Ein ganzes Land und ein Mann:
Von Schock zur TrauerSima Kadmon in Jedioth
achronoth
Ein ganzes Land wurde Mitte letzte Woche zwischen
Verwirrung, Verlegenheit und Ohnmacht hin und hergerissen. Schließlich
veränderte sich das Gefühl der Verwirrung und Schock und große Traurigkeit
breiteten sich aus.
Die Einlieferung des Premiers in solch schwerem Zustand
hat unseren blank gelegten Nerv wieder aufgerissen, so Sima Kadmon in
Jedioth achronoth: Fünf Jahre hat sich ein ganzes Land um einen Mann
gedreht, um Arik, Ariel Sharon. Fünf Jahre in denen Sharon zum beliebtesten
Premierminister seit eh und je wurde. Ein Mann mit einem unvergleichlichen
Status in der Öffentlichkeit.
Zum Guten und zum Schlechten, er war immer da. In seinem
braunen Ledersessel, am Regierungstisch, mit seinen schweren, aber
energetischen Schritten, auf dem Weg in den Sitzungssaal, im
Hirschledersessel im Plenum der Knesset, der gesenkte Kopf, die schweren
Augenlider, die fast geschlossenen Augen, und ein kleines ironisches Lächeln
um die Mundwinkel.
Eine große Mehrheit im Land, inklusive eingeschworener
Gegner, wussten, dass da jemand ist, auf den man sich verlassen kann. Dass
es eine Führungspersönlichkeit gibt. Dass für den Fall irgend einer
Katastrophe, was immer das auch sein mag. Jemand an der Spitze des Staates
steht, der sich damit auseinander setzen kann. Gestern, mit der Mitteilung
der Übertragung der Kompetenzen an Ehud Olmert, ist auf einmal die
unfassbare Erkenntnis in unser Bewusstsein gedrungen, dass sich etwas
Fürchterliches abspielt, dass niemand, inklusive der besten Ärzte im Land,
etwas unternehmen kann, um ihm zu helfen, um uns zu helfen.
Rückblickend kann man sagen, dass Sharon wahrscheinlich
der Einzige war, der erraten hat, dass so etwas bevorsteht. Seit er aus dem
Krankenhaus entlassen wurde, erzählten seine Berater und engen Vertrauten
von bedrückter Laune. Der PM ist beunruhigt, sagten sie. Er ist im Stress,
wegen der Angiographie. Einer der Vertrauten aus seinem Umfeld behauptete
sogar, er habe ihn als Hypochonder im Verdacht. Es ist eigenartig, sagte
gestern jemand, aber Arik zieht eine Schlacht am Mitle einer Zahnbehandlung
vor.
Inzwischen ist klar, dass auch wenn Sharon sich aus dem
Zustand erholt, in dem er sich in den letzten Tagen befindet, sein
Genesungsprozess sehr langwierig sein wird. Es ist schwierig, sich
vorzustellen, wie Sharon bei den nächsten Wahlen an der Spitze der Partei
antreten soll, die er gegründet hat. Da es fast keinen rechtlichen Weg gibt,
die Wahlen zu verschieben, wird Ehud Olmert bis dahin als PM amtieren.
In einer Umfrage, die vor 2 Wochen von Minna Zemach gemacht
und veröffentlicht wurde, antworteten die Befragten auf folgendes: Wenn
Sharon gezwungen sein sollte, sein Amt zu verlassen, wer wäre Ihrer Meinung
nach die passendste Person, um an der Spitze von Kadima zu stehen?
22% sagten Peres,
22% Zippi Livni,
16% Mofas,
10% Olmert.
Die Umfrage kam sofort nach dem ersten Schlaganfall des
PM, und die Frage sah damals rein hypothetisch aus. Was sicher ist, ist,
dass Olmert in den kommenden drei Monaten laut Gesetz als PM fungieren wird,
und es ist schwer, unter diesen Umständen zu sehen, wie jemand anderer die
Forderung stellt und diesen Posten beansprucht.
Drei Monate sind eine lange Zeit. Es ist schwer, jetzt zu
prophezeien, wie Olmerts Status in der Öffentlichkeit nach diesen drei
Monaten sein wird. Er wird hart arbeiten müssen, um öffentliches Vertrauen
zu erwecken, um das Herz des Volkes zu erobern, und sogar das Herz der
Kadima-Wähler, denen es schwerfallen wird, sich in der Abwesenheit Sharons
zu erholen.
Auf jeden Fall wird die Partei Kadima, die erst gestern
als Partei eingetragen wurde, schon bald ihren Kandidaten für das Amt des PM
wählen müssen. Ob das nun Olmert, Livni, Peres oder Mofas wird - diese
Wahlen sind seit gestern Abend zu etwas ganz anderem geworden.
Eine weitere Frage in Minna Zemachs Umfrage war: Was wird
passieren, wen Sharon nicht an der Spitze von Kadima steht, würden Sie
trotzdem für sie stimmen? 64% sagten, sie würden auch ohne Sharon für Kadima
stimmen. 30% sagten, sie würden nicht für sie stimmen. Eines ist klar, die
42 Mandate, die Kadima erst gestern erhielt, sind nicht die politische
Landkarte, die wir am 28. März vorfinden werden.
Seit heute morgen handelt es sich um eine gänzlich andere
politische Landschaft: Drei Parteien bewegen sich jetzt auf den Endspurt zu,
und keine kann die Antwort geben, wer der nächste PM sein wird.
Endlose Lebenserwartung:
Er wollte keine Angiographie
In den letzten Tagen war Sharon unter sehr großem Druck. Vielleicht
so sehr, wie noch nie. Der Held der israelischen Feldzüge und Absolvent
vieler politischen Kämpfe, der nie zurückgeschreckt war, nie gezögert hatte,
nicht gezwinkert und nicht gefürchtet hatte, hatte nun Angst...
Der letzte der Giganten:
Leb wohl, Generation von 1948
Während diese Zeilen geschrieben werden, kämpft Ariel Scharon um
sein Leben. Und man muss kein Neurologe sein um zu wissen, dass seine Tage
im Büro des Premierministers vorüber sind...
Mitten im Wahlkampf:
Scharon hinterlässt ein Vakuum
Entsprechend dem Spruch, dass jeder Mensch
ersetzbar sei, kommt eine beklemmende Ratlosigkeit auf, bei der Frage, wie
es nun weitergehen könnte. In der ganzen Parteilandschaft Israels, durch
Scharons Weggang vom Likud ohnehin durcheinander geraten, ist weit und breit
kein ebenbürtiger Politiker zu entdecken...
Israel im Schock:
Scharons lange Nacht
Einige verwendeten das unheimliche Wort "Anusch", was
so viel bedeutet wie "im Sterben liegen". Nur selten hat ein als "Anusch"
eingestufter Patient überlebt. Dann ist immer die Rede von einem
"medizinischen Wunder"...
Gesetzeslage:
Ehud Olmert kann alle
Entscheidungen treffen
Der stellvertretende Premierminister ist autorisiert,
alle Entscheidungen zu treffen, ob sie dringend sind oder nicht...
hagalil.com
07-01-2006 |