Der
"ungarische Geist" der national-konservativen "FIDESZ"-Partei:
"Magyarisierung" in Ungarn
Von Karl Pfeifer
Erschienen in: Der rechte Rand
96, 09-10/2005
Rechtsextreme reagieren in Ungarn auf das Scheitern des
Staatssozialismus und auf die radikalen Veränderungen in der Wirtschaft, die
bei großen Teilen der Bevölkerung eine Identitätskrise verursachten, mit
"bewährten" Mitteln der Schuldzuweisung. Dazu dient das Anprangern von
Minderheiten als Sündenböcke, das sich insbesondere gegen die ungarischen
Juden richtet. Nicht selten instrumentalisiert die extreme Rechte dabei das
Christentum. Das Wort "Christ" wird in Ungarn von vielen wieder – wie vor
1945 – als synonym für "Nichtjude" verwendet. Und mancher christlicher
Würdenträger stellt sich an die Seite der Rechtsextremisten.
Antisemitismus findet sich in Ungarn jedoch nicht nur in der extremen
Rechten. Für die Nationalkonservativen der ehemaligen Regierungspartei
FIDESZ sind die "inneren" Feinde der Liberalismus und die kosmopolitische,
internationale und urbane Lebenswelt, der Kapitalismus, der Sozialismus und
der Universalismus. Durch sie werde die authentische Kultur verwestlicht und
fremden Einflüssen ausgesetzt, meinen die Nationalkonservativen: Dagegen
müssten der ungarische Geist und die ethnisch begründete homogene Identität
verteidigt werden. Der wurzellose "Fremde", der Zerstörer der nationalen
Kultur, der keine Identität hat, soll ausgegrenzt werden. Zumeist wird nicht
explizit benannt, dass damit Juden gemeint sind.
Die
"Ethnisierung" des "Magyarentums" erreichte besonders zwischen 1998 und 2002
ihren Höhepunkt, als sie sich hin zu einer nationalen bzw. völkischen
Radikalisierung bewegte. Die konservative FIDESZ-Partei, von Viktor Orbán
geführt, hatte sich zum Ziel gesetzt, alle rechtsextremen Kräfte an sich zu
binden. Sie unterstützte deshalb rechtsextreme antisemitische Medien; István
Lovas, einer ihrer wichtigsten Journalisten, war nicht nur für
rechtsextremistische Medien tätig, sondern fungierte auch als
Verbindungsmann zur extremen Rechten.
Die
Einbindung der Rechtsextremen ist FIDESZ 2002 voll gelungen, die Partei
verfehlte aber um einige zehntausend Stimmen die Mehrheit im Parlament. 2006
wird in Ungarn wieder gewählt, und diesmal bemüht sich FIDESZ nun um die
Mitte und sogar um die Linke. An der Feier zum 60. Jahrestag der Befreiung
des Budapester Ghettos im Januar 2005 nahm fast die gesamte Führung von
FIDESZ teil. Ob dies ernst gemeint oder eine lediglich taktisch bedingte
Zurückhaltung ist, wie mancher Beobachter vermutet, wird die nahe Zukunft
zeigen.
Regierungsamtlicher Antisemitismus trat in Ungarn schon bald nach dem Ersten
Weltkrieg auf. Im von Admiral Miklós Horthy angezettelten "weißen Terror"
wurden 5000 bis 6000 Juden und nichtjüdische Linke kaltblütig ermordet.
Ungarn führte als erstes Land im Nachkriegseuropa einen "Numerus clausus"
ein, mit dem das Studium von Juden an Hochschulen eingeschränkt werden
sollte.
Im
Juni 1933 besuchte Ministerpräsident Gyula Gömbös als erster ausländischer
Staatsmann Adolf Hitler. Die Beziehungen zwischen Ungarn und dem Deutschen
Reich wurden immer enger. 1938, 1939 und 1941 wurden – zum Teil mit
Unterstützung der christlichen Kirchen – "Judengesetze" beschlossen, welche
die Rechte der ungarischen Juden einschränkten. 1942 schaffte das Parlament
ohne Debatte die Gleichberechtigung der jüdischen Religionsgemeinschaft mit
Zustimmung der christlichen Kirchen ab.
Die
deutsche Besetzung Ungarns am 19. März 1944 dehnte die "Endlösung der
Judenfrage" auf Ungarn aus. Ohne den tatkräftigen Einsatz der ungarischen
Bürokratie und der Sicherheitskräfte wäre es nicht gelungen, fast die
gesamte jüdische Bevölkerung der Provinz in Ghettos zu konzentrieren,
auszurauben und schlussendlich binnen sieben Wochen zwischen dem 15. Mai und
dem 6. Juli in Viehwaggons nach Auschwitz-Birkenau zu deportieren. Am 7.
Juli verhinderte ein Befehl von Miklós Horthy, der unter dem Druck der
Neutralen und der Alliierten stand, die Deportation der Budapester Juden. Am
15. Oktober, nach einem missglückten Versuch, aus dem Krieg auszutreten,
übernahmen die pronazistischen Pfeilkreuzler die Macht; die Mordmaschinerie
wurde wieder in Gang gesetzt.
Die
rote Armee befreite am 17. Januar 1945 die beiden Budapester Ghettos.
Ungefähr 120.000 Juden überlebten, mehr als in jeder anderen Stadt, die in
deutscher Hand war. Der Historiker László Varga gibt die Zahl der jüdischen
Holocaust-Opfer in Ungarn mit mindestens 550.000 Toten an.
In
Ungarn kam es noch nach der Befreiung 1946 zu einigen Pogromen, zum Teil
aufgrund der Verbreitung von Gerüchten, dass Juden Ritualmorde begehen
würden, zum anderen Teil aber von kommunistischer "antikapitalistischer"
Hetze ausgelöst. Während der Zeit der Volksdemokratie befand sich die
jüdische Gemeinde – ähnlich den christlichen Kirchen – unter der strengen
Aufsicht des staatlichen Kirchenamtes, einer Filiale der politischen
Polizei.
Nach
der Wende nahm der offene Antisemitismus drastisch zu. Die konservative Neue
Zürcher Zeitung hat es am 21. März 2005 auf den Punkt gebracht: "Schon 1990,
im Vorfeld der ersten freien Wahlen nach über vierzig Jahren, kam es in den
Medien zu wüsten antijüdischen Ausfällen einzelner Politiker des rechten
Spektrums. Heute ist das Phänomen des ungarischen Antisemitismus sehr
komplex. Es reicht von öffentlich vorgetragenen, hasserfüllten rassistischen
Parolen bis hin zum alltäglichen Gebrauch von Codes, deren antisemitische
und antijüdische Anspielungen der Mehrheit der Gesellschaft geläufig sind.
(...) Der Anteil der Wähler, die für offen antisemitische Parolen
empfänglich sind, dürfte etwa zehn Prozent betragen."
'Ungartum Erwache!':
Trotz nationalistischer Psychose ist nicht 'Kerneuropa' die
Lösung
"Es gibt viele Länder auf der Welt, in denen die Mehrheit die
Minderheit unterdrückt, aber nur ein Land, in dem es die Minderheit mit der
Mehrheit tut, und das ist Ungarn", rief der Redner, Publizist beim
öffentlich-rechtlichen Kossuth-Radio, am Sonntag, dem 11. Januar 2004 der
aus mehreren Tausend Teilnehmern bestehenden vor Wut schäumenden Menge einer
Demonstration zu, als deren 'Höhepunkt' sogar eine israelische Fahne
verbrannt wurde...
Der Antisemitismus in Ungarn:
Nur Polit -
Folklore?
Von Magdalena Marsovszky...
Zwischen Wahrheitsfindung und Amnesie:
Das 'Haus des Terrors' in Budapest
Das neue-alte Haus der Dunkelheit war am Vorabend des
zweiten Gedenktages der kommunistischen Opfer, dem 24. Februar 2002, Licht
überflutet. „Mit der Eröffnung /.../ haben wir die Vergangenheit hinter
Gitter gesteckt“ und „die Tür hinter dem hochnäsigen, kränkelnden 20sten
Jahrhundert gerade rechtzeitig zugeschlagen...
Der Hass gilt Liberalen und
"Interkosmopoliten":
Ungarns Weg nach rechts außen
Die Medienpolitik der "positiven
Diskriminierung" ermöglicht es Abgeordneten vom rechten Rand, rassistisches
und antisemitisches Gedankengut öffentlich zu machen...
In Ungarn erhalten völkische
Propagandisten rasanten Zulauf:
Jenseits von allen Ufern
Von Sanktionen der EU gegen
Österreich ist schon lange nicht mehr die Rede, und darüber ist vermutlich
niemand so erleichtert wie der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán...
NNP - Ungarn:
Neue rechtsradikale Partei gegründet
Mit dem Namen "Nationale Volkspartei" (NNP)
wurde in Ungarn eine neue rechtsradikale Partei gegründet...
Erez Hagar:
Juden in
Ungarn
Erst der Beginn des 15.Jahrhunderts brachte eine
Reihe Verfolgungen von Juden mit sich, die in die 'üblichen' Anschuldigungen
des Ritualmordes, Hostien-Schändungen und Brunnenvergiftungen ausarteten,
was sich vereinzelt über die Jahrhunderte hinweg wiederholte...
Report and Documentation:
Anti-Semitic
Discourse in Hungary
"I have been planning to write this review for one
and a half years. I wanted to wait until anti-Semitism in Hungary – this
national malaria, scurvy, epilepsy, anthrax – subsides for a little while”,
philosopher Miklós Tamás Gáspár began his article published in the daily
Népszabadság on November 17, 2001, under the title Új zsidó nacionalizmus
(New Jewish Nationalism). The article, a review of a book on Israel by
fellow philosopher György Tatár, goes on to say: “After all, it is not
fair to criticize people, whatever faults I think they have, who are being
threatened, who are visibly in danger. Many accounts show that the number of
(anti-Semitic) incidents in the street, at work, at restaurants has suddenly
increased. I have also witnessed such incidents myself. Not to mention the
incitement of the right wing and far-right media, now tolerated, now
supported by the government. But I’m waiting in vain. The anti-Jewish
instigation does not seem to subside so soon, its fervor won’t diminish."
hagalil.com 14-10-2005 |