Konzert im Jugendgästehaus:
Entdeckungsreise mit politischem Anspruch
Nizza
Thobi macht die unfassbaren Dimensionen des
NS-Terrors greifbarer - Lieder aus dem Ghetto
9. August 2001, SZ-Dachau, von Dorothea
Friedrich Dachau - Dass "Gebojrn
in a sajdn hemdl" keineswegs Reichtum besingt, wie man als Zuhörer
zunächst hätte vermuten können, sondern als Parabel für den
identitätswahrenden Wert der Muttersprache zu verstehen ist, erklärte die
israelische Sängerin Nizza Thobi ihren Zuhörern am Mittwoch bei einem
Konzert zur 19. Internationalen Jugendbegegnung im Jugendgästehaus.
Und so hatte das gleichnahmige Programm mit jiddischen,
hebräischen und Liedern in Ladino, der Sprache der sephardischen Juden, sehr
viel mit einer Entdeckungsreise in vergangenes und gegenwärtiges jüdisches
Leben gemein und gar nichts mit der inzwischen aus allen Lautsprechern
tönenden leichten Klezmer-Kost.
Unmöglich, den politischen Anspruch Thobis
nicht wahrzunehmen, dem sie mit einem Wort Milan Kunderas Ausdruck verlieh:
"Der Menschen Kampf gegen die Macht ist der Kampf der Erinnerung gegen das
Vergessen." Unmöglich, auf Anhieb alle Namen zu behalten, die da im Laufe
des Abends in Text, Bild und Lied lebendig werden, aber ebenso unmöglich,
nicht berührt zu sein von der Expressivität der Stimme, von den Geschichten
und der zumeist leidvollen Geschichte, die sich mit jedem Gesicht verbindet.
Nizza Thobi spannt einen weiten Bogen von den
Ghettos von Wilna und Warschau zum heutigen Israel. Sorgsam erläutert sie
ihrem Publikum in Deutsch und Englisch die Liedtexte und lässt scheinbar
nüchterne Informationen einfließen, die die immer noch unfassbaren
Dimensionen des Grauens der NS-Zeit ein wenig greifbarer machen. So, wenn
sie das Wiegenlied von "S'dremlen fejgl" singt. Lea Rudnitzky schrieb dies
im Wilnaer Ghetto für ein dreijähriges Kind, das dem Massenmord entging,
aber seine Eltern verlor. Sie selbst wurde im September 1943 von der Gestapo
gefasst und nach Majdanek deportiert, wo sie verbrannt wurde.
Oder wenn der Dichter in "Gehat hob ich a
hejm" völlig fassungslos vor den brutalen Geschehnissen im Ghetto Podgorze
steht, weil er doch gar nichts hatte, was ihm wegzunehmen sich für seine
Feinde gelohnt hätte.
Geradezu tröstlich wirkt dagegen die
Geschichte "A chasn ojf schabes", die von der Wahl einen jungen Kantors
durch einen Schneider, einen Hufschmied und einen Fuhrmann berichtet.
Ihre tiefe Liebe zu ihrem Heimatland Israel
zeigt die Wahlmünchnerin Nizza Thobi zudem auch mit Liedern der israelischen
Volksdichterin Rachel Bluwstein und der Partisanin Hannah Senesch, mit
Bildern aus Jerusalem und aus der Wüste und indem sie fast nebenbei das
Publikum auffordert: "Support Israel".
haGalil onLine 13-08-2001 |