Obwohl die
ShaS-Partei in kurzer Zeit zur drittstärksten Partei in Israel
aufgestiegen ist, gibt es bisher keine umfassende wissenschaftliche
Aufarbeitung der Parteigeschichte in deutscher Sprache. Diesen
Mangel möchte Felix Gregor Neugart mit einer Arbeit beheben, die auf
empirischen Forschungen für seine Diplomarbeit an der Freien
Universität Münster beruht.
Neugart hat sich zwei Ziele gesetzt. Zum einen soll das Buch eine
Informationsgrundlage bieten, die bisher in deutsch noch nicht
erhältlich war. Zum anderen wird der Aufstieg der ShaS-Partei durch
ein Mobilisierungsmodell erklärt und dadurch in die
wissenschaftliche Diskussion integrierbar.
Ergebnis ist eine sehr trockene, fast blutleere Studie über die
heftigst umstrittene orthodoxe Partei, die sich vor allem um die
negativen Seiten der ShaS-Parteipolitik herumdrückt.
Dennoch bietet das Buch wertvolle Grundinformationen für alle
diejenigen, die über die gesellschaftliche Zusammensetzung und die
daraus entstandenen Konflikte in Israel wenig Bescheid wissen.
Neugart klärt die Begriffe der einzelnen Gruppen - Aschkenasim,
Sephardim -, stellt sie in den historischen Kontext und thematisiert
die sozio-ökonomische Kluft zwischen europäischen und orientalischen
Juden und die kulturelle Diskriminierung der Misrachim.
Auf dieser Basis stellt Neugart den Aufstieg der ShaS-Partei dar,
der als "Aufstand der Misrachim" mit der Aufstellung eigener
religiös-ethnischer Listen für die Kommunalwahl 1983 begann. ShaS
konnte vor allem die orientalischen Unterschichten mobilisieren und
erreichte die besten Wahlergebnisse in den Entwicklungsstädten, wo
sie teilweise zur stärksten Partei wurde.
Nur relativ kurz geht Neugart auf den problematischen Umgang von
ShaS mit tagespolitischen Themen ein, wie etwa die Erklärung des
ehemaligen ShaS-Innenministers Jizchak Chaim Perez, der den Tod von
Schulkindern bei einem Busunglück mit dem Betrieb eines Kinos am
Shabbath erklärte.
Die empirische Auswertung von parlamentarischen Abgeordneten der
Partei in der Knesseth gibt zwar durchaus einen Überblick über die
Hauptschwerpunkte von Shas (53% der Fragen sind aus dem religiösen
Kernbereich, dagegen betreffen nur 5% Sicherheit und die besetzten
Gebiete), wäre aber durch den Vergleich mit anderen Parteien weitaus
informativer.
Auch die Auseinandersetzungen der ShaS mit der Justiz werden nur
kurz behandelt, obwohl der Prozeß gegen Arie Deri chaosartige
Zustände ausgelöst hat. Neugart stellt jedoch ausführlich die
Reaktionen und Erklärungsmodelle der Partei und ihrer Anhänger im
Umgang mit den Justizermittlungen dar: ShaS instrumentalisierte die
Anklage als Diskriminierung, Rassismus und Verfolgung von Misrachim
und Charedim.
Tatsächlich stehen die Kampagnen der Partei im krassen Gegensatz zu
den politischen Taten, die von den Gegnern von ShaS beispielsweise
als pure Erpressung bezeichnet werden. So zitiert Neugart einen
Wahlredner: "Ich glaube nicht, daß Schas eine Partei ist. Ich
habe die Großen (Rabbiner) Israels gefragt, ob ich auf ihren
Versammlungen sprechen soll, und sie haben gesagt, dass das eine
gute und wünschenswerte Sache ist, weil die Leute, die am Kopf der
(Wahl-) Liste stehen, rein (kasher) und ehrlich sind, und sie haben
kein Interesse, einen Standpunkt in der Politik einzunehmen."
ShaS sieht sich nicht als Partei, sondern als religiöse Bewegung.
Kann aber eine religiöse Bewegung Politik machen? Diese Frage stellt
sich Neugart nicht, was ihm auch nicht zum Vorwurf gemacht werden
kann. Denn diese Frage erhitzt die Gemüter in Israel und treibt
tiefe Gräben in die Gesellschaft.
haGalil onLine
30-03-2001 |