Leugnen, (Spuren) verwischen und (Völkermord) vertuschen:
Frankreich und Ruanda
Von Bernard Schmid,
Paris
Stellvertreterkrieg zwischen Paris und Washington
Die nackte machtpolitische Dimension wurde dabei hinter den Kulissen offen
ausgesprochen, doch in den Vordergrund gerückt wurde nach auben
hin die sprachpolitische Komponente. Ruanda war bis dahin ein Land, in dem
Französisch (neben Kisualehi) die Amtssprache war. Uganda dagegen ist
englischsprachig und eine ehemalige britische Kolonie, wo freilich die
US-Amerikaner den früheren britischen Einfluss abgelöst haben (ähnlich wie
die Franzosen die früheren belgischen Positionen in Ostafrika übernommen
hatten). Die Kader der RPF, die in Ruanda geboren oder zumindest
aufgewachsen sind, sprachen ihrerseits Englisch und kein Französisch. Sie
waren zum Teil eng mit dem ugandischen Regierungsapparat verbunden,
jedenfalls Paul Kagamé, der in seiner Jugend ein Schulkamerad des
ugandischen Präsidenten (ab 1986) Yoweri Museweni gewesen war und der
zeitweise den militärischen Nachrichtendiensts Ugands leitete. Darüber
hinaus hatten sie unzweifelhaft ihre Kontakte zur US-Administration.
Deshalb auch erklärte man damals in Paris, es gelte, die Sphäre der
"Francophonie" (also des postkolonialen französischen Sprachraums) gegen den
Verlust eines Mitgliedslands – bedroht von einer "anglophonen und
marxistischen" Guerilla - zu verteidigen. Daher unterstützte man offen die
ruandischen Streitkräfte (FAR), rüstete diese auf und stellte ihnen
französische Militärberater zur Verfügung. Die französische Armeepräsenz in
Ruanda wuchs von 5.200 Mann, vor dem Ausbruch der Rebellion der RPF im
Oktober 1990, auf alsbald über 50.000 Mann (zur Jahresmitte 1992).
Theoretisch sollten französische Militärs die Soldaten der ruandischen
Streitkräfte (FAR) nur beispielsweise in den Gebrauch der Artillerie
einweisen. Real aber feuerten sie oftmals selbst die Schüsse ab, wie auch
aktuell nochmals ausdrücklich in 'Le Monde' (vom 22. 11. 2006, Seite 5)
bekräftigt wird. An derselben Stelle wird hinzugefügt : "Von höchster
Geheimhaltung umgeben, schickt Frankreich die Helikopter, die die erste
Offensive der RPF stoppen."
Neben der Frage des Verlaufs der Sprachgrenze zwischen französisch- und
englischsprachiger Sphäre dürften freilich einige sehr prosaische Faktoren
auch eine wichtige Rolle gespielt haben: Ruanda, obwohl es als kleines Land
(mit 26.000 Quadratkilometern und rund 8 Millionen Einwohnern) keine so hohe
eigene Bedeutung hatte, war dennoch ein wichtiges Transitland für
Waffenlieferungen auf dem afrikanischen Kontinent. Zudem nimmt das kleine
Ruanda den Platz einer «Gebirgsfestung" ein, von der aus größere Teile des
damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) beherrschbar schienen.
Diese strategische Position Ruandas spielte übrigens tatsächlich in späteren
Jahren, ab 1996/97, bei den aufflammenden Kriegen in Zaire/Kongo eine sehr
wichtige Rolle. Kurz : Ruanda war eine wichtige Schachfigur auf dem Brett
sowohl der französischen, als auch der US-amerikanischen Afrikapolitik.
(Die deutsche Außenpolitik und Außenwirtschaftspolitik segelte dabei eher im
Windschatten dieser beiden Mächte, vor allem der USA, um in ihrem Gefolge
Marktanteile zu gewinnen.)
Einen entscheidenden Unterschied, aufgrund dessen man aber nicht beide
Seiten (das damalige ruandische Regime und die RPF) einfach miteinander
gleichsetzen kann, macht die völkermördische Dimension des alten
Machtapparats aus, die nach dem Tode von Präsident Habyarimana im April 1994
völlig offen zu Tage trat. Aber bereits 1992 und 93 hatte es Massaker an den
Tutsi unter der ruandischen Zivilbevölkerung mit bis zu 20.000 Toten
gegeben, während die FAR (ruandische Armee) und – an ihrer Seite – die
französische Armee an der Front Krieg gegen die Guerillabewegung RPF
führten. Die internationale Menschenrechtsvereinigung FIDH (Fédération
internationale des droits de l’homme) hatte schon zu Anfang des Jahres 1993
vom Wirken von "Todesschwadronen" und von "Vorboten eines Genozids" in
Ruanda gesprochen, und ein offizieller Bericht der Vereinten Nationen vom
11. August 1993 übernahm diese Angaben schwarz auf weib.
Frankreich hat jene Seite unterstützt, die real einen Genozid verschuldet
hat -- und das macht wirklich einen gewichtigen Unterschied aus. Die
damalige Rebellen- und jetzige ruandische Staatsführung in Gestalt der
RPF-Spitze rund um Paul Kagamé besteht nicht aus Chorknaben. Und sie hat
sich während der späteren Kriege im Ostkongo ab 1996 (in die hinein das von
der RPF regierte Ruanda dann intervenierte, um die ins Nachbarland
geflüchteten Teilnehmer am Völkermord zu verfolgen, aber auch im offenen
Zusammenspiel mit expansiven US-Interessen) reale Verbrechen zuschulden
kommen lassen: Invasion, Massaker, Ausbeutung der Rohstoffvorkommen in
Zaire/Kongo. Aber die RPF-Führung ist kein Rassistenregime. Sie hat im Jahr
2003 die vorherige, seit Jahrzehnten bestehende Pflicht zur Erwähnung der
"ethnischen" Zugehörigkeit auf den Personalausweisen ersatzlos abgeschafft.
Sie hat, nach dem Völkermord, einen schwierigen Prozess der "nationalen
Aussöhung" eingeleitet.
Während die ursprüngliche RPF-Führung aus (nach Uganda geflüchteten) Tutsi
besteht, hat die seit 1994 amtierende RPF-Regierung immer auch Hutu in
führenden Positionen integiert. Von Juli 1994 (also einen Monat nach der
Eroberung von Kigali durch die PRF) bis im Jahr 2000 amtierte etwa Pasteur
Bizimungu, ein Angehöriger der Hutu-Bevölkerung, als Staatspräsident
Ruandas. Auch wenn der wirkliche starke Mann des Landes der ehemalige
Guerillaführer Paul Kagamé war, so bildete dies doch ein starkes Symbol. Im
April 2000 wurde dann Kagamé zu seinem Nachfolger gewählt, damals durch das
Parlament, aber seine Wiederwahl erfolgte im August 2003 durch die
(mehrheitlich aus Hutu bestehende) Bevölkerung. Der ruandische
Verteidigungsminister ist heute ein Hutu.
Moralischer Makel
Frankreich trägt also den moralischen Makel, bis zur letzten Minute (also
bis zur Einnahme der Hauptstadt Kigali) die Ausführenden des Völkermords
geschützt zu haben. In einem UN-Untersuchungsbericht vom November 1998 heißt
es dezidiert, Frankreich habe noch bis mindestens im Mai 1994 (also einen
Monat nach Beginn des Völkermords) Waffen an die FAR geliefert. Und noch
danach hat die französische Armee den Resten des "Hutu Power"-Regimes den
Rückzug gedeckt, als die Milizionäre ins damalige Ostzaire flohen : Die
vorgeblich humanitären Zwecken dienende "Mission Turquoise" (Mission Türkis)
der französischen Armee ab Juni 1994 diente faktisch dazu, die Flucht der
Mörder aus Ruanda zu decken.
Dieses sehr reale Erlebnis hat etwa den französischen Journalisten Patrick
de Saint-Exupéry, der damals als Korrespondent der ausgesprochen
konservativen Tageszeitung 'Le Figaro' vor Ort in Ruanda weilte, in der
Folge zu einem der radikalsten und schärfsten Kritiker der französischen
Politik in Ostafrika werden lassen. In einer vierteiligen Artikelserie im
'Figaro' vom 12. bis 15. Januar 1998 hat der Journalist die französische
Mitschuld am Genozid in Ruanda klar benannt und äußerst scharf kritisiert.
Patrick de Saint-Exupéry hielt auch nicht mit dem hinter dem Berg, was er
damals – während die Ereignisse sich in Ruanda sich in Echtzeit abspielten –
an Reaktionen führender französischer Politiker mitbekommen musste.
Der damalige Präsident François Mitterrand, so hat Saint-Exupéry wiederholt
öffentlich kund getan, habe ihm im Sommer 1994 erklärt: "Ein Genozid in so
einem Land (wie Ruanda), das ist nicht so wichtig." Auch die Politik der
damaligen konservativen Regierung unter Edouard Balladur, die damals in
einer Kohabitation mit Präsident Mitterrand zusammen die Staatsgeschäfte
führte, wird von Saint-Exupéry frontal angegriffen. Ihr damaliger
nationalpopulistischer Innenminister Charles Pasqua (eine der
Schlüsselfiguren der mafiösen französischen Afrikapolitik) hatte, ganz im
Sinne der Auslassungen Mitterrands, zum Thema den Spruch vom Stapel
gelassen : "In diesen Ländern haben die Leute eben nicht dasselbe Verhältnis
wie wir zum Tod."
Kurz nach der Artikelserie von Saint-Exupéry erschienen dann auch in anderen
französischen Medien Beiträge, in denen das Bild vom französischen
Eingreifen in Ruanda in ein ziemlich unschönes Licht gerückt wird. In
'Libération' vom 02. Februar 1998 liest man etwa über das damalige Verhalten
der französischen "Eingreiftruppe", die im April 1994 in Ruanda eingesetzt
wurde, um französische Staatsbürger heraus zu holen: "Die Familie liegt am
Boden ausgestreckt. Vater, Mutter und Kinder. Sie sind Tutsi oder aber
Freunde von Tutsi. Rund um sie herum aufgeregte Hutu. Ein Mann nähert sich
einem Kind und versucht, ihm den Schädel mit einem Machetenhieb zu spalten.
In einigen Metern Entfernung stehen französische Soldaten. Sie sind
bewaffnet, rühren sich jedoch nicht (...): Die einzigen Leben, die sie zu
retten haben, sind die von französischen Staatsbürgern." Solche Berichte,
die sich seitdem häufen, sind nie ernsthaft dementiert worden.
Die Realität des französischen Vorgehens, und die scharfe Kritik daran, ist
also in der französischen Öffentlichkeit seit Jahren bekannt. Unterdessen
war aber die politische Klasse weiterhin nach Kräften bemüht, all diese
Dinge tunlichst zu vertuschen. Im Gegensatz zu Belgien, den USA und den
Vereinten Nationen (die seit 2000 eine Selbstkritik leisteten, weil sie
nichts gegen den Völkermord unternommen hatten) hat Frankreich bislang auch
keine Entschuldigung gegenüber Ruanda abgelegt. Deshalb erlitten führende
französische Diplomaten aber im April 2004 -- aus Anlass der Gedenkfeiern in
Kigali zum 10. Jahrestag der Auslösung des Völkermords -- eine Kopfwäsche
vor Ort, wie sie noch selten dagewesen sein dürfte. In seiner offizielle
Ansprache vom 7. April 2004 erwähnte Ruandas Präsident Paul Kagamé ein Land
namentlich, während er die Verantwortlichkeiten anderer Staaten nur indirekt
benannt hatte: "Die Franzosen haben die Soldaten und die Milizionäre
trainiert und bewaffnet, die den Genozid verüben würden; und sie wussten,
dass sie den Genozid verüben würden." Mit Blick auf die 'Opération
Turquoise' vom Juni 1994 fügte er hinzu: "Die Franzosen haben bewusst die
Mörder gerettet, ohne die Opfer zu schützen" Zu guter letzt merkte er an:
"Sie besitzen (heute) die Kühnheit, hier zu bleiben, ohne sich zu
entschuldigen!" In kaltem Zorn packte die Delegation, die vom französischen
Staatssekretär im Außenministerium Renaud Muselier geleitet wurde, damals
ihre Koffer und reiste umgehend ab.
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