird (. . .) unter Beteiligung
der deutschen Industrie eine Bundesstiftung "Entschädigung für
NS-Zwangsarbeit" auf den Weg bringen."
Bis heute ist mit der politischen
Umsetzung dieses Teils der Koalitionsvereinbarung noch nicht begonnen
worden. Zu verlockend war das Angebot der in Amerika verklagten Unternehmen,
sich in Selbsthilfe aus der Affäre zu ziehen und dabei den Überlebenden der
NS-Zwangsarbeit ein angemessenes Entschädigungsangebot zu machen.
Die Mitglieder des Deutschen
Bundestages - und das gilt für alle politischen Parteien - ahnten natürlich,
dass es ohne wirkliche Bereitschaft führender Manager in Zeiten von
"Shareholder Value" und "Standortdebatte Deutschland" langwieriger
Anstrengungen bedurft hätte, die Industrie zur Mitarbeit zu zwingen. Eine
sich sträubende Wirtschaft hätte den Weg durch die Gerichtsinstanzen bis hin
zum Bundesverfassungsgericht gewählt. So hätte selbst bei positivem Ausgang
nur eine verschwindende Minderheit der hochbetagten Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter Leistungen erhalten. Deshalb waren alle Beteiligten nur zu
gerne bereit, auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft zu vertrauen.
Die Firmenvertreter verlangten dafür
erhebliche Zugeständnisse. Auf keinen Fall wollten sie sich - wie im Fall
der Schweizer Banken erfolgreich vorexerziert - vor amerikanischen Gerichten
vergleichen. Außerdem müsse für alle Zukunft sichergestellt sein, dass sie
nie wieder rechtlich zu belangen seien. Dies gelte vorrangig für die USA,
aber auch für alle anderen Heimatländer der Überlebenden.
Wissend, welch zartes Pflänzchen die
Verantwortungsbereitschaft am Markt operierender Wirtschaftsunternehmen nun
einmal ist, willigten sowohl die amerikanischen Rechtsanwälte, als auch die
Delegationen Mittel- und Osteuropas sowie die in die Verhandlungen
einbezogenen Verfolgtenverbände in dieses von der Industrie ultimativ zur
Voraussetzung gemachte Grundszenario ein. Im Gegenzug hoffte man, von der
Wirtschaft ein wirklich großzügiges und umfassendes Angebot zu erhalten.
Alte Bausteine
Erste Ernüchterung stellte sich
bei den Überlebenden ein, als die Stiftungsinitiative einen ersten Entwurf
der Vergaberichtlinien vorstellte. Diese Konzeption der Stiftungsinitiative
steht bis heute - ohne jede Änderung - im Internet und kann dort unter der
Adresse stiftungsinitiative.de
in Augenschein genommen werden.
In deren Präambel findet sich kein
Wort zur Zwangsarbeit selbst, keine Entschuldigung gegenüber den
Überlebenden, kein Bekenntnis zur Verantwortung der deutschen Industrie und
insbesondere keine Bereitschaft, Schadenersatz zu leisten. Vielmehr werden
Rechtsansprüche der Überlebenden kategorisch verneint und lediglich eine
moralische Verantwortung der beteiligten Unternehmen zugestanden.
Im Wortlaut: "Rechtsansprüche gegen
deutsche Unternehmen im Hinblick auf Zwangsarbeit oder Schäden wegen der
Verfolgung in der NS-Zeit bestehen nicht. Die deutschen Unternehmen sehen
aber eine moralische Verantwortung insbesondere dort, wo Zwangsarbeit unter
besonders erschwerten Bedingungen geleistet werden musste. Am Ende dieses
Jahrhunderts sind deutsche Unternehmen nochmals bereit, als Geste der
Versöhnung Mittel in eine humanitäre Stiftung einzubringen, um heute noch
lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern, die damals Arbeit unter besonders
belastenden Bedingungen haben leisten müssen, zu helfen. Die Stiftung ist
eine freiwillige Initiative von deutschen Unternehmen. Unabdingbare
Voraussetzung für die Gründung der Stiftung und die Bereitstellung der
Mittel ist, dass für die Unternehmen umfassende und dauerhafte
Rechtssicherheit geschaffen ist, d. h., dass sie vor gerichtlicher
Inanspruchnahme geschützt ist."
Ähnlichkeiten mit den Textbausteinen
aus Vor-Stifterzeiten sind wohl weniger zufällig als unvermeidbar.
Inhaltlich wollen die Firmen sämtliche Klagen in Bezug auf Zwangsarbeit
beendet wissen. Daneben sollen alle weiteren Verbrechen der deutschen
Wirtschaft wie medizinische Versuche, Arisierungen durch deutsche Großbanken
oder die Ermordung minderjähriger Kinder in konzerneigenen Heimen mit einem
einzigen finanziellen Schlussstrich erledigt werden. Trotzdem will man nur
jener kleinen Minderheit, die unter "besonders belastenden Bedingungen"
gearbeitet hat, Leistungen der Stiftung gewähren.
Mit folgenden Hürden versucht die
Stiftungsinitiative, das Gros der Überlebenden von Leistungen
auszuschließen: Die Mindestdauer der Zwangsarbeit muss sechs Monate betragen
haben. Nur diejenigen, die ins Reichsgebiet deportiert wurden, können
Zahlungen erhalten. Nur der Überlebende selbst ist antragsberechtigt. Er
muss außerdem materielle Bedürftigkeit nachweisen. Leistungen sollen sich am
Rentenniveau im Heimatland des Antragstellers orientieren: In der ehemaligen
Sowjetunion hätte dies zur Verteilung bloßer Almosen geführt.
Verhandlungsrunde um
Verhandlungsrunde musste dieses mehr als dürftige Stiftungskonzept von den
Delegationen der Überlebenden ausgebessert werden. Da nicht ein einziger
Verbesserungsvorschlag von den Stiftern selber akzeptiert und in den im
Internet zu besichtigenden Stiftungsentwurf eingearbeitet wurde, zeugt von
deren Härte und Ignoranz.
Peinliche Allianz
Es ist diese hier zu
beobachtende fast autistische Arroganz, die auf Opferseite mehr als einmal
fassungsloses Entsetzen auslöst. Ob ständig wiederholte Appelle deutscher
Topmanager an die Bescheidenheit der Opfer, Graf Lambsdorffs Amnesien, was
die NS-Zwangsarbeit von Polen in der Landwirtschaft betrifft: Tief
verwurzelt in der Wagenburg- mentalität der deutschen Verhandler lauerte
stets deren Unfähigkeit zu trauern und zu wirklicher Empathie für die
Überlebenden.
Man kann es Dr. Manfred Gentz,
Finanzvorstand bei DaimlerChrysler und Vorsitzender der Stiftungsinitiative,
der sonst Firmenfusionen in dreistelliger Milliardenhöhe in wenigen Tagen
abwickelt, deutlich ansehen, wie wenig er mit den Habenichtsen und deren
Vertretern, die ihm Monat für Monat kostbare Zeit stehlen, zu tun haben
will. Wohl deshalb ließ er die in Washington versammelten Delegationen
Anfang Oktober einen ganzen Tag warten, bevor das deutsche Angebot
präsentiert werden konnte. Die Vorstandssitzung bei DaimlerChrysler, so die
Botschaft, sei allemal wichtiger als fünfzig aus aller Welt angereiste
Verhandlungsteilnehmer.
Die Spitzenposition auf der
offensichtlich nach oben offenen Peinlichkeitsskala hat sich Joschka
Fischers Außenministerium erarbeitet. Ausgerechnet der Degussa,
Schmelzstation für Zahngold und Mutterfirma des Zyklon B-Produzenten
Degesch, bescheinigen Fischers Diplomaten in einem Unterstützerbrief zur
Abwendung amerikanischer Klagen tiefes Verständnis: Alle deutschen
Unternehmen hätten sich während der Naziherrschaft den Anforderungen der
Kriegswirtschaft nicht entziehen können. Bei Degussa müsse man darüber
hinaus bedenken, dass die Firma ein Monopol für das Einschmelzen von
Edelmetallen gehabt habe.
Fast ist man erleichtert, dass die
Degussa-Tochter Degesch nicht mehr existiert und Joschkas Angestellte uns
daher mit Erörterungen der Spielräume großer Produzenten von
Schädlingsbekämpfungsmitteln nicht behelligen werden.
Alles nur Bluff?
Noch hoffen die Überlebenden
auf späte Einsicht, verantwortliches Handeln und ein angemessenes Angebot.
Können Deutschlands Topmanager ihr Ansinnen wirklich nicht aufgeben, einen
umfassenden rechtlichen und moralischen Ablass zu Ausverkaufspreisen zu
erwerben? Keines der bisher stiften gehenden Unternehmen will mehr als 200
Millionen DM in die Gemeinschaftsinitiative einzahlen. Bei einigen der
sechzehn Stifter muss es sogar noch erheblich weniger sein. Sonst wären
nicht weniger als zwei, sondern mindestens 3,2 Milliarden DM im Topf und
Pressesprecher Gibowski könnte seine für den Wirtschaftsstandort Deutschland
so peinlichen Verlautbarungen variieren.
Die Top Player der deutschen
Wirtschaft bluffen entweder nach Kräften oder sind tatsächlich nicht bereit,
das von ihnen selbst in historischer und menschlicher Unverantwortlichkeit
ersonnene Limit von 200 Millionen DM pro Firma aufzustocken. Wollen die
Stifter etwa, wenn es ihnen wie geplant gelingt, die Zahl der an der
Stiftungsinitiative beteiligten Unternehmen zu verzehnfachen, ihren
einzelnen Stiftungsbeitrag auf ein Zehntel reduzieren, statt das Angebot zu
erhöhen?
Ein historisches Verbrechen vom
Ausmaß der NS-Zwangs- und Sklavenarbeit lässt sich nicht mit Aufwendungen
deutlich unterhalb der durch Deutsche-Bank-Chef Kopper im Fall Schneider
angepeilten Peanuts-Grenze von 500 Millionen DM pro Unternehmen
kompensieren.
Jede der am Schweiz-Vergleich
beteiligten Banken ist bereit, über eine Milliarde Dollar aufzubringen.
Dabei waren denen nur Eigentumsdelikte aus dem Bereich der Unterschlagung
und der Hehlerei vorgeworfen worden. Bei der NS-Zwangsarbeit geht es um ein
vom Internationalen Gerichtshof in Nürnberg abgeurteiltes millionenfaches
Kapitalverbrechen. Der hauptverantwortliche Reichskommissar für den
Arbeitseinsatz Fritz Sauckel ist hierfür zum Tode verurteilt worden.
Die Einzahlungen der Schweizer Banken
markieren das untere Limit einer verantwortlichen Beteiligung - jedenfalls
der, in Bezug auf ihre Gewinne vergleichbaren deutschen Großunternehmen.
Diese Unternehmen haben an der Beschäftigung der Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter unter den Bedingungen der Kriegsproduktion blendend verdient.
Durch die Beteiligung am SS-Sklavenhandel sparten sie pro eingesetztem
Zwangsarbeiter jährliche Lohnkosten im Wert von heute 15 000 DM. Dass die
größten deutschen Unternehmen noch nicht einmal bereit sind, diese
eingesparten Lohnkosten an die Überlebenden auszuzahlen, ist traurig,
unglaublich und von deren heutigen Managern zu verantworten. Sie selbst
stellen sich damit in eine Tradition, in der Gewinne alles, das Schicksal
der Menschen aber nichts bedeutet.
Es wäre zu wünschen, dass sich die
deutsche Wirtschaft - aber auch die ganze Gesellschaft - erinnert, dass sie
den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ihren heutigen Wohlstand
verdankt. Ohne deren Arbeit an den Maschinen der Kriegsproduktion, ohne die
durch sie geleistete Aushöhlung der deutschen Mittelgebirge wäre im Jahr
1946 mitten im zerstörten Deutschland wohl kaum der zehntausendste VW-Käfer
vom Band gelaufen, hätte die deutsche Autoindustrie heute nicht die
Möglichkeit, für eine dreistellige Milliardensumme in Amerika Chrysler
aufzukaufen.
In Zukunft . . .
Wir alle hoffen noch auf eine
Wende der Verhandlungen. Wenn das Modell "Stiftungsinitiative der deutschen
Wirtschaft" scheitert, haben wir fast ein Jahr verloren. In dieser Zeit sind
tausende Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gestorben. Trotzdem bleibt
es unsere gesellschaftliche Aufgabe, eines der größten Verbrechen des 20.
Jahrhunderts würdig - nicht etwa abzuschließen - aber wenigstens zu
kompensieren. Hierzu bedarf es einer breiten politischen Debatte der
deutschen Gesellschaft - auch über die Höhe einer angemessenen Zahlung für
verlorene Jahre, zerstörte Gesundheit, Albträume und Verletzungen bis ins
hohe Alter.
Bis heute - über ein Jahr nach Beginn
der Verhandlungen - hat der Deutsche Bundestag das Thema NS-Zwangsarbeit
noch nicht behandelt. Dies ist dringend nachzuholen. Die Bundesregierung und
die sie tragenden Fraktionen haben sich in der zurückliegenden
Verhandlungsphase höchst einseitig an das Modell Industriestiftung gebunden.
Das hat zu Kränkungen der Überlebenden geführt. Jetzt ist der Dialog mit
ihnen zu suchen - und in einer Anstrengung der ganzen Gesellschaft das in
der Koalitionsvereinbarung fixierte Ziel einer Bundesstiftung "Entschädigung
für NS-Zwangsarbeit" zügig umzusetzen. Wenn möglich immer noch unter
Beteiligung der Industrie. Dabei geht es nicht um eine bloße Geste.
Zur gegenwärtige Zockerei um Entschädigungszahlungen:
Gerechtigkeit - konkret