Leugnen, (Spuren) verwischen und (Völkermord) vertuschen:
Frankreich und Ruanda
Von Bernard Schmid,
Paris
Aktuelle Reaktionen auf französischer Seite...
Auf Seiten des französischen Staates mochte man sich zwar offiziell nicht
allzu weit aus dem Fenster lehnen. Aber ein, namentlich nicht genannter,
Vertreter der französischen Regierung wurde vorige Woche quer durch die
Presse mit Äußerungen zitiert, denen zufolge der Bericht von Jean-Louis
Bruguière "nahe an der Wahrheit liegt" ('Le Monde' vom 26./27. November).
Die ruandische Staatsführung reagiere deshalb so gereizt, so wird die anonym
bleibende Stimme der französischen Staatspolitik weiterhin zitiert, weil
"sie die Wahrheit nicht verträgt".
Hohe französische Militärs äußerten sich unterdessen bereits triumphierend,
als die Nachrichten vom Inhalt des Bruguière-Berichts bekannt wurden. Der
General Jean-Claude Lafourcade frohlockte, der Untersuchungsbericht
Bruguière belege, dass sowohl das Attentat auf das Präsidentenflugzeug als
auch der (dadurch provozierte) Genozid Bestandteile einer "planmäßigen
Strategie der Machteroberung" seien. Natürlich, ihm zufolge, auf Seiten der
Tutsi-Rebellenbewegung RPF. Der General Lafourcade ist der ehemalige
Oberkommandierende der berüchtigten "Operation Türkis", die Frankreich im
Juni und Juli 1994 in Ruanda durchführte und die den Abzug der rassistischen
Hutu-Milizen (in das damalige Ost-Zaire) deckte. Insofern hat der Mann auch
einen teilweise ruinierten Ruf wieder herzustellen. "Das (Anm.: die
angeblichen Erkenntnisse des Jean-Louis Bruguière) erlaubt es, die jüngste
Geschichte Ruandas auf besonnenere Weise zu studieren und nicht mehr
einseitig, wie es bisher der Fall war. Wenn man die Geschichte nicht korrekt
umschreibt, wird es in diesem Land (Ruanda) niemals eine Aussöhung geben"
fügt der Mann, reichlich arrogant, hinzu. Ein nicht namentlich genannter
"hoher Beamter im französischen Verteidigungsministerium", der in 'Le Monde'
vom 23. November zu Wort kommt, führt seinerseits aus: "Bislang hatte man
den Eindruck, dass den französischen Militärs die Beweislast zukommt, dass
sie davon überzeugen mussten, dass sie nicht schuldig seien. Heute sind die
Dinge umgekehrt worden: Man sieht, dass der Ursprung all dessen (Anm.: eine
Formulierung, um den Völkermord zu benennen) auf Seiten von Kagamé liegt."
In diese politische
Landschaft passt, dass das Pariser Verteidigungsministerium am Donnerstag
voriger Woche ankündigte, der ehemalige französische Vize-Militärattaché in
Ruanda, Grégoire de Saint-Quentin, werde "in den nächsten Tagen" per
Videokonferenz vor dem Internationalen Tribunal in Arusha aussagen. Dieser
in Tanzania basierte Gerichtshof ist im November 1994 durch die Vereinten
Nationen eingerichtet worden, um über die Hauptverantwortlichen des Genozids
zu entscheiden. Die Prozesse dort sollen bis zum Jahresende 2008 (in erster
Instanz) abgeschlossen werden. Der Oberstleutnant Saint-Quentin soll dort
"auf Antrag der Verteidigung der ruandischen Militärs, die des Völkermords
angeklagt sind, aussagen", wie 'Le Monde' vom 25. November es knapp auf den
Punkt bringt. Die Verteidigung der dort des Völkermords Angeklagten hat im
übrigen vorige Woche den Untersuchungsbericht Bruguières lautstark begrüßt,
während die von den UN beauftragte Anklagevertretung sich nicht äußerte.
"Das ist sehr positiv", erklärte etwa der Anwalt Raphaël Constant, der den
Oberst Théoneste Bagosora verteidigt. Letzter ist angeklagt, der
"Chefideologe des Genozids" gewesen zu sein.
Derselbe französische Oberstleutnant Saint-Quentin wird aber auch in dem
Untersuchungsbericht von Richter Bruguière als wichtiger Zeuge zitiert. Er
war damals, im April 1994, durch die ruandischen Behörden zur Absturzstelle
des Präsidentenflugzeugs durchgelassen bzw. herbeigerufen worden. In dem
Dokument des Richters Bruguière behauptet Saint-Quentin nun, er habe damals
"eine handschriftliche Notiz" der Führung der Rebellenbewegung RPF, in der
diese das "Gelingen der Operation" begrübt
habe, gesehen. Schriftliche Spuren des von ihm (angeblich) erblickten
Dokuments gibt es aber nicht.
...und auf ruandischer Seite
Selten waren die offiziellen Beziehungen zwischen den beiden Länder derart
angespannt. Der ostafrikanische Staat hat am vergangenen Freitag
beschlossen, sämtliche diplomatischen Beziehungen zu Frankreich abzubrechen.
Zukünftig werden die Botschaften Belgiens und Deutschlands die Interessen
ihres westlichen Nachbarlands in Kigali, der Hauptstadt Ruandas, mit
vertreten. Der französische Botschafter Dominique Decherf musste innerhalb
von 24 Stunden das Land verlassen und reiste am Samstag Abend tatsächlich
aus. Am Donnerstag war auch der ruandische Botschafter aus Paris – Emmanuel
Ndagijmana – abgezogen worden. Staatspräsident Paul Kagamé erklärte unter
anderem : "Frankreich ist ein reiches Land, also denkt es, dass es immer
Recht hat, auch wenn es im Unrecht ist. Aber Frankreich kann Ruanda nicht
behandeln, wie es andere Entwicklungsländer behandelt hat. Wir werden
Frankreich die Stirn bieten." Kagamé fügte gegenüber dem Fernsehsender
i-TELE hinzu: "Dort, wo dieses Flugzeug abgeschossen worden ist, wurde die
Zone durch französische Soldaten kontrolliert. Also, warum verlangt man von
den Franzosen keine Erklärungen ? (...) Frankreich ist in den Genozid
verwickelt. Daran gibt es keinen Zweifel."
Am Montag dieser Woche mussten zudem die verbleibenden Einrichtungen
Frankreichs auf ruandischem Boden, darunter das französische Kulturzentrum
und die Schule Saint-Exupéry, geschlossen werden. Eine Ironie der
Geschichte : Die dortige französische Schule trug denselben Namen wie
Patrick de Saint-Exupéry, der während des und nach dem Völkermord in Ruanda
zu den mutigsten französischen Journalisten gehörte und die staatsoffizielle
Version offensiv in Frage stellte. Die Schule trug ihren Name freilich nach
dem Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, mit dem Patrick de S.-E.
verwandt ist.
Aufgebrachte Demonstranten versuchten zudem am Montag dieser Woche in
Kigali, in die nunmehr geschlossene französische Botschaft einzudringen und
das Tor aufzubrechen. Sie wurden jedoch durch die ruandische Polizei daran
gehindert. Bereits am vorigen Donnerstag hatten 25.000 Menschen in Ruandas
Hauptstadt gegen die französische Politik demonstriert. Sie trugen Schilder
mit Aufschriften wie "Frankreich – Völkermörder", "Hört auf, die Mörder zu
schützen" oder auch "Frankreich raus aus Ruanda". Einige hatten auch Fotos
des Pariser Richters Jean-Louis Bruguière bemalt.
Relativ barsch reagiert hat auch der Staatsanwalt am Internationalen
Gerichtshof zu Ruanda im tanzanischen Arusha, Hassan Bubacar Jallow. Das
Ansinnen des französischen Untersuchungsrichters Bruguière, er solle im
Namen der UN ein Ermittlungsverfahren gegen den ruandischen Präsidenten
Kagamé aufnehmen, wies er mit den Worten zurück, er "habe von niemandem
Weisungen zu empfangen".
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Version dieses Textes erschien in
Jungle World 49 v. 6.12.2006. |