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"Ich habe euch nicht vergessen“: Nach
dem Vorbild des inzwischen 90jährigen
Simon Wiesenthal (links) jagt
Efraim Zuroff von Jerusalem aus Nazis in aller Welt.
Photo:
SLW/haGalil onLine |
Israels einziger Nazi-Jäger Efraim Zuroff:
Recherchen gegen das Vergessen
Nervtöter aus Berufung
Seine Hartnäckigkeit fürchten nicht nur
die letzten lebenden Handlanger des Holocaust, sogar Regierungen tun es –
inzwischen wohl auch die deutsche
Von Thorsten Schmitz /
Süddeutsche Zeitung
Jerusalem, im Juli – In gewisser Weise prädestiniert Efraim
Zuroff nichts für diesen Job, einen, den es nur einmal auf der Welt gibt.
Für das, womit Efraim Zuroff sein Geld verdient, braucht man keine spezielle
Ausbildung, höchstens Berufung. Aber selbst die, sagt Zuroff und kratzt im
hellgrauen Dreitagebart, „hat es nicht gegeben in meinem Leben“. Seine
Kindheit verbrachte Zuroff in einer großen jüdischen Familie, wohlbehütet
und 6000 Kilometer von den Schreckensorten entfernt, an denen die Nazis die
Konzentrationslager errichtet hatten. Der Holocaust war zu Hause im New
Yorker Stadtteil Brooklyn „nie groß Thema gewesen“.
Eine erste Ahnung von Gaskammern und Deportationen erfaßte Efraim
Zuroff mit 15, als israelische Agenten Adolf Eichmann nach Jerusalem
entführten: „Meine Mutter zerrte mich aufgeregt vor den Fernseher. Sie
wollte, daß ich den Prozeß verfolge.“ Wie Israel den hochrangigen Nazi
Eichmann aufgespürt hatte, war Efraim damals ein Rätsel. Heute könnte er
es selbst lösen. Zuroffs Beruf, zu dem nur er sich selbst und sonst
niemand den Auftrag erteilt hat: Nazi-Jäger.
Kaffee beim Mörder
Aber nicht nur alte Nazis fürchten den Mann mit der gestrickten Kipa,
auch Regierungen. Inzwischen wohl auch die deutsche. Das
Bundesarbeitsministerium könnte viel Geld sparen, wenn es Zuroffs
Recherchen ernst nähme. Das tut es seiner Meinung aber nicht, weshalb
Zuroff ziemlich sauer auf die Bonner Regierung ist.
Es war kein Zufall, daß Zuroff mit 23 nach Israel zog; denn als
gläubiger Jude, so sagt er, „kann man eigentlich nur hier glücklich
sein“. Zufall war es schon eher, daß er damals, ohne es zu ahnen, den
Weg einschlug, der ihn zum Nazi-Jäger werden ließ: Er studierte jüdische
Geschichte bis zum Doktor, arbeitete sechs Jahre lang für das
amerikanische Office of Special Investigation, das Naziverbrecher
aufspürt und eine watch list führt, auf der die Personen stehen,
denen die Einreise in die USA wegen einer möglichen Verstrickung in
Nazi-Verbrechen verweigert wird.
Efraim Zuroff ließ dort den Namen Kurt Waldheims eintragen, was dem
früheren Präsidenten Österreichs bis heute die Einreise in die USA
verbietet. Zuroff fand zudem heraus, daß der SS-Arzt von Auschwitz, Dr.
Josef Mengele, in Brasilien gestorben war. Und ihm ist es zu verdanken,
daß Josef Schwammberger von einem Gericht in Stuttgart zu lebenslanger
Haft verurteilt wurde; der Kommandant dreier polnischer
Zwangsarbeiterlager habe mindestens 25 Juden persönlich ermordet.
Seit 13 Jahren nun leitet Zuroff das Simon-Wiesenthal-Zentrum in
Jerusalem. Wobei Zentrum ein großes Wort ist für drei Büroräume und eine
Halbtagssekretärin. Meistens hebt der Nazi-Jäger persönlich den Hörer ab
und beantwortet Fragen, wie die einer Redakteurin der Jerusalem
Post kurz vor Redaktionsschluß an einem Montag abend: „Sagen Sie
schnell, wie viele Familien wurden durch den Holocaust getrennt?“ Weil
es in Israel keine Nazis gibt, wird das Büro nicht von Videokameras oder
Polizisten gesichert. Zehn Fahrradminuten entfernt liegen im
gigantischen Archiv der Gedenkstätte Yad Vashem Millionen Dokumente und
100.000 Bücher. Dort recherchiert Zuroff nach den Namen der Mörder.
Sein Hauptthema: Mordkommandos, deren Mitglieder aus Litauen, Lettland,
Estland, Weißrußland und der Ukraine geflüchtet sind. Sie haben Juden
auf Befehl der deutschen Besatzer ermordet, manchmal sogar vor Ankunft
der Nazi-Besatzer. Wenn Zuroff fündig wird, beauftragt er einen
Privatdetektiv. Der tarnt sich dann schon mal als Student, der eine
Hausarbeit über das Baltikum im Zweiten Weltkrieg verfaßt – und landet
im Wohnzimmer eines Kriegsverbrechers in Kanada, der offen erzählt, wie
er und seine SS-Einheit in Lettland Juden exekutiert haben. Unterm
Revers des jüdischen „Studenten“ läuft ein Tonband, das Zuroff der
Regierung zukommen läßt. Als Antanas Kenstavicius, der als litauischer
Nazi-Offizier den Tod von 8000 Juden zu verantworten hat, vor Gericht
kam, starb er einen Tag später. „Passiert öfter. Sind ja auch nicht mehr
die Jüngsten.“ Die derzeit prominentesten Nazis auf Zuroffs Suchliste:
Gestapo-Chef Heinrich Müller und Eichmann-Helfer Alois Brunner, von dem
Zuroff „weiß“, daß er in Syrien wohnt. Oft muß Zuroff ins Baltikum, ist
aber jedesmal froh, wenn er wieder heimfliegt nach Israel.
Und Deutschland? Er hat das Land sehr lange gemieden, es ist für ihn
„der letzte Ort, an dem Juden leben können“.
Inzwischen betritt er deutschen Boden entspannter. Auch weil das Land
ihn für einen Auftrag angeheuert hat, was Zuroff zeigte, „daß es den
Deutschen ernst war mit einer Klärung der Vergangenheit“. Das „war“
betont er. Denn heute ist Zuroff nicht mehr sehr glücklich: „Ich bin
enttäuscht, um es milde zu formulieren.“
Der damalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm hatte Zuroff
gebeten, unter den Kriegsrentnern Deutschlands diejenigen
herauszufiltern, die Handlanger des Holocaust waren. Rund eine Million
Menschen beziehen deutsche Kriegsversehrten-Rente: 437.000 dienten bei
diversen Waffengattungen, 559 .000 sind Witwen, rund 33.000 leben im
Ausland. Die Bezüge liegen zwischen 140 und 1500 Mark im Monat. Im
Januar 1998 änderte der Bundestag das Bundesversorgungsgesetz. Seitdem
kann jedem Kriegsversehrten-Rentner, auch deren Frauen, die Rente
gestrichen werden, sobald belegt wird, daß der Mann Kriegsverbrechen
begangen hat. Für die Recherchen überwies Blüm Zuroffs Zentrum 200.000
Mark – und Zuroff legte vor anderthalb Jahren los.
Zusammen mit weltweit sechs Helfern erstellte Zuroff eine erste Liste
mit rund 12.000 Namen von Holocaust-Helfern und sandte sie ins
Arbeitsministerium. Doch „das Ganze ist Makulatur, ein Witz! Soweit ich
weiß, wurden bis heute vier Renten gestrichen, vier von 12.000!“ Auch
der neue Arbeitsminister Walter Riester konnte Zuroff nur trösten: „Bei
diesem Gesetz sind mir die Hände gebunden.“ Die Streichung einer
Kriegsversehrten-Rente ist an ein rechtskräftiges Urteil gekoppelt – so
müßten alle Holocaust-Handlanger, die Zuroff ausfindig gemacht hat, erst
einmal vor Gericht. „Warum hängen die Deutschen nicht einfach einen
Zusatz an das geänderte Bundesversorgungsgesetz?“ Zuroff „kann es nicht
fassen“, daß seine monatelange Arbeit umsonst gewesen sein soll. Er sagt
das erstaunlich ruhig.
Cool bleiben ist Zuroffs Geschäftsgrundlage. Ohne Rachegefühle spürt
Zuroff weltweit Nazis nach, ganz wie es ihm sein Mentor und Freund Simon
Wiesenthal in Wien beigebracht hat. Noch heute, mit 90 Jahren, geht
Wiesenthal jeden Tag in sein Büro, beantwortet Briefe, gibt Interviews,
schmökert in Büchern. Nie würde der große alte Jäger von Zuroff als
seinem Nachfolger sprechen. Längst aber hat Zuroff Wiesenthals Aufgabe
übernommen. Der Junge hält oft Rat mit dem Alten und hat sich das
Grundsatzprogramm Wiesenthals angeeignet. Fragt man ihn, warum er Nazis
jagt, antwortet er mit einem Gleichnis: Im Himmel werden die Opfer und
die Überlebenden des Holocaust zusammentreffen. Die Opfer werden die
Überlebenden fragen, was sie aus ihrem Leben gemacht hätten. Einer sagt:
„Ich war Geschäftsmann“, ein anderer: „Ich war Rechtsanwalt.“ Wiesenthal
wird sagen: „Ich habe euch nicht vergessen.“ Zuroff liebt die fünf
Worte.
Eine subtile Drohung
Weil auch er die ermordeten Juden nicht vergißt, ist Zuroff Nervensäge
von Beruf: Er wird nicht lockerlassen mit den Kriegsversehrten-Renten
und bei Riester immer wieder nachhaken. Zuroff war es auch, der
Millionen Menschen dazu brachte, den damaligen Kanzler Helmut Schmidt
mit Postkarten einzudecken, man möge die Verjährung von Nazi-Verbrechen
ja nicht zulassen. Die Regierungen von Kanada, Großbritannien und
Schweden bedrängte er so lange, bis sie Gesetze verabschiedeten, mit
denen man untergetauchte Nazi-Verbrecher verfolgen kann.
Nicht gerade mit viel Liebe kann Zuroff im Baltikum rechnen – dort und
in Kroatien wird der Mann als „zionistischer Agent“ sogar gehaßt. Mit
dem Ende der Sowjetmacht sahen Litauen, Lettland und Estland nur noch
Zukunft – nicht aber Zuroff, der in ihrer nationalsozialistischen
Vergangenheit schnüffelt. Zuroff vermutet in den drei Ostsee-Republiken
sehr viele Nazis. In Litauen beispielsweise wurden im Zweiten Weltkrieg
96 Prozent der 220.000 Juden von Litauern umgebracht – und zwar von
Litauern, „die heute noch ganz unbedarft in Wilna in den Supermarkt
fahren, um Milch einzukaufen“. Die litauische Regierung ist nicht gerade
begeistert über Zuroffs Schnüffelei. Wenn er zusammen mit einem Detektiv
an Ort und Stelle nach Nazis sucht, haben manche Regierungsvertreter
gerade „leider“ keine Zeit.
Wie unwillkommen er ist, konnte Zuroff erst vergangenen April der
größten Tageszeitung in Wilna entnehmen. Im Portemonnaie trägt Efraim
Zuroff wie eine Trophäe einen Zeitungsschnipsel mit sich herum, vom
vielen Zeigen schon porös. Es ist ein Photo, das Zuroff im Wintermantel
abbildet – eines, das der Redaktionsphotograph heimlich geschossen hat
und das Zuroff unter einem Straßenverkehrsschild zeigt, auf dem „Stop“
steht. Zuroff hält das Photo für eine subtil an ihn gerichtete
Aufforderung, zu verschwinden. Wenn er im Baltikum unterwegs ist, sagt
er, „paß’ ich schon auf, wer hinter mir läuft“.
Efraim Zuroff hat noch nie in seinem Leben persönlich mit einem Nazi
gesprochen – will er auch nicht unbedingt. Für ihn sind das „Menschen
ohne Moral, ohne Reue“. Er glaubt, er halte die ständige Konfrontation
mit den Horrorgeschichten auch nur deshalb aus, „weil meine Familie heil
geblieben ist“. Und wenn man ihm die Frage stellt, warum er Nazis jagt,
sagt Zuroff nur vier Worte, eines weniger als Simon Wiesenthal: „Weil
ich Jude bin.“
haGalil onLine -
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