Jenseits von
alarmistischer Rhetorik:
Was tun in Deutschland gegen die iranische Atombombe?!
Von Arne
Behrensen
Benjamin
Netanyahu gab im November 2006 die Linie aus:
"Es ist 1938 und
Iran ist Deutschland!". Auch in der deutschen
Iran-Debatte werden teilweise ähnliche Töne angeschlagen. "Können wir uns
diesen Populismus wirklich leisten, wenn wir uns mit der vielleicht
wichtigsten Frage für die Sicherheit Israels befassen?" – diese rhetorische
Frage des Meretz-Abgeordnete
Avshalom Vilan
stellt sich deswegen nicht nur in Israel.
In der Tat,
das iranische Atomprogramm stellt eine existentielle Gefahr für Israel dar -
auch wenn die
israelische
Raketenabwehr
Fortschritte macht und eine aktuelle Studie des einflussreichen
Institute for
National Security Studies zu dem Ergebnis kommt, dass ein
tatsächlicher Einsatz einer iranischen Atombombe gegen Israel
unwahrscheinlich wäre. Spätestens nach Ahmadinejads Brandrede zur
Vernichtung Israels auf der Teheraner Konferenz "World without Zionism" wäre
die deutsche Mehrheitsgesellschaft gefordert gewesen, ein klares Zeichen der
Solidarität mit Israel zu setzen. Es blieb leider
Paul Spiegel
überlassen, dies anzuregen. Nach seinem Aufruf im Januar 2006 begannen die
Parteispitzen tatsächlich zu planen und iranische Organisationen in
Deutschland bekundeten ihr Interesse an einer Teilnahme. Doch die
Regierungsparteien zögerten die Planungen hinaus und ließen sie letztlich im
Sande verlaufen. Selbst nach der Teheraner Holocaust-Leugner-Konferenz im
Dezember 2006 gab es keine neuen Initiativen.
In
Deutschland nahmen die Organisationen "I like Israel" und "honestly
concerned" den Ball auf und versuchten für den 28. Januar 2007 in Berlin zu
einer "Großdemonstration" gegen den "atomaren Holocaust" zu
mobilisieren. Ihre groß angelegte alarmistische Mobilisierungskampagne
gipfelte in einem
Plakat mit einem über Atomanlagen und dem Lagertor von
Auschwitz-Birkenau thronenden Ahmadinejad. Die brachialer Plakatästhetik
erwies sich als fatal: Der Zentralrat der Juden distanzierte sich im Vorfeld
von der Demonstration, und obwohl zahlreiche jüdische Gemeinden den Aufruf
unterstützten, waren es doch hauptsächlich die altbekannten "Israelfreunde",
die die 700 Demonstranten stellten.
Der Grund
für die Unterstützung der Demonstration durch zahlreiche jüdische Gemeinden
wurde von
Uriel Kashi
auf hagalil.com treffend beschrieben. Die Initiative füllte vor allem ein
politisches Vakuum - ein Vakuum, dass auch durch mangelnde Initiativen des
Zentralrats der Juden entstand. Es ist dennoch fatal, wenn in einer solchen
Situation kleine Gruppierungen mit alarmistischer Rhetorik und brachialer
Plakatästhetik auf den Plan treten. Organisationen wie "I like Israel" und
"honestly concerned" stehen selbst dem von ihnen zu Recht angemahnten
breiten gesellschaftlichen Bündnis im Wege. Das liegt nicht nur am
unseriösen Auftreten ihrer exzentrischen Vertreter, sondern auch in der Form
ihrer Israelsolidarität, die vorwiegend christlich-fundamentalistische und
antideutsch-linksradikale Bündnispartner anzieht.
Dabei gibt
es sehr wohl Optionen, eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen und zu
mobilisieren. So besteht in Deutschland eben keine generelle
Gleichgültigkeit gegenüber dem iranischen Atomprogramm. Eine aktuelle
Umfrage der Bertelsmann-Stiftung hat gezeigt, dass
62% der Deutschen die Ansicht teilen, dass Israel
durch eine iranische Atombombe existenziell bedroht ist. Die
Holocaust-Leugner-Konferenz und die Aufrufe zur Vernichtung Israels wurden
parteiübergreifend scharf verurteilt. Zwar wird der Bundesregierung bzw. der
EU in der Frage des iranischen Atomprogramms gerne Appeasement vorgeworfen.
Wenn man sich die internationalen Verhandlungen jedoch ansieht, sind es
Russland und China, die die härteren Sanktionsvorschläge auch der Europäer
im UN-Sicherheitsrat lange blockiert und schließlich deutlich verwässert
haben. Die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen sind nach jahrelang
steilem Anstieg
2006 erstmals geschrumpft.
Auch wenn
die im Dezember verhängten UN-Sanktionen bereits
ernsthafte
Auseinandersetzungen innerhalb des iranischen Regimes über den
zukünftigen Atomkurs ausgelöst haben – es steht außer Zweifel: angesichts
der fortgesetzten iranischen Weigerung, die Urananreicherung einzustellen
und auf das
Verhandlungsangebot
der internationalen Gemeinschaft einzugehen muss die EU mehr tun.
Ein
internes EU-Papier
stellte kürzlich fest, dass die bisherigen Verhandlungen der Europäer keine
Auswirkungen auf den technischen Fortschritt des iranischen Atomprogramms
hatten. Ex-Außenminister
Joschka Fischer
mahnte bereits im September 2006, man hätte "bereits beim G-8-Gipfe in Sankt
Petersburg Mitte Juli die Weichen für einen wirksamen Wirtschaftsboykott"
stellen müssen. Und: "Wir sollten keine Angst vor einer explosiven
Entwicklung des Ölpreises haben, sondern uns darauf vorbereiten."
Dafür aber
fehlt bisher (und nicht nur in Deutschland) die öffentliche Unterstützung -
zu abhängig sind Wirtschaft und individuelle Mobilität vom Ölpreis und
obendrein drohen
Unternehmerverbände, Iran-Sanktionen würden 10 000
Arbeitsplätze gefährden. Vor allem aber dominiert in Deutschland die Furcht
vor einem möglichen israelischen oder US-Militärschlag: Laut der erwähnten
Bertelsmann-Studie lehnen 61% der Deutschen einen Militärschlag prinzipiell
ab, während ihn fast 80% der Israelis als letztes Mittel für gerechtfertigt
halten. Sowohl die USA als auch Israel halten dafür
Planungen
bereit.
Gegen einen
Militärschlag sprechen jedoch wichtige Argumente: Die Aussichten, das
iranische Atomprogramm auf diese Weise effektiv stoppen zu können, sind mehr
als zweifelhaft, der Bau der Bombe könnte sogar unausweichlicher werden. Die
regionalen und weltpolitischen Folgen eines Militärschlags wären
unkalkulierbar und Befürchtung etwa der iranischen Erfolgsautorin
Azar Nafisi ("Lolita lesen in Teheran") "die
militaristischsten und reaktionärsten Elemente innerhalb der iranischen
Führungselite" könnten die Hauptprofiteure sein, sind nicht einfach von der
Hand zu weisen.
Schon
Forderung nach einem Militärschlag und demonstrative Planung sind ein
gefundenes Fressen für den innenpolitisch durch verlorene Kommunal- und
Expertenratswahlen sowie Wirtschaftsprobleme
geschwächten Ahmadinejad. Sie mindern auch den Zusammenhalt der
internationalen Gemeinschaft, beim Bestreben, den Druck auf Iran gemeinsam
zu erhöhen. Damit aber steigt die Gefahr, dass entweder die USA oder Israel
eines Tages tatsächlich glauben könnten, nur noch mit einem Militärschlag
eine iranische Atombombe verhindern zu können oder aber die Weltgemeinschaft
iranische Atomwaffen hinnehmen muss. Wer Israel vor diesen gefährlichen
Optionen bewahren möchte, der sollte bei allem dafür nötigen Druck deutlich
für eine Verhandlungslösung im Atomkonflikt eintreten. Auch das war bei der
Demonstration am 28. Januar in Berlin leider nicht der Fall.
Was die
deutsche Öffentlichkeit angeht sollte man sich natürlich keine Illusionen
machen: eine wirkliche "Großdemonstration" gegen die atomaren Ambitionen
Irans und für Solidarität mit Israel wird es nicht geben. Zu erinnern ist an
die berüchtigte
Umfrage von 2003,
der zufolge in ganz Europa Israel und nicht etwa der Iran (oder Nordkorea)
als größte Gefahr für den Weltfrieden gilt.
Dass
parteiübergreifende Bündnisse gegen die iranische Bedrohung Israels in
Deutschland jedoch prinzipiell möglich sind, zeigt das
Berliner Bündnis gegen den
internationalen Al Quds-Tag. Seit 2003 macht die
kleine Initiative jährlich gegen den von Khomeini 1979 eingeführten und zur
Vernichtung Israels aufrufenden Propagandatag mobil. Zwar kamen nur wenige
Hundert Menschen zu den Kundgebungen gegen die alljährliche Berliner Al
Quds-Tag-Demonstration, doch Prominente aller Parteien (inklusive
Linkspartei) haben die Aufrufe unterstützt und der Kampagne entsprechende
Medienresonanz verschafft. Vor allem aber: Unter Initiatoren und
Erstunterstützern der Kampagne waren viele prominente Migranten und
insbesondere iranische Organisationen. Realistisch betrachtet kann nur ein
solch breites Bündnis der iranischen Propaganda etwas entgegen setzen und
die deutsche Öffentlichkeit bewegen.
Für das
Zustandekommen eines solchen Bündnis' ist es unverzichtbar, Differenzen bei
der Beurteilung des israelisch-palästinensischen Konflikts zurückzustellen
und gemeinsam eine für beide Seiten akzeptable Zweistaatenlösung zu
vertreten. Alles andere bedient die Propaganda des iranischen Regimes, die
erfolgreich auf die weltweite Polarisierung Zionisten vs. unterdrückte
Muslime setzt. Dieser Propagandafalle zu entgehen ist vor allem für
iranische Oppositionelle wichtig. Die überwiegende Mehrheit der Iraner ist
keineswegs pro-israelisch sondern eher pro-palästinensisch eingestellt. Auch
wenn viele Oppositionelle die Leugnung des Holocausts oder Aufrufe zur
Vernichtung Israels
deutlich verurteilen,
explizit pro-israelischen Kampagnen würden sich nur iranische Monarchisten
und wenige Einzelpersonen anschließen.
Die
Menschen im Iran - vor allem die Mehrheit der jungen Menschen - sind der
wichtigste Bündnispartner gegen das iranische Regime und sie werden es eines
Tages überwinden. Deswegen müssen ihre Freiheitswünsche im Zentrum jeder
Kampagnen gegen das iranische Regime stehen. Eine ausschließliche
Konzentration auf die Atomfrage und die Bedrohung Israels ist
kontraproduktiv. Das iranische Regime versucht gerade mit dem Atomprogramm
und der Agitation gegen die Sanktionen eine nationalistische Stimmung zu
schüren und damit seine Herrschaft zu stabilisieren. Wer dies verhindern
will, muss den Iranern deutlich zeigen, dass uns ihr Wunsch nach
demokratischen Freiheiten nicht egal ist und wir zur praktischen Solidarität
bereit sind.
Nun darf
man bei der Zusammenarbeit mit iranischen Oppositionellen nicht der Illusion
verfallen, die innere Opposition könne schon sehr bald zu einem
Regimewechsel führen. Was den Bau der iranischen Atombombe angeht, so wird
er nach unterschiedlichen Szenarien noch
zwischen drei
und zehn Jahren dauern. Erstmal geht bis dahin kein
Weg an einer Verhandlungslösung mit dem bestehenden Regime vorbei. Doch
dafür braucht es jetzt sowohl entschlossenen internationalen Druck und kluge
Diplomatie als auch eine ausgestreckte Hand an die iranische Gesellschaft.
Jenseits von "Großdemonstrationen" kann dazu auch in Deutschland beigetragen
werden: mit demonstrativer Unterstützung von Sanktionen zur Durchsetzung
einer Verhandlungslösung in der Atomfrage, durch Solidarität mit
demokratischen Kräften im Iran oder mit Protesten am nächsten
internationalen Al Quds-Tag. Nichts wäre dafür nötiger als die Etablierung
einer Art Deutsch-Iranischer Gesellschaft zur Unterstützung von Demokratie
und Menschenrechten im Iran, die dafür die nötigen Initiativen ergreift.
Der
Autor ist Mitinitiator des Berliner Bündnis gegen den internationalen Al
Quds-Tag
[Zur
Diskussion im Forum]
Sacha Stawski/Honestly Concerned e.V.:
Stellungnahme zu der "alarmistischen
Rhetorik" von Arne Behrensen
Alarmistische Rhetorik:
Zur
Diskussion um die Israelsolidarität |