Skandal in Halle:
Ehrung für verurteilte Kriegsverbrecher
Presseerklärung der Jüdischen Gemeinde zu Halle
(Saale), 29.09.2004
Im Juli 2003 wurde auf dem städtischen Friedhof in
Halle an der Saale eine Grabanlage für die Opfer von Krieg und Gewalt
eingeweiht. In Wirklichkeit ging es nach Angaben des Interessenverbands
ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des
Naziregimes und Hinterbliebener Sachsen-Anhalt um einen Ehrenfriedhof als
Gedenkstätte für Häftlinge, die als verurteilte Kriegsverbrecher und
Naziaktivisten im Gefängnis Forst-Zinna in den Jahren 1950 bis 1953
verstorben waren.
Es wurde sowohl bei der Einweihung als auch später
verschwiegen, dass darunter Häftlinge waren, die wegen Kriegsverbrechen,
Teilnahme an Erschießungen, Misshandlung von Kriegsgefangenen und
Zwangsarbeitern, SS-Zugehörigkeit, Angehörige der Gestapo usw. verurteilt
wurden. Ausnahmslos wurden alle als unschuldige Opfer des Stalinismus
dargestellt. Die Grabanlage wurde als Ehrenfriedhof gestaltet und auch in
den Einweihungsreden als Gedenkstätte bezeichnet. Als Höhenpunk wurden noch
die Kränze für diese vermeintlichen "Opfer" niedergelegt.
Zwei dieser "Opfer" nahmen bei der Erschießung von 1017
Häftlingen in Gardelegen im April 1945 persönlich teil. Von insgesamt 117
Verstorbenen sind mindestens 59 auch jetzt, nach heutigen ziemlich
nachgiebigen Bedingungen der Überprüfung der russischen
Generalstaatsanwaltschaft, nicht rehabilitiert.
Was ist das Ziel der Organisatoren dieser Gedenkstätte?
Warum gab es und gibt es bis heute keine Distanzierung und keine
Konsequenzen von Seiten der Stadt und des Landes?
Mindestens seit dem April 2004 wissen die höchsten
Repräsentanten der Stadt Bescheid, dass es ein Ehrengrabfeld auch für
Kriegsverbrecher und Massenmörder auf dem Getraudenfriedhof gibt. Mindestens
seit dem Anfang Juli 2004 ist dieser unerträgliche Skandal auch dem
Landeskultusministerium und somit der Landesregierung bekannt. Es passiert
aber gar nichts.
Die Jüdische Gemeinde zu Halle (Saale) hat vielmals
mündlich und schriftlich gegen diese abstoßende Schande in unserer Stadt
protestiert. Wir haben auch die möglichen Wege den Stadtverantwortlichen
gezeigt, wie man aus diesem Skandal mit geringfügigem Imageverlust
herauskommen könnte. Vergeblich…
Dieser Skandal in Halle ist noch ein Schritt in der
gefährlichen Richtung des Verharmlosens der Naziverbrechen. Man versucht
wider und wider in Deutschland die zwei menschenverächtlichen Regime des 20.
Jahrhunderts gegenüber zu stellen, um zu beweisen, dass, wenn jemand unter
dem Stalinismus gelitten hat, man ihm alles verzeihen kann, auch wenn er den
Nazismus diente. Man macht aus einem Henker ein Opfer. Nur deswegen zählen
wir jährlich weniger und weniger Volksvertreter der Parteien der
demokratischen Mitte auf den Jahrestagsveranstaltungen am 8. Mai, am 9.
November oder am 27. Januar.
Wir meinen, dass diese Politik nicht nur falsch und
beleidigend, sondern auch sehr gefährlich ist. Man darf nicht die
Naziverbrechen wegen der Stalinverbrechen unterbewerten, genauso umgekehrt.
Beide fanatischen Diktaturen haben Millionen Menschenleben vernichtet. Sechs
Millionen Juden wurden von Nazis umgebracht. Stalin plante diesen Prozess
weiterzuführen… Jeder Henker hat aber seine Strafe verdient: unabhängig von
der Tatsache, wer das Urteil auszurufen hatte.
Eine würdige Grabstätte… Die Millionen Ausgerotteten in
Auschwitz, in Babij Jar, in Chelmno, in Majdanek, in Bergen-Belsen oder in
Buchenwald und Gardelegen haben keine würdige Grabstätte erhalten. Sie haben
meistens überhaupt keine Grabstätte erhalten…
Die Jüdische Gemeinde zu Halle (Saale) beobachtet mit
großer Verwunderung die Rolle des Vereins Zeitgeschichte e. V. in diesem
Skandalgeschehen. Gerade der Verein, der die Aktion "Stolpersteine" in der
Stadt Halle (Saale) führt, organisierte auch ein Ehrengrabfeld für die
Kriegsverbrecher mit.
Die Pressemeldungen, die in den letzten Tagen über diese
Angelegenheit erschienen, bestätigen, dass angeblich versucht wurde, den
Ehrenfriedhof unter Schutz des Gräbergesetzes für Opfer von Krieg und Gewalt
zu stellen. Die Stadt schiebt die Verantwortung an das Land und das Land an
die Stadt. Wir fordern beide Seiten, die Stadt und das Land auf, offen zu
legen, ob das o. g. Ehrengrabfeld unter Schutz des Gräbergesetztes steht.
Und wenn doch, wer für diese unmögliche Blamage verantwortlich ist, und wie
man diese am schnellsten beseitigen kann.
Die Jüdische Gemeinde zu Halle (Saale) schließt sich der
Forderung des IVVdN, des BdA, der Fédération Internationale des Résistants,
der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, des Freundeskreises
KZ-Lichtenburg, der Lagergemeinschaft Ravensbrück, des DRAFD und der
Lagergemeinschaft ehemaliger Häftlinge des KZ Mauthausen an, dieses
Ehrengrabfeld schnellstens zu schließen. Wir meinen auch, dass dieser
Skandal nicht ohne persönliche Konsequenzen bleiben darf.
Halle:
Ein Kranz für Nazis
In Halle werden auf einem Friedhof NS-Täter als Opfer
des Stalinismus geehrt...
hagalil.com
14-10-2004 |