Zahl der Neonazis um rund 15 % gestiegen:
Rechtsextremismus gibt Anlass zur Sorge
Nazis spekulieren auf judenfeindliche Vorurteile
in der Bevölkerung und versuchen durch antisemitische Propaganda - vor allem
im Internet - Einfluss zu gewinnen
Bundesinnenminister
Otto Schily hat in Berlin gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für
Verfassungsschutz, Heinz Fromm, den Verfassungsschutzbericht 2003
vorgestellt. Die rechtsextreme Szene gibt nach Angaben Schilys Anlass zur
Sorge. 10.000 gewaltbereite Rechtsextremisten seien zuviel, betonte der
Innnenminister.
Foto: Jürgen Gebhardt
Verfassungsschutzbericht 2003
Antisemitismus spielt in allen Bereichen des
Rechtsextremismus eine bedeutende Rolle. Neben der offenen Agitation und
Hetze gegen Juden - vorwiegend aus der Skinhead- und Neonazi-Szene - hat
sich ein Antisemitismus der Andeutungen entwickelt. Er spekuliert auf ein
antisemitisches Einstellungspotenzial in der Bevölkerung und versucht hier
Einfluss zu gewinnen.
Für Rechtsextremisten ist das Internet das zentrale Medium geworden. Sie
nutzen es zur Selbstdarstellung und Agitation, zur szeneinternen Diskussion
sowie zur Mobilisierung für ihre Veranstaltungen. Die Zahl der von deutschen
Rechtsextremisten betriebenen Homepages ging geringfügig auf 950 (2002:
1.000) zurück. Stattdessen nutzten Rechtsextremisten verstärkt interaktive
Dienste des Internets, um sich zu informieren oder zu diskutieren. Neben
Mailinglisten und Newsletters haben Diskussionsforen eine immer größere
Bedeutung für die Szene.
Zahl der Neonazis gegenüber dem Vorjahr um rund 15 % gestiegen
Neonazis beziehen ihr Weltbild auf die politischen
Strömungen des historischen Nationalsozialismus: Sie sehen sich als
politische Kämpfer und erstreben ein „Deutsches Reich“ ohne Ausländer und
Juden, an dessen Spitze ein Führer und eine alle politischen Bereiche
bestimmende Einheitspartei steht. Neonazis sind von Rassismus,
Antisemitismus sowie Fremdenhass geprägt.
Die USA sind eines der Hauptfeindbilder der Neonazis. Sie sind Symbol für
die von ihnen gehasste multikulturelle oder multiethnische Gesellschaft;
Neonazis sehen in den USA die jüdische Machtzentrale („USrael“) und den
Verfechter einer die Völker zerstörenden, auf USHerrschaft gerichteten
Globalisierung. Dieser antisemitisch beeinflusste Antiamerikanismus ist in
weiten Teilen der neonazistischen Szene die Triebfeder für eine
Solidarisierung mit dem Irak.
Die Zahl der Neonazis ist mit 3.000 (2002: 2.600) gegenüber dem Vorjahr um
rund 15 % gestiegen. Ebenfalls gestiegen ist der Organisationsgrad in der
Neonazi-Szene: 95 Gruppierungen (2002: 72) ließen ein Mindestmaß an
organisatorischen Strukturen erkennen. Hierunter fällt auch ein
beträchtlicher Teil der rund 160 Kameradschaften. Die Neonazi-Szene wirkte
insbesondere auf Skinheads anziehend. Diese Entwicklung der letzten Jahre
setzte sich fort: Es bildeten sich weitere "Mischszenen" von Neonazis und
Skinheads.
Ende 2003 gab es in Deutschland 169 (2002: 146)
rechtsextremistische Organisationen und Personenzusammenschlüsse. Die Zahl
ihrer Mitglieder sowie der nichtorganisierten Rechtsextremisten ist wie
schon im vergangenen Jahr zurückgegangen und liegt mit 41.500 rund 8 % unter
der von 2002 (45.000). Auch die Zahl der subkulturell geprägten und
sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten ist mit 10.000 Personen (2002:
10.700) um knapp 7 % gesunken. Damit ist diese Zahl erstmals seit neun
Jahren wieder zurückgegangen. Hierzu gehören als weitaus größte Gruppe
rechtsextremistische Skinheads, die sich durch ihre subkulturelle Prägung
von anderen gewaltbereiten Rechtsextremisten, beispielsweise aus dem
Neonazilager, unterscheiden.
Die aktionistische Strategie der Neonazis, möglichst viele
Demonstrationen zu organisieren, war nur bedingt erfolgreich: zwar führte
sie zu einer gewissen Präsenz in der Öffentlichkeit, aber auch zu
Demonstrationsmüdigkeit und internem Streit.
Gegenüber dem Vorjahr sind sowohl die Gesamtzahl der politisch rechts
motivierten Delikte als auch die Zahl der politisch rechts motivierten
Gewalttaten jeweils um 10 % zurückgegangen. Von den für das Jahr 2003 vom
Bundeskriminalamt erfassten politisch motivierten Straftaten (20.477; 2002:
21.690) wurden 11.576 Straftaten (2002: 12.933), darunter 845 (2002: 940)
Gewalttaten, dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität -
rechts" zugeordnet.
10.792 (2002: 10.902) der politisch rechts motivierten
Straftaten wurden als extremistisch eingestuft, darunter 759 Gewalttaten
(2002: 772). Das bedeutet einen Rückgang rechtsextremistischer Straftaten um
1 % und rechtsextremistischer Gewalttaten um ca. 2 %. Bei 86,1 % (2002: 86,4
%) aller rechtsextremistisch motivierten Straftaten handelte es sich
entweder um Propagandadelikte (7.551 Taten, 2002: 7.294) oder um Fälle von
Volksverhetzung (1.744 Taten, 2002: 2.122). Mit 430 Taten (2002: 440)
richtete sich die Mehrzahl der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit
extremistischem Hintergrund gegen Fremde. Dies ist gegenüber dem Vorjahr ein
Rückgang um 2 %.
Bei den dargestellten extremistischen Straf- und
Gewalttaten sowie bei den politisch motivierten Straf- und Gewalttaten im
Bereich der "Politisch motivierten Kriminalität - rechts" ist damit ein
nahezu gleichmäßiger Rückgang festzustellen. Eine kontinuierliche und
intensive Vorfeldbeobachtung gewaltbereiter Gruppierungen und Einzelpersonen
ist gleichwohl unverzichtbar.
Der Fall der 2003 zerschlagenen Gruppe um Martin Wiese hat gezeigt, welche
Gefährdung sich aus Bestrebungen einiger entschlossener Aktivisten
entwickeln kann. Die Gruppe hatte sich nach dem derzeitigen Stand der
Ermittlungen Sprengstoff beschafft und Überlegungen angestellt, einen
Anschlag auf die Grundsteinlegung der Synagoge und des jüdischen
Gemeindezentrums in München zu begehen.
Erstmals seit Jahren hat der Generalbundesanwalt am 28. April 2004 zunächst
gegen vier mutmaßliche Mitglieder und einen Unterstützer der Gruppe Anklage
wegen der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung erhoben. Gegen
weitere Beschuldigte soll im Frühsommer ebenfalls Anklage erhoben werden.
Der "Fall Wiese" stellt einen regionalbezogenen Einzelfall dar. Teil eines
terroristischen Netzwerks in der rechtsextremistischen Szene waren die
Beschuldigten nicht. Der weitaus größte Teil der rechtsextremistischen Szene
lehnt gewaltbejahende Strategien unverändert ab.
Über die Skinhead-Musik geraten viele Jugendliche nach wie vor in Kontakt
mit der rechtsextremistischen Szene. Skinhead-Musik hat damit eine
bedeutende Funktion bei der Entstehung und Verfestigung von Gruppen
rechtsextremistischer, auch gewaltbereiter Jugendlicher. Die subkulturell
geprägte Skinhead-Szene ist weiterhin mit ihren Musikveranstaltungen aktiv.
Die Anzahl der Konzerte hat im Jahr 2003 leicht zugenommen; die Zahlen der
Skinhead-Bands und der Vertriebe blieben in etwa gleich.
Auch im Jahr 2003 veröffentlichten deutsche
rechtsextremistische Bands strafrechtlich relevante Tonträger mit
volksverhetzenden, häufig antisemitischen bzw. fremdenfeindlichen oder gegen
den Staat und seine Institutionen gerichteten Texten. So heißt es z. B. in
dem Lied „Volk steh auf“ der Band „Rassenhass“: „Jeder Neger ist dann zu
Haus in Afrika oder hängt an einem Baum, und Europa ist dann wieder weiss,
denn für Affen ist hier kein Raum... Wir brennen alle Judaskirchen ab denn
wir brauchen hier kein Christentum ... Jedes Krummnasengrab wird exhumiert,
denn mit Antimenschen ham wir nix zu tun ... Schwarz-rot-gold wird
abgeschafft und das Hakenkreuz wird wieder wehen ... Die Bundesregierung
stürzen wir und das Kanzleramt wird in Flammen stehen.”
(Schreibweise wie im Original)
Die Strafverfolgungsbehörden konnten wieder zahlreiche CDs
mit volksverhetzenden Inhalten sicherstellen. Mit Urteil des Kammergerichts
Berlin vom 22. Dezember 2003 wurden erstmals in Deutschland Mitglieder einer
Skinhead-Band wegen der Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung (§ 129 StGB) verurteilt.
NPD
Das Verbotsverfahren gegen die NPD, das vom Bundesverfassungsgericht im März
2003 eingestellt wurde, hat die Partei organisatorisch und finanziell
geschwächt. Sie hat deutlich an Mitgliedern verloren. Unbeeindruckt von dem
Verfahren agitierte die von Udo Voigt geführte Partei auch 2003 aggressiv
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Obwohl die NPD weiterhin rechtsextremistische Skinheads und Neonazis für
ihre Demonstrationen mobilisieren konnte, gelang es ihr nicht, wie in den
Vorjahren eine Führungsrolle im so genannten "Nationalen Widerstand"
einzunehmen. Viele Neonazis sind zu ihr auf Distanz gegangen.
DVU
Die mitglieder- und finanzstärkste Organisation im parteipolitischen
Rechtsextremismus blieb auch nach weiteren Mitgliederverlusten die "Deutsche
Volksunion" (DVU). Die innerparteiliche Machtposition des Vorsitzenden,
Gerhard Frey, blieb unangefochten. Die Aktivitäten der DVU sind
zurückgegangen. Statt der früher üblichen jährlichen Großveranstaltung
fanden vier Regionalveranstaltungen statt. Die Partei nahm 2003 lediglich an
den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft teil und erzielte landesweit 2,3 %
der Wählerstimmen. Ansonsten verzichtete die DVU auf die Teilnahme an
Landtagswahlen. Mit einem Mandat in Bremen und ihren fünf Abgeordneten im
Brandenburger Landtag ist die DVU in zwei Landesparlamenten vertreten.
REP
Bei der Partei der "Die Republikaner" (REP) liegen weiterhin Anhaltspunkte
für rechtsextremistische Bestrebungen vor. Wie in den Vorjahren war das
Erscheinungsbild der von Rolf Schlierer geführten Partei im Jahr 2003 von
Wahlniederlagen, innerparteilichen Streitigkeiten um ihren Kurs und
Mitgliederverlusten geprägt. Auch aus Unzufriedenheit mit der Parteiführung
suchten zahlreiche Mitglieder Kontakte zu anderen Rechtsextremisten. Die REP
beteiligten sich an den Landtagswahlen in Hessen (1,3 %), Niedersachsen (0,4
%) und Bayern (2,2 %). Dabei verloren sie überall deutlich an Stimmen.
Die intellektuellen Bemühungen der Rechtsextremisten blieben auch im Jahr
2003 weitgehend ohne Erfolg. Eigenständige Publikationen erschienen nur sehr
unregelmäßig. Eine gewisse Resonanz erzeugte das theorieorientierte,
rechtsextremistische Spektrum im Umfeld der NPD mit Aufsätzen in deren
Parteizeitung "Deutsche Stimme".
Tab.: Antisemitisch
motivierte Kriminalität im Phänomenbereich Politisch motivierte
Kriminalität (PMK) - rechts |
|
2002 |
2003 |
Entwicklung in % |
Straftaten Gesamt |
1.594 |
1.226 |
- 23 |
davon:
Propagandadelikte |
246 |
187 |
- 24 |
Politisch motivierte Gewalttaten |
30 |
38 |
+ 27 |
Extremistische Straftaten
Gesamt |
1.515 |
1.199 |
- 21 |
Extremistische Gewalttaten |
28 |
35 |
+ 25 |
Hervorzuheben ist die deutliche Zunahme im Bereich
antisemitisch motivierten Gewaltdelikte, insbesondere der
Körperverletzungen. Ebenfalls zugenommen hat die Zahl der Fälle "Schändungen
jüdischer Einrichtungen". Diese Entwicklung wird sorgfältig zu analysieren
und mit großer Aufmerksamkeit weiter zu beobachten sein.
Das Aufkommen der antisemitisch motivierten Straftaten im Phänomenbereich
"PMK - rechts" ist rückläufig. Besonders auffällig ist der Rückgang bei den
Propagandadelikten sowie bei den Straftatbeständen: Störungen der Totenruhe,
Volksverhetzung und Nötigung / Bedrohung. Der hier aufgebaute Druck
(Meldeformulare etc.) muss aufrechterhalten werden.
Im Mittelpunkt der Bedrohung:
Islamistischer Terrorismus und Extremismus
Militante Islamisten verstehen den "Jihad" gegen die vom
"wahren Glauben Abgefallenen" sowie gegen "Ungläubige" als muslimische
Pflicht. Dieser "Jihad" diene der Verteidigung und Ausbreitung des Islam...
Gleichgültig? Unerfahren? Hilflos?
Antisemitismus im Internet
Über antisemitische Hetze in den mittlerweile nicht mehr ganz
so "neuen Medien" wurde im Laufe der letzten 10 Jahre viel geschrieben, viel
diskutiert, viel lamentiert. Viele Gründe wurden dafür angeführt, weshalb
man so wenig gegen diese Flut der Hetze unternehmen könne...
hagalil.com
18-05-2004 |