10. Jahrestagung der Union progressiver Juden:
Podium der GenerationenVon
Gudrun Wilhelmy
Wenn sich heute, am 18. Juli gegen Mittag die
Medienvertreter im Spandauer Johannesstift versammeln werden, um zu
erfahren, ob die Union liberaler Juden eine Klage gegen den Zentralrat
einreichen wird, um bei der Verteilung der staatlichen Mitteln angemessen
berücksichtigt zu werden, haben sie eigentlich das Beste verpasst.
Auch wenn ein Schabbat mit Hawdala endet, so war der
Ausklang der 10. Jahrestagung der Union progressiver Juden "Liberales
Judentum heute" auf der Abschlussveranstaltung, dem "Podium der
Generationen" der eigentliche krönende Abschluss von zwei Tagen gemeinsamen
Lernens, Kennenlernens und nicht zu letzt auch Betens.
Auf dem Podium zeigten Vertreterinnen und Vertreter der
Organisation "Jung und jüdisch junior" und "Jung und jüdisch", was es heißen
kann, sich darüber zu freuen, jüdisch zu sein und das unterscheidet sie von
einer Generation, die sich während des Schabbat-Gottesdienstes am Freitag
miteinander unterhält, weil sie wenigstens an diesem Tag der Woche andere
Jüdinnen und Juden treffen, wie es in einem Witz erzählt wurde.
Denn ohne Witz gibt es kein Lernen und kein Erinnern, kein
"Spaß haben", der fast am häufigste genannte Grund für jüdische Kinder und
Jugendliche, um an einem liberalen Machane während der Sommerferien
teilzunehmen. In einem Zeitraum von nur vier Jahren hat sich die Nachfrage
von anfänglich 29 Kindern auf über 100 Anfragen erhöht. So muss die
Organisation "Jung und jüdisch" (18 bis 35 Jahre) große Anstrengungen
unternehmen, um dringend benötigte geschulte Betreuer für die jüngeren von
"Jung und jüdisch junior" (bis 18 Jahre) weitere Machane mitzugestalten. Wer
jeodch denkt, die "Kleinen" müssten nur betreut werden, sieht sich positiv
getäuscht. Ein alle Generationen ansprechender Dokumentarfilm, eine
Teamarbeit mit viel Nachtarbeitseinsatz, ist ein Rückblick und Ausblick
vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer, mit Trauer und Freude, mit
Erwartungen und Älterwerden. Er riss das zuschauende Publikum wirklich mit
und erntete anhaltenden Applaus. Und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass
in wenigen Jahren vielleicht eine neue Gruppe "Senior und jüdisch", wie ein
älterer Teilnehmer meinte, für die liberale Bewegung gegründet werden müsse.
Bewegend war im Morgengottesdienst am Samstag die
Tora-Übergabe an
die Gemeinde in Bad Pyrmont, die ausschließlich aus
Kontingentflüchtlingen der ehemaligen UdSSR besteht. Hier leben Menschen,
deren Eltern ihr Judentum bestenfalls nur im Familienkreise bekannten, denen
jegliche religiöse Anbindung bis zum Tage ihrer Ankunft in Deutschland fremd
war und die nun "wie von einem anderen Stern kommend" Sprache, Kultur und
Religion lernen müssen, quasi ein vollständig anderes Leben. Und wenn dann
in solch eine Stadt eine Partnergemeinde in Brasilien eine Torah-Rolle zum
Geschenk erhält, dann berührt das alle. Es berührt diejenigen, die sie in
Empfang nehmen und die dabei an ihre Eltern denken, die ihr Judentum
verschwiegen. Und es bewegt jene, die eine Torah an einen Ort zurückkehren
sehen, aber nicht die Menschen oder deren Angehörige, die dort einmal
lebten. Und doch ist es ein großes Glück und eine große Freude, dies zu
erleben.
Selten genug erleben wir amtierende Rabbinerinnen und mit
Irith Shilor, die auch den
2. Kongress des
Netzwerkes Jüdischer Frauen in München im Mai diesen Jahres
besuchte, leitete eine Frau ganz ohne Kantorin oder Kantor durch den
Schacharit-Gottesdienst. Bedingt durch die vielen unterschiedlichen
Herkunftsländer aus dem deutschsprachigen Raum und natürlich auch aus den
Auswanderungsländern, waren Melodien zu den bekannten Gebeten zu hören, die
immer wieder mal die einen und dann die anderen lauter mitsingen konnten.
Und niemand fühlte sich dabei unwohl. Die Selbstverständlichkeit des
Zusammensitzens mit Männern und Frauen war so natürlich, dass es mir erst
jetzt beim Schreiben als Besonderheit in Synagogen allgemein auffällt. Das
der Anfang des Wochenabschnittes Mattot-Massei für Rabbinerin Irith Shilor
dann im Mittelpunkt ihres anschließenden Schiur stand, ist
selbstverständlich und es wurde heftig diskutiert.
Das Angebot der Workshops war in diesem Jahr deutlich
verringert und erleichterte die Entscheidung bei der Auswahl für die
zahlreichen Tagungsbesucher. Über den Workshop von Rabbiner Ben Chorin aus
Zürich über Trauer, folgt später ein Bericht. Vorweg: Er brachte ein
wunderbares bibliophiles Bändchen seiner Gemeinde mit, in dem Fragen und
Riten sowie die halachischen Regeln einfach und schön dargestellt sind. Ein
Bändchen, das sich als Geschenk eignet und über die Literaturhandlung zu
beziehen ist. Ein anderer Workshop von Rabbiner Jacobs aus den USA
behandelte die Hohen Feiertage, insbesondere ihre Liturgie und hier wurden
Gebetbücher aus dem 19. Jahrhundert in den Schiur einbezogen und sorgten für
überraschende Einblicke in die Praxis zur Zeit des zweiten Tempels.
Es gab ein Gespräch mit einem Rabbiner aus St. Petersburg,
der dort vor 3 Monaten eine Gemeinde gründete und der 1. Vorsitzenden der
Gemeinde aus Bad Pyrmont und die beeindruckenden Aktivitäten mit einer
Kinder-Theater-Gruppe dort.
Wie auch immer die Delegierten auf ihrer
selbstverständlich geschlossenen Sitzung abstimmen werden, ob für oder gegen
eine Klage, es gibt für die jüdischen Menschen sehr viel mehr zu berichten.
Es sind nicht nur Anregungen, die danach mit nach Hause genommen werden
können, sondern vor allem auch das gute Gefühl, aufgenommen zu sein in einer
sehr lebendigen Gemeinschaft, in der ein immer größerer Teil nicht nur stolz
ist jüdisch zu sein, sondern daran ganz offensichtlich Spaß hat. Hier können
die älteren viel von den jüngeren lernen.
Im Internet:
Die Union
progressiver Juden in Deutschland
10. Jahrestagung der Union progressiver Juden:
Liberales Judentum heute
Keine Klage gegen Zentralrat:
Verhandlungen sind die bessere
Alternative
hagalil.com
18-07-2004 |