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Juden in Migrantenvierteln: eine Minderheit in der Minderheit

Von Danny Leder

M’Bala M’Bala hat freilich etwas geortet und weitervermittelt, das bei einem Teil der Jugendlichen in den Vorstädten durchaus Schule macht: Man kann enormes mediales Aufsehen erregen und heftigste politische Reaktionen auslösen, wenn man auf Juden losgeht, weil man da einen höchst sensiblen Nerv der französischen Mehrheitsgesellschaft trifft.

Die Vorstellung ist nun mal verlockend, jemanden, einen Gegner, eine Gruppe, einen Klan dingfest zu machen, dem man einerseits eine großartige Macht unterstellen kann, von dem man aber insgeheim weiß, dass er sich in einer potentiellen Schwächeposition befindet.

Der erste Faktor für diese Schwächeposition ist rein statistischer Natur: Verhältnismäßig viele Juden wohnen und arbeiten zwar noch immer in Randvierteln und Vorstädten, sie sind also direkt greifbar, sie befinden sich aber gleichzeitig in einer hoffnungslosen Unterlegenheit, weil sie heute, im Gegensatz etwa zu den siebziger Jahren, in diesen Vierteln eine isolierte Minderheit darstellen. Ein Teil der jüngeren jüdischen Generationen (ebenso wie ein Teil der jüngeren Moslems) sind beruflich aufgestiegen und weggezogen. Diejenigen, die in den städtischen Randzonen übrig geblieben sind, fallen also quantitativ kaum mehr ins Gewicht angesichts der sie umgebenden, zum Teil neu eingewanderten Mehrheit moslemischer Familien. An diesen Mehrheitsverhältnissen wird sich auch kaum mehr etwas ändern, zumal der allergrößte Teil der Juden aus dem Maghreb bereits ausgewandert ist.

Neben diesem ersten, direkten Grund für die Hilflosigkeit dieser Juden, der Handgreiflichkeiten gegen sie so verlockend macht, gibt es noch einen zweiten, unterschwelligeren und diffuseren Faktor: Auch zu einem Teil der Migrantenjugend ist durchgesickert, dass in den christlichen Gesellschaften eine lange Tradition des Judenhass vor nicht allzu langer Zeit erst, auf öffentlicher Ebene, abgelegt wurde, dass aber dieser Hass noch bei so manchem Europäer, zumindest auf Sparflamme, weiterschwelt. Dass also die Duldung der Juden auf doch nicht so festem Fundament fußt. Das lässt die Hoffnung keimen, man könnte da gegen einen jüdischen Sündenbock einen Schulterschluss mit der französischen Mehrheitsgesellschaft zustande bringen.

Vor allem aber hat in der informellen Parallelkultur der Vorstadtjugend der Slangbegriff für Juden, das Wort "Feuj", das ursprünglich eher als wertfreie Bezeichnung galt, in den allerletzten Jahren eine tendenziell negative Bedeutungsaufladung erfahren. Wenn in einer Schulklasse jemand seinen Stift oder sein Heft nicht herleihen möchte, oder wenn er angibt, sagen Kinder: "Der führt sich auf wie ein Feuj". Die Juden werden also wieder als geizig, egoistisch, machtgierig, anmaßend etikettiert.

Diese Vorwürfe an eine Minderheit, der man den Ausbruch aus ihrer untergeordneten Position nicht gestatten möchte, diese Klischees, die gleichermaßen aus dem christlichen und islamischen Fundus stammen, sind in der Subkultur eines Teils der Vorstadtjugend in Frankreich wieder aufgetaucht und untereinander verschmolzen.

Klarerweise wurden diese altneuen Klischees im Rahmen des Nahost-Konflikts massiv aktiviert. Arabische Fernsehstationen, darunter auch jene Sender, die in ihrer Berichterstattung den Staat Israel im Besonderen und die Juden im Allgemeinen als Grundübel der Menschheit darstellen, erreichen auch in Frankreich ein breites Publikum unter den Migrantenfamilien. Da werden die hirnrissigsten antijüdischen Verleumdungen aufgetischt, die man in Europa sonst wohl kaum noch hört: Israelische Soldaten würden arabische Kinder töten, um ihr Blut für jüdische Festtags-Rituale zu verwenden. Jüdische Ärzte hätten AIDS erfunden, um die arabischen Völker damit zu infizieren. Israelische Atomversuche hätten den Tsunami ausgelöst. Religiöse Prediger bezeichnen Juden (und gelegentlich auch Christen) als Abkömmlinge von Schweinen und Affen…

Meistens laufen die blutrünstigsten antijüdischen Serien während des Fastenmonats Ramadan. Also während die religiöse Inbrunst ihren Höhepunkt erreicht, und die moslemischen Familien oft vollzählig vor den TV-Schirmen versammelt sind. Das erinnert an die christlichen Osterzeremonien, also das Gedenken an die Kreuzigung von Jesus, die in Europa immer wieder Anlass für Gewalttaten gegen Juden boten. Der Zusammenhang ist auch insofern gegeben, als diese Filme arabischer TV-Sender fast immer auch Elemente aus dem christlichen Antijudaismus verarbeiten.

Das klingt oft viel zu absurd um ernst genommen zu werden. Man muss freilich berücksichtigen, dass sich die Verteufelung der jüdischen Minderheit oder zumindest die Verachtung der Juden als nicht rechtgläubige Außenseiter auf eine lange und tief verankerte Tradition im islamischen Raum stützt. Genauso wie im Fall des christlichen Anti-Judaismus, der ja erst nach dem Holocaust in Europa von der öffentlichen Bühne abtrat. Im islamischen Raum konnte diese Tradition hingegen ungebrochen fortbestehen, ja sie erfuhr durch den Konflikt mit dem Zionismus um Palästina eine ungeahnte Bedeutungsaufladung und ständig neuen Auftrieb.

Dass heißt nicht, dass der Islam ausschließlich Feindschaft gegenüber dem Judentum predigt. Der Koran und die übrigen islamischen Grundtexte bieten verschiedene Möglichkeiten der Auslegung: es gibt Passagen und Regeln, die zu einer toleranten Haltung gegenüber Juden und Christen drängen. Und es gibt Passagen, die Christen und Juden in einem extrem negativen Licht erscheinen lassen und jede Form der Freundschaft mit ihnen ausschließen. Wie bei den meisten religiösen Überlieferungen kann sich jeder Prediger oder Politiker, oft sind sie ja beides, die Zitate und Interpretationen aussuchen, die ihm bei seiner jeweiligen Orientierung zupass kommen.

Moslemische Familien, die aus dem Maghreb nach Frankreich eingewandert sind, haben judenfeindliche Überlieferungen an ihre Kinder weitergereicht. Dazu kommt nunmehr der wachsende Einfluss fundamentalistischer Prediger und Gruppen, die die antijüdische Schlagseite des Islams hervorstreichen und mit dem aktuellen Nahost-Konflikt, ja sogar mit den sozialen Spannungen in Europa geschickt vermengen. Dabei werden wiederum aus der Mottenkiste des christlich inspirierten und europäischen Antijudaismus Schlagwörter wie "jüdischer Kapitalismus" oder "jüdische Finanzmacht" hervorgeholt.

Die Verschärfung der Kluft zwischen den sozialen Schichten, das schrumpfende Angebot Existenzsichernder Arbeitplätze, die zunehmend prekären Anstellungsverhältnisse und die damit einhergehende Ausgrenzung der Jugendlichen aus Migrantenfamilien haben generell in Westeuropa das Terrain für eine religiös inspirierte, ethno-soziale Abkapselung bereitet. Das gilt im Besonderen für Frankreich, das jetzt schon seit über zwei Jahrzehnten an einer Arbeitslosenrate von – offiziell – annähernd zehn Prozent krankt, und wo inzwischen etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung in sub-urbanen Armutsgürteln festsitzt.

Dass Jugendliche aus Migrantenfamilien angesichts ihrer existentiellen Perspektivlosigkeit und ihrer anhaltenden Diskriminierung in religiösen Gruppen Halt suchen, liegt auf der Hand. Auch hat ein beträchtlicher Teil der moslemischen Prediger, die auf europäischen Boden tätig sind, die durchwegs fundamentalistischen Kaderschmieden Saudi-Arabiens und Pakistans absolviert. Mit dieser Feststellung soll freilich nicht unterschlagen werden, dass verschiedenste moslemische Strömungen, wenn auch in sehr unterschiedlichem Ausmaß, zu einer aufgeklärten Form von Religiosität neigen und eine Verbindung zwischen demokratischer Toleranz und einem erneuertem Euro-Islam suchen. Bei diesen moslemischen Kräften ist ein mehr oder weniger artikuliertes Unbehagen angesichts antijüdischer Hetze durchaus vorhanden.

Teilweise reagieren liberale moslemische Kreise aber auch mit Unbehagen auf die zuvor beschriebene, sehr gründliche Auseinandersetzung der französischen Öffentlichkeit mit der Verfolgung der Juden unter dem Kollaborationsregime und mit dem Holocaust. Befürchten sie doch, dass das damit einhergehende Mitgefühl für das Schicksal der Juden letztlich das Verständnis für Israel wieder erhöhen könnte – eine moralische Zwickmühle, die die meisten Franko-Araber tendenziell überfordert. Bei jenen Moslems, die keine ausreichende historische Kenntnisse und/oder Skrupel haben, finden die gängigen Bestrebungen arabischer Medien, das Ausmaß oder gar die Realität der NS-Vernichtungspolitik zu negieren, umso dankbarere Aufnahme. Eben weil auch sie erkannt haben, wie sehr die Legitimität des jüdischen Staats in der Erfahrung des Holocausts begründet liegt.

Die Vorgeschichte im Maghreb: eine Geschichte der Gegensätze

Europas expandierende Mächte weckten Emanzipationshoffnungen – eine Parallele zwischen den Juden Nordafrikas und Osteuropas

hagalil.com 20-12-2006

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