Zentralrat der Juden in Griechenland
Kentriko Israilitiko Symvoulio protestiert:
NPD-Chef in Griechenland unerwünscht
Gegen
den Besuch des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, zur Unterstützung einer
rechtsextremen Gruppierung im griechischen Kommunalwahlkampf hat der
Jüdische Gemeindebund Griechenlands, der Kentriko Israilitiko Symvoulio,
scharf protestiert.
Moisis
Constantinis, Sprecher des KIS, erinnerte an das schreckliche Leiden
Griechenlands unter deutscher Besatzung. 15% aller Griechen verloren damals
ihr Leben. Das Land wurde ausgeraubt und ausgehungert. Bis zum heutigen Tag
weigert sich die Bundesrepublik Überlebende der Massaker zu entschädigen.
Trotz
eindrucksvollstem Widerstand und der mutigen und opferbereiten Solidarität
der gesamten griechischen Bevölkerung, gelang es nur eine Minderheit der
jüdischen Bürger über die NS-Herrschaft zu retten. Vor diesem Hintergrund
sei der Besuch des NPD-Chefs mehr als geschmacklos.
Ausgebeutet und vergast
Das Schicksal der griechischen Juden unter deutscher
Herrschaft 1941-1944
ersch. in der "jungen Welt", 11.09.2000, von Martin Seckendorf
Griechische und deutsche Medien berichten über ein
Schiff, das am Meeresboden in der Ägäis vor der Südküste der Peloponnes
liegt. Taucher wollen ein Wrack geortet haben. Das Medieninteresse entzündet
sich an der vermuteten Ladung. An Bord des gesunkenen Schiffes könnte sich
der "Schatz von Thessaloniki" befinden, den die Deutschen den Juden der
Stadt 1943 abgepreßt haben, bevor sie sie nach Auschwitz in die Gaskammern
deportierten.
Hauptverantwortlich für die Ghettoisierung und Enteignung der Juden in der
deutschen Besatzungszone "Saloniki- Ägäis" war Max Merten, ein
Wehrmachtsbeamter im Range eines Kriegsverwaltungsrates. Er soll die
Verladung des Schatzes auf das Schiff und dessen Versenkung veranlaßt haben,
weil er den Schatz nach dem Krieg selber heben und sich aneignen wollte.
Abb.
Deutsche Soldaten auf der Akropolis, Photographie v. Gerhard Gronefeld,
Athen, 13. Mai 1941, DHM, Berlin
Das Wrack im Mittelmeer ruft das Schicksal der griechischen Juden unter
deutscher Besatzung in Erinnerung. Damals sind 83 Prozent der jüdischen
Vorkriegsbevölkerung Griechenlands umgebracht worden. Die 2 000 Jahre alte
jüdische Gemeinde in der oft als "Klein-Jerusalem" bezeichneten Stadt
Thessaloniki wurde fast vollständig ausgelöscht.
Sonderkommando Rosenberg
Mit der in Griechenland am 6. April 1941 einfallenden 12.
deutschen Armee marschierte auch eine Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei
und des Sicherheitsdienstes ein. Sie sollte mit logistischer Unterstützung
der Wehrmacht "Terroristen, Kommunisten, Juden und andere Reichsfeinde"
bekämpfen. Nachdem sich im Juni 1941 die Deutschen in ihre in Absprache mit
dem faschistischen Italien festgelegten Besatzungszonen (nämlich
"Saloniki-Ägäis", Athen-Piräus und Westkreta) zurückgezogen hatten,
konzentrierte sich die Verfolgung der Juden auf die sogenannte
Saloniki-Zone. In der italienischen Zone blieben die Juden zunächst
weitgehend unbehelligt - bis zur Kapitulation Italiens im September 1943.
Ein Sonderkommando des Chefideologen der Nazis, Alfred Rosenberg, war der
12. Armee angegliedert. Für "Exekutivmaßnahmen" stand dem Sonderkommando
Wehrmachtspersonal aus der Geheimen Feldpolizei (GFP) und der
Militärverwaltung zur Verfügung. Archive, Bibliotheken, Zeitungsredaktionen,
Kirchenämter, Behörden, Bankschließfächer, Krankenhäuser, Wohn-, Geschäfts-
und religiöse Gemeinschaftseinrichtungen wurden durchsucht und brutale
polizeiliche Verhöre durchgeführt. Das Kommando hat historisch wertvolle
Dokumente, Kulturgüter und lithurgische Gegenstände beschlagnahmt und nach
Deutschland transportiert, darunter 100 000 Bücher aus den jüdischen
Bibliotheken in Thessaloniki. Ziel dieser Aktionen war die Gewinnung von
Argumenten für die antisemitische Propaganda und die Sammlung von
statistischem Material, von Namen, Adressen, Arbeitsstellen, Eigentums- und
Vermögensverhältnissen, Angaben, die für die von Rosenberg vorbereitete
"rationelle" Art des Völkermords, für Hitlers "Endlösung der Judenfrage",
von Bedeutung waren.
Im Sommer 1942 verschärfte die Wehrmacht den Druck auf die Juden
Thessalonikis. Die Militärverwaltung ordnete die Zwangsarbeitspflicht für
Juden an. Unter unmenschlichen Bedingungen wurden die Arbeiter in der
Erzförderung, u.a . in den vom Krupp-Konzern in Essen für die deutsche
Kriegswirtschaft ausgebeuteten Chromerzgruben, sowie im Straßen- und
Flugplatzbau eingesetzt. Die Aktion trug alle Merkmale der "Vernichtung
durch Arbeit". Dieses "Prinzip" bei der Ausmerzung ethnischer oder
politischer "Feinde" wandte das Nazi-Reich insbesondere ab Herbst 1941
angesichts der hohen Verluste der Deutschen vor Moskau an. Es beinhaltete,
die Arbeitskraft der Todeskandidaten vor der Vernichtung möglichst
vollständig zu verwerten. Dazu hatte der Chef des
SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes, SS- Obergruppenführer Pohl, befohlen,
der Einsatz müsse "im wahren Sinn des Wortes erschöpfend sein, um ein
Höchstmaß an Leistung zu erreichen". An der Ausführung dieses Befehls waren
im Gebiet Saloniki-Ägäis in kurzer Zeit über vierhundert jüdische
Zwangsarbeiter gestorben. Aus erschöpften, todkranken Arbeitern war keine
Leistung mehr herauszuholen. Um aus dieser "Angelegenheit" dennoch Gewinn
schöpfen zu können, verfiel Kriegsverwaltungsrat Merten auf den "Dreh", die
jüdische Gemeinde für die Auslösung aus der todbringenden Zwangsarbeit eine
Ablösesumme in Höhe von umgerechnet mehreren Millionen Reichsmark zahlen zu
lassen. Einen großen Teil dieses Geldes hat Merten offenbar in die eigene
Tasche gesteckt.
Anfang 1943 verstärkten deutsche Militärs und Diplomaten den Druck auf die
italienischen Militärbehörden, die in ihrer Zone lebenden Juden den "
Endlösungs "-Maßnahmen zu unterwerfen. Generaloberst Löhr , Oberbefehlshaber
der in Griechenland befehlsführenden Heeresgruppe E, bedrängte den
italienischen Oberbefehlshaber, General Carlo Geloso , mit den dort lebenden
griechischen Juden nach deutschem Beispiel zu verfahren.
"Endlösung" in Thessaloniki
Als die Italiener das ablehnten, begannen die Deutschen ab
Frühjahr 1943 in ihrer und in der bulgarischen Zone Griechenlands mit der
"Endlösung". Als erste deportierte man die etwa 4 000 griechischen Juden der
Provinz Belomorje , wie die Bulgaren das Gebiet nannten, in
Vernichtungslager, meist nach Treblinka, wo fast alle - etwa 97 Prozent -
sofort im Gas erstickt wurden.
Anfang Januar 1943 fanden in Athen Beratungen zwischen dem Bevollmächtigten
des Reiches in Griechenland, Dr. Günter Altenburg, dessen Vertreter in
Saloniki, Generalkonsul Schönberg, dem Oberkommando der Heeresgruppe E, dem
Befehlshaber Saloniki-Ägäis und der SS statt, auf denen die Einzelheiten
einer schnellen "Endlösung" im Bereich Saloniki- Ägäis besprochen sowie der
Ablauf und die Verantwortlichkeiten festgelegt wurden. Für die "Endlösung"
im Befehlsbereich Saloniki-Ägäis stellte die hochrangige Januarbesprechung
eine Frist von sechs bis acht Wochen.
Zwei Drittel aller Juden Griechenlands, etwa 50 000 Menschen, lebten in
diesem Befehlsbereich. In einer konzertierten Aktion der Wehrmacht, der
Dienststellen des Reichsbevollmächtigten Altenburg und der Kommandos der
Sicherheitspolizei und des SD ab Januar 1943 erfolgten die Erfassung,
Enteignung, Ghettoisierung und Deportation der Juden.
Am 6. Februar 1943 ordnete die Militärverwaltung unter Max Merten die
Kennzeichnung und Ghettoisierung an. Am 1. März mußten alle Juden eine
detaillierte Vermögenserklärung abgeben. Wenige Tage danach wurde ihr
gesamter Besitz beschlagnahmt. Alles Bargeld mußte abgeliefert werden. Es
wird vermutet, daß Merten, wie schon bei der Zwangsarbeiteraktion des Jahres
1942, einen erheblichen Teil der konfiszierten Güter und des Bargeldes für
sich abgezweigt hat - eine weitere Quelle, aus der sich der vermutete Schatz
in dem Wrack vor Kalamata speist. Die Militärverwaltung (Merten) verkündete
kraft der ihr verliehenen vollziehenden Gewalt die Terrormaßnahmen. Deren
Durchführung übertrug sie den in "Endlösungsfragen" erfahrenen Profis der
Außenstelle des Sicherheitsdienstes Thessaloniki und dem Sonderkommando des
Sicherheitsdienstes unter Leitung des Eichmann-Mitarbeiters
SS-Hauptsturmführer Wisliceny (Sonderkommando der Sicherheitspolizei für
Judenangelegenheiten ).
Am 15. März 1943 ging der erste Transport in das Tausende Kilometer
entfernte Auschwitz. Um die zu Kriegszeiten knappen Transportkapazitäten
restlos auszunutzen und den vorgegebenen Zeitplan einzuhalten, pferchte man
die Menschen eng zusammengedrängt in Viehwaggons. 2 600 bis 2 800 Menschen
wurden auf diese Weise pro Transport deportiert. Viele überlebten den
neuntägigen Transport nicht und kamen tot in Auschwitz an. Fast alle Juden
aus Griechenland wurden von der Rampe sofort in die Gaskammern getrieben. Im
Sommer 1944 erwähnte der Kommandant von Auschwitz, Höß , beiläufig, daß die
griechischen Juden zur Arbeit u. a. in den Betrieben der IG-Farben-Industrie
AG körperlich nicht fähig und sofort zu ermorden sind. Nur einige junge
Frauen habe er in den Block 10 überstellen lassen, wo Professor Clauberg
qualvolle medizinische Experimente an ihnen durchführte.
Als im April 1943 der Oberrabbiner Koretz an den
Kollaborationsministerpräsidenten Rallis bei dessen Besuch in Thessaloniki
appellierte, dafür zu sorgen, " daß die seit 2 000 Jahren bestehende
Kultusgemeinde zu Saloniki nicht liquidiert werden möge", lehnte Rallis eine
Intervention kategorisch ab. Der Befehlshaber Saloniki-Ägäis sah in diesem
Vorfall einen Versuch "der Gegenwirkung gegen einen militärischen Befehl",
ließ Koretz mit seiner ganzen Familie festnehmen und auf die Liste jener
Juden setzen, die "mit einem der nächsten Transporte abbefördert " werden
sollten, wie es in einem Bericht des Generalkonsuls Schönberg vom 16. April
1943 an Altenburg über den "Skandal" hieß. Der Bericht Schönbergs spiegelt
die Zustimmung des Altenburg-Apparats mit den Maßnahmen des Befehlshabers
wider. Der im Januar vorgegebene Zeitplan wurde eingehalten. In kurzer Zeit
deportierten die Nazis etwa 50 000 Juden aus der deutschen Besatzungszone in
die Vernichtungslager.
Menschenjagd in der italienischen Zone
Der Oberbefehlshaber Löhr und der "Reichsbevollmächtigte"
Altenburg steigerten den Druck auf die Italiener, in ihrer Zone endlich mit
der "Endlösung" zu beginnen. Um das Argument der Italiener zu entkräften,
wegen der Deportationen aus Thessaloniki hätten die Deutschen zur Zeit kein
Schiffs- und Waggonraum zur Verfügung, schlug das Auswärtige Amt vor, daß
die Juden der italienischen Zone bis zur Gewinnung neuer
Deportationsmöglichkeiten vorübergehend "in Sammellagern zusammengezogen und
die arbeitsfähigen Kräfte als Baukompanien für Festungsbauten oder zur
Verbesserung von Eisenbahnlinien" nach dem Vorbild der Aktion vom Sommer
1942 in Thessaloniki eingesetzt werden sollten. Altenburg halte "einen
solchen Plan für sofort durchführbar und wünschenswert", heißt es in dem
Schreiben. Dem Druck der Deutschen versagten sich die italienischen
Befehlshaber auch weiterhin, so daß die Juden im größten Teil Griechenlands
noch eine kurze Atempause erhielten.
Nach der Kapitulation Italiens wurde die deutsche "Endlösung" sofort auf
ganz Griechenland ausgedehnt. Am 3. Oktober 1943 ordnete der Höhere SS- und
Polizeiführer die Erfassung der Juden an. Da sich nur wenige Juden zur
"Erfassung" meldeten, befahl der Befehlshaber in Griechenland, General
Speidel , alle Juden, die sich nicht hatten registrieren lassen, sofort zu
enteignen. Wehrmacht und Sicherheitsdienst der SS begannen mit der Jagd auf
die Juden. Auf dem Festland konnten viele von ihnen untertauchen oder sich
durch Flucht zu den linksgerichteten ELAS-Partisanen retten. Auf den Inseln
jedoch und im Gebiet um Joannina, wo die rechtsgerichtete Partisanenarmee
EDES die antijüdischen Maßnahmen unterstützte, fielen fast alle in deutsche
Hände. Über die Deportation der Juden von Joannina am 25. März 1944
berichtete ein Kommando der Gruppe Geheime Feldpolizei (GFP) 621 beim XXII.
Gebirgsarmeekorps. Nach vorheriger Ghettoisierung seien dank "vorbildlicher"
Zusammenarbeit von GFP mit anderen Wehrmachtseinheiten, der Feldgendarmerie
sowie griechischer und deutscher Polizei alle Juden verhaftet und 95 Prozent
von ihnen deportiert worden - insgesamt 1725 Menschen. Widerstand habe es
nur von der linksgerichteten Befreiungsfront EAM gegeben. Aus den
rechtsgerichteten EDES-Kreisen werde "volle Zustimmung laut".
Kurze Zeit später begannen die Maßnahmen gegen die 2 000 Juden auf Korfu.
Der Feindlagebearbeiter ( Ic ) der Korpsgruppe Joannina bat am 28. April
1944 seinen vorgesetzten Abwehroffizier der Heeresgruppe E, beschleunigt mit
den " Endlösungs "-Maßnahmen auf der Insel zu beginnen. Der Ic-Offizier
machte auf einen besonderen Vorteil der schnellen Deportation aufmerksam:
Viele "unnütze Esser" würden verschwinden. Der Abtransport bedeute "eine
nicht unerhebliche Erleichterung der Ernährungslage". Nachdem die
Kriegsmarine den knappen Schiffsraum und die Heeresgruppe den ebenso raren
Kraftstoff für den Transport auf dem Festland bereitgestellt hatten , begann
die Deportation. Am 17. Juni 1944 meldete der Befehlshaber der
Sicherheitspolizei dem für Korfu verantwortlichen Generalkommando des XXII.
Gebirgsarmeekorps, von der Insel seien alle Juden, insgesamt 1795 Personen,
abtransportiert worden.
Kriegsverbrechen bis heute ungesühnt
Die letzten Opfer waren die Juden auf Rhodos. Am 13. Juli
1944 befahl der Kommandant Ost-Ägäis, Generalleutnant Kleemann, die
Erfassung, Ghettoisierung und Enteignung der Juden. Danach begann die
Deportation. Wenige Wochen vor dem Ende der deutschen Herrschaft in
Griechenland ging der letzte Transport von Rhodos in die Gaskammern des fast
3 000 Kilometer entfernten Auschwitz. Der "Endlösung" fielen etwa 58 900
Menschen zum Opfer.
Für die Mitwirkung an der Ermordung der griechischen Juden mußte sich bis
heute keiner der Offiziere oder Beamten des deutschen Besatzungsregimes
verantworten. Viele der damals Verantwortlichen, insbesondere aus der
Wehrmacht und dem Apparat des "Reichsbevollmächtigten", konnten nach 1945
ihre Karriere nahezu bruchlos im auswärtigen Dienst oder in der Bundeswehr
fortsetzen. Nur Max Merten bekam wegen seiner Tätigkeit als oberster
Verwaltungschef in Thessaloniki zeitweilig Schwierigkeiten. Wegen seiner
alten Verbindungen zu griechischen Kollaborationskreisen und guten
Beziehungen zum Bonner Establishment selbstsicher geworden, reiste er 1957
zur Erledigung privatgeschäftlicher Angelegenheiten nach Griechenland. Dort
wurde er verhaftet und zu 25 Jahren Haft verurteilt. Die Bundesregierung
forderte seine Freilassung. Die Griechen verlangten im Gegenzug, daß Merten
vor ein deutsches Gericht gestellt wird und die Bundesrepublik die Opfer der
deutschen Besatzungszeit entschädigt. Die Bonner Regierung lehnte die
Entschädigung ab, um keinen Präzedenzfall zu schaffen.
Druck auf Bonn durch DDR-Initiative
Bei diesem Verhandlungsstand trafen in Bonn für die
Bundesregierung bedrohliche Nachrichten aus Ostberlin ein. Die DDR erklärte
sich bereit, die griechischen Opfer zu entschädigen und bot Verhandlungen
auf höchster Ebene an. Es war klar, daß dies über kurz oder lang zur
Anerkennung der DDR durch Griechenland führen würde. Damit wäre an einem
geostrategisch sensiblen Punkt die Bonner Hallstein- Doktrin durch einen
NATO-Verbündeten durchlöchert worden. Die Doktrin artikulierte bekanntlich
die Anmaßung, die Bundesregierung vertrete alle Deutschen in West und Ost.
Jede Anerkennung der DDR durch einen anderen Staat zog den Abbruch der
diplomatischen Beziehungen der BRD zu diesem Staat mit allen ökonomischen
Konsequenzen nach sich.
Bonn änderte Griechenland gegenüber sofort seine Haltung. Die Bundesrepublik
überwies 1960 eine Einmalentschädigung in Höhe von 115 Millionen DM für
politisch, rassisch oder religiös verfolgte Griechen. Merten wurde nach
Westdeutschland abgeschoben und dort festgenommen. 1968 stellte ein
Westberliner Gericht das Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Mangels an
Beweisen bzw. wegen Verjährung ein. Für seine fast dreijährige Haft in
Griechenland erhielt er eine Entschädigung. Er starb 1976 als juristisch
unbescholtener Mann. Die über 90 000 Opfer anderer deutscher Terrormaßnahmen
sind bis heute noch nicht entschädigt.
Meine
letzten Worte werden sein:
"Es
lebe Griechenland!"
Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten 70.000 Jüdinnen und Juden in
Griechenland. Rund 46.000 wurden in Konzentrationslager deportiert...
Kriegsverbrecher:
Hunderte
Anzeigen unbearbeitet
Am 16. August 1943 überfiel die 12. Kompanie des
Gebirgsjägerregiments 98 den griechischen Ort Kommeno und ermordete 317
Kinder, Frauen und Männer...
Griechenland unterm Hakenkreuz:
Hellas, Hellas, Mutter der Verzweiflung!
Während des Zweiten Weltkrieges wurden in Griechenland von deutschen
Besatzern fortgesetzt und massenhaft schwere Verbrechen gegen die
Zivilbevölkerung verübt. Doch die Bundesrepublik verweigert den Dialog mit
den Opfern und setzt auf »geräuschlose Entsorgung« der
Entschädigungsforderungen...
Die
Saat des Friedens:
Das Testament der Toten
von Distomo
Hier ist die Erde bitter, es ist die bittere Erde von Distomo. Vorsicht,
Besucher, gib Acht, wohin dein Fuss tritt - es schmerzt das Schweigen hier,
schmerzt jeder Stein am Weg, es schmerzt vom Opfer und auch vom harten
Menschenherz...
Essay über das ungelebte Leben:
Der Tod ist ein
Meister - Das Leben ein Lehrling
"Was die Schickung schickt, ertrage", so ein deutsches Sprichwort..
Torheit der Regierenden:
Gefälligkeitsrichter und
Parteihistoriker
Man will das Kind ausschütten und das Bad behalten. Das Kind ist die
Gerechtigkeit gegenüber den Nazi-Opfern, welcher der BGH, d.h. ein deutsches
Gericht nach der Nazi-Ära verpflichtet sein müsste. Das Bad ist die deutsche
Ökonomie, in welcher noch immer viel Nazi-Raubgut verbucht ist und bleiben
soll.
Kumulierte Amoral im Fall Distomo (Griechenland):
Hinterbliebene der SS-Opfer fordern Gerechtigkeit
Heute läuft die Frist ab, die der Gerichtshof in Strasbourg der
Bundesregierung gesetzt hat, um zu einer Entschädigungsklage der
Hinterbliebenen der Opfer des SS-Massakers im griechischen Distomo Stellung
zu nehmen...
Deutsche Besatzungspolitik:
Griechenland 1941–1944
Ein Beispiel: Am Nachmittag des 10. Juni 1944 wurde die Dorfbevölkerung von
Distimo, die nicht in die Berge flüchten konnte, mißhandelt, Frauen und
Mädchen vergewaltigt und 218 Zivilisten auf unbeschreibliche Art
niedergemetzelt...
Entschädigung:
Alles,
was Recht ist
Urteil im Distomo-Prozess...
SS-Massaker:
Es
war doch Krieg
In der kommenden Woche wird eine Klage von Überlebenden des SS-Massakers in
Distomo vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe verhandelt...
Griechenland unter dem Hakenkreuz:
Dunkelheit
und Kälte
Jährlich reisen hunderttausende deutsche Touristen nach
Griechenland, seit Jahrzehnten leben zehntausende griechische Familien in
Deutschland – und dennoch kennen nur wenige Deutsche mehr als Bruchstücke
des dunklen Kapitels...
Auch die Opfer des Distomo-Massakers müssen entschädigt werden:
Gegen die Logik des Alles oder nichts
Journalistische Provokationen sind nützlich, vor
allem, wenn sie stereotype Haltungen und eingeschliffene Reaktionen
bloßstellen...
Bilderbuch:
Ein
Abstecher nach Athinah?
Früher fuhr die Fähre von Haifa nach
Piräos. Über Kafrisin (Limasol / Cypern), Rhodos oder Kreta, dauerte die
Reise 3 bis 4 Tage. Während der zweiten Intifada wurde die Linie
eingestellt. Niemand wollte mehr fahren...
Antisemitische Ausschreitungen in Griechenland:
SS-Runen und "Juden Raus"-Rufe in Athen und Thessaloniki
In Griechenland wurde von mehreren antisemitischen Manifestationen
berichtet, die sich im Laufe der Monate April und Mai ereigneten...
Mikis Theodorakis:
Israel beklagt
antisemitische Äußerungen
Israel hat sich bei der griechischen Regierung über
Äußerungen von Mikis Theodorakis beschwert...
Besuch des griechischen Präsidenten:
Israel - Türkei -
Griechenland
Der Besuch des griechischen Präsidenten in Israel ist ein weiteres Zeichen
der sich in Griechenland vollziehenden Veränderungen. Die Wirtschaft wächst
schnell, die Beziehungen zur Türkei waren noch nie so gut, und Griechenland
fühlt sich Europa näher denn je...
konkret: Heft 08/2000
Eine längst vergessene Geschichte
Warum Johannes Rau um die Jüdische Gemeinde von Thessaloniki einen so großen
Bogen gemacht hat
Eberhard Rondholz
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ODER per Snail: Anti-Quariat Oranienstr. 45 D-10969 Berlin
Anläßlich seiner Staatsvisite in Griechenland im April dieses Jahres machte
Bundespräsident Johannes Rau auch einen Besuch in dem kleinen Ort Kalavryta,
der im Dezember 1943 als sogenannte »Repressalmaßnahme« von der Wehrmacht
zerstört worden war. Über 700 männliche Einwohner des Ortes wurden dabei von
Soldaten der 117. Jägerdivision massakriert. Rau legte für sie an der
Gedenkstätte einen Kranz nieder und erklärte, es dürfe nicht vergessen
werden, welches Leid Menschen in Griechenland von Deutschen zugefügt worden
sei.
Das Leid, das Deutsche fast 50.000 griechischen Juden aus Thessaloniki
zugefügt hatten, schien der Bundespräsident vergessen zu haben. Sie waren im
Frühsommer 1943 von Wehrmacht und SS auf eine Reise ohne Wiederkehr
geschickt worden - nach Auschwitz. Ein Mahnmal in der nordgriechischen
Hafenstadt erinnert an ihr Schicksal, doch für sie hatte Rau keinen Kranz
übrig, als er am 6. April Thessaloniki aufsuchte. Und um die
traditionsreiche Jüdische Gemeinde machte »Bruder Johannes«, anders als
weiland der Apostel Paulus, einen großen Bogen.
Rau konnte sich das gefahrlos leisten, ohne in Deutschland damit Empörung
auszulösen - die Vernichtung der Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki, einst
das weltweit bedeutendste Zentrum des sephardischen Judentums, ist ein in
der deutschen Öffentlichkeit bis heute wenig bekanntes Kapitel der Shoa. In
Griechenland aber löste sein Verhalten höchstes Befremden aus, und gerätselt
wird dort bis heute darüber, warum Rau die überlebenden Juden von
Thessaloniki, die mit einer kleinen Geste der Anteilnahme sicher gerechnet
hatten, derart vor den Kopf gestoßen hat. Schließlich gilt er allgemein als
Philosemit - er ist Ehrendoktor der Universität Haifa, Träger des
Leo-Baeck-Preises und, seit dem 10. März 2000, der
Buber-Rosenzweig-Medaille, er hat (als erster deutscher Bundespräsident)
anläßlich seiner 30. (!) Israelreise auf deutsch vor der Knesset gesprochen.
Warum also dieser Affront gegenüber der Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki?
Aus dem Bundespräsidialamt bekommt man ausweichende Antworten, wenn man
nachfragt. Der ehemalige griechische Justizminister Georgios A. Mangakis
hatte diese Erklärung parat: Rau habe Fragen nach der Anerkennung von
Entschädigungsforderungen aus dem Wege gehen wollen (vgl. KONKRET 6/2000, S.
3). Doch das reicht zur Erklärung wohl kaum aus, mit solchen Fragen mußte er
schließlich auch in Kalavryta rechnen.
Es dürften eher andere Fragen gewesen sein, denen Rau aus dem Wege gehen
wollte - mußte er doch gewärtig sein, daß der eine oder andere
Auschwitz-Heimkehrer ihn ansprechen könnte auf einen früheren Parteifreund,
der auch einmal Mandant seines politischen Mentors (und Urgroßvaters seiner
Kinder) Gustav Heinemann gewesen war. Der Name des Mandanten: Max Merten.
Die längst vergessene Affaire Merten führt uns zurück in die Jahre, in denen
Johannes Rau seine ersten politischen Schritte tat, als Kreisvorsitzender
der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP). Diese 1952 von dem gerade aus der CDU
ausgetretenen Exminister und späteren Bundespräsidenten Heinemann gegründete
Partei war eine vor allem vom linken Flügel des politischen Protestantismus
geprägte Sammlungsbewegung, die sich den Kampf für die Wiedervereinigung zum
Ziel gesetzt hatte und deshalb gegen die deutsche Remilitarisierung kämpfte.
Einer der führenden Funktionäre dieser Partei war der Rechtsanwalt Max
Merten, derselbe Max Merten, der von 1942 bis 1944 Chef der
Wehrmachtsverwaltung in Thessaloniki gewesen war und in dieser Eigenschaft
einer der Organisatoren der Judendeportation. Was der Exnazi
(NSDAP-Mitglieds-Nr. 4 363 7539) in der GVP suchte, bleibt bis heute im
Dunkeln. Jedenfalls sind vom GVP-Bundesvorstandsmitglied Merten irgendwelche
programmatischen Äußerungen nicht überliefert.
Sehr wohl bekannt hingegen sind seine Tat-Beiträge zur Vernichtung der
Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki. Die anderen beiden Haupttäter waren die
SS-Hauptsturmführer Alois Brunner und Dieter Wisliceny. Brunner, Eichmanns
rechte Hand und für die Deportation von mindestens 120.000 Juden in mehreren
Ländern Europas verantwortlich, wurde für seine Verbrechen nie zur
Verantwortung gezogen. Er machte sich, wie mancher andere NS-Verbrecher,
beim CIA-Vorgänger Counter-Intelligence-Corps (CIC) den Amerikanern
nützlich, war dann auch dem BND zu Diensten, später wurde er Berater für
Judenfragen in Syrien, das ihm bis heute Gastrecht gewähren soll. Dieter
Wisliceny hatte weniger Glück; er wurde im Februar 1948 in der
Tschechoslowakei hingerichtet, wegen dort begangener Verbrechen. Zuvor hatte
der SS-Offizier aber noch vor dem Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal
ausgesagt, dort die bereitwillige Mitarbeit der Wehrmacht bei der
Judenvernichtung in Griechenland gelobt und unterstrichen, daß »ohne die
enge Zusammenarbeit mit der Militärverwaltung die Aktion in Thessaloniki
niemals hätte stattfinden können« - d. h.: ohne den Kriegsverwaltungsrat
Merten.
Dieser Merten aber ließ sich nach Kriegsende, von der deutschen Justiz nicht
belästigt, als Rechtsanwalt in Berlin nieder. Leichtsinnigerweise flog er im
April 1957 nach Athen, um einem in Griechenland in Schwierigkeiten geratenen
Freund aus deutschen Besatzungstagen, seinem ehemaligen Dolmetscher Arthur
Meissner, Rechtsbeistand zu leisten. Merten schien sich sicher zu sein, es
könne ihm dort unten nichts passieren. Hatten die Griechen nicht 1946
Desinteresse an seiner Person signalisiert, als das CIC ihnen die
Überstellung Mertens angeboten hatte, und hatte nicht der Chef der
griechischen Militärmission in Berlin, General Ypsilantis, 1947 im
Spruchkammerverfahren für ihn gutgesagt?
Warum die griechische Regierung ihn 1946 nicht hatte haben wollen, lag für
Merten auf der Hand: Er hatte eine Menge Unangenehmes über gewisse Kreise
des Athener Polit-Establishments auszupacken, über jene von ihm
ausgehaltenen Kollaborateure nämlich, die (anders als solche Landesverräter
in anderen ehemals besetzten Ländern) nach dem Abzug der Nazis nicht nur
weitgehend unbehelligt geblieben waren, sondern auch an der Macht im Staat
beteiligt wurden. Hinzu kam: Die griechischen Nachkriegsregierungen hatten
sich den Strafanspruch gegen die deutschen Kriegsverbrecher regelrecht
abkaufen lassen - gegen Finanzhilfe, Tabakexportgarantien und dergleichen
mehr.
Was Merten wohl nicht wußte: Die griechische Seite hatte ihren Verzicht auf
die Strafverfolgung deutscher Kriegsverbrecher an Bedingungen geknüpft, die
von deutscher Seite nicht vollständig eingehalten worden waren. Es ging
dabei auch um Entschädigungsleistungen für griechische NS-Opfer in
vergleichsweise bescheidener Höhe, die Bonn nicht zu zahlen bereit war und
um die just zum Zeitpunkt seines Besuchs gefeilscht wurde. Ein Widerruf des
Strafverfolgungsverzichts für NS-Täter stand angesichts der Bonner
Hartleibigkeit ins Haus. Auch war die damalige rechtskonservative
griechische Regierung unter Konstantin Karamanlis wegen ihres in Europa
einmalig nachsichtigen Umgangs mit deutschen Kriegsverbrechern
innenpolitisch unter Druck geraten. Einen in Griechenland so bekannten
NS-Täter wie Merten im Lande frei herumreisen zu lassen, das konnte sich die
Regierung nicht leisten. Merten wurde verhaftet und unter Anteilnahme der
ganzen Nation vor Gericht gestellt.
Bei diesem Prozeß bestätigten Zeugen nicht nur Mertens tatkräftige Beihilfe
zur Judendeportation, sie schilderten auch die diabolische Raffinesse, mit
der er die wohlhabende Jüdische Gemeinde vor ihrer Deportation ihres
gesamten beweglichen Vermögens beraubte und durch falsche
Schutzversprechungen einzelnen Opfern erhebliche Geldsummen sowie Gold und
Juwelen abpreßte. Daß er dabei auch kräftig in die eigene Tasche
gewirtschaftet hat, gilt als sicher. Der Prozeß endete am 5. März 1959 mit
der Verurteilung zu 25 Jahren Haft, von denen Merten allerdings nur kurze
Zeit abzusitzen hatte.
Und das verdankte er zum einen der Bundesregierung, die einmal mehr das
Mittel der wirtschaftlichen Nötigung ins Spiel brachte, um einem
NS-Verbrecher zu Hilfe zu kommen, zum anderen einem seiner Anwälte, der sich
als Abgeordneter im Deutschen Bundestag massiv dafür einsetzte, die
Ratifizierung eines Finanzabkommens mit Griechenland zurückzustellen, um die
griechische Justiz zum Strafverzicht im Fall Merten zu zwingen. Dieser
Anwalt war der mittlerweile zur SPD übergewechselte Gustav Heinemann.
Heinemann war von Mertens Unschuld überzeugt, und Heinemanns früherer Sozius
Dieter Posser (der spätere Justizminister Nordrhein-Westfalens) ist es heute
noch - offenbar verfügte Merten über ein sehr gewinnendes Wesen und eine
große Überzeugungskraft. So haben ihm zahlreiche Journalisten auch noch die
gröbsten Schwindelgeschichten abgekauft.
Der Druck aus Bonn zeitigt schließlich Wirkung: Unter dem (auch von
griechischer Seite augenzwinkernd so verstandenen) Vorwand, Max Merten
selber noch einmal vor Gericht stellen zu wollen, läßt sich die
Bundesrepublik den verurteilten Kriegsverbrecher ausliefern. Am 5. November
1959 landet der Freigepreßte auf dem Münchner Flughafen, wird dort pro forma
in Haft genommen und 11 Tage später nach einem Haftprüfungstermin wieder
freigelassen. Zu einem Hauptverfahren sollte es nie kommen - ein
Ermittlungsverfahren beim Landgericht Berlin wird neun Jahre später, am 4.
Juni 1968, in aller Stille eingestellt.
In der Einstellungsverfügung wird Merten zwar der hinreichende Verdacht der
räuberischen Erpressung bescheinigt, aber das bleibt für den Täter
folgenlos, denn der Tatbestand ist verjährt; hinsichtlich des Unverjährbaren
aber, der Beihilfe zum Mord an über 50.000 Juden, lautet die originelle
Formel der Berliner Strafverfolger: Merten habe zwar den von Hitler und
seinen Mittätern befohlenen Mord an 40.000 bis 50.000 griechischen Juden aus
dem Bereich des Befehlshabers Thessaloniki-Ägäis unterstützt und gefördert,
indessen: »Es hat sich kein Anhalt ergeben, daß er von dem Mordplan gewußt
oder doch die vorsätzliche Tötung der mit seiner Hilfe gesammelten (sic!)
und ausgesiedelten (sic!) Juden als Möglichkeit bewußt in Rechnung gestellt
und billigend in Kauf genommen hat.« Derselbe Mann also, der monatelang
Seite an Seite mit Adolf Eichmanns Emissären mehrere zehntausend Juden
»gesammelt« und »ausgesiedelt« hat, soll von Auschwitz nichts gewußt haben.
Was ihn übrigens nicht daran hinderte, später stets zu beteuern, er habe die
Juden doch bewahren wollen vor jenem Schicksal, von dem er angeblich nichts
wußte.
Nach seiner Befreiung aus griechischer Haft hat Merten der Regierung
Karamanlis ihre Großzügigkeit nicht gedankt, und der Regierung Adenauer
ihren massiven Einsatz auch nicht. Kaum heimgekehrt, beschuldigte er den
griechischen Premier, dessen Innenminister Makris sowie dessen Frau Doxoula,
ein beschlagnahmtes Seidenlager aus jüdischem Besitz entgegengenommen zu
haben, als Belohnung für Kollaboration. Solche Art Belohnung für griechische
Kollaborateure und Informanten durch den Chef der Militärverwaltung hat es
vielfach gegeben. »Arisierte« Warenlager, Geschäfte und Handelsunternehmen
vom Juwelierladen bis zum Textilgroßhandel wurden von Merten an griechische
Freunde des Deutschen Reiches verteilt, mehr oder weniger hohe
»Ablösesummen« (je nach den Verdiensten) waren auf ein Bankkonto zu
überweisen, über das er allein verfügte. Ob auch der spätere Premier
Karamanlis tatsächlich zu den von Merten mit »arisierten« Gütern bedachten
Kollaborateuren gehörte, ist nie aufgeklärt worden. Wohl aber wurden einige
deutsche Journalisten wegen Verleumdung griechischer Politiker in absentia
zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.
1961 trat Merten dann mit einer abenteuerlichen Geschichte an die
Öffentlichkeit, die ihm, so unwahrscheinlich sie auch klang, tatsächlich von
einer Reihe als seriös geltender Publikationsorgane abgenommen wurde, u. a.
vom »Spiegel«: Er habe 1943, mit Adolf Eichmanns Hilfe, 20.000 Juden aus
Thessaloniki vor dem Tod in Auschwitz bewahren wollen, sie sollten mit
Schiffen des Roten Kreuzes nach Palästina abgeschoben werden. Das sei den
beiden aber damals von Hans Globke, dem Kommentator der »Nürnberger
Gesetze«, verboten worden. Mertens Pech: Der gerade in Jerusalem vor Gericht
stehende Eichmann konnte sich partout nicht an diese Rettungsaktion
erinnern. Statt dessen hatte er im Verhör Belastendes mitzuteilen: »Wenn Dr.
Merten als Vertreter des Militärbefehlshabers gegen die Deportation
protestiert hätte, hätte Brunner die Deportation nicht durchführen können.
Denn das Primat in allen diesen Fragen und die Befehlsgewalt lag bei Dr.
Merten als Vertreter des Militärbefehlshabers.«
Globke klagte erfolgreich vor dem Bonner Landgericht gegen Merten, die
regierungsnahe Publizistik konnte die Anschuldigungen gegen Adenauers
Staatssekretär als internationale linke Verschwörung denunzieren. Auch die
DDR wurde ins Spiel gebracht und darauf hingewiesen, daß kein geringerer als
der spätere SED-Staranwalt Friedrich Karl Kaul für Merten gebürgt hatte, als
der bei der Berliner Anwaltskammer um Zulassung nachsuchte. Merten starb
1971 und war in Deutschland bald vergessen. Nicht so in Thessaloniki, wo
einige Auschwitz-Heimkehrer noch heute zittern, wenn sie seinen Namen hören,
denn er war für sie der »Herr über Leben und Tod«. Und nach diesem Mann
gefragt zu werden, damit hätte Mertens ehemaliger Parteifreund Rau bei einem
Besuch der Jüdischen Gemeinde wohl rechnen müssen.
Vor ein paar Wochen ist der Judenjäger Merten, fast 30 Jahre nach seinem
Tod, erneut in die Schlagzeilen gekommen. Griechische Taucher wollen in
diesem Sommer, so meldete am 17. Juni 2000 die Deutsche Presseagentur, im
Auftrag des Zentralrats der Juden in Griechenland nach einem Teil der
wertvollen Beute suchen, die der Kriegsverwaltungsrat bei seinem Abschied
von Thessaloniki 1944 nicht habe mitnehmen können - Goldbarren, Juwelen und
wertvolle liturgische Gegenstände aus dem Besitz der Gemeinde. Ein
gesunkenes Schiff mit dem Schatz des Max Merten an Bord will nämlich ein
Grieche im Golf von Messenien geortet haben. Erfahren haben will er davon
1957 als Mithäftling Mertens im Athener Averoff-Gefängnis. Ob da tatsächlich
noch Teile der Beute auf dem Meeresgrund liegen, sei dahingestellt,
wahrscheinlich ist es nicht. Schließlich hätte Merten selber genug Zeit
gehabt, die Beute heimlich bergen zu lassen. Doch mag die spektakuläre
Schatzsuche Anlaß sein, das Augenmerk auf den Teil des geraubten jüdischen
Privatvermögens zu richten, der mutmaßlich beim deutschen Staat gelandet
ist, und darauf, wie sich die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des
Deutschen Reiches höchst offiziell zum Haupterben dieses Nachlasses gemacht
hat.
Allein in Form von Gold und Preziosen, so eine Schätzung der Jüdischen
Gemeinde aus den 50er Jahren, habe der Wert der von Max Merten jüdischen
Privatleuten abgepreßten und ins Deutsche Reich verbrachten Beute 130
Millionen Mark betragen, was man in Bonn anerkannte. Einen Antrag auf
Rückgabe stellen konnten nach Ansicht Bonns indessen nur Überlebende bzw.
die Erben der Ermordeten; von denen gab es aber, wie schön für den Bonner
Finanzminister, nur noch wenige: Die Antragsteller, die in Bonn vorstellig
wurden und z.T. mehr als zehn Jahre um Entschädigung kämpfen mußten,
repräsentierten nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums nur 10 Prozent
der Geschädigten. Bonn stellte also 13 Millionen zur Ausschüttung bereit,
was nichts anderes heißt als: Der Rest der fiktiven Beute, die restlichen 90
Prozent der 130 Millionen, sollten dem deutschen Staat anheimfallen.
»Deutschland erbt statt jener, die nicht mehr erben können, weil sie zu
Seife geworden sind«, zitierte der »Spiegel« 1971 den Präsidenten des
Zentralrats der griechischen Juden, Josef Lovinger.
Ein anderer hatte weniger Entschädigungsprobleme: der Judenjäger Merten. Er
erhielt aus der deutschen Staatskasse für die in griechischer Haft erlittene
Unbill eine »Heimkehrerentschädigung«. Wieviel das war, ist nicht bekannt,
es dürfte aber die seinen wenigen überlebenden Opfern zugestandenen 5 Mark
pro Tag in Auschwitz um einiges überschritten haben.
Eberhard Rondholz schrieb in KONKRET 9/96 über den NS-Kriegsverbrecher
Priebke
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Children of the Revolution - Eleftheria
Das griechische Jerusalem
Tagung über die Geschichte der Juden von Thessaloniki
Von Eberhard Rondholz
Was Jiddisch ist, das wissen bei uns die meisten, und die Klezmer-Musik der
ashkenasischen Juden des europäischen Ostens kennt man ja auch. Von
Geschichte und Kultur der Sefarden haben in Deutschland aber nur die
wenigsten gehört. Jener Juden, die Ende des 15. Jahrhunderts aus ihrer
spanischen Heimat, die sie Sefarad nannten, vertrieben wurden, und die in
ihrer Mehrzahl im damaligen Osmanischen Reich Zuflucht fanden. Vor allem in
der mazedonischen Hafenstadt Saloniki, damals ein entvölkerter Ort von
gerade noch 3000 Einwohnern, ließen sie sich nieder. Sie verhalfen Saloniki
zu neuer wirtschaftlicher und kultureller Blüte, vier Jahrhunderte lang war
das ihre Stadt, sie nannten sie "Madre de Israel" oder auch "Jerusalem des
Balkans". Und sie bewahrten über die Jahrhunderte spanische Kultur und
Sprache. Dabei gelang es ihnen, ihr (bald mit hebräischen und türkischen
Vokabeln angereichertes) Spanisch zur gemeinsamen Sprache aller Juden im
Osmanischen Reich zu machen.
In Thessaloniki assimilierten sie sowohl die griechischsprachigen Juden, die
Romanioten, die schon zu Zeiten des Apostels Paulus hier ansässig waren, als
auch die einwandernden jiddisch sprechenden ashkenasischen Juden aus
Osteuropa. Und schließlich wurde Judenspanisch oder Ladino, wie es auch
genannt wird, von einem großen Teil der Griechen gesprochen, sie waren
damals ja nur eine Minderheit unter mehreren in dieser Stadt, deren
Wirtschaftsleben von der jüdischen Bevölkerungsmehrheit dominiert wurde.
Bis ins Jahr 1912, als am Ende des 2. Balkankriegs die griechische Armee die
Stadt einnahm und dem neugriechischen Staatsverband einverleibte.
All das konnte man am vergangenen Wochenende auf einem internationalen
Kongress erfahren, den die jüdische Gemeinde der Stadt ausgerichtet hat.
Nicht viel mehr als 1000 Menschen zählt diese Gemeinde heute, 50.000 waren
es noch im Frühjahr 1943, als SS und Wehrmacht mit ihrer Deportation nach
Auschwitz begannen. Ladino hört man in Saloniki nur noch selten. In der
Synagoge wird es am Shabat noch regelmäßig benutzt, aber verstanden wird es
dort nur noch von den Ältesten. Die sefardische Kultur ist fast
untergegangen, zum Forschungsobjekt für Philologen, Historiker und
Volkskundler geworden.
Griechen sind allerdings nicht darunter. Die Referenten der Tagung kamen von
der Sorbonne und der University of California, aus Basel, Madrid und
Jerusalem. Erstaunlich auf den ersten Blick, dass ausgerechnet die
Universität der Stadt, die über vier Jahrhunderte das Zentrum sefardischer
Kultur gewesen ist, dieses Erbe bis heute ignoriert, wie die
Kongress-Organisatorin, Rena Molcho, mit Bedauern feststellte.
Warum das so ist, hat Rena Molho nicht expressis verbis gesagt. Aber man
kann das ahnen. Das Verhältnis der Stadt Saloniki zu ihren jüdischen Bürgern
ist seit langem gestört, spätestens seit 1943. Anders als in der
griechischen Hauptstadt Athen, wo die Juden auf die Solidarität und Hilfe
der Behörden wie der Kirche zählen konnten, hat die Stadt Saloniki sich der
Deportation ihrer jüdischen Bürger nicht widersetzt. Vielleicht, weil sie
auf ein begehrtes Stück Bauland scharf war? Es ging um den jüdischen
Friedhof, genauer: um jenen fast zweieinhalb Hektar umfassenden Teil davon,
der unbestreitbar jüdisches Eigentum war. Heute steht auf diesem Gelände mit
seinen einst 500.000 Gräbern die Universität, und noch 60 Jahre nach der
Shoah bemüht sich die jüdische Gemeinde vergeblich um eine kleine
Kompensation für das geraubte Stück Land. Geraubt wurde damals nicht nur das
jüdische Friedhofsgelände - noch bevor der Kriegsverwaltungsrat Max Merten
es der Stadtverwaltung überließ, waren christliche Plünderer am Werk. Um,
unter anderen, Jahrhunderte alte marmorne Grabsteine als Baumaterial zu
stehlen. Noch heute finden die Nachkommen überlebender Juden gelegentlich
Grabmäler ihrer Vorfahren als Spolien in Treppenhäusern oder im
Straßenpflaster wieder.
Aber diese Stadt scheint mehr als ein Problem mit ihrer 400-jährigen
jüdischen Geschichte zu haben. Ihre heutigen Bewohner, mehrheitlich
Nachkommen griechischer Flüchtlinge aus Kleinasien, die 1923 nach dem
verlorenen Krieg gegen die Türkei hereinströmten, legen großen Wert auf eine
ununterbrochene griechische Kontinuität der Stadt, seit ihrer Gründung vor
23 Jahrhunderten. Eine fixe Idee - vom Untergang des byzantinischen Reiches
bis zum beginnenden 20. Jahrhundert war Saloniki alles andere als eine
griechische Stadt, wie schon ausgeführt. Und im 19. Jahrhundert waren die
meisten Banken und Handelshäuser, Fabriken und Manufakturen in jüdischem
Besitz, die schönsten Villen und Herrenhäuser gehörten Juden, einige sind
noch heute zu sehen. Die prachtvolle Villa Allatini gehört dazu, dort
residiert heute die Präfektur, wem das Haus einmal gehört hat, wissen die
wenigsten. Und so ist das auch mit dem Rest der jüdischen Stadtgeschichte,
man weiß davon nichts und will es auch nicht wissen. So vieles wäre doch aus
den noch reichlich vorhandenen judenspanischen Quellen zu erfahren -
literarischen und profanen.
Dass es auch ein jüdisches Proletariat gegeben hat in dieser Stadt, wissen
linke griechische Historiker immerhin zu berichten, aber die judenspanischen
Quellen zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der mazedonischen Metropole
werden kaum benutzt - die Zeitungen mit den nicht sehr griechischen Namen
"Solidaridad Obradera", "Avanti" oder "El Combate", Organe der jüdischen
Gewerkschaft "Federasyon". Man würde sie an ihrem ehemaligen Erscheinungsort
auch vergeblich suchen, in der Universitätsbibliothek stehen sie nicht. Von
den in Saloniki versammelten Forschern kann man erfahren, wo man diese
Periodika suchen muss: im Ben Zwi-Institut in Jerusalem zum Beispiel. Und
auch, wer sich wie Samuel Armistead an der University of California seinen
Lebtag mit der Erforschung der sefardischen Romanzen-Tradition beschäftigt
hat, sucht seine Quellen nicht an dem Ort, der einst der Mittelpunkt der
judenspanischen Kultur gewesen ist. Georg Bossong, Romanistik-Professor an
der Universität Zürich, erzählt, dass er für seine lingustischen
Ladino-Forschungen in Saloniki nur eins gefunden hat: Menschen, die noch ein
unverfälschtes Judeo-Espagnol sprachen. Im jüdischen Altersheim.
Etwas Erfreuliches konnten die Veranstalter der Tagung von Saloniki immerhin
konstatieren. Zum ersten Mal hat das stadteigene Haus der Geschichte der
jüdischen Gemeinde ihre Räume als Tagungsort zur Verfügung gestellt. Und das
ist ja schon was.
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