Boker tow - Iran!
Überraschende Ausbrüche von
Homophobie
Obwohl der Staat Israel heute weltweit
zu den Vorreitern in Sachen Gerechtigkeit und Gleichstellung für Schwule und
Lesben zählt, kam es in den letzten Tagen mehrfach zu Beleidigungen, Hetzreden
und Übergriffen. Abgeordnete der sefardisch-fundamentalistischen Shas-Partei
versuchten in der Kneseth Redebeiträge liberaler Politiker zur schwul-lesbischen
Gleichberechtigung niederzubrüllen.
"Homosexuelle sind Kranke, die Behandlung
benötigen", rief Nissim Ze'ev, Knessetmitglied der
Shas-Partei. "Die haben einen Defekt und brauchen Behandlung um das zu
ändern". Ze'ev sagte, die Anerkennung homosexueller Rechte durch die Knesset
bringe Schande über Israels Legislative. "Homosexuelle zu akzeptieren ist eine
Katastrophe für die Gesellschaft". Einige ShaS-Vertreter forderten eine Änderung
der religiösen Gesetzgebung: Eltern sollen in Zukunft für ihre homosexuellen
Kinder Schiw'a sitzen.
Yael Dayan ist schon seit
Jahren eine der prominentesten Befürworterinnen der
Gleichberechtigung sexueller Minderheiten. Letzte Woche organisierte
sie in der Kneseth eine Feierstunde zum 25. Jahrestag der
israelischen Vereinigung für Schwule und Lesben (Agudah). Während
der Veranstaltung entfaltete sie die Regenbogenfahne.
Zwei Tage vor der Veranstaltung wurden
auf die Mauern von Yael Dayans Haus Parolen gesprüht: 'Homos geht nach Hause'
war in roter Farbe zu lesen. "Ich habe schon in der Vergangenheit Drohanrufe
erhalten", sagte Dayan, Tochter des legendären Generals Mosheh Dayan,
"aber das ist das erste Mal, dass meine Privatsphäre verletzt wurde". Dayan
unterrichtete die Polizei über den Vorfall, hat aber nicht um permanenten
Polizeischutz gebeten.
Nach zahlreichen Hetzreden
fundamentalistischer Politiker fanden nur noch wenige Volksvertreter die
Zivilcourage zur Teilnahme an der Jubiläumsfeier in der Kneseth. Neben Dayan
nahmen nur Mitglieder der Fraktionen von Shinuj und Meretz teil. Zehava Gal-on
(MeReZ) meinte, jene, die Homosexuelle angreifen, seien 'unaufgeklärt' und
hätten Angst vor jedem Kontakt mit Homosexuellen. Diese Angst ist am
allergrößten bei denen, die ihre eigenen homosexuellen Anteile verleugnen und
sich aufgrund ihrer eigenen Unsicherheit bedroht fühlen.
Michal Eden, Sprecherin der Tel-Aviv
Munizipalität, hält Ze'evs Aussagen für gefährlich und befürchtet, sie könnten
zu Depression und (G'tt behüte) Selbstmord bei Jugendlichen führen. Laut Eden
(MeReZ) passen Ze'evs Ansichten eher in den Iran als nach Israel.
[SOUND]
[Text zum Sound]
Da sich die ShaS-Partei als eine
religiöse Bewegung sieht und auch der Schlagersänger Arie
Silber sich auf die religiöse Tradition beruft, sollten deren Aussagenkurz
im religiösen Kontext betrachtet werden.
Interessant ist, dass sich
bisher nur die National-Religiöse Partei in Israel zur
Gleichberechtigung Homosexueller eindeutig feindlich verhalten hat.
Die übrigen religiösen (ultra-orthodoxen) Parteien haben sich zum
Thema kaum geäußert. Sie sehen aus verschiedenen Gründen keinen
dringenden Handlungsbedarf und verweisen darauf, dass entsprechende
Passagen der Lehre (Torah) "himmlisches Gesetz" seien - in der
Praxis heißt dies, man könne die Beurteilung in aller Ruhe dem
Himmel überlassen.
Grundsätzlich gilt, dass man
die Verfehlung durch homosexuelle Praktiken nicht schärfer bewerten
darf, als Verstöße gegen andere Gebote der Überlieferung, wie z.B.
Shabath und Kashruth. Wobei etliche rabbinische Autoritäten die
jüdische Gemeinschaft durch Nichtbeachtung der Gebote und Verbote
zum Schabath oder auch der Vorschriften zum sozialen Handeln sehr
viel stärker belastet sehen.
Trotzdem, die meisten
Rabbiner gehen davon aus, dass homosexuelle Praktiken von der Torah
nicht erlaubt sind - genauso wenig wie eben das Essen eines
Cheeseburgers oder das Autofahren am Schabath.
Andere Deutungen gehen
weiter. Sie meinen, die beiden wichtigsten Bibelverse, die eine
jüdische Verurteilung der Homosexualität begründen, seien keineswegs
so eindeutig verständlich, wie sie vielen erscheinen.
Wenn wir lesen: „Du sollst
nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; ein
Gräuel ist das." (Wajjikra/Lev 18, 22). Oder: „Wenn ein Mann mit
einem Mann schläft wie mit einer Frau - ein Gräuel haben beide
verübt, sterben, ja sterben sollen sie, ihr Blut über sie!" (ebd 20,
13), so meinen manche Kommentatoren, der Zusammenhang, in dem die
Verse stehen, lege die Deutung nahe, es handle sich hier um ein
Verbot der einst in der heidnischen Umwelt blühenden
Tempelprostitution. Die Homosexualität im heutigen Sinn sei hier gar
nicht gemeint.
Respekt vor allen Menschen ist Achtung
vor G'tt
Wie dem auch sei: Viele
Gesetzeslehrer, so z.B. Rabbi Ben Asaj in Sifra Kedoschim II,4,12,
sehen in der Aussage, dass jeder Mensch, d.h. jeder Mann und jede
Frau, nach dem Bild und Entwurf Gottes geschaffen ist, die
zentralste aller Aussagen der heiligen Lehre (Bereschit/Genesis 1,
27).
Im Brief des RaMBaN an seinen
Sohn lesen wir, die Missachtung eines Menschen sei eine Empörung
gegen G'tt, den Erschaffer aller Menschen: "Wer sich im Herzen über
die anderen erhebt, der empört sich gegen die Herrschaft G'ttes".
Prof. Dr.
Felice-Judith Ansohn,
Medizinerin und Historikerin, betont im Essay "Juden
und Homosexualität", dass dies auch für den homosexuellen
Menschen, Mann wie Frau, gelte. Daraus folge, dass man
Homosexualität nicht mehr als "widernatürlich" diffamieren dürfe.
Wenn wir von "Homosexualität"
reden, müssen auch anthropologische, psychosoziale und kulturelle
Zusammenhänge berücksichtigt werden. Ansohn
schreibt: "Der Einwand, Homosexualität sei 'gegen die menschliche
Natur', hält einer Prüfung im Licht heutiger sexualkundlicher
Erkenntnisse ebenso wenig stand wie die Behauptung, es handle sich
um eine Krankheit.
Letztere Ansicht wurde gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts (von Krafft-Ebing 1893) zuerst
vertreten. Heute wissen wir, dass es eine einzige, 'natürliche' Form
menschlicher Sexualität nicht gibt und nie gegeben hat. Immer hat es
nicht nur viele Varianten sexuellen Verhaltens gegeben, sondern auch
fließende Übergänge von einer Variante zur anderen in ein und
demselben Menschen, nacheinander wie nebeneinander.
Die Auffassung von der
Homosexualität als einer krankhaften Abirrung der
Geschlechtlichkeit, hilft niemandem, sie beleidigt nur. Nicht die
Homosexuellen bedürfen der Heilung, sondern die Homophoben, hinter
deren starren, tief verwurzelten Vorurteilen sich Verdrängungen
eigener lustvoller Wünsche verbergen".
Prof. Ansohn sieht in der
jüdischen Tradition durchaus die Möglichkeit zu einem selbstbewußten
homosexuellen und jüdischen Leben. Wichtig sei es allerdings, dass
jüdische Schwule und Lesben nicht allein bleiben, sonst bestehe die
Gefahr "den Zusammenhang mit allem, was unser Jüdischsein tragen,
stärken und befruchten kann, zu verlieren".
Diesem Ansatz folgte auch die
vor 25 Jahren gegründete "Agudah", und auch die Gründung von
"Yachad", der Vereinigung schwuler, lesbischer und bisexueller
Jüdinnen und Juden in Deutschland, folgt diesem Konzept. Dass die
Situation in Deutschland eine viel schwierigere als z.B. in Israel
oder auch den USA ist, liegt an den Problemen jüdischen Lebens in
Deutschland überhaupt.
Trotzdem meint Ansohn:
"Gruppen jüdischer Schwuler und Lesben sollten wir überall bilden -
um miteinander zu lernen, einander zu ermutigen und Freude zu
schenken, und um als Gruppe gestärkt auch in den Gemeinden unser
Daseinsrecht einzufordern. Das können wir nur, wenn wir viele werden
und aus der Anonymität herauskommen. Die Anfänge sind da und dort
schon gemacht".
Dass diese Solidarität auch
international klappt und ausgebaut werden kann und soll, zeigt eine
europäisch-israelische Konferenz, die im Juni in München
stattfinden wird.
Aviv Gefen
[
Boker tow, Iran!]
Hauptsache Schagzeilen?
Arie Silber
bringt sich mit schrillen Tönen in's Gespräch
Buchtip: Lee Walzer
Between Sodom and Eden
A Gay Journey Through Today's
Changing Israel
New York: Columbia University Press
2000
ISBN: 0-231-11395-1
haGalil onLine
01-04-2001 |