"Kein Zutritt für Zigeuner":
Schwere Ausschreitungen in Craiova
Sieben Verletzte nach gewalttätigen Zusammenstößen zwischen
Einsatzkräften der Polizei und mehr als 300 aufgebrachten Roma
William Totok
Die meisten Diskotheken, Restaurants und Clubs in der
südrumänischen Stadt Craiova verwehren Roma den Eintritt. Die Wut und der
Zorn über diese Diskriminierungen explodierte letzte Woche in einer
Massenrevolte.
Etwa dreihundert mit Säbeln, Messern und Schlagstöcken
bewaffnete Roma verwüsteten zuerst das Restaurant "Genoveze", weil dessen
Besitzer keinen Zigeuner in seinem Lokal duldet. Die Auseinandersetzung
eskalierte, als sich die empörten Roma daran machten, einen weiteren
Restaurantbesitzer in seinem Haus anzugreifen. Mit großer Verspätung
intervenierten dann auch die Ordnungshüter. Ein aus 60 Mann bestehendes
Einsatzkommando der Polizei und zwei Mannschaften der Gendarmerie versuchten
mit Schlagstöcken und Gummigeschossen die Gemüter der aufgebrachten Roma zu
beruhigen. Die Bilanz dieser Intervention: 7 verletzte Roma und keine
einzige Festnahme.
Rumänische Massenmedien verschleierten die schweren
Auseinandersetzungen als einen Konflikt zwischen rivalisierenden Romaclans.
Die Föderation der Romaorganisationen (FORROM) hingegen erinnert an ähnliche
schwerwiegende Vorfälle, die es in den letzten Jahren häufig in Rumänien
gegeben hat und die in pogromartigen Ausschreitungen endeten. Der latente
Konflikt zwischen den Roma und den Besitzern von Restaurants, Clubs und
Diskotheken hat in Craiova eine besondere Qualität wegen des Einsatzes eines
privaten, militärisch strukturierten Sicherheitsunternehmens. Die im
Wachschutz "Fratia" (Die Brüderlichkeit) tätigen und für ihre Brutalität
berüchtigten Bodyguards kontrollieren die Eingänge verschiedener Lokale und
sind darauf spezialisiert, Roma den Eintritt zu verwehren.
Organisation zur Bekämpfung der Zigeuner
Der private Wachdienst besteht aus Mitgliedern einer 1994
gegründeten rassistischen Gruppierung, die unter dem Namen "Organisation zur
Bekämpfung der Zigeuner" (Olit) in Erscheinung getreten ist. Infolge
öffentlicher Proteste verschiedener Romavereinigungen wurde die Organisation
aufgelöst. Ihre Mitglieder haben sich später den zynischen Namen "Fratia"
(Brüderlichkeit) zugelegt und betätigen sich heute innerhalb des erwähnten,
privaten Wachdienstes. Laut inoffiziellen Berichten waren die Mitglieder
dieser als Wachschutz getarnten Körperschaft letzte Woche auch an den
nächtlichen Ausschreitungen in Craiova beteiligt. Sie sollen auf der Seite
der Polizei gegen die revoltierenden Roma vorgegangen sein.
In einer Erklärung der Föderation der Romaorganisationen
(FORROM) ist die Rede von einem "stillen Bürgerkrieg" zwischen Roma und der
rumänischen Mehrheitsbevölkerung, der von den Behörden schweigend geduldet
wird. Den Behörden werden zudem schwere Versäumnisse und Vernachlässigung
ihrer Pflicht vorgeworfen, wenn es darum geht, Roma zu beschützen oder
vorbeugende Maßnahmen in die Wege zu leiten, um dadurch Konflikte zu
unterbinden. Die Föderation erinnert an die blutigen Vorfälle Anfang der
90er Jahre, als in mehreren Ortschaften aufgebrachte Rumänen Romaviertel in
Brand steckten und, mit der Begründung mutmaßliche kriminelle Roma zu
bestrafen, zur Lynchjustiz schritten. Wie in keiner anderen rumänischen
Ortschaft sind die etwa 60.000 in Craiova lebenden Roma einer offenen
Diskriminierung unterworfen. Obwohl die an einzelnen Lokalen angebrachten
Schilder mit dem Hinweis "Kein Zutritt für Zigeuner" entfernt werden
mussten, wurden die illegalen Eintrittverbote für Roma verschärft. Für die
nachhaltige Durchsetzung des Verbots garantieren die gewalttätigen
Mitglieder des Wachdienstes "Fratia". Romaorganisationen haben der
rumänischen Regierung wiederholt vorgeworfen, bei der Lösung des sogenannten
"Roma-Problems" versagt zu haben.
Bei der im vergangenen Jahr stattgefundenen Volkszählung in
Rumänien haben sich 535.250 Personen als Roma erklärt, das sind 2,5 Prozent
der Gesamtbevölkerung. Inoffizielle Schätzungen sprechen von 2,5 Millionen
Roma. Trotz großzügiger sozialer und politischer Integrationsprogramme der
Regierung fühlen sich viele rumänische Roma weiterhin diskriminiert, sozial
vernachlässigt und rassistischen Angriffen schutzlos ausgeliefert. Eine
offizielle Stellungnahme zu den Vorfällen in Craiova seitens der Regierung
oder des Präsidenten Ion Iliescu, der diese Woche zu einem Staatsbesuch in
Deutschland erwartet wird, ist bislang ausgeblieben.
William Totok
Terre d'Asile:
Terre d'Exil
L'europe tsigane...
Auseinandersetzung um einen Stellplatz in Arles:
Immer neue Gesetze für die Gipsy Kings
Die Lebensbedingungen der Fahrenden - die Jenischen, die
Manouche, die Gitanos, die Sinti, die Roma - sind von Land zu Land sehr
unterschiedlich. Die extremste Ausgrenzung erleben sie derzeit in den
Ländern Ost- und Mittelosteuropas...
Hunger und Armut:
Roma im Osten Europas
Der von dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP)
veröffentlichte "Roma Regional Development Report" ist die erste umfassende
Studie über die Roma in Mittel- und Osteuropa...
hagalil.com
23-09-2003 |