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	 Leseprobe: Palästina 
    Gustav Landauer - Ausgewählte Schriften 
    Band 1: Internationalismus. Hrsg., kommentiert, mit einer 
    Gesamteinleitung, einer Einleitung zu Band 1 und einem Personenregister 
    versehen von Siegbert Wolf. Lich/Hessen 2008: Verlag Edition AV 
    Brief Gustav Landauers an Martin Buber vom 
    05.02.1918 
    In: BuBr I, S. 528. 
    "Lieber Buber, 
    Leider muss ich Nein 
    sagen. 
    Der Zeitpunkt, den Sie für bedeutsam und vielleicht entscheidend erklären, 
    ist für mich ein solcher, der mich schweigen heißt. Vom deutschen 
    Militärregiment geduldet oder von ihm veranlasst ist für mich, was all 
    solche Publikationen und ihre tatsächliche Wirkung angeht, nur ein 
    Gradunterschied. Je mehr sich Deutschland und die Türkei auf der einen 
    Seite, England, Amerika und die politischen Zionisten auf der anderen für 
    Palästina interessieren, umso kühler stehe ich dieser Gegend gegenüber, zu 
    der mein Herz mich noch nie gezogen hat und die für mich nicht notwendig die 
    örtliche Bedingung einer jüdischen Gemeinschaft ist. Das wirkliche Ereignis, 
    das für uns Juden bedeutsam und vielleicht entscheidend ist, ist nur die 
    Befreiung Russlands. Was in und um Palästina jetzt und in nächster Zeit 
    geschieht, sind fiktive Angelegenheiten auf dem Gebiet des politischen 
    Schwindels, und es wird kaum viel anderes herauskommen als aus dem 
    albanischen Reich des Fürsten von Wied. 
    Dies nur zur 
    notgedrungenen Motivierung in Kürze; ich weiß noch gar nicht, wie ich über 
    die Aufgabe der Judenheit denken werde, wenn die Menschheit durch diesen 
    Brand hindurch sein wird; einstweilen bin ich – trotz allem – einverstanden, 
    dass Bronstein 
    nicht Professor an der Universität Jaffa, sondern Trotzki in Russland ist." 
    Briefwechsel Gustav 
    Landauer/Nahum (Nachum) Goldmann vom 14.03. und 19.03.1919 
    In: MBAJ 167/168. 
    Erstveröffentlichung in der Originalsprache unter dem Titel: Nahum 
    Goldmann/Gustav Landauer, Ein Briefwechsel. In: Akratie (Basel). Hrsg. v. 
    Heiner Koechlin, Heft Nr. 9, Herbst 1977, S. 1ff. 
    
    "Sehr geehrter Herr Landauer! 
    
    Meine beiden Telegramme wegen des 
    Palästina-Delegiertentages haben Sie wohl erhalten und wissen, dass er erst 
    Ende April 
    stattfindet. Wir hoffen sehr, dass Sie um diese Zeit die Möglichkeit haben 
    werden, auch in Berlin zu sein und teilzunehmen. 
    
    Von Herrn Dr. Buber werden Sie schon wissen, dass 
    er beabsichtigt, für Mitte April in München eine kleine Konferenz 
    einzuberufen zur Klärung der Frage des Aufbaus der Palästinasiedlung. Sie 
    hatten uns in München Ihre Mitarbeit in Aussicht gestellt und sich auch 
    bereit erklärt, uns bei der Formulierung der Anträge und Thesen, die wir 
    eventl. dem Delegiertentag vorlegen wollen, zu unterstützen. Ich möchte 
    Ihnen heute die wichtigsten Punkte vorlegen, in denen wir Ihren Rat haben 
    müssen; sie stellen das Ergebnis einer Besprechung der hiesigen Freunde dar. 
    
    1) Als die Grundfrage beim Aufbau der Siedlung 
    betrachten wir das Problem der zentralisierten oder dezentralisierten 
    Gesellschaft. Wir sind uns hier alle in dem Wunsch einig, dass die Siedlung 
    nach den Prinzipien einer dezentralisierten Gemeinschaftsordnung aufgebaut 
    werde, in der der Schwerpunkt bei den Einzelgemeinden liegt, in denen die 
    Menschen in unmittelbaren Beziehungen zueinander leben können. Die 
    Schwierigkeit der Frage liegt nur darin, festzustellen, welche Gebiete des 
    Gesellschaftslebens eine zentralisierte Ausgestaltung verlangen, wie z.B. 
    viele Gebiete der technischen Verwaltung und des Wirtschaftslebens. 
    
    Wir bitten Sie nun, uns hierin Ihre Meinung 
    mitteilen zu wollen und wenn möglich Ihren Standpunkt in Form einiger 
    grundlegender Thesen zu formulieren. 
    
    2) Über die Nationalisierung des Bodens 
    sind wir uns alle einig, mit uns ja heute, glaube ich, auch schon der 
    grössere Teil aller Zionisten. Mit Nationalisierung des Bodens verlangen wir 
    auch diejenige der Bodenschätze (Wasser, Kohle etc.). 
    
    3) Sehr schwierig und ungeklärt sind für uns die 
    Fragen der Industrie. Die Wenigsten von uns sind Marxisten in dem Sinne, 
    dass sie eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel verlangen. Uns allen 
    schwebt so etwas wie eine genossenschaftlich organisierte Fabrik vor, an der 
    die Arbeiter ebenso wie der Unternehmer beteiligt sind, und zwar 
    gleichberechtigt in allen Fragen der Gewinnbeteiligung, der Leitung etc. Die 
    strittigen Fragen sind: 
    
    a) Ob der Profit der gesamten Gemeinschaft oder 
    nur der Spezial-Fabrikgenossenschaft gehören soll, wodurch, wie manche 
    befürchten, die Gefahr der Herausbildung einer neuen kleinbürgerlichen 
    kapitalistischen Arbeiterklasse vorhanden wäre, und andererseits auch die 
    Arbeiter der rentableren Fabriken sehr viel günstiger gestellt wären als 
    diejenigen weniger rentabler? 
    
    b) Ob nicht doch eine Vereinigung der beiden 
    Prinzipien, der genossenschaftlichen Einzelfabrik auf der einen und der 
    vergesellschafteten Industrie auf der anderen Seite möglich wäre, etwa in 
    dem Sinne, dass eine gewisse Vergesellschaftung im Sinne einer Kontrolle und 
    weitgehender Eingriffsrechte der Allgemeinheit erforderlich wäre, schon aus 
    dem Grunde, damit nicht die Arbeiter gut gehender Fabriken sich gegen den 
    Zuzug neuer Elemente wehren können? 
    
    4) Sehr schwierig und ungeklärt sind uns auch 
    ferner die Fragen der Regelung des Handels. Soll er nationalisiert werden, 
    soll er ganz in die Hände der einzelnen Siedlungen gelegt werden, wer soll 
    den internationalen Tauschhandel betreiben etc.? 
    
    Das sind diejenigen Punkte, über die wir uns 
    bisher in unserem Kreise ausgesprochen haben und für die wir um Ihren Rat 
    bitten. In all diesen Fragen wollen wir eventl. Thesen oder Resolutionen dem 
    Delegiertentag vorlegen und bitten Sie, uns Ihren Standpunkt in solchen 
    Thesen formulieren zu wollen. Im übrigen werden wir ja alle diese Fragen auf 
    der Konferenz in München eingehend besprechen können, nur wäre es uns lieb, 
    wenn Sie uns schon vorher einiges schriftlich mitteilen wollten, damit wir 
    ein wenig vorbereitet hinkommen. 
    
    Über andere wichtige Fragen (Araberfrage, Frage 
    der landwirtschaftlichen Betriebe, Bedingungen der Erbpacht und anderes) 
    wollen wir uns erst hier noch unterhalten, bevor wir an Sie mit der Bitte um 
    Ihren Rat auch in diesen Dingen herantreten. 
    
    Ich hoffe, dass sie bei all Ihrer Inanspruchnahme 
    in diesen Tagen und Wochen in München vielleicht doch Zeit finden werden, 
    uns unsere Fragen zu beantworten und danke Ihnen in unser aller Namen. 
    
    Mit den besten Grüssen und Wünschen bin ich 
    
    Ihr 
    
    gez. Nahum Goldmann" 
    "Lieber 
    Herr Goldmann, 
    
    Buber hat mir noch nicht geschrieben. Jedenfalls 
    nehme ich gern an der Konferenz in München teil. Wenn es geht, möchte ich 
    die Entscheidung, ob ich auch nach Berlin zum Delegiertentag gehen kann, 
    erst zur Zeit der Münchner Konferenz fällen; es sind der Unbestimmtheiten, 
    von denen ich abhänge, zu viele. 
    
    Ihre Fragen wollen wir gemeinsam auf der 
    Konferenz zu lösen versuchen; jedenfalls will ich jetzt keine Antworten 
    geben, sondern die Fragen nennen, die noch zu Ihren Fragen dazugehören. 
    
    Zu l): Dezentralisation und damit Freiheit und 
    Freiwilligkeit ist überall da in weitem Maße durchzuführen, wo man nicht auf 
    Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit sehen muss, d.h., wo man es sich 
    leisten kann, um der Seele willen unsparsam zu wirtschaften. Hierher gehört 
    also schon die Frage: Wird man die Wirtschaft, auch das, was sonst 
    Staatswirtschaft hieß, auf die bloße Produktivität der Arbeit stellen? Oder 
    ist Rentabilität erfordert? Eine weitere Frage ist, ob man nicht - abgesehen 
    von den Zentralisationseinrichtungen, die man schon vorfindet, den nötigen 
    Zentralismus aus Gemeindebünden erwachsen lassen soll? Von Fall zu 
    Fall? - In engem Zusammenhang mit der Frage des Zentralismus stehen die 
    Fragen der Besteuerung, des Staatshaushalts, Polizei und Gerichtswesen, 
    Beamtentum und Delegationswesen (demokratische Regierung). Und bei alledem 
    scheint es mir möglich, fast alles, was vom Staat notwendig sein wird, nicht 
    von vornherein aufzuerlegen, sondern aus den Gemeinden und ihren Bünden 
    erwachsen zu lassen; aber nur dann, wenn nicht Zweckmäßigkeit des Organismus 
    der oberste Grundsatz ist, sondern das seelische Wohlbefinden der einzelnen 
    Glieder. 
    
    Zu 2): Nationalisierung des Bodens muss 
    Grundsatz sein. Er muss in all den Fällen zur angewandten Wirklichkeit 
    werden, wo es sich um seltene Bodenschätze handelt, auf die die Gemeinschaft 
    Anspruch hat. (Erz, Kohle, Tonlager, grössere Wasserkräfte, die zu mehr als 
    Gemeindezwecken dienen u.s.w.) Im Allgemeinen aber kann der Grundsatz zum 
    Faktum werden in mannigfachen Formen: Vergebung von einzelnen Loten durch 
    die Gemeinden in Erbpacht, Gemeindebesitz mit gemeinsamer Bewirtschaftung 
    und dergleichen mehr. - Auch hier spielt die Frage zu 1) stark herein. Ich 
    meine, dass jede Gemeinde ihre Gemarkung hat, über die sie mit Ausnahme der 
    Fälle der Gemeinschaftsbodenschätze selbständig verfügt. Aber gerade hier 
    ist reichlich Gelegenheit zu Gemeinbünden: gemeinsame Beschaffung 
    künstlichen Düngers, landwirtschaftlicher Maschinen, 
    Vertriebsgenossenschaften u.s.w. Auch hier meine ich: Lieber auf die Gefahr 
    der Verschwendung hin die Freiwilligkeit wachsen lassen, als von vornherein 
    die Zwangsorganisation auferlegen. 
    
    Zu 3): Man braucht wahrhaftig kein Marxist zu 
    sein, um die Profitwirtschaft völlig auszuschließen. Ihre Fragestellung hat 
    für mich keine Bedeutung. Hierher gehört vielmehr die Frage des äquivalenten 
    Tausches, der zinslosen Geldwirtschaft und des gegenseitigen Kredits. Und 
    dann, wenn sie so gelöst sind, wie sie gelöst werden können, die Frage des 
    
    4) nationalen Handels und des Handels mit der 
    vielleicht noch kapitalistischen - Außenwelt. Diese Fragen sind beide 
    sekundär. Sind erst die Fragen zu 3) gelöst, so hat jede Ware ihren 
    Marktwert, und die Art, wie zu markten ist - durch Märkte, durch Angebot und 
    Nachfrage in Anzeigeblättern - bildet keine Schwierigkeit. - Die Frage des 
    Tauschverkehrs mit fremden Ländern hängt aber von zwei Umständen ab: a) ob 
    man überschüssige Produkte hat; b) ob man sie so gut und so billig anbieten 
    kann, dass der Weltmarkt sie begehrt? Diese Fragen werden beide mit ja 
    beantwortet werden müssen und hiefür wird die Gemeinschaft Sorge tragen 
    müssen, wenn man gewisse Güter importieren muss. Da das ohne Zweifel der 
    Fall ist - gleichviel in welchem Maße - wird mehr als alles andere der 
    Außenhandel nationalisiert und der Privatwirtschaft, auch der 
    Gemeindewirtschaft, entzogen sein müssen. Besorgung und Verteilung der Waren 
    aus dem Ausland wird Sache der Gesamtheit sein müssen; und die Gesamtheit 
    wird auch dafür sorgen, dass entsprechende Güter für den Export da sind, 
    widrigenfalls es zu Verpfändungen und zu Abhängigkeit vom Ausland käme. - 
    
    Ich schlage vor, Sie und Ihre Freunde bedenken 
    diese vorläufigen Bemerkungen, und wir wollen dann in gemeinsamer Arbeit zu 
    Thesen kommen. Einstweilen mit herzlichen Grüssen 
    
    Ihr Gustav Landauer" 
    Brief Gustav 
    Landauers an Martin Buber vom 20.03.1919 
    [Auszug] In: BuBr II, S. 33f. [hier: S. 34; auch GLAA 116] 
    
    "[...] Wegen der Konferenz jüdischer Sozialisten hat schon Goldmann an mich 
    geschrieben und ich habe seine vorläufigen Fragen gestern beantwortet, mit 
    weiteren Fragen, von denen er Ihnen wohl Kenntnis gibt. Eine weitere 
    schriftliche Erörterung scheint mir der persönlichen Aussprache nicht mehr 
    vorausgehen zu brauchen; ich hätte auch keine Zeit dazu. Ich glaube, die 
    Konferenz kann fruchtbar werden; wir beide jedenfalls werden geladen genug 
    sein. [...]" 
    >>
    Gustav Landauer - Ausgewählte Schriften 
    
    Anmerkungen: 
    
     
    Anfang Februar 1918 hatte Buber Landauer gebeten, an der von ihm geplanten, 
    allerdings nicht zustande gekommenen Sammelschrift „gegen das Eindringen des 
    Imperialismus und Merkantilismus in Palästina“ (Martin Buber) mitzuwirken. 
    
     Im 
    März 1914 war Wilhelm, Prinz zu Wied, Fürst von Albanien geworden, musste 
    das Land allerdings bereits im Herbst d. J. wieder verlasen. 
    
     
    Leib Bronstein, eigentlicher Name von Lew Dawidowitsch Trotzki, auch Leo 
    Trotzki (1879-1940), marxistischer Revolutionär, Gründer der Roten Armee und 
    des Trotzkismus, gilt als der gescheiterte Stalin. 
    
     
    Nahum Goldmann (1895-1982), später Präsident der Jewish Agency for Israel 
    und der zionistischen Weltorganisation. Obgleich kein Zionist erklärte sich 
    Landauer bereit, an einer Konferenz jüdischer Sozialisten Mitte April 1919 
    in Münchehn als Referent teilzunehmen. Auf dieser Tagung, die infolge der 
    Zeitumstände verhindert wurde, sollte über jüdisch-sozialistische Siedlung 
    in Palästina nachgedacht werden. Die Kibbuzbewegung in Palästina verfolgte 
    Landauer mit wachsendem Interesse. Gleichwohl äußerte er sich kritisch 
    bezüglich Plänen einer Rückkehr des Diasporajudentums nach Palästina. Neben 
    dieser geplanten Tagung beabsichtigte Landauer dem außerordentlichen 
    Palästina-Delegiertentag Ende Mai 1919 in Berlin beizuwohnen. Siehe auch den 
    Brief Gustav Landauers an Martin Buber vom 20.03.1919. (Abdruck im 
    vorliegenden Band) 
    
     
    Nahum Goldmann schrieb aus Berlin an Landauers damalige Münchner Adresse: 
    Hotel Wolff, Arnulfstraße. 
    
     
    Der außerordentliche Palästina-Delegiertentag fand vom 26. bis 29. Mai 1919 
    in Berlin statt. 
    
     
    Seine Antwortschreiben vom 19.03. formulierte Landauer in Krumbach 
    (Schwaben).  |