Unvollständige
Übersetzung:
Katzav im Bundestag
Von Ulrich W. Sahm
Die Rede des israelischen Präsident Mosche Katzav ist
bei einem entscheidenden Satz unvollständig übersetzt worden. "Für die
Schoah kann es weder Vergeben noch Verzeihen geben" hieß es in der
Simultanübersetzung. Dieser Satz wurde schon als Vorwurf gegen die "Täter",
als Verweigerung einer christlichen Sündenvergebung verstanden.
Aus dem Hebräischen Originaltext geht jedoch hervor, dass
Katzav an der Stelle gar nicht über die Täter gesprochen hat, sondern über
die jüdischen Opfer des Holocaust. Wörtlich übersetzt sagte er: "Für die
Schoah gibt es keine Begnadigung (im Sinne von Vergebung und Pardon) und
kein Vergessen. Viele des jüdischen Volkes tragen noch auf ihren Armen die
von den Nazis eintätowierten Nummern. Die seelischen Narben gingen zur
zweiten und Dritten Generation über."
Die Unfähigkeit der Juden, das Trauma des Holocaust zu
vergessen, hat nichts mit einer Schuldzuweisung gegen die heutige Generation
in Deutschland oder auch gegen Deutschland insgesamt zu tun. Sondern es ist
der bis heute bestehende Seelenschmerz, aus dem sich die Juden als
kollektives Opfer des Holocaust nicht befreien können. Das zweite Wort, als
"Verzeihen" übersetzt, lautete im Original "Vergessen", was wiederum nichts
mit dem Täter zu tun hat, sondern mit dem Opfer, das sich von den
Ereignissen vor nur 60 Jahren bis heute nicht erholt hat.
Und so wie in Auschwitz, in Yad Vaschem in Jerusalem oder
mitten in Berlin an dem neuen Holocaustdenkmal "gedacht" wird, so kann wohl
niemand ausgerechnet den Juden verdenken, wenn sie die Auslöschung eines
Drittels ihres Volkes vor nur sechs Jahrzehnten nicht jetzt schon
"vergessen" können. Das Trauma ist allgegenwärtig, nicht nur bei jenen, die
noch eine tätowierte Nummer auf dem Arm tragen, sondern auch bei jenen, die
keine Großeltern haben, nicht wissen, wie sie wirklich heißen und ihre
Familiengeschichte nicht kennen, weil alles ausgelöscht worden ist.
Es mag ja sein, dass manche Deutsche von "den Juden" eine
Sündenvergebung wünschen, ein "Verzeihen", wie es fälschlich übersetzt
worden ist, doch wie soll das aussehen? Was soll es bezwecken? Soll es jener
jungen deutschen Generation ein "schlechtes Gewissen" reinwaschen, das ihr
niemand anlastet? Oder soll es ein Freibrief für jene werden, die mit der
eigenen deutschen Geschichte nicht mehr konfrontiert werden wollen, freilich
ohne zu bedenken, dass viele Juden und Israelis bis heute unter den Folgen
des Holocaust ganz unmittelbar leiden.
Und welche Logik steckt hinter jenen Verfechtern eines
"Schlussstrich" zum Holocaust, der bis zum Jahr 1945 andauerte, während die
gleichen Leute ohne Scham vom "Bombenholocaust" in Dresden im Jahr 1944
reden, und keinerlei Schlussstrich bei diesem Thema ziehen wollen.
[FORUM]
© Ulrich Sahm/haGalil.com
Die Rede des Präsidenten des Staates Israel:
Moscheh Kazaw vor dem
Bundestag
..."Wir werden heute Zeugen einer Welle des wiederauflebenden
Antisemitismus, wie wir sie seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gekannt
haben, einer Welle, begleitet von aggressiver Hetzpropaganda. Die
Antisemiten nutzen die moderne Technologie, die Massenmedien, die
Globalisierung und die Demokratie dazu aus, um die Thesen des Antisemitismus
in nie dagewesener Stärke und Form zu verbreiten...
Die bisherigen Gegenmaßnahmen reichen noch nicht aus. Unerlässlich sind
Gesetzgebung und –ausführung, Erziehung und Aufklärung der Öffentlichkeit...
Die wachsende Legitimation neonazistischer Kräfte und ihre zunehmende
Verankerung in der deutschen Öffentlichkeit bereiten uns Sorgen... Man muss
jeden Ausdruck der neonazistischen Lehren schon in den Anfangsstadien
bekämpfen, bevor sie sich ausbreiten und einnisten können...
Die junge Generation muss davor bewahrt werden, von Hasspropaganda und
Indoktrinierung verführt zu werden... Wir haben in der Vergangenheit erlebt,
wie undemokratische Kräfte die demokratischen Einrichtungen ausnutzten, um
an die Macht zu gelangen. Die menschliche Naivität unterliegt im Kampf gegen
die Demagogie und die Böswilligkeit. Es besteht die Gefahr, dass das Böse,
die Abartigkeit und negative Kräfte den Glauben und die menschlichen Werte
bezwingen"...
Das Trauma verwandeln:
Katzav nimmt Muslime in Schutz
Zum zweiten Mal spricht ein israelischer Präsident vor
dem Bundestag. "Im Sinne des Humanismus" warnt Mosche Katzav nicht nur vor
Antisemitismus, sondern auch vor einer "antimuslimischen Welle" - um den
Nahost-Friedensprozess nicht zu gefährden...
Am Rande:
Israels Medien über Katzav in
Berlin
Die Reporter konzentrierten sich vor allem auf die Erwähnung der Schoah in
der Rede von Katzav. Doch beiläufig wurde erwähnt, dass Katzav sich nach
seiner Ankunft auch schon mit der "künftigen Kanzlerin" Merkel getroffen
habe...
hagalil.com 01-06-2005 |