"Der antisemitische Wind weht uns eiskalt ins Gesicht", sagte
Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden, gestern in einer
Bilanz seines ersten Amtsjahres. Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit hätten ein "extrem bedrohliches Maß" erreicht.
Anschläge auf Synagogen und Friedhöfe sowie rassistische Überfälle seien "keine
Lausbubenstreiche, sondern schwerste Verbrechen". So müsse man sie auch
verfolgen: "Meist passiert dies auch, aber eben nicht immer."
Diese Erfahrung machte auch das Cottbuser Ehepaar, das in der Neujahrsnacht von
grölenden Unbekannten in Todesangst versetzt wurde. Aus Furcht vor weiteren
Attacken, wenn der Vorfall bekannt würde, wollten die beiden den Gang zur
Polizei zunächst vermeiden. Als sie die Morddrohungen zur Anzeige brachten,
stellte ihnen ein Polizeibeamter "Schutzhaft" in Aussicht.
Die Cottbuser Polizei und das Brandenburger Innenministerium haben sich
inzwischen entschuldigt. Das Aktionsbündnis gegen rechte Gewalt hat für Sonntag
einen Mahngottesdienst und einen Demonstrationszug zum früheren Standort der
niedergebrannten Synagoge organisiert. Doch die Angst des 72-Jährigen Sohns
eines jüdischen Nazi-Opfers wird bleiben.
Der Märkischen Allgemeinen Zeitung berichtete er jetzt von seinen Erinnerungen
an die Pogromnacht 1938, als sein Vater von Nazi-Schergen in "Schutzhaft"
genommen wurde. Der Vater und fast alle seiner jüdischen Verwandten wurden
getötet. Da ist aber auch der Anblick von Männern "mit Glatzköpfen,
Springerstiefeln, Bomberjacken und Hunden", die in letzter Zeit immer wieder an
seinem Haus vorbeizogen und etwas schrien, das er als "Ausländer raus" verstand.
Doch so bedrohlich wie an Neujahr war es seit 1945 nicht mehr: " ,Kommt raus,
ihr Schweine, wir schlagen euch tot!', haben sie gebrüllt", berichtete der
72-Jährige. Von den Tätern fehlt jede Spur. Die Polizei ermittelt, aber Schutz
bieten kann sie nicht. In Cottbus genauso wenig wie anderswo.
In Cottbus wurde für Hinweise auf die Täter vom Neujahrsmorgen jetzt eine
Belohnung von 5.000 Mark ausgesetzt. Unterdessen wurde ein neuer Fall rechter
Gewalt bekannt: Vier "einschlägig vorbestrafte" Männer brüllten am Mittwochabend
in einer Cottbuser Straßenbahn erst "Sieg Heil" und "Ausländer raus", dann
verprügelten sie einen Libanesen, einen Aussiedler aus der Ukraine und drei
Deutsche.
taz 5.1.2001 LUKAS
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