Gert Weisskirchen und Peter Wirkner:
Förderung muss verlässlich sein
Interview: Ramona Ambs / Zweiter Teil / Die Veröffentlichung
verzögerte sich durch den crackerbedingten Ausfall und die desolate
Personalsituation bei haGalil.
Herr Wirkner, Sie haben bei der am 20. Januar im dai
(Deutsch-Amerikanisches Institut in Heidelberg) stattfindenden
Veranstaltung zum Thema Antisemitismus darauf hingewiesen, dass
Bildung und Wissen allein nicht ausreichend sei, junge Leute gegen
rassistische Denkarten quasi immun zu machen. Sie sprachen auch von
der Herzensbildung, die man auch als Erziehung zur Empathie
bezeichnen könnte. Wenn Sie nun in den Landtag gewählt werden, wie
stellen Sie sich vor, dieses Anliegen, beispielsweise im
Kultusministerium umzusetzen?
Wirkner:
Also der Grundgedanke, der dahinter steht, sind meine Erfahrungen in
der Arbeit mit Jugendlichen und Studenten. Ich hab ja das Beispiel
damals genannt, dass es Jugendliche gibt, die sich sehr auch für den
Holocaust interessieren, die Ihnen alles erzählen können über die
technischen Details, oder über die Verfolger und die aber nicht in
der Lage sind sozusagen Transferprozesse zu vollziehen, dergestalt,
dass ja das Kernthema, das sich für mich daraus ergibt, das
Nachdenken über Diskriminierung ja genereller Natur ist und dass es
darum geht auch den Blick auf sich selbst zu schärfen, denn man
igelt sich ja manchmal sehr rasch im Gutmenschenstatus ein, die
Schurken sind die anderen, man übersieht eigene Vorurteile und
Ressentiments und deswegen plädiere ich dafür, dass wir nicht
alleine investieren können in die kognitiven Strukturen von Menschen
und jungen Leuten - es ist wichtig, kostet auch Geld, und diese
kognitiven Strukturen aufzubauen ist mühsam, das wissen wir alle,
die wir mal was gelernt haben, aber ich bin der Überzeugung - und
das ist kein Zitat jetzt von mir - eine Millionen Tote sind
Statistik, ein Toter ist eine Tragödie.
Ich denke, so wie ich es erlebt habe, es sind bestimmte Dinge im
bestimmten Ausmaß derartig... erleben, so eine Dimension, dass sie
schon fast unvorstellbar sind. Das Einzelschicksal ermöglicht das
Eindringen auf einer Ebene, die für jeden eigentlich nachvollziehbar
ist. Also das Schicksal jüdischer Kinder beispielsweise.
Kinderschicksale überhaupt oder das Schicksal einer bestimmten
Familie. Denken Sie doch beispielsweise an die 70er Jahre, wo diese
Holocaustserie gekommen ist, wo in Deutschland ja der Eindruck
erweckt worden ist, ja, warum hat man uns das nicht früher gesagt.
Das war ja schon fast peinlich... Also wer es hätte wissen wollen,
hätte das schon in den fünfziger Jahren wissen können. Aber dieses
Einzelschicksal ist eben sehr wichtig.
Das ist übrigens auch eine Sache, die nicht vorwissenschaftlicher
oder außerwissenschaftlicher Natur ist, sondern Sie können im Zuge
dieser Familienforschung, Individualforschung, das macht der
Spielberg in USA, sehr viel Betroffenheit produzieren und ich denke
ohne affektive Betroffenheit vermitteln Sie dauerhaft keine
Strukturen, die tragfähig sind.
Deswegen sag ich Ihnen, aus dieser kognitiven Sache, aus dieser
affektiven Sache muss dann diese aktionale Komponente kommen, die im
Grunde genommen vordergründig Aktion signalisiert, aber hinter der
Aktion stehen ja Standpunkte. Ich verhalte mich in einer bestimmten
Art und Weise, weil ich weiß, wie das ist, wenn man bestimmte Dinge
tut.
Und das zu Organisieren ist eigentlich Aufgabe des Politikers und
der Schulebenen und der Wissenschaftsebenen - und da sind wir wieder
bei dem Thema und da würde ich meine Funktion drin sehen als
Landtagsabgeordneter auf allen Ebenen diese Prozesse zu initiieren.
Der größte Feind dieser Prozesse ist nicht das Unwissen, so schlimm
das ist, sondern der größte Feind dieser Prozesse ist, dass es Leute
gibt, die das so genannte problemlose Feld schaffen, die sagen
"wissen wir alles... der fängt wieder an über Auschwitz, haben wir
doch schon hundertmal abgehakt.." - diese Strukturen in der
Politik, die sind viel negativer, weil sie nämlich eins
signalisieren: es besteht kein Handlungsbedarf.
Wenn's allen bekannt ist, dann müssen sie nichts mehr machen. Was eh
klar ist, muß nicht mehr aufgearbeitet werden. Und in diesem Bereich
zu wirken - ich nenn es immer die ignorante Stufe der Politik - wir
leben in der besten und aufgeklärtesten aller Welten und bestimmte
Dinge sind abgehakt und jetzt wenden wir uns wieder diesem Event der
Gegenwart zu. Und ich sag Ihnen, wenn ich's schaffen würde, was
fragwürdig ist, dann mache ich dagegen Front. Glauben Sie nicht,
dass ich, wenn ich erst in den Landtag gewählt würde, nicht mehr so
mit Gerd Weisskirchen zusammenarbeite. Dafür sind wir viel zu sehr
verbunden, es würde eher ein Mehr werden, nicht ein Weniger.
Weisskirchen:
I couldnt agree more!
Herr Weisskirchen, auf der Antisemitismus-Konferenz im Dezember 2003
in Berlin haben Sie eine Rede gehalten, in der Sie gleich zu Beginn
die Bedrängnisse des jüdischen Lebensmittelgeschäftes in Berlin
"Isreal-Deli" geschildert haben. Der Besitzer gab nach wochenlangem
Kampf auf und hat seinen Laden geschlossen.
Das ist u.a. eine Geschichte, von der kaum jemand wüßte, hätte
haGalil sie nicht thematisiert (ebenso wie den Fall Hohmann). In
dieser Rede nun betonen Sie, dass der Kampf gegen Antisemitismus
verstärkt geführt werden muß und verweisen dabei auch auf die neuen
Medien. Sie sagen da unter anderem: - ich darf Sie mal zitieren:
"Die Autonomie der Zivilgesellschaft darf politisch nicht
vereinnahmt werden. Für zivilgesellschaftliche Gruppen ist es
unerlässlich, sich die Fähigkeit zur Kritik zu bewahren...
Zivilgesellschaftliche Gruppen sollen künftig das Internet häufiger
nutzen, um Informationen gegen den Antisemitismus wirkungsvoller zu
platzieren."
Ihre gesamte Rede könnte man im Prinzip als Informationsbroschüre
der Internetplattform haGalil abdrucken, denn die Ziele sind
identisch. Nun wurde ausgerechnet diesem Internetmagazin nach einem
Streit mit dem ehemaligen Träger die Gelder gestrichen und die
Förderung wurde vom BMFSFJ, dem Bundesfamilienministerium -
wohlgemerkt unter SPD-Führung! - zum 1.1.2005 eingestellt.
haGalil und zahlreiche Einzelpersonen haben sich in zahlreichen
Aktionen dafür eingesetzt, dass die Förderung weitergeht. Unter
anderem gab es auch einen offenen Brief an das Ministerium, in dem
die Weiterförderung gefordert wurde und in dem zahlreiche Menschen
unterschrieben haben, Micha Brumlik unter anderem, Julius
Schoeps,... warum findet sich ihre Unterschrift nicht in diesem
offenen Brief?
Weisskirchen: Brauch ich nicht.
Naja, es hätte haGalil aber vielleicht doch geholfen?
Weisskirchen:
Na gut, ich hab ja versucht mit den Zuständigen im
Familienministerium selbst zu reden, hab auch mehrere Briefe direkt
geschrieben und ich hatte selber persönlich die Hoffnung, dass die
Frau Ministerin, die ich ja nun schon seit langem kenne, eher auf
einen persönlichen Brief, wo das Gleiche inhaltlich drin steht, wie
alle anderen das auch öffentlich gemacht haben, aber auf einer
persönlichen Ebene, dass sie darauf anspringt, wir haben dann ja ein
-hm- eine Lösung gefunden, die haGalil nicht ganz oder nicht
befriedigt, aber immerhin doch wenigstens ein wenig noch am Leben
hat erhalten können...
für ein paar Monate in 2005 ...
Weisskirchen:
Ich weiß! Und jetzt sind wir in 2006 und jetzt müssen wir gucken und
das ist ja einer der Gründe warum diese Anhörung stattfinden soll,
einer der Gründe, es gibt auch andere Projekte, die ebenso prekär
sind - wie haGalil, damit wir denen wieder eine Chance geben, von
Finanzen des Bundeshaushalts unterstützt zu werden.
Werden Sie das auch mitunterstützen?
Weisskirchen:
Ja, selbstverständlich. Aber nicht weil Sie mich fragen, sondern
weil ich meine, dass haGalil eine wichtige, ja ich würde sogar
sagen, so wie sie es machen eine fast unersetzbare Arbeit machen.
Politiker möchten ja immer gerne das letzte Wort haben. Sie bekommen
jetzt das Schlusswort. Möchten Sie noch irgendetwas sagen?
Weisskirchen / Wirkner winken ab:
Nein. Nein - wir streiten uns nicht um das letzte Wort....
Weisskirchen:
Doch ich möchte gerne das letzte Wort haben: ich möchte gern, dass
der Herr Wirkner Mitglied des Landtags in Baden Württemberg wird,
weil ja gerade eben aus dieser Sicht- wir brauchen in allen
Landtagen Hochaktive, die gegen den Antisemitismus streiten. Und ich
kenne in dieser Region niemanden Besseres als den Peter, der diese
Rolle voll,- wirklich ausfüllen kann, und deswegen brauchen wir ihn
im Landtag.
Wirkner:
Ich will nochmal auf einen anderen Punkt raus. Man könnte das
Gespräch beinah wieder von vorne beginnen, aber es ist immer ein
Thema ohne Ende... was mir Kummer macht ist, wir haben ja jetzt am
27. Januar hier in der alten Synagoge haben wir ja jetzt zum
Befreiungstag zusammen gemacht, mit einem Teilnehmerkreis - so um
die 35 Leute, und am gleichen Tag ist mir ins Haus ein Buchkatalog
gekommen, frei Haus, und wenn Sie den angucken, dann sehen Sie dass
da in Hochglanz angeboten wird, ein Buch, das hat Atlasformat,
kostet 58 Euro, ist Kunstdruck - also, wer mit Medien arbeitet, weiß
was das alles kostet, und der Inhalt des Buches ist ein Nachdruck,
ein unkommentierter Nachdruck aus dem Jahre 1942 und zwar wird da
die fotografierte Geschichte einer SS-Totenkopf-Standarte zu Pferd,
also Kavallerieeinheit geschildert und im Verlagstext wird es hoch
gepriesen, dass hier eine hoch ausgezeichnete SS-Einheit wieder in
die Gegenwart gerufen wird.
Das ist aber jetzt nicht mein Anliegen, wenn Sie sich die Historie
angucken, war das eine Einheit, die ich Mordbrigade nenne, weil die
keine sogenannten Banden oder Partisanen bekämpft haben, sondern
dieses Partisanenbekämpfungsthema war das Label um jüdische Menschen
auszurotten, da gibt es eine sehr dicke Dissertation die bei der
wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen ist und wo genau das
parallel lesbar ist und wissen Sie - ich bin nicht jemand, der zu
Resignation neigt, aber ich sag Ihnen, wen ich mir vorstelle, wen
wir jetzt erreicht haben und Leute bereit sind 58 Euro dafür zu
bezahlen und dass da Farbdrucke sind, und dass man sich brüstet,
dass das der Originalnachdruck von 1942 ist, und dass das dann in
Bücherschränken steht und dann kommen junge Leute dran und gucken
sich das an, und dann wird plötzlich ein historisches Geschehen und
es geht bei unserem Thema auch um Historie und um historische
Präzision, dass dann Dinge plötzlich in einem verzerrten Blickwinkel
gesehen werden und ich hab mit solchen Leuten viel zu tun gehabt,
die auf der Schiene laufen, dann ist mir das manchmal nicht
nachvollziehbar, dass wir Behörden haben, Organisationen, die das
zulassen.
Ich denk mir manchmal, da laufen verschiedene Bänder, die einfach in
dergestalt sind, man weiß genau, was man am 27. Januar zu sagen hat,
und dann ist der 28. Januar - Entschuldigung ich mach das jetzt mal
etwas simpel: der Tag des Baumes und dann den Tag der Zigarette und
dann der Tag des Nichtrauchers und dann immer so beliebig und diese
Struktur, die sich eigentlich aus so einem Tag wie dem 27. Januar
ergibt, das wäre mein Perpetuum auch für haGalil, das darf nicht ein
Thema sein, das am 27. abgehakt ist und am 28. nicht mehr und am 26.
nicht, sondern die Struktur, die sich daraus ergibt, die muss in die
Ziele der Gesellschaft und in die institutionellen Formen der
Demokratie dauerhaft implementiert werden. Und da seh ich
Widersprüche und da seh ich Handlungsbedarf, es ist nicht allein mit
dem 27. Januar getan, auch nicht mit dem 9. November, es ist
durchgängig. Und da - muss ich sagen, kommen manchmal bei mir
resignative Tendenzen auf-
Weisskirchen unterbricht:
Komm!
Wirkner: Nein - ... resignativ in der Weise - es floriert.
Weisskirchen:
Umgekehrt, musst Du sagen. Du musst eigentlich aufrufen zum
immerwährenden Kampf.
Wirkner:
Ja, das weißt Du doch, aber was nutzt es? Die Dinger die schießen
wie die Pilze aus dem Boden und ich sag Ihnen: Wenn Sie 50 Euro für
sowas ausgeben, ja, Mann, und dann sind das manchmal dieselben, die
sagen Schulbücher sind zu teuer oder ein Gedichtband von Reclam den
können wir uns nicht leisten, aber da geht's dann raus... Sie
merken, ich reg mich da auf!
Machen wir es anders, (lacht) ich bin nicht resignativ, - ich werde
wütend!
Wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen, Herr Wirkner, alles
Gute für den Wahlkampf und Ihnen Beiden weiterhin erfolgreiche
Arbeit. Dankeschön!
Erster Teil des Interviews mit Gert Weisskirchen
und Peter Wirkner:
haGalil fragt nach!
Sie sind beide bekannt dafür, dass sie sich sehr, in je
unterschiedlichen Funktionen und Ämtern, gegen Antisemitismus
engagieren. Was ist Ihre jeweilige persönliche Motivation, sich
gerade diesem Thema zuzuwenden?...
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http://www.peterwirkner.de |