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Die Politik der Vertreibung und Vernichtung von Juden in der NS-Diktatur
machten sich die Städte zu Nutzen, auch um möglichst günstig an die
Kunst- und Wertgegenstände der Opfer zu kommen, die flugs als
"nationales deutsches Volksvermögen" definiert wurden. Bei einem
Forschungskolloquium des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main
stellte die Wissenschaftlerin Monica Kingreen Anfang Mai ihre neuen
Forschungsergebnisse über die aktive Beteiligung Frankfurter
Museumsfachleute bei der Aneignung von "jüdischem Kulturgut" aus dem
Besitz verfolgter, geflohener und deportierter Juden in den Jahren ab
1938 vor. Wir dokumentieren Monica Kingreens Vortrag in einer von der
Autorin gekürzten und zusammengestellten Form.
Mit der Herrschaft des Nationalsozialismus", so schrieb 1966 der seit 1938 bis
zu seinem Tode 1972 amtierende Direktor des renommierten Frankfurter Museums
Städel, Dr. Ernst Holzinger, sei im Jahre 1933 "das Verhängnis übers Städel
gekommen", und im Jahre 1937 "der nationalsozialistische Bildersturm
hereingebrochen
. . . In keinem anderen deutschen Museum ist dabei so radikal gehaust
worden." Holzinger nimmt hier ausschliesslich die Rolle des Städels als Opfer
der nationalsozialistischen "Aktion entartete Kunst" in den Blick, über seine
eigene aktive Beteiligung und die anderer Frankfurter Museumsleiter bei der
Aneignung des Kunstbesitzes jüdischer Familien während der NS-Zeit schweigt er -
aus gutem Grunde. (. . .)
1938 konnte die Stadt Frankfurt, begünstigt durch die antijüdischen
Exzesse während der "Kristallnacht", zwei bedeutende Kunstsammlungen mitsamt der
Palais von Carl von Weinberg, dem Gründer der Firma Cassella, und des
95-jährigen Freiherrn Maximilian von Rothschild in Niederrad, beziehungsweise
der Bockenheimer Landstrasse, als "freiwillige" Verkäufe unter Druck und zu
einem Spottpreis in ihren Besitz bringen.
Die bedeutende Kunstsammlung Carl von Weinbergs, der auch wichtiger Mäzen
des Frankfurter Städels gewesen war, sollte - so der Frankfurter
Oberbürgermeister Krebs - als Ganzes gekauft werden, denn "die für den Erwerb in
Frage kommenden 721 Kunstwerke und Gegenstände sind mit einem Wert von über 1
000 000 RM geschätzt (wurde aus dem Entwurf gestrichen, mk). Sie können zum
Preis von 750 000 RM erworben werden. Auch dieser Preis ist angemessen und
vertretbar."
Nach der "Kristallnacht" "kaufte" die Stadt von Goldschmidt-Rothschild am
11. November 1938 seine 1400 Gegenstände umfassende Kunstsammlung "von
Museumsrang" völlig unter Wert ab. Wenige Monate später eröffnete man im nun
städtischen Palais Goldschmidt-Rothschild die Abteilung II des Städtischen
Museums für Kunsthandwerk.
Die politisch erwünschte und durch die Vorgänge der "Kristallnacht"
forcierte Auswanderung der Juden hatte ein neues Problem mit sich gebracht: Man
wollte sie zwar zur Auswanderung zwingen, ihren wertvollen Kunstbesitz aber
konfiszieren. "Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung" nannte man
dies. Reichsweit wurde am 15. Mai 1939 der Einsatz von "Spezialsachverständigen
in Kunstfragen" festgelegt. Für Frankfurt waren dies Dr. Alfred Wolters,
Direktor der Städtischen Galerie, zuständig "für Kunst- und Museumsgut", der
Kunsthändler Wilhelm Ettle, Römerberg 11, "für Kunstgut", der Direktor der
Universitätsbibliothek, Prof. Dr. Oehler, "für Bibliotheksgut", Dr. Hans
Bergmann, Mitinhaber der Universitätsbuchhandlung Blazek & Bergmann, "für das
Schriftgut lebender Autoren". Sie hatten ihre Kenntnisse über "die in jüdischem
Besitz befindlichen Gegenstände" durch zusätzliche "Erkundung in Fachkreisen"
noch zu "vervollständigen" und auf der Basis der zwangsweise aufgestellten 5800
Verzeichnisse des Vermögens von Juden in Frankfurt "die gesammelten Kenntnisse
nach Personen geordnet mitzuteilen". Als Profiteure der so "geretteten" Kunst-
und Kulturwerke kamen Museen, Bibliotheken, Archive und der Kunsthandel in
Betracht.
Geraubte Antiquitäten
Die Zwangsabgabe der Schmuck- und Edelmetallwaren gegen einige Pfennige
Materialwert im Frühjahr 1939 für Juden im ganzen Reich führte bei zwei
Frankfurter Museen zu Initiativen, sich aus dem Fundus dieses enteigneten
"Angebots" frisch geraubter Antiquitäten und kunstgewerblicher Gegenstände zu
bedienen. Bis Mitte Mai 1939 hatte die Städtische Pfandleihanstalt Frankfurt nur
aus dem Stadtgebiet bereits rund 10 000 "Ablieferungen" zu verzeichnen und
rechnete mit mehr als 1 Million Reichsmark an Gesamtausgaben. 8000 Kilogramm
silberne Gegenstände hatte die städtische Einrichtung zu dieser Zeit bereits an
Schmuckwaren- und Uhrenhändler sowie Gold- und Silberschmiede abgegeben. Diese
legten im November 1939 Wert darauf, weitere Silbersachen "gerade jetzt (kurz
vor Weihnachten) zu erwerben", berichtete die städtische Darlehensanstalt unter
dem Punkt "Judenware".
Gleich mit Beginn der Zwangsabgaben der Juden von Gold-, Silber- und
Schmuckwaren, die eingeschmolzen werden sollten, intervenierte der Direktor des
Frankfurter Stadtgeschichtlichen Museums, Graf Solms zu Laubach, beim
Oberbürgermeister, da die "große Gefahr" bestehe, dass "kulturell bedeutsame
kunstgewerbliche Erzeugnisse unerwünschter Zerstreuung oder gar der
Verschrottung anheimfallen" würden. Diese wollte Ernstotto Graf Solms zu Laubach
für die Museen, und so wurde er vom Oberbürgermeister ermächtigt, "geeignete
Sicherstellungsmaßnahmen zu ergreifen".
Da der Pfennigwert für die Gegenstände bei der Städtischen Pfandleihanstalt
direkt in bar zu zahlen war, wurde ein städtischer Sonderfonds von 25 000 RM zum
"Ankauf jüdischen Silbers" eingerichtet, der später von den Museen, sonstigen
Dienststellen und Einzelpersonen, die die Sachen in ihren Besitz nehmen würden,
abgelöst werden sollte. Man erwartet auch "die Möglichkeit einer Ergänzung des
Frankfurter Ratssilbers". Bei dem so reichlich vorgefundenen Angebot an
"jüdischem Silber" wurde der Fonds in den folgenden Wochen um weitere 20 000 RM
erhöht. Im September 1939 konnte das Kulturamt mitteilen, dass es "bis heute
Formsilber und Bestecksilber im Werte von insgesamt 32 826 RM 35 RPf übernommen"
habe, das im Museum für Kunsthandwerk aufbewahrt werde.
Im November 1939, ein Jahr nach "der Stürmung" des Museums Jüdischer Altertümer
in der Fahrgasse und dessen Plünderung, schwelte der Streit zwischen der Stadt
und der Gestapo um das geraubte Eigentum noch immer. Auf Initiative von Graf
Solms zu Laubach waren während des Pogroms zwei Möbelwagen voller Gegenstände
und Bücher aus dem Museum und dem Gemeindehaus der Israelitischen Gemeinde in
das Leinwandhaus und die Gesamtverwaltung der Frankfurter Bibliotheken gebracht
worden.
Wenige Tage danach beschlagnahmte die Gestapo nun ihrerseits bei der Stadt diese
städtischerseits "sichergestellten" Gegenstände. Nachdem der Frankfurter
Oberbürgermeister Krebs im Jahr 1939 auf vielerlei Wegen versucht hatte, den
Besitz aus dem Museum Jüdischer Altertümer und den Synagogen wieder in die Hände
der Stadt zu bringen, zeichnete sich in der Auseinandersetzung mit der Gestapo
eine Lösung ab. Die Gestapo brachte das Raubgut zur Pfandleihanstalt, wo Graf
Solms zu Laubach und Prof. Walter Mannowsky, seit 1938 Direktor des Museums für
Kunsthandwerk, "jüdische Kultgegenstände" für 8000 RM kauften, bei den
Materialpreisen der "Ankaufstelle" fast 300 Kilogramm Silber.
"Aus den jüdischen Altertümern", gelagert in der Frankfurter Anna-Schule, welche
sowohl aus dem Jüdischen Museum als auch aus den Frankfurter Synagogen stammten,
konnte die Stadt dann sogar kostenfrei "die Stücke für sich aussondern, die zur
Ergänzung ihrer Sammlungen erforderlich sind". Des Weiteren konnte sie von den
beschlagnahmten Sachen, die die Gestapo an den Kunsthändler Wilhelm Henrich
gegeben hatte, weitere wertvolle Stücke zu erwerben. Eine Aufstockung des
Sonderkontos der Stadt auf insgesamt 50 000 RM ermöglichte den beiden
Museumsdirektoren "Silber-Ankäufe aus der Juden-Aktion" im Wert von 14 285,50
RM. Am 1. Februar 1940 teilte das Kulturamt dem Oberbürgermeister mit, der
"Ankauf jüdischen Silbers" für insgesamt mehr als 47 000 RM sei beendet. (. . .)
Gerade zu einer Zeit, als die inländischen Quellen zur Erschließung "jüdischen
Besitzes" allmählich erschöpft waren, ergaben sich nach der Besetzung
Frankreichs, Belgiens und der Niederlande für die Frankfurter Museumsdirektoren
neue attraktive Möglichkeiten, den Besitz ihrer Museen zu erweitern. Bereits
wenige Monate nach der deutschen Besetzung von Paris gab es im September 1940
erste Initiativen, Frankfurter Museumsdirektoren in das Zentrum des Kunsthandels
zu schicken, um "nicht wiederkehrende Gelegenheiten" zu nutzen, und ihre
Sammlungen "unter günstigen Bedingungen wertvoll zu ergänzen".
Der Pariser Kunstmarkt war zu dieser Zeit geradezu überschwemmt von
Kunstgegenständen aus dem Besitz zumeist jüdischer Familien. Der Direktor des
Museums für Kunsthandwerk, Prof. Mannowsky, und der Direktor des
Stadtgeschichtlichen Museums, Graf Solms zu Laubach, der auch die Interessen des
Städels und der Städtischen Galerie mit vertreten sollte, erkundeten,
ausgestattet mit 5000 RM in (abgewerteten) Francs, Anfang Dezember 1940 den
Kunsthandel in Paris.
Sie fanden, so berichtete Mannowsky, "bei den kleinen und mittleren Händlern . .
. Überfluss an Ware, der durch Verkäufe aus Privatbesitz noch dauernd wächst",
und reservierten Gegenstände, "deren Handelswert in Deutschland mindestens das
5- bis 6-fache beträgt". Prof. Mannowsky empfahl dem Oberbürgermeister dringend,
"diese so leicht nicht wieder sich bietende Gelegenheit zu benutzen und eine
weitere größere Summe zu Ankäufen in Paris bereit zu stellen", und schlug weiter
vor, "auch im belgischen und holländischen Kunsthandel in ähnlicher Weise
Umschau zu halten. Wertvoller deutscher Kunstbesitz ist in den letzten Jahren
gerade dorthin abgewandert, der jetzt vielleicht unter günstigen Bedingungen
wieder erworben werden" kann, womit das Eigentum deutsch-jüdischer Flüchtlinge
gemeint war. Entsprechend wurden "60 000 RM für Ankäufe von Kunstwerken in
Frankreich und je 20 000 RM für Ankäufe in Belgien und den Niederlanden" zur
Verfügung gestellt.
"Günstige Einkäufe"
Die beiden Museumsdirektoren machten sich im Februar 1941 erneut nach Paris auf,
diesmal gemeinsam mit dem Direktor des Städels, Dr. Holzinger, zur Wahrung der
Interessen der Städtischen Galerie und des Städels. Sie sollten "auch bei Dr.
Gunther Schiedlauski, Leiter des Musée Jeu de Paume, vorsprechen". Im Jeu de
Paume, einem von den Deutschen beschlagnahmten Museum am Place de la Concorde,
befand sich seit Oktober 1940 das Depot der größten deutschen
Kunstrauborganisation, des "Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg". Mehr als 20
000 beschlagnahmte Kunstwerke aus den Sammlungen jüdischer Eigentümer waren dort
aus ganz Frankreich zusammengetragen worden. Die Städtische Galerie kaufte
beispielsweise u. a. Gemälde in der Pariser Galerie Alice Manteau, von der heute
durch Hector Felicianao bekannt ist, dass sie "in eine Reihe von Transaktionen
verwickelt (war), die mit dem Verkauf von Beutekunst aus dem Jeu de Paume zu tun
hatte". In Frankfurt wurden kurz nach dieser Reise im März 1941 weitere 52 000
RM "aus dem Haushalt des Städelschen Kunstinstitutes, der Städtischen Galerie
sowie aus Zuwendungen von Stiftungen zur Verfügung" gestellt für weitere
Einkäufe unter besatzungsrechtlichen Bedingungen.
Holzingers Dienstreise führte auch in die besetzten Niederlande. Dort war
Kunstbesitz jüdischer Familien, zwangsweise abgegeben, von deutschen Stellen
konfisziert oder geplündert und "günstig" bei der "Dienststelle Mühlmann" und in
den mit der Besatzungsmacht kollaborierenden Kunsthandlungen zu bekommen.
Der Oberbürgermeister von Frankfurt, bestrebt, die Gunst der Stunde für seine
Museen zu nutzen, stellte "einen Sonderbetrag von 200 000 RM" zur Verfügung,
unter anderem "100 000 RM für Ankaufspläne in Frankreich und 50 000 RM für
Belgien." Die "Ankaufsreisen sind für die Museen der Stadt Frankfurt von
hervorragendem Erfolg gewesen". Im August 1941 vermerkte das Kulturamt, dass
"ein Teil der Kunstgeschichtler in unserem Amtsbereich . . . seit längerer Zeit
mit verhältnismäßig geringen Unterbrechungen zur Durchführung von Kunstankäufen
im Ausland auf Dienstreisen gewesen" sei. Besondere Erwähnung fand "der Einsatz"
Dr. Holzingers. (. . .)
Im Mai 1942, als es um "die Überführung einer Bibliothek nach Frankfurt" ging,
wurde Holzinger vom Oberbürgermeister nach Paris geschickt, um die Bestände der
"Kunstbibliothek eines Juden Weil", etwa 1500 Bände, in dessen Haus zu
"überprüfen". Es handelte sich um die "Museumshandbibliothek der Weilschen
Sammlung", damit dürfte die Sammlung des bedeutenden jüdischen Kunstsammlers und
Bibliophilen David David-Weill gemeint gewesen sein. (. . .)
Unklar blieb allerdings, "mit wem über den Erwerb verhandelt werden" könne, da
"der Eigentümer Weil (. . .) aus Paris geflüchtet und für Verhandlungen nicht
erreichbar" sei. Der "im Haus anwesende Kammerdiener Weils" erschien den
Frankfurter Beamten "zu Verhandlungen nicht ermächtigt". Als der Besitz später
auf Grund testamentarischer Bestimmungen dem französischen Staat zufiel, waren
die Bemühungen der Stadt, die Bibliothek für einen Kaufpreis von 2000 RM in
ihren Besitz zu bringen, gescheitert.
Im Frühjahr 1941 eröffnete sich für die Museen ein neues Terrain zur Aneignung
"jüdischen Besitzes", diesmal wieder in Frankfurt, und zwar, als im Deutschen
Reich zurückgebliebenes Umzugsgut ausgewanderter Juden nach Beschlagnah- me
durch die Gestapo zur Verteilung anstand. (. . .)
Im April 1941 wurde allen Frankfurter Speditionen durch die Gestapo mitgeteilt,
dass mit sofortiger Wirkung sämtliche eingelagerten Gegenstände von Juden
beschlagnahmt waren. Die mehr als 30 betroffenen Speditionen hatten bei der
Gestapo innerhalb von 14 Tagen eine Aufstellung aller entsprechenden
Einlagerungen einzureichen. Im Auftrag der Gestapo sollte das beschlagnahmte
Umzugsgut jüdischer Besitzer öffentlich versteigert werden. Dazu schloss die
Frankfurter Gestapo mit den Versteigerungshäusern Franz Pfaff, Inhaber Max
Bechler, Neue Mainzer Str. 14, August Danz in der Stiftstraße 41, Emil Neuhof,
Zeil 19 und Schweppenhäuser, Taunusstraße 45 am 13. Mai 1941 ein Abkommen über
öffentlich allmonatlich stattfindende Versteigerungen. Zur Bewältigung der
großen Mengen von Umzugsgut, schätzungsweise der Hausrat der Bewohner einer
mittleren Kleinstadt, schloss die Frankfurter Gestapo am 10. Juli 1941 ein
weiteres Abkommen mit den zehn Frankfurter Obergerichtsvollziehern Werner, Puff,
Feller, Bender, Naumann, Popp, Urbat, Birkenbach, Berenroth und Morawitz über
die "Versteigerung der aus nichtarischem Besitz . . . stammenden beschlagnahmten
Gegenstände".
Die Versteigerungen waren im Frankfurter Volksblatt und im Frankfurter
Generalanzeiger annonciert. Da das Pfandlokal der Obergerichtsvollzieher in der
Vilbeler Straße 26 nicht ausreichte, hatten die Obergerichtsvollzieher, "um dem
Massenandrang der Steiglustigen gerecht zu werden, . . . eigens für die
Versteigerung des jüdischen Umzugsguts im Einverständnis mit der Gestapo noch
ein besonderes Lokal, die Turnhalle der Klinger-Schule, gemietet." (. . .)
In zeitlicher Nähe und im Kontext der Beschlagnahme und Versteigerung des
mobilen Besitzes ausgewanderter Juden durch die Gestapo hatte das
Propagandaministerium im Mai 1941 eine "Verfahrensordnung der Reichskammer der
bildenden Künste als Ankaufstelle für Kulturgut" erlassen. Die Einrichtung einer
zentralen "Ankaufsstelle" für "Kulturgut aus jüdischem Besitz" bedeutete
Einschränkungen der lokalen Zugriffsmöglichkeiten. Entsprechend wurde Dr.
Wolters, Direktor der Städtischen Galerie, sofort initiativ und erläuterte dem
Oberbürgermeister, dass die Stadt unbedingt den "Versuch" machen solle, "in
dieses Verfahren eingeschaltet zu werden".
Oberbürgermeister Krebs stellte rückblickend fest, wie wichtig es gewesen war,
dass "die Stadt Frankfurt frühzeitig zum Erwerb bedeutender Frankfurter
Sammlungen (Goldschmidt-Rothschild, Weinberg) geschritten" sei und wandte sich
an das Propagandaministerium: "Reiche private Kunstsammlungen und Kunstschätze
haben besessen und besitzen zum Teil noch heute die hier ansässigen begüterten
Judenfamilien. Diese Kunstschätze und Kulturgüter, die zum nationalen deutschen
Volksvermögen gehören, dem deutschen Volke zu erhalten und sie besonders vor der
Abwanderung ins Ausland zu retten und möglichst den öffentlichen Sammlungen und
Museen in Frankfurt a. M. zuzuführen, sehe ich als eine verpflichtende Aufgabe
meiner Verwaltung an . . . halte ich es für geradezu unerlässlich, dass zum
Mindesten die von den Frankfurter Judenfamilien zusammengeschacherten Kunst- und
Kulturgüter auch in unserer Stadt bleiben."
Am 20. August 1941 gab der Präsident der Reichskulturkammer die vom
Erziehungsministerium benannten Sachverständigen für die "Ankaufstelle für
jüdisches Kulturgut" bekannt. In Frankfurt waren das: Prof. Walter Mannowsky,
Direktor des Kunstgewerbemuseums, Dr. Ernst Holzinger, Direktor des Städelschen
Kunstinstitutes, und Dr. Richard Oehler, Bibliotheksdirektor. Daneben gab es
noch einen "Fachreferenten" beim Landeskulturverwalter des NSDAP-Gaus
Hessen-Nassau, den Kunsthändler Wilhelm Schumann.
Beschlagnahmtes Umzugsgut
Die Möglichkeiten, aus dem Umzugsgut jüdischer Familien Kunstwerke zu erwerben,
nutzte der Oberbürgermeister und bewilligte dafür im September 1941
außerplanmäßig weitere 50 000 RM, "um solche Kunstgegenstände, die aus
beschlagnahmtem jüdischen Besitz stammen und deren öffentliche Versteigerung
durch die Dienststellen der Geheimen Staatspolizei erfolgen wird", zu kaufen. Er
hatte "einen der Museumsleiter beauftragt, bei diesen Versteigerungen die
Belange der Stadt wahrzunehmen und in meinem Auftrag die notwendigen
Verhandlungen zu führen" und bekräftigte seine Überzeugung, dass es sich dabei
"um nicht wiederkehrende Gelegenheiten zur Vermehrung des städtischen
Museumsbesitzes" handele.
Mit dem Beginn der reichsweiten Deportationen im Oktober 1941 war die
Verfahrensordnung "zur Sicherung und Verwertung von Kulturgut aus jüdischem
Besitz" auch auf den Besitz der gewaltsam verschleppten Menschen ausgedehnt
worden. Vor der ersten großen Deportationswelle in Frankfurt im Oktober und
November 1941 mit mehr als 3000 Menschen wurde klar gestellt, dass die
Bestimmungen "betr.: Sicherung und Verwertung von Kulturgut aus jüdischem Besitz
für Zwecke des Reiches" auch für den zurückgelassenen Besitz der Deportierten
gelten. Der Landesleiter hatte sich "unverzüglich mit den zuständigen
Dienststellen der Geheimen Staatspolizei und des Reichsfinanzministeriums
bezüglich der Verwertung des beschlagnahmten Kulturguts aus jüdischem Besitz ins
Benehmen zu setzen".
Er hatte dann "die beschlagnahmten Kunstgegenstände" zusammen mit dem
"Sachverständigen" daraufhin zu prüfen, ob an ihrem Erwerb etwa ein Interesse
der öffentlichen Hand (Museen, Galerien, Ministerien u. dergl.) bestehen könnte.
Dabei hatte es in Frankfurt wohl erst einmal Probleme gegeben, wie aus einem
Bericht des Kulturamtsleiters an den Oberbürgermeister im April 1942 hervorgeht,
dass "die Leitungen des Städelschen Kunstinstituts und der städtischen Galerie"
gemeinsam "eine sehr große Anzahl von Nachlässen und dergl. durchgesehen"
hatten. Doch hätten sich "ganz große Schwierigkeiten bei der Auflösung jüdischer
Haushalte" ergeben, bei denen "eine bevorzugte Behandlung der Museen vorgesehen"
gewesen sei. Folglich sei es im Jahre 1941 "nicht in einem einzigen Falle
gelungen, aus diesen Quellen etwas zu erwerben", was daran gelegen habe, dass
"die gemäß der Verfahrensordnung beteiligten Museumsbeamten von den vom
Finanzamt beauftragten Abwicklern nicht rechtzeitig von den bevorstehenden
Verkäufen benachrichtigt" worden seien.
Von der Reichskammer der Bildenden Künste sei aber die Zusage erfolgt, dass dem
"Museumsbeamten" die "Besichtigung und Aussonderung zu versteigernder Kunstwerke
ermöglicht" werde und so hoffe man, dass "sich nunmehr gewisse
Ankaufsmöglichkeiten bieten werden."
Aus dem Besitz der Menschen dieser ersten drei Deportationen waren 150 Gemälde
vom Finanzamt-Außen an den Kunsthändler Wilhelm Ettle zur "Verwertung" übergeben
worden. Im Dezember 1941 wurde Ettle von der Gestapo verhaftet, da er sich seit
längerer Zeit an dem Besitz von Juden zu seinen eignen Gunsten bereichert habe.
Die Gemälde der Deportierten wurden nun an den Kunsthändler Julius Hahn
übergeben.
Die Städtische Galerie sowie das Städelsche Kunstinstitut erwarben vom
Finanzamt-Außen in den Jahren 1942 und 1943 Gemälde aus dem Besitz deportierter
oder emigrierter Juden. Vom Oktober 1942 liegt auch ein Hinweis auf die
Beteiligung der Sachverständigen für die "Sicherung und Verwertung von Kulturgut
für Zwecke der Reiches" an Aktivitäten gegen sogenannte "entartete Kunst" vor.
(. . .)
Im Februar 1943 kam der Besitz des Frankfurter Malers und Ostasiatika-Experten
Alfred Oppenheim, der im Dezember 1938 nach England hatte entkommen können, zur
Versteigerung, darunter umfangreiche Kunstgegenstände und Gemälde. Nach
"Durchsicht jüdischen Versteigerungsgutes nach Kulturgut dgl." durch Otto Müller
für den Obergerichtsvollziehers Naumann, schrieb Dr. Holzinger unter dem Betreff
"Sicherung und Verwertung von Kulturgut aus jüdischem Besitz für Zwecke des
Reiches", dass "eine Reihe von Kunstgegenständen und Büchern aus dem ehemaligen
Besitz des jüdischen Malers Alfred Oppenheim von den Versteigerungen
ausgeschlossen werden" sollten.
Entsprechend stellte er den Antrag, dass etwa 600 Gegenstände, der
Verfahrensordnung entsprechend, "den Frankfurter Museen zugeteilt würden".
Außerdem waren Werke des berühmten Malers des jüdischen Lebens, Moritz Daniel
Oppenheim, des Großvaters von Alfred Oppenheim, im Rahmen dieses Verfahrens für
die "Bildsammelstelle" des "Instituts zur Erforschung der Judenfrage"
vorgesehen. Im Zusammenhang mit der Oppenheim-Sammlung kündigte die
"Verwertungsstelle" dem Oberbürgermeister im März 1943 an, "auch für die Zukunft
aus Judenvermögen anfallende Kunstwerke von allgemeinem Interesse in erster
Linie den hiesigen Museen anzubieten".
Im März 1943 wandte sich Holzinger mit einer Beschwerde an das Finanzamt-Außen:
"Nachdem in der vergangenen Woche schon zwei Gerichtsvollzieher-Versteigerungen
stattgefunden hatten, die der Reichskammer für Bildende Künste nicht vorher
gemeldet waren, findet heute schon wieder im Mauerweg 1 eine Versteigerung durch
Obergerichtsvollzieher Lotz statt, ohne dass sie zuvor gemeldet worden ist."
Als im April 1943 die Einziehung Holzingers zur Wehrmacht drohte, wurde vom
Kulturamtsleiter seine Unabkömmlichkeit u. a. mit dessen offizieller Funktion
begründet: "Direktor Holzinger ist Sachverständiger des
Reichserziehungsministeriums für die Überprüfung des beschlagnahmten jüdischen
Kunstbesitzes auf Grund der ,Verfahrensordnung'. Diese Tätigkeit erfordert fast
täglich Besichtigungen und Verhandlungen beim Finanzamt, bei Gerichtsvollziehern
und Versteigerern." (. . .)
Nach 1945
Nach der Kapitulation beschlagnahmte die Kunstschutz-Abteilung der
amerikanischen Militärregierung ("Monuments, Fine Arts & Archives") zahlreiche
Kunstgegenstände in den Frankfurter Museen. Basis war das alliierte
Besatzungsrecht, das die alliierten Grundsätze der Londoner Deklaration von 1943
zu geraubtem Kulturgut umgesetzt hatte. (Die spätere Entschädigungs- und
Rückerstattungsgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland übernahm diese
Rechtsgrundsätze.)
Im Oktober 1946 hielt die amerikanische Militärregierung in einer "Erklärung
über die Beschlagnahme und Zurückgabe von denjenigen Kunstwerken, die während
des Krieges von Frankfurter Museen und Privatsammlern erworben wurden", fest,
dass die in Frankreich und den Niederlanden während der Besatzung erworbene
Kunstwerke "an die Regierungen dieser Länder" zurückgegeben wurden. Dies bedeute
zwar "nicht die Anklage der ungesetzmäßigen Handlung", jedoch würden die Käufe
selbst "nicht als gültig und rechtmäßig anerkannt", da sie unter
besatzungsrechtlichen Bedingungen erfolgt seien. Solche Kunstwerke aber, die
"vom Finanzamt" oder "aus Sammlungen erworben", oder "von der
nationalsozialistischen Regierung beschlagnahmt" worden waren, sollten "bis zur
Rückgabe an ihre Besitzer" in der hessischen Sammelstelle der Amerikaner für
geraubtes Kunstgut im Central Collecting Point in Wiesbaden aufbewahrt werden.
Des Weiteren unterstanden die Kunstwerke, die "vorher im Besitz von Alfred
Oppenheim, des verstorbenen Max von Goldschmidt-Rothschild und Carl von
Weinberg" waren, "zwecks Rückgabe" der Militärregierung,. Auch solche, die zu
dieser Zeit "noch im Gewahr der Frankfurter Institute" waren, die sie "von ihren
ursprünglichen Besitzern" erworben hatten. Eine Rückerstattung des arisierten
"jüdischen Silbers" in den Frankfurter Museen fand hingegen keine Erwähnung in
der Erklärung der Amerikaner.
Von der amerikanischen Militärregierung war im Übrigen nur einige Monate zuvor
ausgerechnet Dr. Ernst Holzinger als "Direktor der Museen in Großhessen" ernannt
worden. Holzinger war damit auch mit der Rückerstattung all der Museumsstücke
beschäftigt, an deren Aneignung er für die Museen während der NS-Zeit großen
Anteil gehabt hatte.1966 wurde er mit der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt
ausgezeichnet. Aus dem Historischen Museum wurden 1950 jüdische Kultgeräte im
Rahmen eines Vergleichs von der Stadt restitituiert.
55 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus wäre es für die Frankfurter
Museen an der Zeit, das Wissen um die Aktivitäten ihrer Institutionen und ihres
wissenschaftlichen Personals während der NS-Zeit zu erweitern. Noch im Januar
1996 lobte der heutige Leiter des Städels, Prof. Herbert Beck, in einem
Interview der Frankfurter Rundschau seinen Vorvorgänger Holzinger wegen dessen
"Arisierungs"-Aktivitäten bei der Sammlung Alfred Oppenheims als einen "Retter,
dem Dank gebührt". Auch die anderen Berufsgruppen, die in die "Arisierung"
eingebunden waren, werden, so ist zu hoffen, ihre Archive öffnen und ihre
Aktivitäten während der NS-Zeit bearbeiten.
Wir veröffentlichen diesen Artikel, der am 9. Mai 2000 in der Frankfurter
Rundschau erschien, mit freundlicher Genehmigung von Frau Kingreen.
haGalil onLine 01-06-2000 |