Zwischen den
Unionsparteien und dem Zentralrat der Juden in Deutschland ist es zu
einem offenem Konflikt um den Begriff der "Leitkultur" gekommen.
Mehrere Politiker aus CDU und CSU hatten am Wochenende scharfe Kritik an Paul
Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrates geübt. Spiegel hatte auf der
Großkundgebung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit am 9. November die
Verwendung des Begriffs in der Union kritisiert.
Spiegel wurde dabei sehr deutlich. Er sprach von "verbalem Zündeln" und
ob es etwa auch zur deutschen Leitkultur gehöre "Fremde zu jagen, Synagogen
anzuzünden, Obdachlose zu töten?" Die Berliner Zeitung berichtete, dass der
Redetext Spiegels bereits vor der Kundgebung bekannt war und
CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz soll erfolglos versucht haben, gegen
diese Passage zu intervenieren.
Die Unionspolitiker weisen nun alle die Kritik Spiegels weit von sich.
CDU-Vorsitzende Angela Merkel versucht zu beschwichtigen: "Wir haben in der CDU
beschlossen, dass eine Kultur der Toleranz und des Miteinanders, unsere
Verfassungswerte und Weltoffenheit von uns als Leitkultur in Deutschland
bezeichnet werden." Und diese Werte sehe sie nicht im Widerspruch zu Spiegels
Anliegen. Derart zurückhaltend äußerten sich allerdings nicht alle
Unionspolitiker.
Andererseits gibt es auch bei CDU/CSU Kritiker des von Friedrich Merz in die
Debatte gebrachten Begriffes. So distanzierte sich beispielsweise Rita Süssmuth
erneut von diesem Begriff, "weil er eine einseitige, missverständliche Botschaft
an die Bevölkerung ist".
Auch Michel Friedman (CDU) ging mit der eigenen Partei hart ins Gericht. Auf dem
Parteitag der bayerischen Grünen warnte er als Gastredner nochmals eindringlich
vor der Verwendung des unsäglichen Begriffes. Egal, wie man ihn interpretiere,
er sei gefährlich. Es gebe keine Kultur, die mehr wert sei als eine andere.
Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Kerstin Müller, hat die
Kritik der Union an Spiegel zückgewiesen. Der Vorsitzende des Zentralrats habe
damit ein "starkes Signal gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und
Gewalt gesetzt".
Die überwältigende Zustimmung der 200.000 demonstrierenden Menschen, aber auch
die "beleidigten Reaktionen aus der Union" hätten gezeigt, dass die Union durch
die klaren Worte Spiegels getroffen ist. Nicht Spiegel, sondern die
nationalkonservativen Töne aus CDU und CSU hätten die politische Debatte in den
letzten Wochen polarisiert. Die CDU müsse die "unsäglich deutschtümelnde Debatte
um den Begriff der 'deutschen Leitkultur' sofort beenden," forderte Müller.
haGalil onLine
13-11-2000
|