Unsentimentale Reisen durch Israel
(2):
Johanna
Drei Partien Scheschbesch,
von Maxim Biller
[1.Partie]
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Teil II/3 - - - ...Ein Jahr später war
ich mit Johanna da, und diesmal ist die Erinnerung viel klarer. Niemand mochte
Johanna – meine Schwester hielt sie für arrogant, mein Schwager für eine linke
Antisemitin, und meine Freunde aus Herzlia ignorierten sie von dem Moment an,
als sie sie das erste Mal sahen. Ich selbst haßte sie vor allem dafür, daß es
mit ihr im Bett nur Probleme gab, sie kam nie, aber sie wollte es jedesmal von
neuem mit Gewalt erzwingen, und dadurch wurde ich auch nicht lockerer. Einmal
machten wir es in der alten Jugendherberge in Tiberias, oben, auf einem von
diesen wackeligen Hochbetten, mindestens eine Stunde lang, ein anderes Mal
schliefen wir miteinander in Netanya, im Meer, zehn Meter vom Strand entfernt,
und später probierten wir es eines nachts sogar in einem Bunker, hoch im Norden,
in einem Kibbutz bei Kiryat Schmonah, und dabei hörten wir die Geschützfeuer aus
dem Südlibanon. Am Ende der Reise mußte ich sie nur berühren – und schon war es
bei mir vorbei.
Johanna konnte nicht stillsitzen. Ich
selbst wäre lieber, so wie jedes Jahr, die meiste Zeit über in Tel Aviv
geblieben, ich hätte gern die Tage am Strand verbracht und die Abende auf der
Dizengoff, aber das reichte ihr nicht, und so holten wir schon bald aus unseren
großen orangefarbenen Rucksäcken die kleinen grünen Rucksäcke heraus, wir
setzten uns unsere Armyshop-Sonnenhüte auf und nahmen ein Scherut zum alten
Busbahnhof.
Am Bahnhof roch es nach Süßigkeiten,
nach verbranntem Fleisch und faulem Gemüse, aus jeder Ecke kam eine andere
Musik, und die kreuz und quer parkenden Busse, zwischen denen man sich
durchkämpfen mußte, fuhren meist ohne Vorwarnung los – nur wenn man Glück hatte,
drückte der Fahrer vorher auf die Hupe. Natürlich wußte Johanna genau, wie
unsere Tour aussehen würde, sie hatte vorher schon mit Hilfe ihres Reiseführers
einen Plan gemacht, aber warum soll ich nicht einfach lügen und sagen, wir
entschieden uns – gemeinsam – erst im allerletzten Moment? Dann sähe ich uns
jetzt dabei, wie wir langsam die einzelnen Bahnsteige abgehen, wie wir, jeder
für sich, die Namen der Zielorte von den gelbroten Egged-Schildern ablesen und
uns zwischendrin immer wieder stumm ansehen, solange, bis wir, noch immer ohne
ein Wort, gleichzeitig und wie ferngelenkt vor einer Plattform stehenbleiben –
denn der Bus, der hier mit laufendem Motor wartet, das wissen wir, wird uns
genau dort hinbringen, wo wir beide sein wollen . . .
Auf den Golanhöhen sah ich rote Erde und
zerschossene Straßenschilder, am Kinneret schleppte sie mich nach Kapernaum, auf
Massada wurde ich vor Hitze kurz ohnmächtig, in Jerusalem stand ich barfuß im
Felsendom, und in Nueba am Roten Meer badete ich das erste Mal in meinem Leben
nackt. Wir übernachteten in Zfat in einer Wohnung, in der ein alter Mann oder
eine alte Frau im Zimmer neben uns die ganze Nacht lang auf und ab ging, Möbel
hin und her rückte und mit den Fingernägeln an unsere Tür kratzte.
Wir machten eine Exkursion durch die
Sinaiwüste, sechs Tage und sechs Nächte immer nur im Jeep oder im Schlafsack im
Sand, und bis auf den Zwischenfall mit den ägyptischen Grenzsoldaten, die uns
nicht glauben wollten, wir hätten uns nur zufällig auf ihr Gebiet verirrt, vor
allem, nachdem sie meinen sowjetischen Paß gesehen hatten, lief alles ganz gut –
außer vielleicht, daß ich mitten in der Nacht den Berg Sinai hinaufsteigen
mußte, wegen des Sonnenaufgangs, wie Johanna sagte, und auch, daß ein paar Tage
nach unserer Rückkehr aus der Wüste überall auf unseren Körpern kleine
Eiterwunden aufplatzten, von innen, ohne äußere Einwirkung, so als wäre unser
Blut plötzlich verfault. Dann war ich noch in Gaza – ja, Gaza –, wo sie
unbedingt hinwollte und wo ich, während wir durch die Stadt liefen, immer nur,
blind vor Angst, daran dachte, daß der letzte Bus zurück aus den Gebieten um
vier Uhr nachmittags ging.
Zum Schluß saßen wir in einem Café direkt neben der Haltestelle, ich
kontrollierte mit einem Auge die Straße, mit dem anderen sah ich den Männern an
den Nebentischen dabei zu, wie sie Scheschbesch spielten, und als sie mich
schließlich einluden, mitzumachen, sagte ich, warum auch immer, ja. Wie froh war
ich dann, als der Bus endlich kam, denn ich gewann von Anfang an jedes Spiel,
und obwohl ich alles mögliche tat, um zu verlieren, gelang es mir kein einziges
Mal.
Es gibt ein Photo von Johanna und mir,
das ein Straßenphotograph im Gaza von uns gemacht hat. Er benutzte eine uralte
Plattenkamera und bräunliches Barytpapier, und vielleicht sehen wir deshalb
darauf beide ein bißchen so aus wie zwei Forschungsreisende aus dem letzten
Jahrhundert – ich mit Nickelbrille, dichten langen Locken und Bart, sie, die
dunklen Haare hochgesteckt, so streng und unbarmherzig, wie man es als Frau eben
sein muß, wenn man in einer fremden, feindseligen Gegend überleben will.
Fünfzehn Jahre später gab es dann wieder ein Photo, diesmal allein von Johanna.
Ich entdeckte es im Hamburger Abendblatt, kurz vor einer Bürgerschaftswahl.
Johanna – sie unterrichtete inzwischen an der Universität Philosophie – war
Spitzenkandidatin der Grünen geworden, und sie sah noch genauso aus wie auf dem
letzten Bild, das ich von ihr in der Hand gehabt hatte.
Der Journalist
und Schriftsteller
Maxim Biller wurde 1960 in Prag als Sohn
russisch-tschechischer Juden geboren, verbrachte seine Kindheit in
der Tschechoslowakei und lebt seit 1970 in Deutschland. Er
veröffentlicht seine Erzählungen, Reportagen und Kolumnen u.a. im
Spiegel und der Süddeutschen Zeitung. Bekannt wurde er
durch den Erzählband 'Wenn ich einmal reich und tot bin', sein Buch
'Land der Väter und Verräter' wurde preisgekrönt.
Die Kurzgeschichten "Drei Partien Scheschbesch" sind am 7.1.1998 im
Feuilleton der SZ erschienen - unter dem Titel: "Unsentimentale
Reisen durch Israel, das heuer 50 Jahre alt wird". |