Ein Lichtstrahl:
Zeit für Genf Yasser Abed Rabbo (im Epilog
des Sammelwerks "Von
Gaza nach Genf", herausgeg. v. R. Bernstein)
Mehr als vier Jahre lang hat die politische Rechte in
Israel unter Führung von Ministerpräsident Ariel Sharon zur Schwächung der
Friedenskräfte auf der palästinensischen und israelischen Seite beigetragen.
Leider wurde sie dabei von einer uninteressierten US-Administration
unterstützt.
In seiner Rede zur Amtseinführung versprach Sharon der israelischen
Öffentlichkeit, dem palästinensischen Aufstand in hundert Tagen ein Ende zu
setzen. Ich glaube, dass er etwas anderes meinte. Er wollte die Potentiale,
die einen Friedensvertrag in der Region erreichen wollen, durch das
grundlose Mantra ausschalten, dass es keinen palästinensischen
Friedenspartner gebe.
Es war dieses Mantra, ergänzt durch unsere tiefe Verpflichtung, durch
Verhandlungen den Konflikt zu beenden, der unser Bemühen bewirkte, die
Genfer Initiative vorzustellen. Mit dieser Initiative haben wir ein
Blaupause-Modell für einen Schlussvertrag auf der Grundlage zweier Staaten
für zwei Völker präsentiert. Seit ihrer Vorstellung ist die Genfer
Initiative ein integraler Teil der politischen Debatte in Palästina und in
Israel geworden. Die Friedenslager auf beiden Seiten sahen in der Initiative
das angemessene Instrument gegen die Behauptung, von Kräften der Dunkelheit
auf beiden Seiten erhoben, dass es keinen Partner für den Frieden gebe, und
die statt dessen für eine Situation eintraten, in der beide Völker auf ihre
gegenseitige Zerstörung zusteuern.
Die Initiative kam darüber hinaus als eine direkte Botschaft – eine
gemeinsame palästinensisch-israelische Botschaft – an das Quartett und den
Rest der Welt. Sie erklärte, dass Frieden machbar ist und dass die beiden
Parteien die Fähigkeit haben, einen Vertrag darüber zu erreichen, wie eine
Schlussvereinbarung aussehen kann. Es ist deshalb kein Wunder, dass die
Genfer Initiative als das einzige Zeichen der Hoffnung verstanden worden
ist, ein Lichtstrahl, der sich durch den Tunnel der Dunkelheit der
gewalttätigen und blutigen Kraftprobe bahnt, der die letzten viereinhalb
Jahre charakterisierte.
Mehr noch: Es war die Genfer Initiative, die Ministerpräsident Sharon dazu
veranlasst hat, seinen unilateralen Abkopplungsplan für den Gazastreifen und
die nördlichen Teile der Westbank vorzulegen. Sein Chefberater
Dov
Weissglas
sagte es offen, als er zugab, dass der unilaterale Abkoppelungsplan aus der
israelischen Furcht vor einer wachsenden internationalen Unterstützung der
Genfer Initiative geboren worden sei. Sharon war nach den Worten von
Weissglas in Sorge darüber, dass internationaler Druck auf Israel auf der
einen und das wachsende Phänomen der Weigerung von Soldaten, in den
besetzten Gebieten Dienst zu tun, auf der anderen Seite zu katastrophalen
Ergebnissen für Israel führen werde. Nachdem Israel jetzt den Gazastreifen
verlassen hat, stellt sich die Frage: Was nun?
Es ist die Aufgabe all derjenigen, die den Frieden in Israel, in Palästina
und in den übrigen Teilen der Welt unterstützen, zusammenarbeiten und
sicherzustellen, dass Gaza zuerst niemals Gaza zuletzt wird und dass weitere
Schritte unternommen werden, damit ein Schlussvertrag zwischen beiden
Parteien erreicht wird. Wir sind fest davon überzeugt, dass der einzige Weg
zu einem völligen Erfolg des Rückzugs aus Gaza der ist, der zu einer
Zweistaatenlösung entlang der Grenzen von 1967 führt. Jedes
andere Arrangement wie ein palästinensischer Staat in vorläufigen
Grenzen, wie ihn Sharon vorgeschlagen hat, wird nur zu weiterer Gewalt
führen. Er birgt die Zutaten für neuerliche Explosionen und harte
Kraftproben zwischen beiden Seiten in sich.
Anders als die Osloer Vereinbarungen, die Schlussvereinbarungen auf einen
späteren Zeitpunkt verschoben, beschreibt die
Genfer Initiative die Details eines Endvertrages. Deshalb steht sie
in vollem Einklang mit der dritten Phase der
Road Map und mit Präsident
Bushs Vision einer Zweistaatenlösung.
Der
Abzug aus Gaza muss der erste Schritt zur Vollendung der Road Map
und der Vision von Präsident Bush sein. Der Friede kann in der Region nur
durch die Schaffung eines unabhängigen und lebensfähigen palästinensischen
Staates in den 67er Grenzen mit Ost-Jerusalem
als Hauptstadt erreicht werden.
In diesem Kontext blicken wir Palästinenser auf den israelischen Rückzug aus
dem Gazastreifen. Er ist ein wesentlicher Schritt, aber ihm müssen weitere
wesentliche Schritte folgen. Erst sie schaffen eine Atmosphäre, die der
Wiederaufnahme von Endstatusgesprächen förderlich ist. Nur mit Hilfe eines
Vertrages können wir den Konflikt beenden, nicht durch einseitige Schritte
oder Aktionen, weil diese das Ergebnis jener Gespräche präjudizieren würden.
Genau deshalb sind wir Palästinenser energisch gegen Israels Trennungswall
in der Westbank und gegen Israels Siedlungspolitik in der Westbank. Der
Rückzug aus Gaza muss eine geschichtliche Lektion an die israelischen
Siedler bilden. Wie lange auch immer sie in den besetzten Gebieten wohnen:
Der D-Day für ihren Abzug wird kommen, ob unilateral wie in Gaza oder durch
einen Friedensvertrag, den beide Seiten eines Tages erreichen werden.
Doch bis der Tag kommt, an dem der Endvertrag unterzeichnet wird, haben wir
alle Gründe der Erde zu der Sorge, dass der israelische Rückzug aus Gaza nur
der Kontrolle Israels über die Westbank dienen soll, während Ost-Jerusalem
isoliert und in ein palästinensisches Ghetto verwandelt werden soll, das
durch Mauern und Barrieren zerrissen ist. Was Israel nach Gaza tun könnte,
ist schlicht, die Westbank in isolierte Bantustans zu zerfetzen, und eine
ethnische Säuberung indirekt dadurch zu fördern, dass Hunderttausende
Palästinenser gezwungen werden, ihre Häuser zu verlassen, um nach besseren
Lebensbedingungen im Ausland Ausschau zu halten, und die Potentiale für die
territoriale Einheit eines künftigen palästinensischen Staates zu zerstören.
Diese Sorgen dienen weiter als Elemente des Misstrauens und werden mit
Sicherheit eine neue Runde der Konfrontation auslösen. Wir alle müssen
zusammenarbeiten, um ein solches apokalyptisches Szenario zu verhindern.
Unilateralismus kann niemals einen Konflikt lösen. Er mag bei der Lösung von
Teilproblemen erfolgreich sein, aber wenn er es tut, sät er weitere
Konflikte in späterer Zeit. Nur bilaterale Verhandlungswege und eine
vereinbarte Regelung können den Konflikt beenden. Sie ist möglich. Sie ist
machbar und je eher, desto besser für uns alle.
Yasser Abed Rabbo
Mitglied des Exekutivkomitees der PLO
Vorsitzender der „Palestinian Peace Coalition“
Ramallah, im August 2005
Video wm-files:
[Yasser
Abed Rabbo] [Dr.
Hanan Ashrawi] [Dr.
Saeb Erakat]
Unvorhergesehene
Veränderungen:
Israelische Gewissensproben
Shimon Peres und andere einflussreiche
Mitglieder aus der Alten Garde der Arbeitspartei sind diesem Ruf bereits
erlegen. Yossi Sarid hat mit dem Ausstieg aus dem linken Zweckbündnis aus
"Meretz" und "Yachad" gedroht, weil er dem populären Sharon den Sieg bei den
kommenden Wahlen zutraut und mit von der Partie sein möchte...
Der Autor ist Historiker und verantwortet die Homepage
www.genfer-initiative.de. |