Jaffa, das klingt nach fruchtigen,
süßen Orangen. Nach einer Oase. Das ist das alte Jaffa auch. Denn nördlich von
Jaffa, der alten Fischersiedlung, beginnt die Wüste. Eine unübersichtliche Wüste
aus Beton.
Hinter den Hotelhochhäusern und
Bettenburgen, die an den Mittelmeerstrand herangerückt sind, brummen in wildem
Wettbewerb Taxis, Motorräder und Lastwagen auf den Straßen. Bauruinen,
Billigbauten und ausgebrannte Räume runden das Chaos ab. So präsentiert sich Tel
Aviv, die israelische Metropole am Meer. Nur eine Promenade, unterbrochen von
einigen Grünstreifen, versucht zu retten, was nicht zu retten ist.
Tel Aviv steht kurz vor dem Infarkt.
Keine U-Bahn, keine Straßenbahn entlastet den Verkehr und das Klima. Kaum eine
Grünfläche sorgt für frische Luft, von Erholungsflächen ganz zu schweigen. Die
Metropole Israels - selbst kommt sie auf gerade mal 500.000 EinwohnerInnen - ist
zum täglichen Ziel von einer weiteren Million Pendlern geworden. 2,5 Millionen
leben im Großraum, fast die Hälfte der Bevölkerung Israels. Verglichen mit den
Metropolen dieser Welt sind das fast niedliche Zahlen, doch Tel Aviv wächst in
rasantem Tempo. Und jetzt schon ist Tel Aviv eine ganz besondere Stadt, eine
Stadt ohne Plan.
Die ersten Grundstückskäufe nördlich von
Jaffa begannen 1909. Um 1920 erst entstand eine Stadt, zunächst ein
Anziehungspunkt heimatsuchender Zionisten, später eine Stadt der Flüchtlinge vor
dem Holocaust. Und noch heute ist Tel Aviv der erste Anlaufpunkt für Juden aus
aller Welt. Russisch ist inzwischen die Umgangssprache in einer Vielzahl von
Läden, Restaurants und Jugendtreffs. Und seit gut 80 Jahren wächst Tel Aviv
immer dort, wo sich die Neuankömmlinge ansiedeln. Da spielte es keine Rolle, ob
genügend Parks für die Erholung zur Verfügung standen.
Hinter der Strandpromenade beginnt ein
heilloses Gewirr, dem die Geschichte dieses Wachstums anzusehen ist. Viertel
gepflegter Wohnhäuser stehen in hartem Kontrast zu verfallenden Bungalows aus
einer anderen Epoche. Auch das Zentrum der Stadt spiegelt in seiner Architektur
die wechselnden Zeiten wider. Plattenbauten, die wie das Rathaus an
realsozialistische Repräsentation erinnern, scheinen keinerlei Verbindung zu den
Glastürmen der Versicherungsbranche zu haben, die neuerdings die Silhouette
prägen. Und während der Norden - nahe Herzliya und dem aufstrebenden
High-Tech-Zentrum, das hier "Silicon Wadi" genannt wird - vor allem für die
Reichen attraktiv geworden ist, versammeln sich im Süden der Region die, die
übrig bleiben, die Armen, darunter viele Angehörige der arabischen Minderheit.
"Um unsere Städte zu verstehen, muss man
sich vergegenwärtigen, wie sie entstanden sind", erklärt Tel Avivs Bürgermeister
Ron Huldai (siehe Interview). "Sie sind
unter Druck entstanden. Und wenn man unter Druck baut, macht man keine Pläne."
Erst jetzt blicken die Veranwortlichen
mit gelindem Erschrecken auf ihre Stadt. Sie sehen den drohenden Kollaps und
beginnen, aktiv zu werden. "Nachhaltigkeit" ist deshalb auch in Tel Aviv in
beliebtes Stichwort.
"Nachhaltigkeit" heißt unter diesen
Bedingungen jedoch etwas ganz anderes als in den Städten Europas, heißt, für die
Stadt erst einmal etwas wie eine Vision zu entwickeln, die das ungezügelte
Wachstum bremst und die Entwicklung zu steuern beginnt. In Zusammenarbeit mit
den Münchener Architekten Hermann Grub und Petra Lejeune entwickelt die Stadt in
diesen Tagen einen Masterplan für Tel Aviv/Jaffa: "Tel Aviv 21".
"Wir arbeiten gemeinsam an einer Vision
für die gesamte Region", erläutert Architekt Grub. "Dabei wollen wir die
Gesetzmäßigkeiten der nachhaltigen Entwicklung einarbeiten und auf die Region
übertragen. Tel Aviv muss für die nächsten Generationen erhalten bleiben. Dafür
bedarf es aber mehr als nur einzelner Grünzüge oder Korrekturen." Der Masterplan
Tel Aviv soll ein komplexes Ineinandergreifen von Bauplanung, Verkehrsplanung,
Grünflächenplanung, die Organisation der gesamten Infrastruktur inklusive
ökologischer Struktur garantieren, so betonen Grub und Huldai.
Ein erster Schritt ist bereits in
konkreter Vorbereitung. Möglicherweise mit finanzieller und logistischer
Unterstützung aus Berlin planen die Münchener Experten und die Verantwortlichen
in Tel Aviv, eine der verarmten Gegenden im Süden der Stadt umzugestalten.
Dieser erste Baustein soll, so Grub, "alle Elemente von Natur, Kultur und
Lebensfreude der Menschen in Israel enthalten". Ein Park soll dies leisten. Über
die genaue Gestaltung schweigen sich die Beteiligten allerdings aus.
taz vom 3.7.2000 Seite IV Spezial
TAZ-Bericht BARBARA JUNGE
Interview mir Ron Huldai:
"Wenn man siedeln will, baut man einfach"
Für manche Sodom und Gomorra
Ein wahrgewordener Traum, erstanden
aus dem Schaum von Wellen und Wolken
Jafó haJafah:
Viel älter als 'The Big Orange'
Uri Avnery:
Politik,
Architektur und Städteplanung
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14-07-2000 |