antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

  

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

hagalil.com

Search haGalil

Veranstaltungskalender

Newsletter abonnieren
e-Postkarten
Bücher / Morascha
Musik

Koscher leben...
Tourismus

Aktiv gegen Nazi-Propaganda!
Jüdische Weisheit
 

Unsentimentale Reisen durch Israel (2):
Johanna

Drei Partien Scheschbesch, von Maxim Biller

[1.Partie] - [2.Partie] - [3.Partie]

Teil II/3 - - - ...Ein Jahr später war ich mit Johanna da, und diesmal ist die Erinnerung viel klarer. Niemand mochte Johanna – meine Schwester hielt sie für arrogant, mein Schwager für eine linke Antisemitin, und meine Freunde aus Herzlia ignorierten sie von dem Moment an, als sie sie das erste Mal sahen. Ich selbst haßte sie vor allem dafür, daß es mit ihr im Bett nur Probleme gab, sie kam nie, aber sie wollte es jedesmal von neuem mit Gewalt erzwingen, und dadurch wurde ich auch nicht lockerer. Einmal machten wir es in der alten Jugendherberge in Tiberias, oben, auf einem von diesen wackeligen Hochbetten, mindestens eine Stunde lang, ein anderes Mal schliefen wir miteinander in Netanya, im Meer, zehn Meter vom Strand entfernt, und später probierten wir es eines nachts sogar in einem Bunker, hoch im Norden, in einem Kibbutz bei Kiryat Schmonah, und dabei hörten wir die Geschützfeuer aus dem Südlibanon. Am Ende der Reise mußte ich sie nur berühren – und schon war es bei mir vorbei.

Johanna konnte nicht stillsitzen. Ich selbst wäre lieber, so wie jedes Jahr, die meiste Zeit über in Tel Aviv geblieben, ich hätte gern die Tage am Strand verbracht und die Abende auf der Dizengoff, aber das reichte ihr nicht, und so holten wir schon bald aus unseren großen orangefarbenen Rucksäcken die kleinen grünen Rucksäcke heraus, wir setzten uns unsere Armyshop-Sonnenhüte auf und nahmen ein Scherut zum alten Busbahnhof. 

Am Bahnhof roch es nach Süßigkeiten, nach verbranntem Fleisch und faulem Gemüse, aus jeder Ecke kam eine andere Musik, und die kreuz und quer parkenden Busse, zwischen denen man sich durchkämpfen mußte, fuhren meist ohne Vorwarnung los – nur wenn man Glück hatte, drückte der Fahrer vorher auf die Hupe. Natürlich wußte Johanna genau, wie unsere Tour aussehen würde, sie hatte vorher schon mit Hilfe ihres Reiseführers einen Plan gemacht, aber warum soll ich nicht einfach lügen und sagen, wir entschieden uns – gemeinsam – erst im allerletzten Moment? Dann sähe ich uns jetzt dabei, wie wir langsam die einzelnen Bahnsteige abgehen, wie wir, jeder für sich, die Namen der Zielorte von den gelbroten Egged-Schildern ablesen und uns zwischendrin immer wieder stumm ansehen, solange, bis wir, noch immer ohne ein Wort, gleichzeitig und wie ferngelenkt vor einer Plattform stehenbleiben – denn der Bus, der hier mit laufendem Motor wartet, das wissen wir, wird uns genau dort hinbringen, wo wir beide sein wollen . . .

Auf den Golanhöhen sah ich rote Erde und zerschossene Straßenschilder, am Kinneret schleppte sie mich nach Kapernaum, auf Massada wurde ich vor Hitze kurz ohnmächtig, in Jerusalem stand ich barfuß im Felsendom, und in Nueba am Roten Meer badete ich das erste Mal in meinem Leben nackt. Wir übernachteten in Zfat in einer Wohnung, in der ein alter Mann oder eine alte Frau im Zimmer neben uns die ganze Nacht lang auf und ab ging, Möbel hin und her rückte und mit den Fingernägeln an unsere Tür kratzte.

Wir machten eine Exkursion durch die Sinaiwüste, sechs Tage und sechs Nächte immer nur im Jeep oder im Schlafsack im Sand, und bis auf den Zwischenfall mit den ägyptischen Grenzsoldaten, die uns nicht glauben wollten, wir hätten uns nur zufällig auf ihr Gebiet verirrt, vor allem, nachdem sie meinen sowjetischen Paß gesehen hatten, lief alles ganz gut – außer vielleicht, daß ich mitten in der Nacht den Berg Sinai hinaufsteigen mußte, wegen des Sonnenaufgangs, wie Johanna sagte, und auch, daß ein paar Tage nach unserer Rückkehr aus der Wüste überall auf unseren Körpern kleine Eiterwunden aufplatzten, von innen, ohne äußere Einwirkung, so als wäre unser Blut plötzlich verfault. Dann war ich noch in Gaza – ja, Gaza –, wo sie unbedingt hinwollte und wo ich, während wir durch die Stadt liefen, immer nur, blind vor Angst, daran dachte, daß der letzte Bus zurück aus den Gebieten um vier Uhr nachmittags ging. 

Zum Schluß saßen wir in einem Café direkt neben der Haltestelle, ich kontrollierte mit einem Auge die Straße, mit dem anderen sah ich den Männern an den Nebentischen dabei zu, wie sie Scheschbesch spielten, und als sie mich schließlich einluden, mitzumachen, sagte ich, warum auch immer, ja. Wie froh war ich dann, als der Bus endlich kam, denn ich gewann von Anfang an jedes Spiel, und obwohl ich alles mögliche tat, um zu verlieren, gelang es mir kein einziges Mal.

Es gibt ein Photo von Johanna und mir, das ein Straßenphotograph im Gaza von uns gemacht hat. Er benutzte eine uralte Plattenkamera und bräunliches Barytpapier, und vielleicht sehen wir deshalb darauf beide ein bißchen so aus wie zwei Forschungsreisende aus dem letzten Jahrhundert – ich mit Nickelbrille, dichten langen Locken und Bart, sie, die dunklen Haare hochgesteckt, so streng und unbarmherzig, wie man es als Frau eben sein muß, wenn man in einer fremden, feindseligen Gegend überleben will. Fünfzehn Jahre später gab es dann wieder ein Photo, diesmal allein von Johanna. Ich entdeckte es im Hamburger Abendblatt, kurz vor einer Bürgerschaftswahl. Johanna – sie unterrichtete inzwischen an der Universität Philosophie – war Spitzenkandidatin der Grünen geworden, und sie sah noch genauso aus wie auf dem letzten Bild, das ich von ihr in der Hand gehabt hatte.

Der Journalist und Schriftsteller Maxim Biller wurde 1960 in Prag als Sohn russisch-tschechischer Juden geboren, verbrachte seine Kindheit in der Tschechoslowakei und lebt seit 1970 in Deutschland. Er veröffentlicht seine Erzählungen, Reportagen und Kolumnen u.a. im Spiegel und der Süddeutschen Zeitung. Bekannt wurde er durch den Erzählband 'Wenn ich einmal reich und tot bin', sein Buch 'Land der Väter und Verräter' wurde preisgekrönt.
Die Kurzgeschichten "Drei Partien Scheschbesch" sind am 7.1.1998 im Feuilleton der SZ erschienen - unter dem Titel: "Unsentimentale Reisen durch Israel, das heuer 50 Jahre alt wird".

Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!

Advertize in haGalil?
Your Ad here!

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved