Diplomatische Intifada
Die Mehrheit der teilnehmenden Staaten und NGOs
will aus der UN-Konferenz gegen Rassismus in Durban einen
antizionistischen Weltkongress machen.
Von Arne
Behrensen
Djihad in Durban: Beim Thema Rassismus denken nicht nur
arabische Diktatoren zuerst an Israel. NGO-Funktionäre wetteifern bei
den Vorbereitungen für die UN-Konferenz in Durban mit Vertretern
islamischer Staaten um die schärfsten antizionistischen Formulierungen.
Proteste kamen fast nur von jüdischen Organisationen. Die vorbereiteten
Resolutionen legitimieren antisemitische Positionen, die sich in der
arabischen Welt als kultureller Code durchsetzen könnten.
Mehr als 10 000 Vertreter von Regierungen, der Uno und allerlei NGOs
werden erwartet. Vom 31. August bis zum 7. September findet in Durban
die dritte UN-Weltkonferenz gegen Rassismus statt.
Die Mehrheit der Regierungen und die NGO-Community haben sich als
Hauptfeind Israel auserkoren. Nach jahrelangen Vorbereitungen einigte
sich eine Gruppe von 21 Staaten unter dem Vorsitz Südafrikas Anfang Juli
auf einen gemeinsamen Entwurf für die Abschlusserklärung. Spätestens
dieser am 5. Juli veröffentlichte Entwurf machte klar, dass die
Konferenz zu einem Fanal gegen Israel werden soll (Jungle World, 33/01).
Die den Holocaust relativierenden und antisemitischen Formulierungen wie
der Vorwurf, dass der Zionismus »auf rassischer Überlegenheit basiert«,
stehen in Klammern, d.h. sie sind nicht Konsens. Doch Israel ist der
einzige Staat, der auf Betreiben der arabischen Staaten und mit breiter
Unterstützung aus der so genannten Dritten Welt in Durban öffentlich
verurteilt werden soll. Damit erreicht der traditionell in der Uno
dominierende antisemitische Antizionismus vor dem Hintergrund der so
genannten Al-Aqsa-Intifada einen neuen Höhepunkt.
Die antiisraelischen Positionen der Uno gehen auf die fünfziger Jahre
zurück. Damals suchte die Sowjetunion das Bündnis mit den arabischen
Staaten und schwenkte auf einen agressiv-antizionistischen Kurs um.
Israel verbündete sich mit den USA, um den Bestand des jüdischen Staates
und das Überleben seiner Bürger zu gewährleisten. Die eher
anti-amerikanischen als antiimperialistischen nationalen
Befreiungsbewegungen sahen deswegen im Kampf gegen Israel ein
gemeinsames Ziel. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit verurteilte 1975 in der
UN-Generalversammlung schließlich den Zionismus »als eine Form des
Rassismus«.
Nach der Aufnahme von Verhandlungen zwischen Israel und der PLO schien
sich der strukturelle Antisemitismus in der Uno abzuschwächen. 1991 hob
die Generalversammlung die Resolution von 1975 auf. Auf das Scheitern
des Friedenprozesses in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre folgten
jedoch wieder einseitige Verurteilungen durch Uno-Institutionen. Weil
die antisemitische Formel Zionismus gleich Rassismus in der
Durban-Vorbereitung wieder debattiert wurde, kündigte die US-Regierung
Anfang August an, ihre Teilnahme an der Konferenz zu überdenken.
Die USA haben jedoch noch ein anderes Problem mit Durban:
Afroamerikanische Organisationen und afrikanische Staaten fordern eine
deutliche Entschuldigung für den Sklavenhandel und die Sklaverei oder
gar - angeregt vom Vorbild der NS-Zwangsarbeiterentschädigung -
Reparationszahlungen. Da das eine teure Angelegenheit werden könnte,
wollen sowohl die USA als auch die EU eine Debatte darüber unbedingt
vermeiden. Stattdessen soll die Konferenz allein den aktuellen Rassismus
und erzieherische Gegenmaßnahmen thematisieren. Staaten der so genannten
Dritten Welt und NGOs dagegen fordern, Rassismus in einer historischen
Perspektive zu diskutieren. Dass nicht zuletzt Sklaverei und
Kolonialismus die Ursachen der ungleichen Verteilung des Reichtums in
der Welt waren, soll nicht ausgeklammert werden. Die gleichen Staaten
und Organisationen orten meist den Rassismus und Kolonialismus heute
jedoch vorrangig in Israel.
Während bei der Frage der Sklaverei eine diplomatische
Kompromisserklärung in Sicht ist, die nach Auskunft des
stellvertretenden südafrikanischen Außenministers Sipho Pityana »einer
Entschuldigung nahe kommt«, eine finanzielle Haftung der Europäer und
der USA aber ausschließt, gibt es beim Thema Zionismus zum Glück keine
Zugeständnisse der USA. Verantwortlich für die Ausrichtung der Konferenz
ist die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson. Sie hat
sich zwar wiederholt gegen eine Rückkehr zur Zionismus gleich
Rassismus-Formel ausgesprochen, unterbreitete sie einen
Kompromissvorschlag, der fordert, die palästinensischen Beschwerden
anzuerkennen, die Sicherheitsbedürfnisse Israels aber werden nicht
anerkannt.
Nur von wenigen wird in Frage gestellt, dass der Konflikt zwischen
Israelis und Palästinensern überhaupt auf einer Konferenz gegen
Rassismus verhandelt werden soll. Und als rassistisch denunziert wird
immer nur eine Konfliktpartei: Israel. Pityana verkündete nach der
Genfer Vorbereitungskonferenz, dass einer Einigung nichts mehr im Wege
stehe, da die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus zurückgenommen
wurde. Tatsächlich ist das jedoch nur ein propagandistischer Schachzug
im Rahmen der traditionellen ANC-PLO-Solidarität, um den USA und Israel
Kompromisslosigkeit vorzuwerfen und antisemitische Positionen unter
einem anderen Label durchzusetzen.
Denn die Islamische Konferenz mit ihren 57 Mitgliedsstaaten hatte ein
Papier eingebracht, in dem der Begriff Zionismus nicht mehr vorkommt.
Stattdesen ist von »rassistischen Praktiken der Besatzungsmacht« Israel
die Rede. Die den Holocaust relativierenden und
antizionistisch-antisemitischen Formulierungen blieben jedoch erhalten.
Die USA und Israel haben das Papier zurückgewiesen und werden noch
entscheiden, ob sie in Durban teilnehmen. Die EU-Staaten teilen zwar
offiziell die Kritik an der Verurteilung Israels, Belgien als
EU-Vertreter trat allerdings sehr zurückhaltend auf und die Teilnahme
der EU-Staaten steht nicht zur Debatte.
Der seit einiger Zeit bei UN-Konferenzen unvermeindliche parallele
NGO-Gipfel wird vor der Staatenkonferenz stattfinden. Im letzten Entwurf
einer gemeinsamen Abschlusserklärung der internationalen NGO-Community
sind die antisemitisch-antizionistischen Attacken noch heftiger als bei
dem Entwurf der Staaten (siehe Seite 7). Eine Presseerklärung des Simon
Wiesenthal Centers erklärte zurecht, dass dieser Entwurf »die Zerstörung
des jüdischen Staates« fordert. Den 1. September, den Gedenktag für den
von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs, wollen die NGOs zum
»Internationalen Solidaritätstag für das palästinensische Volk«
umwidmen.
In Südafrika mobilisieren bereits Organisationen vom ANC bis zur South
African NGO Coalition, die den Gipfel ausrichtet, für den 1. September.
Bei der Demonstration, die ein Sprecher der South African NGO Coalition
als »die Mutter aller Märsche« bezeichnete, soll gegen »Rassismus,
Zionismus und Xenophobie« protestiert werden. Am letzten Donnerstag
griffen der Congress of South African Trade Unions, die South African
Communist Party und die South African National Civics Organisation in
einem Memorandum die US-Regierung wegen ihres möglichen Boykotts der
Konferenz scharf an: »Der Kampf gegen zionistischen Rassismus und eine
wirksame Behandlung der Reparationsfrage sind Teil des Kampfes der armen
und arbeitenden Menschen überall auf der Welt gegen kapitalistische
Globalisierung«. Bei der Übergabe des Schreibens demonstrierten 3 000
Menschen vor der US-Botschaft in Pretoria gegen die »israelische
Apartheid«.
Unter den NGOs gibt es kaum öffentlichen Widerspruch gegen die radikale
Israelfeindschaft. Deutschen NGOs wie dem Forum Menschenrechte, einem
Zusammenschluss von 40 deutschen Organisationen, darunter amnesty
international, Pro Asyl, der DGB und die Caritas, sind die
NGO-Textentwürfe zwar eher peinlich, doch sie üben sich wie die deutsche
Presse, die Bundesregierung und die EU-Staaten in vornehmer
Zurückhaltung. Öffentlicher Protest bleibt auch diesmal jüdischen, vor
allem amerikanisch-jüdischen Organisationen vorbehalten. Teilweise rufen
sie, wie die Anti-Defamation League, nun die US-Regierung zum Boykott
der Konferenz auf, was sich als das einzige wirkungvolle Druckmittel
erwiesen hat.
Dabei stecken sie in dem Dilemma, jenes antisemitische Rezeptionsmuster
zu bedienen, das in den USA eine von Juden dominierte Macht sieht. Der
Sprecher der jüdischen NGOs bei der Weltkonferenz, Shimon Samuels vom
Simon Wiesenthal Center, ruft die jüdischen NGOs deswegen auf, in Durban
die »diplomatische Intifada« zu bekämpfen. Das Bemühen dürfte vergeblich
sein. Die Erfolglosigkeit jüdischer Aufklärungsversuche gegen den
Antisemitismus war eine der zentralen Ursachen für das Entstehen der
zionistischen Bewegung. Nun erweist sich einmal mehr, dass die
Staatsbildung Israels antisemitische Stereotypen nicht, wie seine
Gründer hofften, aufgehoben, sondern nur transformiert hat.