Halle:
Ein Kranz für Nazis
In Halle werden auf einem Friedhof
NS-Täter als Opfer des Stalinismus geehrt
Von Kerstin Eschrich
Jungle World 43 v.
13.10.2004
Die Aufarbeitung des Stalinismus ist in Deutschland ein
mühseliges Geschäft. Immer wenn man gerade dabei ist, die Gräueltaten der
Sowjets zu geißeln, kommt einem wieder der Nationalsozialismus dazwischen.
Auch Harald Binder vom Bund der stalinistisch Verfolgten hat dieses Problem.
Eigentlich sollte es doch nur darum gehen, "einen würdigen Platz für die
Opfer zu schaffen, die in einem unmenschlichen System umgebracht wurden".
Dabei dürfe es keine Rolle spielen, "welche Taten sie vollbracht haben",
meint Binder.
Es geht um 117 Personen, die zwischen 1950 und 1953 im
Torgauer Gefängnis Fost-Zinna starben, in dem sie einsaßen, weil sie von
sowjetischen Militärtribunalen als NS-Verbrecher zu Zuchthausstrafen
verurteilt worden waren. Die Urnen wurden auf Anordnung des
Innenministeriums der DDR anonym auf dem Getraudenfriedhof in Halle
beigesetzt. Organisationen der Opfer stalinistischer Verfolgung arbeiteten
seit Mitte der neunziger Jahre daran, den Toten einen "würdigen Platz auf
dem Friedhof" zu verschaffen, wie Binder erklärt, weil sie ohne
rechtstaatliches Verfahren verurteilt wurden.
Im Juli vergangenen Jahres wurden sie aus den anonymen
Grabstellen auf ein eingefriedetes Grabfeld umgebettet. Für Jupp Gerats, den
Vorsitzenden des Interessenverbandes ehemaliger Teilnehmer am
antifaschistischen Widerstand, ist die Errichtung des "Ehrenhains", wie er
die Grabstätte nennt, ein "Schlag ins Gesicht aller Opfer des
Nationalsozialismus". Denn unter den Toten befinden sich Nationalsozialisten
wie Walter Biermann und Arno Brake, die an der Ermordung von 1 017
KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern in Isenschnibbe bei Gardelegen beteiligt
waren.
Zur Einweihung der Gräberstelle gab es eine offizielle
Kranzniederlegung, zudem wurde eine Informationstafel aufgestellt, auf der
das nicht rechtsstaatliche Vorgehen der Sowjets angeprangert, jedoch kein
Wort über die NS-Täter unter den Toten verloren wurde. Für Binder ist das
auch "nicht das Anliegen unserer Organisation". Erstens, erklärt er, gebe es
keine NS-Täter unter den Toten ("Die Namen oder Vornamen sind falsch"),
zweitens verdienten auch NS-Verbrecher ein rechtsstaatliches Verfahren. "Ich
bin Humanist, und vor Gott sind alle Menschen gleich", begründet er seine
Haltung.
Auch Klaus-Dieter Müller von der staatlichen Stiftung
Sächsische Gedenkstätten wollte die Toten nicht als Naziverbrecher
bezeichnet wissen und versuchte, ihre Rehabilitation durch die zuständige
russische Behörde durchzusetzen. Im Jahr 1997 hat er bereits die
Rehabilitation des NS-Arztes Hans Heinze erreicht, der behinderte Kinder
ermordete, damit ihre Gehirne seziert werden konnten. Heinze wurde wegen
eines fehlenden rechtsstaatlichen Prozesses rehabilitiert, nicht etwa, weil
er unschuldig war.
Diesmal war Müller nicht ganz so erfolgreich. Die
Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitierte nur 44
der Toten, in 59 Fällen entschied sie sich dagegen, in den restlichen liegt
noch keine Entscheidung vor.
Wegen der anhaltenden Proteste u.a. von nationalen und
internationalen Organisationen der NS-Opfer, der jüdischen Gemeinde Halle
und der PDS in Sachsen-Anhalt verfügte Mitte September die
Oberbürgermeisterin von Halle, Ingrid Häußler (SPD), die Informationstafel
zu entfernen. Eine Historikerkommission soll den Text überprüfen. Wenige
Tage später stand die Tafel wieder an ihrem Platz. "Wir haben sie wieder
aufgestellt, an dem Text ist nichts Verwerfliches", erklärt Binder. Zudem
habe man gerichtliche Schritte gegen die Stadt Halle eingeleitet.
Gerats sieht in der Entfernung der Tafel nur eine
Verzögerungstaktik der Stadt. "Wir haben schon seit langer Zeit versucht,
eine vernünftige Lösung zu finden. Wir sind nämlich nicht die Grabschänder,
als die wir dargestellt werden, sondern Opfer des Nationalsozialismus."
Skandal in Halle:
Ehrung für verurteilte
Kriegsverbrecher
Die Jüdische Gemeinde zu Halle (Saale) hat
vielmals mündlich und schriftlich gegen diese abstoßende Schande in unserer
Stadt protestiert. Wir haben auch die möglichen Wege den
Stadtverantwortlichen gezeigt, wie man aus diesem Skandal mit geringfügigem
Imageverlust herauskommen könnte. Vergeblich…
hagalil.com 14-10-2004 |