Die jüdische Schule in Vilnius:
Ein Toleranzzentrum im Herzen Litauens
Von Jan Zappner
Erschienen in:
Jüdische Allgemeine
07/05
Vilnius (n-ost) - Wenn der Direktor der jüdischen
Schule in Vilnius, Mischa Jakobas, an seinem Fenster im 2.Stock steht,
schaut er auf unzählige graue und heruntergekommene Hochhäuser, die seine
Schule wie bedrohlich in den Himmel ragende Finger umzingelt halten. Sie
erinnern ihn an die Schwierigkeiten, mit denen Juden in Litauen auch heute
noch zu kämpfen haben. "In einer Umfrage über die unbeliebtesten Nachbarn",
erklärt er, "standen Juden neben den Roma ganz oben auf der Liste - weit
über Kriminellen. Meine Traum ist es, mit der Schule einen Multiplikator der
Toleranz für die litauische Gesellschaft zu schaffen und damit die jüdischen
Stereotypen aus den Köpfen zu verbannen."
Es sind vielfältige Gründe, auf die einzige jüdische
Schule in Litauen zu gehen. Mal werden Kinder auf den staatlichen Schulen
aufgrund ihrer Herkunft von Mitschülern unterdrückt, ein anderes Mal ist die
Neugier auf seine eigene Geschichte und Tradition ausschlaggebend oder ganz
einfach der gute Ruf, den sich die Schule inzwischen erarbeiten konnte.
Dieser ist auch der Hauptgrund für litauische Kinder, hier ihren Abschluss
zu machen. Von den 245 Schülern, die auf 12 Klassen verteilt sind kommen ca.
20 Prozent aus litauischen Familien. In den Gesprächen mit den Eltern macht
Mischa Jakobas zu Beginn deutlich, was es heißt, auf diese Schule zu gehen.
"Wir lehren zusätzlich zu den staatlich vorgegebenen Inhalten Hebräisch,
jüdische Geschichte und jüdische Traditionen. Es ist uns sehr wichtig, die
in den 50 Jahren sowjetischer Okkupation verloren gegangenen Traditionen
wieder im Bewusstsein der Kinder zu verankern. Die Kinder werden natürlich
nicht gezwungen, die jüdische Religion zu leben. Aber sie müssen wissen, was
das Judentum ist."
Fotos: © Jan Zappner
Durch die Integration der litauischen Kinder hofft er,
einen Aufklärungseffekt auch bei ihren Eltern erzielen zu können. "Wenn die
Eltern zu Hause die Geschichten aus dem Unterricht hören, müssen sie sich
immer wieder ihrem eigenen Wissen und ihren Vorurteilen stellen. Zusätzlich
werden sie wiederum von Freunden gefragt, wieso gerade die jüdische Schule
ausgesucht wurde. In diesem Diskurs werden die Erfahrungen immer breiter
gestreut, was nur positiv für uns sein kann."
Den
großen Anteil von Kindern assimilierter Juden aus Mischehen unter den
anderen 80 Prozent der Schüler erklärt Mischa Jakobas mit der Möglichkeit,
seit der Unabhängigkeit seine jüdischen Wurzeln zu erforschen. "Die Kinder
sind neugierig auf diesen Teil ihrer Geschichte, von dem sie meist nicht
einmal etwas wussten, da die Eltern es verschwiegen haben. Hier haben sie
die Gelegenheit, sich damit zu befassen und das gefällt ihnen. Auch sie
tragen ihre Erfahrungen weiter nach Hause und vielleicht stellen ihre Eltern
fest, dass es sehr schön sein kann, am Schabbat eine Kerze anzuzünden."
Toleranz soll jedoch nicht nur nach außen transportiert
werden. Auch innerhalb der Schule ist sie oberstes Gebot. "Natürlich gibt es
auch hier Streitereien und körperliche Auseinandersetzungen", Mischa Jakobas
lächelt vergnügt, "es sind schließlich Kinder und Jugendliche - keine Engel.
Aber wegen seiner Herkunft wird keiner herablassend behandelt. Das ist mir
wichtig."
Ob die litauische Gesellschaft in nächster Zeit gegenüber
der jüdischen Bevölkerung toleranter wird und ihren Antisemitismus ablegen
kann, wird sich erst zeigen müssen. Die jüdische Schule jedenfalls ist ein
erster Schritt in Richtung Verständigung. Und obwohl die Wohnhäuser vor den
Fenstern der Schule noch eine ganze Weile stehen bleiben werden, verlieren
sie hoffentlich schon bald ihre drohende Bedeutung.
Jan Zappner ist freier Journalist aus Berlin mit
Arbeitsschwerpunkt Osteuropa, Mitglied im Korrespondentennetzwerk
n-ost und bei "Cafe
Babel". Veröffentlichungen in der Jüdischen Allgemeinen, Märkische
Oderzeitung, Leipziger Zeitung, Sächsische Zeitung, Ostsee Zeitung.
http://www.janzappner.de/
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Es ist der 21. Adar des jüdischen Kalenders und
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hagalil.com 22-06-2005 |