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Ende Juli 2001 soll in Berlin eine einwöchige Schulung für Judenmissionare stattfinden. Unter der Bezeichnung STEP = Sommer Trainings- und Evangelisationsprogramm wollen "in der Judenmission Erfahrene und Bewährte Kenntnisse zu vermitteln, die das christliche Zeugnis den Juden gegenüber effektiver machen werden".

Bei haGalil onLine kann dies nur bedeuten, dass wir uns in der nächsten Zeit noch mehr als bisher schon mit christlichem Antijudaismus im weitesten Sinn sowie den Praktiken der Judenmission auseinandersetzen werden.

Die Herrnhuter Losungen - eine Problemanzeige
oder ein Lehrstück über antijudaistische Strukturen im Alltag ?

Die Herrnhuter Losungen gibt es seit 275 Jahren. Ihre Entstehung geht auf die Herrnhuter Brüdergemeine, eine evangelische Freikirche, die von Graf Nikolaus von Zinzendorf gegründet wurde, zurück. Diese Kirche war die wichtigste Säule der protestantischen pietistischen Bewegung des 18. Jahrhunderts in Deutschland. Die Losungshefte im Postkartenformat erscheinen in 47 Sprachen von Afrikaans, Deutsch, Englisch, Russisch bis Zulu und haben eine verkaufte Auflage von über einer Million. Von unzähligen Menschen - hauptsächlich innerhalb der protestantischen Kirchen - werden sie täglich gelesen und sind so prägend für den Alltag zahlreicher Christen

„Losungen" bedeutet, daß für jeden Kalendertag ein Satz aus dem Tenach ausgelost wird und zwar aus einem Pool von 1780 Sprüchen. Diesem Vers wird dann ein Satz aus dem Neuen Testament zugeordnet. Die Auswahl wird von einigen Theologen getroffen. Wie problematisch diese Zuordnungen zum großen Teil sind, weil hier im Alltag antijudaistische Muster transportiert werden ohne daß explizit von Juden oder Judentum die Rede ist, hat Pfarrer Peter Wagner einer Untersuchung unterzogen und uns zum Veröffentlichen zur Verfügung gestellt. Er schreibt:

Seit 1860 ist man dazu übergegangen, dem Losungswort einen neutestamentlichen Vers als sogenannten Lehrtext „dazu passend" hinzuzufügen. Bei der Zuordnung der Lehrtexte wird der Tenor des Losungsworts aufgenommen, z.B. in einem Stichwortverfahren. Die alttestamentliche Losung wird auf diese Weise durch das neutestamentliche Wort interpretiert. Aber schon in der Auswahl der alttestamentlichen Verse, die ins Losverfahren einbezogen wurden, liegt bereits eine Akzentuierung biblischer Aussagen, in der Regel unter soteriologischen und paränetischem Aspekt.

(Anmerkung: Soteriologie: Die Lehre von der Erlösung des Menschen; Paränese: Ermahnung)

Die Interpretation der Losung durch den neutestamentlichen Lehrtext erhält eine zusätzliche Schubkraft dadurch, daß alle Verse aus ihrem Kontext herausgelöst sind und damit einer isolierten, möglicherweise willkürlichen Auslegung stärker ausgeliefert sind.

Die Herausgeber kennen die Problematik der Isolierung einzelner Verse und empfehlen daher, die jeweiligen Bibeltexte in ihrem Zusammenhang zu lesen. Doch wie häufig mag das in der täglichen Praxis geschehen?
Pfarrerinnen und Pfarrer, die bisher die Losungen in der Biblia Hebraica und im Novum Testamentum Graece nachschlugen, also im Kontext lasen oder lesen konnten, können seit 1995 auch eine Urtext-Ausgabe der Losungen kaufen: Eine gut gemeinte, im Sinne jener Empfehlung jedoch kontraproduktive Neuerung!

Das eigentliche Problem, dem es nachzugehen gilt, liegt aber in dem Verfahren, mit dem die neutestamentlichen Aussagen den alttestamentlichen zugeordnet werden.

Aus dem Losungsbuch 1994 seien als ein beliebig ausgewähltes Beispiel die Tage vom 6. bis 12. November 1994 vorgestellt.
Es lassen sich vier verschiedene Interpretations-Muster der Zuordnung alttestamentlicher und neutestamentlicher Texte erkennen. Sie können unter Umständen auch kombiniert auftreten:

Die Aussagen von AT und NT werden verstanden als:

1. Synonyme Aussagen: Beide Texte sagen auf ihre Weise dasselbe (a=b)

7.11.94, 10.11.94; 11.11.94

2. Synthetische Aussagen: Die Aussage des NT sagt mehr, überbietet das AT (a<b)

6.11.94: Verheißung und Erfüllung;
8.11.94: Leben - ewiges Leben
12.11.94: Bitte um Erhörung (Elia) und Erhörung (Jesus)

3. Definitorische Aussagen: Die Aussagen des NT definieren die des AT in christologischem Sinn (a ist wahr durch b)

8.11.94 und 12.11.94

4. Antithetische Aussagen: Die Aussage des NT überwindet die Aussage des AT (a ist überholt durch b).

9.11.94: Psalm 2: Gesetz Mose contra Vergebung durch Jesus; Gesetz / Evangelium

Dies sind die Texte zum Vergleichen:

6. November:

Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst, und Heiden, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des Herren willen. Jesaja 55,5

Während Petrus noch diese Worte redete, fiel der heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten. Und die gläubig gewordenen Juden, die mit Petrus gekommen waren, entsetzten sich, weil auch auf die Heiden die Gabe des heiligen Geistes ausgegossen wurde. Apostelgeschichte 10,44-45

Das „Du" bei Jesaja meint wahrscheinlich das angeredete Volk Israel. Außerdem ist der Vers gekürzt. Das fehlende Stück lautet: „... um des Herren willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat."
Die Lesergemeinde wird aufgrund dieser Kürzung und durch den Lehrtext dazu gebracht, „Herr" auf Jesus Christus zu beziehen und so die Kombination beider Texte im Schema von Verheißung und Erfüllung zu verstehen, ohne hinreichenden Textgrund.

7. November:

Ich bin euer Tröster! Wer bist du denn, daß du dich vor Menschen gefürchtet hast, die doch sterben. Jesaja 51,12

Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. 1 Petrus 3,15


Synonyme Aussagen: In beiden Texten wird der Menschenfurcht gewehrt. Uns wird gesagt: Auch Menschen, die uns bedrängen sind endlich wie wir und haben es nötig zu hören: Gott kommt!

8. November:

Behalte meine Gebote, so wirst du leben und hüte meine Weisung wie einen Augapfel. Sprüche 7,2

Jesus spricht: Das ist der Wille meines Vaters, daß, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, das ewige Leben hat. Johannes 6,4


Die vielfältige Wahrheit der Weisung Gottes (Tora), wie sie die hebräische Bibel bezeugt, wird durch den Lehrtext konzentriert auf die Person - Wahrheit Jesu Christi. Leben und ewiges Leben werden einander gegenübergestellt. Die Leserinnen und Leser, die nicht ins Bild gesetzt sind, daß „ewiges Leben" (im Talmud: Olam haba) gebräuchliche Redeweise zur Zeit Jesu und des Johannes gewesen ist, werden irrigerweise in dieser Redewendung das christlich Neue vermuten.
Definitorische Aussage im Schema der Überbietung.

9. November:

Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern. Psalm 22,23

Paulus sprach: So sei euch nun kundgetan, liebe Brüder, daß euch durch Jesus Vergebung der Sünden verkündigt wird; und in all dem, worin ihr durch das Gesetz des Mose nicht gerecht werden konntet, ist der gerecht gemacht, der an ihn glaubt. Apostelgeschichte 13,38-39


Psalm 22 lobt Gott, der über den Lobgesängen Israels thront. Er hört den Elenden, der zu ihm schreit, und er reißt ihn heraus. Der Psalmvers ist über das Stichwort „kundtun" mit dem Zitat aus der Apostelgeschichte verbunden. Der Gegensatz „Gesetz des Mose" und „Vergebung durch Jesus" hat mit Psalm 22 nicht zu tun. Die Bearbeiter des Lehrtextes mögen an die Bedeutung des Psalms für die Passionsgeschichte Jesu gedacht haben. Sie haben dabei aber den zweiten Teil des Psalms übersehen, der von Vers 23 bis Vers 32 reicht und Gottes rettendes Handeln lobt, das keiner ergänzenden Überhöhung bedarf. Antithetische Aussagen ohne Anhalt am alttestamentlichen Text.

(Anm. d. Red:: Die christliche Tradition geht davon aus, daß Jesus am Kreuz Psalm 22 gebetet hat)

10. November:

Rosse helfen nicht; da wäre man betrogen; und ihre große Stärke errettet nicht. Siehe, des Herrn Auge achtet auf alle, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen. Psalm 33,17-18

Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Matthäus 5,3

Beide Texte sagen auf ihre Weise das Gleiche, indem sie dazu anleiten, Gott und Mensch zu unterscheiden. Synonyme Aussagen.

11. November:

Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten zurechtweisen, damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich ladest. 3 Mose 19,17

Wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, daß du nicht auch versucht werdest. Galater 6,1


Synonyme Aussagen mit ermahnendem Charakter.

12. November:

Erhöre mich, Herr, erhöre mich, damit dies Volk erkennt, daß du, Herr, Gott bist und ihr Herz wieder zu dir kehrst! 1 Könige 18,37

Jesus sprach: Vater, ich danke dir, daß du mich erhört hast. Ich weiß, daß du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sage ich`s, damit sie glauben, daß du mich gesandt hast. Johannes 11,41-42

Die Verknüpfung der beiden Texte beruht in dieser Form der Darbietung auf dem Gegenüber von Bitte um Erhörung im 1. Buch Könige einerseits und von Erhörung im Johannesevangelium andererseits. Dies ist nur unter Mißachtung des Kontextes möglich; denn die Elia-Geschichte vom Gottesurteil auf dem Karmel, die in 1 Könige 18 erzählt wird, ist ebenfalls die Geschichte einer Gebetserhörung.
Also: Synthetische und definitorische Aussage ohne Textgrund.

Das Losungsbuch bietet mehr als nur kurze Texte der Bibel, es interpretiert sie zugleich durch ihre Zusammenstellung. Problematisch sind die Interpretations-Muster zwei, drei und vier:

2: synthetische Aussagen,
3: definitorische Aussagen
4: antithetische Aussagen.

In dem hier vorgestellten Ausschnitt vom 5. bis 12.11.1994 erwiesen sich diese Interpretationen als nicht textgemäß. Sie sind aus einem Vorwissen heraus an die Bibeltexte herangetragen worden und wurden nicht aus ihnen selbst gewonnen.

Es kann nicht der Sinn der Losungen sein, die Lesergemeinde im Gebrauch der gewohnten Klischees der Schriftauslegung zu bestärken, denen zufolge das Alte Testament etwas Vorläufiges, eine in vielen Teilen mehr oder weniger dunkle Folie für das Neue Testament sei.

Das Anliegen der Losungen - wie des Schriftgebrauchs im Gottesdienst - müßte sein, das Bibelwort unverstellt zur Geltung kommen zu lassen, also deutlich zu machen, daß es in beiden Teilen der Bibel, im Alten und im Neuen Testament, um Verheißungen und Erfüllungen geht, um Gebot und Gnade, um Vorläufiges und Endgültiges, um Partikulares und Universales, um Leibliches und Geistiges.

Bei den Losungen wäre es durchaus denkbar, dem Beispiel des Grafen Nikolaus von Zinzendorf, zu folgen und wieder allein alttestamentliche Lesungen für den Tag auszuwählen - vielleicht in wöchentlichem oder monatlichem Wechsel mit Abschnitten aus dem Neuen Testament.

Erstmals erschienen in: Panu Derech, Bereitet den Weg, Band 14, jüdische Wurzeln des christlichen Gottesdienstes, Detmold 1997; S 19-27

Der Autor lebt als evangelischer Pfarrer im Ruhestand in Detmold. Er ist in der „solidarischen Kirche" für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung engagiert. Außerdem ist er Mitglied in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und hat mehrere Schriften zu Themen des christlich-jüdischen Dialogs publiziert, u.a. eine biographische Skizze zu Leopold Zunz.

Sollen Christen Juden missionieren?

haGalil onLine 24-06-2001

 

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