Interview mit Gert Weisskirchen und Peter Wirkner:
haGalil fragt nach!
Interview:
Ramona Ambs / Erster Teil / Die Veröffentlichung verzögerte sich
durch den crackerbedingten Ausfall und die desolate
Personalsituation bei haGalil.
Herr Weisskirchen, Herr Wirkner, Sie sind beide in der Region - und
natürlich nicht nur hier - bekannt dafür, dass sie sich sehr, in je
unterschiedlichen Funktionen und Ämtern, gegen Antisemitismus
engagieren. Was ist Ihre jeweilige persönliche Motivation, sich
gerade diesem Thema zuzuwenden? Glauben Sie, dass ihnen dieses
Engagement in Wahlkämpfen eher Stimmen bringt oder vielleicht sogar
kostet?
Gert
Weisskirchen: Also, dann fang ich mit der letzten Frage an: es
ist mir egal, ob das Stimmen kostet oder nicht. Im Übrigen glaub ich
noch nicht mal, dass es Stimmen kostet, aber wie auch immer, das
interessiert mich nicht. Die erste Frage ist ganz einfach zu
beantworten: Wenn man wenige Monate alt war, als der Krieg zu Ende
war, dann - Sie können das nicht ermessen, was das heißt (zu mir,
Anm. d.Verf.) - dann gehört man einer Generation an, die es sich zur
Aufgabe gemacht hat, gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus zu
arbeiten.
Kann man das so allgemein sagen?
Weisskirchen: Ja. Ich würde ziemlich sicher sagen die
überwiegende und eindeutige Mehrheit.
Peter Wirkner: Ich fang auch mit der letzten Frage an, also
ich kann mich da nur Herrn Weisskirchen anschließen, es ist mir
egal, ob so ein Engagement Stimmen kostet oder nicht, weil es
Wahrheiten gibt und Überzeugungen gibt, die sind völlig davon
unabhängig, ob sie Mehrheiten bringen.
Also das ist meine Grundüberzeugung. Ich hab aber den Eindruck, dass
so die Festigkeit für eine Sache, wenn man das schon mal so
instrumentell betrachtet, eher honoriert wird, weil viele Leute so
einen Halt suchen, Orientierung suchen, und ich denke, wenn man
ihnen da diese Festigkeit ein Stück weit vorlebt, dann zieht man
positive Resonanz.
Zu der Frage, woher das bei mir herrührt, - wir haben eine
Biographie, die im...
Weisskirchen wirft ein: Du bist jünger!
Wirkner:
...
langsam, Du weißt nicht, was ich sagen wollte! Unsere Biographien -
beide- beginnen in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, das
ist schon wesentlich - der Gerd 1944, ich 1949, und ich kann mich
noch sehr gut daran erinnern, wie Deutschland Ende der 50er Jahre
ausgesehen hat, mit Bombentrichtern, mit Ruinen - das ist die eine
Seite; - ich kann mich noch erinnern, als ich 1956 - vor fünfzig
Jahren in die Schule gekommen bin, dass in den Oberklassen im Grunde
genommen keine Vätergeneration mehr da war.
Viele
hatten die Väter verloren und das ist jetzt bezogen auf die
deutschen Biographien, und wenn Sie auch nur einigermaßen - auch in
jungen Jahren - an der Entwicklung Deutschlands teilgenommen haben,
dann war das Leiden der Juden für jeden unübersehbar. Und was mich
immer bewegt hat, war die Frage danach, wie konnten sich für so eine
so schlechte Sache, so viele Leute engagieren, auch im
idealistischen Sinn.
Das aufzuklären, diesen Widerspruch, das ist eigentlich immer mein
Thema geblieben.
Am 3. Januar 1996 erklärte der damalige Bundespräsident Roman Herzog
in einer Proklamation den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die
Opfer des Nationalsozialismus. Sie haben gemeinsam am 27. Januar
2006 in der alten Synagoge in Sandhausen an einer
Gedenkveranstaltung teilgenommen. Wie schätzen Sie ganz allgemein
das Bewusstsein in der Bevölkerung ein, diesen Tag, dieses Datum
einzuordnen und wie hoch meinen Sie, wäre die Bereitschaft diesen
Tag zu begehen? Wäre es nicht zum Beispiel sinnvoll, dass an diesem
Tag in allen Schulen des Landes über diese Zeit gesprochen wird oder
ähnliches? Und was tut die Politik dafür?
Wirkner:
Also ich hab den Eindruck, dass das Bewusstsein für dieses Datum
relativ gering ist. Das hängt natürlich auch etwas - ohne jetzt
elitär sprechen zu wollen - von verfügbarer Information und dem
Denken in historischen Prozessen zusammen, und das ist natürlich in
der Bevölkerung ganz unterschiedlich verteilt. Ich denke, es ist
eher gering und deswegen ist auch für mich einfach ein Nachholbedarf
an Wissen da, den wir transportieren müssen, aber ich hab den
Eindruck, dass Tendenzen beobachtbar sind, die eigentlich das Thema
Juden, Verfolgung, Holocaust, Antisemitismus abhaken wollen und
einen Schlussstrich ziehen und das ist für mich nicht akzeptabel.
Weisskirchen:
Was das Schlimme ist, ist dass insbesondere bei jungen Menschen
heute weniger Wissen vorhanden ist, was denn im Holocaust passiert
ist. Da gibts ja Umfragen, die das leider bestätigen. Je älter die
Leute sind, desto eher wissen sie, was es war, aber sie haben
manchmal merkwürdige Erinnerungen daran. Also das heißt, ums in der
Konsequenz zu sagen: es ist gut, dass Roman Herzog diesen Tag zum
Gedenktag "erhoben hat", er trifft auf ein zum Teil schwindendes
Bewusstsein und natürlich hat es auch damit was zu tun, dass die
Zeugen des Holocaust mehr und mehr nicht mehr da sein werden. Das
ist ja abzusehen. Umso wichtiger ist es, dass das persönliche
Erinnern abgelöst wird vom kulturellen Gedächtnis. Das muß aber
konstruiert werden, wie wir alle wissen, und das muß konstruiert
werden einerseits von Geschichtswissenschaft, andererseits aber wie
ich finde auch von Politik, weil Politik immerhin für einen
wichtigen Impuls stehen kann, wenn Politik richtig die Aufgabe
ermisst, und dann auch eine vernünftige, richtige Antwort darauf
gibt, nämlich: Wenn die Generation, die schuldhaft darin verstrickt
war, verschwindet und andererseits die Opfer verschwinden, dann muß
ja etwas übrig bleiben, der Blick auf das was künftig geschehen soll
in Deutschland, nämlich Verantwortung zu übernehmen.
Also dieses "Never again", was das heißt, das muß ja durch
Ereignisse geschaffen werden. Und eines dieser denkbaren und
möglichen Ereignisse, die geschaffen werden müssen, ist ein solcher
Gedenktag, wobei man natürlich immer ungeheuer aufpassen muß, -
meine Sorge ist, dass Gedenktage auch in Ornamenten versinken
können... und das darf es nicht. Sondern es muß dahinter und mit
diesem Tag in der Tat auch Denken, Nachdenken und Weiterdenken
verbunden sein, und das nun ist eine Aufgabe, die je zuförderst in
den Schulen geleistet werden muß und die Kultusministerkonferenz ist
an dem Thema dran, und es gibt in allen Bundesländern pädagogisch
zum Teil vernünftige, zum Teil noch nicht vernünftige Vorschläge,
wie das gemacht werden kann, und von daher gesehen, glaube ich, dass
es gut ist, dass der 27. Januar ein solches Ereignis jeweils neu
jedes Jahr schaffen kann, und das jetzt seit vielen Jahren, seitdem
das von Roman Herzog erfunden worden ist, - der Anlass war ja keine
Erfindung, sondern die Befreiung durch die Rote Armee, aber wir
haben immer, seit Roman Herzog das ausgerufen hat, auch jedes Jahr
diese Veranstaltung gemacht und machen das in völliger Überzeugung,
dass wir einen Beitrag dazu leisten können, um mindestens was die
politische Seite anbetrifft, dieses Verantwortungsbewußtsein
aufrecht zu erhalten. Für uns, die wir älter sind, ich ja noch fünf
Jahre älter als Du (lacht Wirkner zu) ist es wichtig, dass wir, auch
von der Partei aus, deutlich machen, das wir jedes Jahr einen
solchen Akzent setzen wollen und das soll hoffentlich Nachfolge
finden, wenn wir mal nicht mehr da sind.
Ich bleibe noch ein bißchen am Tag 27.1.- dies ist auch der Tag
dieses Jahr gewesen, an dem der letzte Bundespräsident Johannes Rau
verstorben ist. Ich zitiere mal aus der Rhein-Neckar-Zeitung:
Johannes Raus Vermächtnis: "Tun, was man sagt, und sagen , was man
tut".
Das ist eine Aussage, die mir ausgesprochen gut gefällt. Leider muß
man den Eindruck gewinnen, dass nicht alle Politiker auch tun, was
sie vorher sagen. Das gilt leider auch für die Lippenbekenntnisse
vieler Politiker zum Thema Antisemitismus. Durch welche konkreten
Maßnahmen wollen Sie in Ihren jeweiligen Positionen dafür sorgen,
dass beispielsweise Projekte gegen Rassismus und Antisemitismus die
Unterstützung und Förderung erhalten, die sie verdienen?
Wirkner:
Der Punkt ist der: ich wollte dieses Thema Rassismus,
Diskriminierung nicht in der Weise politisieren, in dem ichs zum
Wahlkampfthema mache, also so in instrumenteller Form: man wirft mit
der Wurst nach der Speckseite, stellt sich hin und zeigt auf sich :
ich mach was! Sondern ich denke, und das zeigen unser beider
Biographien; für uns ist das Ringen mit Diskriminierung und
Antisemitismus mehr als nur politisches Tagesthema, ich möcht mal
soweit gehen: es ist Teil unseres Lebensinhalts, dem wir uns widmen
und stellen - nicht nur in der politischen Arbeit.
Den Widerspruch, den Menschen sehen in der Politik zwischen dem Tun
und dem Sagen, was ich dagegen tun kann ist - ich sage es offen:
ehrlich zu sein und diesen Widerspruch durch mein Handeln und mein
Auftreten nicht aufkommen zu lassen.
Also
das heißt für mich eine gewisse Konsequenz zu zeigen und das Mark
meiner politischen Überzeugung ist, dass ich glaube, dass unsere
Zivilisationsdecke weltweit sehr dünn ist und dass wir vieles nicht
verhindern können, aber das, was wir verhindern können, wir nur dann
verhindern können, wenn wir klar Position beziehen und dieser
Position auch Taten folgen lassen.
Und das was Gerd Weisskirchen und ich jetzt machen, das ist, dass
wir auf allen Ebenen versuchen werden, Problembewußtsein zu wecken -
das hat viel mit Informationsarbeit zu tun. Dass wir initiativ
werden und zwar auf verschiedenen Ebenen, z.Bsp. Sie brauchen
qualifizierte Wissenschaftler, Sie brauchen versierte Pädagogen, die
Informationen dann auch in pädagogische Konzepte umsetzen, den
Wissenschaftler, den Historiker, den Politologen, den
Soziologen brauchen Sie um einfach eine versierte Bestandsaufnahme
machen zu können, wo Problemfelder liegen, das kann die Politik
nicht machen.
Denn man läuft ja sehr bald Gefahr, dass man betriebsblind ist, dass
man manchmal auch Leute mit Etiketten versieht, die einfach nicht
angebracht sind, also ich finde, das eine Vorurteil sollte das
andere Vorurteil nicht ersetzen, das ist mein Credo! Sondern es geht
um Objektives und das kann manchmal auch für einen selbst sehr
unbequem sein, es geht darum, dass wir Problembewusstsein in der
Weise transportieren, dass wir durch Veranstaltungen darauf
aufmerksam machen, das ist in unserem Falle so - wenn wir
beispielsweise hören, dass ganz konkrete Notstände sind, dass wir da
auch vor Ort präsent sind.
Wir scheuen da auch die Konfrontation nicht, wir sind da auch bereit
unseren Finger in die Wunden zu legen, die wir sehen. Und wir sehen,
dass wir initiativ werden müssen, auf den verschiedensten Ebenen,
d.h. also wenn man vom geeinten Europa ausgehen, kann man nicht
sagen, mich interessiert jetzt nur der Wahlkreis 37, oder Gerd
Weisskirchens Wahlkreis, der halt deutlich größer ist, also dieses
Denken in Kreisgrenzen, das müssen wir überwinden, und das was wir
versuchen zu initiieren ist, dass wir quer durch die zivilisierte
Welt Gleichgesinnte da ansprechen wollen, an einen Tisch bringen,
das muss nicht immer in einer Art und Weise Friede, Freude,
Eierkuchen sein, aber an einem Tisch zu sein, an einer gemeinsamen
Thematik zu ringen, gemeinsam etwas in Sachen Diskriminierung,
Rassismus, Antisemitismus, vorwärtszubringen, das ist das, was wir
eigentlich vorhaben.
Ich
red jetzt fast schon zu lang, bedenken Sie bitte, Medien, wir leben
in einer Mediengesellschaft, viele Bilder sind fremdvermittelt,
viele Leute erreichen wir nicht, egal was wir tun, aber sie sind
erreichbar mit DVDs, über Videos und Computerspiele und dergleichen
und wir haben den Eindruck , dass gerade dieser Bereich häufig a)
unterschätzt wird b) dass manche, vielleicht sogar viele glauben,
das ist so die siebenköpfige Hydra, wo immer ich auch hingreife,
eins krieg ich weg - zehn Neue entstehen. Dass wir da einfach drüber
nachdenken und dran sind sozusagen für die zivilisierte Welt so ein
Tableau zu entwickeln von Dingen, die eigentlich nicht publizierbar
sind. Und ich werd Ihnen nachher vielleicht mal ein Beispiel geben,
was ich äußerst unappetitlich finde, also Sie sehen, wir sind da
dran eine Vernetzung zu machen und die Ebenen Politik und Kultur da
anzusprechen und wenn Sie so wollen, die die ansprechbar sind, zu
aktivieren.
Weisskirchen:
Also Johannes Rau hat natürlich eine große Wirkung in der
Sozialdemokratie, auch und besonders wegen seiner persönlichen
Glaubwürdigkeit. Er knüpft in diesem Zitat an ein Zitat das
Ferdinand Lasalle, in einer anderen Form aber inhaltlich gleich,
gebracht hat. Das heißt, glaube ich, dass dies ein Appell an uns
alle ist, die Lücke zu schließen, zwischen dem was man tun muss und
dem wovon man glaubt, dass es auch auf der Ebene von Erklärungen
beschrieben wird. Das ist natürlich in sich selber eine Differenz,
und alleine das Wissen darum, dass man in so einer Differenz agiert,
ist schon wichtig, um dann auch sich selber immer wieder selbst
aufzurufen diese Lücke zu schließen.
Das Zweite ist, was man denn tun kann, ich nehme mal ein praktisches
Beispiel: ich habe alle Vorsitzenden der Ausschüsse des deutschen
Bundestages, die Projekte finanzieren zum "Kampf gegen
Antisemitismus und Rechtsextremismus", angeschrieben und gebeten sie
mögen doch eine gemeinsame Anhörung veranstalten, damit - mit dem
Blick auf die Aufstellung des Bundeshaushalts für dieses Jahr -
einfach mal die Wirkung der unterschiedlichen Projekte
überprüft wird. Zu dieser Evaluierung sollten Fachleute
miteinbezogen werden. Meine Absicht ist natürlich klar. Ich will,
dass diese Projekte fortgeführt werden, wenn es sein muss in einer
anderen Gestalt, möglicherweise dass bestimmte Kritik, so sie denn
hilfreich und auch notwendig ist, dann angebracht wird bei den
unterschiedlichen Projekten, aber dass daraus dann
Schlussfolgerungen gezogen werden, die nach vorne weisen und nicht
dass die Projekte etwa eingestellt werden oder die
Finanzierungsleistung zurückgenommen wird, sondern dass die
Finanzierungsleistung aufrechterhalten wird.
Ich meine, die Untersuchungen sind ja alle bekannt,
Rechtsextremismus, ich nenne jetzt nur als Letzten die
Veröffentlichung von Heitmeyer, die ja ganz bestimmte Trends -
leider wieder negativ beschrieben haben, darunter auch
Antisemitismus, in seinem jüngsten Buch. Es ist zwar nur ein kleiner
Abschnitt darüber drin, aber immerhin, das machts auch deutlich.
Also, das ist ein Beitrag, den ich selber leisten kann, dafür zu
sorgen, dass der Bundestag das nicht aus dem Auge verliert. Und die
politische Absicht, die vielleicht bei den Haushältern oder in
bestimmten Ministerien erkennbar ist, nämlich die Finanzleistungen
einzuschränken, dass das nicht durchkommt, sondern dass ein
öffentliches Bewusstsein wieder geschärft wird. Bei den Projekten
selbst habe ich keine Sorge, weil die das ja alle wissen, aber dann
am Ende - bei den Entscheidungsträgern im deutschen Bundestag, dass
die wissen: hier gibt es vernünftige Projekte und die müssen
fortgesetzt werden, das betrifft - wie Sie ja wissen - auch haGalil.
Fortsetzung -- 2.Teil... |