| Tödlicher Ausgang: Antisemitismus in Deutschland - nach 1945
 
    
    Die Auerbach-AffäreI. Teil
 Von Wolfgang Kraushaar* In kaum einem anderen Vorgang ist das Verhältnis der 
	Nachkriegsdeutschen zu den jüdischen Überlebenden deutlicher vor Augen 
	getreten als in der "Affäre Auerbach". Ein hoher bayerischer Beamter schildert in seinen 1964 
	erschienenen Erinnerungen, wie er am Ende der vierziger Jahre in München 
	eine Demonstration beobachtet: 
      Eines Tages [...] hörte ich einen großen Lärm auf der 
		Straße. Ich ging ans Fenster und sah dort die ganze Straße angefüllt mit 
		einer laut schreienden Truppe marschierender Männer in Shorts, weißen 
		Hemden und hellblauen Krawatten mit erhobenem Arm. Ihnen wurden 
		Spruchbänder vorangetragen. An der Spitze und am Schluss begleitete sie 
		ein amerikanischer Tank. Es waren polnische Juden, displaced persons, 
		die zum amerikanischen Generalkonsulat zogen, um dort vor dem darin 
		untergebrachten britischen Konsulat gegen die Erschießung von jüdischen 
		Terroristen in Palästina zu protestieren [...] Der Aufzug erinnerte 
		stark an die Zeit, als in der Weimarer Republik die Nazis Uniformverbot 
		hatten und auch im Hemd und mit erhobener Hand demonstrierten. Das Merkwürdigste aber war, dass an der Spitze ein bayerischer Beamter 
		marschierte, der bayerische Staatskommissar für die Betreuung der Juden, 
		Auerbach, eine damals sehr mächtige Persönlichkeit, vor dem die Beamten 
		ebenso Angst hatten wie seinerzeit vor einem nationalsozialistischen 
		Gauleiter.1
 Diese Schilderung stammt von Friedrich Glum, dem damaligen 
	Ministerialdirigenten in der bayerischen Staatskanzlei. Über das Leben Philipp Auerbachs, jener dämonisierten Figur, 
	die im Zentrum vieler antisemitischen Projektionen stand, ist kaum mehr als 
	ein dürres Skelett an Daten bekannt:2 
    Er wurde 1906 als Sohn des Chemikaliengroßhändlers Aaron Auerbach in Hamburg 
	geboren. Von 1913 bis 1922 besuchte er die 
    Talmud-Tora-Realschule am 
	Grindel, danach absolvierte er eine kaufmännische Lehre und besuchte 
	eine Drogisten-Fachschule.
 Nach seinem Abschluß war er als Industriechemiker, Kaufmann und 
	Firmendirektor im Rheinland tätig.
 
 1933 emigrierte er nach Belgien und gründete in der Nähe von Antwerpen eine 
	Import-Export-Firma, die zeitweilig 2.000 Beschäftigte zählte. Während des 
	spanischen Bürgerkriegs unterstützte er die Republikaner durch die 
	Einschleusung von Freiwilligen. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 wurde 
	er von den belgischen Behörden verhaftet, nach Frankreich abgeschoben und 
	interniert. Im November 1942 an die Gestapo ausgeliefert, kam er zunächst 
	ins Polizeigefängnis am Berliner Alexanderplatz. Dort wurde er für rund ein 
	Jahr als Dolmetscher in der Ausländerabteilung der Kriminalpolizei 
	eingesetzt. Um die Jahreswende 1943/44 deportierte man ihn nach Auschwitz. 
	Im Anschluß an die Auflösung des Lagers musste er den Marsch über das KZ 
	Groß-Rosen zum KZ Buchenwald mit antreten.
 
 Nach der Befreiung trat Auerbach in Düsseldorf in die SPD ein und wurde im 
	September 1945 Sachbearbeiter beim Regierungspräsidenten in der Abteilung 
	"Fürsorge für politisch, religiös und rassisch Verfolgte". Doch bereits nach 
	wenigen Wochen wurde er vom Dienst suspendiert, weil er damit begonnen 
	hatte, die NS-Vergangenheit des Oberpräsidenten der Provinz Nordrhein, des 
	späteren Bundesinnenministers Robert Lehr (CDU), auszuspähen.
 
 Besonders aktiv war er anschließend bei der Gründung jüdischer 
	Kultusgemeinden; schon bald wurde er zu ihrem Präsidenten in der britischen 
	Zone ernannt. Auf Vermittlung des bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm 
	Hoegner gelang es ihm schließlich, im Herbst 1946 nach München 
	überzuwechseln und dort das Amt eines Staatskommissars für die Betreuung der 
	Opfer des Faschismus anzunehmen.
 Anmerkungen1 Friedrich Glum, Zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik - Erlebtes 
	und Erdachtes in vier Reichen, Bonn 1964, S. 601.
 2 Vgl. Elke Fröhlich, Philipp Auerbach (1906-1952), "Generalanwalt für 
	Wiedergutmachung", in: Manfred Treml/Wolf Weigand (Hrsg.), Geschichte und 
	Kultur der Juden in Bayern, München 1988, S. 315-320.
 
    
     Fortsetzung 
	>> Im Teil II.: Das Geschick und die Eigenwilligkeit, mit der Auerbach die Interessen der 
	NS-Verfolgten vertrat, hatten ihn schon frühzeitig ins Kreuzfeuer der Kritik 
	geraten lassen.
 *) Von Wolfgang Kraushaar ist soeben sein aufsehenerregendes 
	Buch "Die 
	Bombe im jüdischen Gemeindehaus" erschienen:Der 
	Beitrag erschien 2001 im von Julius H. Schoeps herausgegebenen Sammelband:
 Nicht die Rote Armee Fraktion war die erste Gruppierung, die in den 
	Untergrund ging, sondern eine, die sich nach südamerikanischem Vorbild 
	Tupamaros nannte: die Tupamaros West-Berlin.
 Sie plazierten am 9.November 1969 eine Bombe, die von einem Agent 
	provocateur des Verfassungsschutzes stammte und im Jüdischen Gemeindehaus 
	während einer Gedenkveranstaltung explodieren sollte.
 Am Jahrestag des Nazi-Pogroms wollten sie für ein Fanal sorgen. Die Bombe 
	versagte zwar, der Schock jedoch saß tief. NS-Überlebende hätten erneut 
	Opfer werden sollen - diesmal durch die Kinder der Täter-Generation. Was bei 
	der Olympiade 1972 in München mit dem blutigen Überfall auf die israelische 
	Olympia-Mannschaft schließlich traurige Wirklichkeit wurde, fand hier 
	bereits seinen Auftakt.
 Wer hat am 9. November 1969 diese Bombe gelegt? Gab es Auftraggeber? Was ist 
	aus dem Bombenleger geworden? Die Spuren, die über Jahrzehnte hinweg 
	verblaßt und darüber hinaus absichtlich verwischt worden sind, können mehr 
	als nur neu gelesen werden - diesmal, 35 Jahre danach, können sie entziffert 
	werden.
 Die Tupamaros West-Berlin waren ein Produkt jener linksradikalen Subkultur, 
	die aus einer orientierungslos gewordenen 68er-Bewegung hervorgegangen war 
	und seit dem Herbst 1969 West-Berlin mit einer Serie von Bombenanschlägen 
	überzog. Im Vordergrund standen nicht nur Angriffe auf Justizangehörige, 
	Richter und Staatsanwälte. Auch israelische und jüdische Einrichtungen 
	wurden zu erklärten Zielscheiben. Den Protagonisten der Tupamaros 
	West-Berlin ging es darum, den Vietnamkrieg durch den Nahostkonflikt zu 
	ersetzen und den Guerillakampf in das Land der NS-Täter zu holen.
 
 Der Feind Israel:
 "Es gab Antisemitismus bei 
	militanten Linken"
 Der Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar über Israel als Feind 
	subkultureller Linksradikaler und judenfeindliche Züge in der RAF...
 
 9. November 1969:
 Das abgespaltene Attentat
 1969 wollten West-Berliner Linksradikale die "Reichskristallnacht" 
	nachinszenieren. Bislang existierte für diese Tat kein Ort im Gedächtnis der 
	Linken...
 
 Solidarität mit haGalil!
 Diskussion und Information:
 Antisemitismus aus der Mitte der Gesellschaft
 Podiumsdiskussion im großen Saal des Münchner Gewerkschaftshauses am 
	Donnerstag, 30. Juni, 19.00 Uhr...
 
 
  Leben im Land der Täter
 Jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland (1945-1952)
 Mit Beiträgen von Werner Bergmann, Y. Michael Bodemann, Josef Foschepoth, 
	Angelika Königseder, Wolfgang Kraushaar, Ina S. Lorenz, Lothar Mertens, 
	Ulrike Offenberg, Julius H. Schoeps, Juliane Wetzel, u.a...
 hagalil.com 
    19-07-2005 |