[Preisausschreiben]
Eine Holocaustüberlebende zum
ersten Mal in der deutschen Hauptstadt:
Sommertage in Berlin
Wie war der erste Eindruck?
Am Flughafen angekommen, war ich sehr enttäuscht, da ich von der Großstadt
Berlin einen großen Flughafen erwartet hatte, und dieser hier war wider
Erwarten klein. Das Hotel, wo für mich reserviert wurde, war sehr nett, das
Zimmer schön mit allem Komfort und ganz im Zentrum der Stadt, was für mich
sehr zum Vorteil war, da ich immer an einem neuen Ort gleich ausgehe, um
mich zu orientieren.
Nachdem ich meinen Koffer abgestellt hatte, wollte ich mit dem Auspacken
keine Zeit verlieren und verließ das Hotel, um einen kleinen Spaziergang zu
machen. Der Kurfürstendamm ist sehr interessant mit vielen Geschäf ten,
Restaurants, Kaffeehäusern und an jeder Ecke grosse Autobusse für
Sightseeing-Touren.
Doch - da passierte mir etwas Eigenartiges. Ich begann die
Vorübergehenden zu beobachten, und es be schlich mich ein
merkwürdiges und ganz ungutes Gefühl.
Berlin - da sah ich plötzlich das Nazideutschiand vor mir, und ein
Schauer überlief meinen Rücken. Ich blieb an einer Ecke schweratmend
stehen, denn ich war wie gelähmt. "Was ist denn los mit dir?" fragte
ich mich. Ich war doch schon oft nach dem Krieg in Deutschland, be
suchte Düsseldorf, Köln, Frankfurt, München, Bad Reichenhall, und
nie empfand ich das, was ich da heute in Berlin fühlte.
Ja, hier in Berlin sah ich ihn plötzlich vor mir. Hitler mit
verbissenem Gesichtsausdruck und hoch ausge streckter Grußhand.
Hitler und Berlin. - Es war ein Ge fühl, das sich mit Worten schwer
beschreiben lässt. Ich kehrte um und eilte zurück ins Hotel. Die
Kehle war mir wie zugeschnürt.
In meinem Zimmer angelangt, trank ich sofort ein Glas Mineralwasser. öffnete
die Television, um mich bei den CNN englischen Nachrichten etwas abzulenken
und zu entspannen.
Am nächsten Tag nahm ich das Frühstück im Hotel ein und ging wieder auf den
Kurfürstendamm. wo vie le Reiseleiter die Stadttouren anpriesen. Kurz
entschlos sen ging ich auf einen Bus zu. und der dunkelhäutige
Kartenverkäufer erklärte mir in englischer Sprache, was es da alles zu sehen
gäbe. Ich setzte mich sofort in den Bus. Nachdem mehrere Touristen dazu
gekommen waren, ging es auch schon los.
Ich sah jetzt Berlin - eine moderne Großstadt wie viele andere im
Nachkriegseuropa. Das unangenehme Gefühl vom Vortag war schon in den Hintergrund
gewichen, worüber ich sehr froh war.
Am Nachmittag mietete ich ein Taxi, die Tochter des Chauffeurs war
Touristenführerin. Ich wollte Plätze sehen, die man auf einer Stadtrundfahrt
entweder über haupt nicht oder nur ganz flüchtig zu sehen bekommt.
Ich sah den übriggebliebenen Rest der Mauer, das Niemandsland und die auf
einer Wand ausgestellten Bil der, die mit vielen Aufschriften über die grausamen
Zei ten der Vergangenheit berichteten.
Dann kamen wir in die Oranienburger Straße, wo einst das jüdische Viertel war,
und da sah ich die herr lich renovierte Synagoge in ihrer ganzen Pracht.
Selbstverständlich ging ich hinein und war sehr er griffen - hier beteten vor
dem Krieg viele Tausende, die die Schrecken der Konzentrationslager nicht
überlebten und auch keine Gräber haben.
Heute steht dieser Prachtbau in seiner ganzen Größe* da und empfängt Touristen
und neue Einwohner dieser Stadt, die hier wieder beten können und hoffen, dass
sich die Geschichte nicht wiederholen wird.
Am 13. August fuhr ich mit einem Taxi nach Steglitz. Der Chauffeur
fragte mich, wieviele Sprachen ich spreche, da er wahrscheinlich an
meiner Aussprache ge merkt hatte, dass ich keine Berlinerin sei.
"Ich spreche Deutsch,
Englisch, Slowakisch und auch Hebräisch". sagte ich und war auf
seine Reaktion sehr gespannt.
"Dann sind Sie also Jüdin?"
Zuerst war er ganz still und dann sehr nett und zeigte mir unterwegs
viele schöne Plätze. Er wurde sehr ge sprächig.
Als wir am Ziel angelangt
waren, wollte er für die Fahrt keine Bezahlung annehmen.
"Es war nett, mit Ihnen zu plaudern, und mit der Freifahrt kann ich
mein Gewissen etwas erleichtern" sagte er leise.
Selbstverständlich bezahlte ich, aber mit den Worten: "Mit Geld
können sie kein reines Gewissen erkaufen, aber Sie können mit
Aufklärung dazu beitragen, dass der Judenhass abnimmt, der zu nichts
Gutem führt."
Ich blieb in Berlin bis zum 15. August, war auch in Potsdam mit
seinen sehenswerten Schlössern und unter nahm eine Schiff-Fahrt auf
der Spree.
Ich bin froh, Berlin gesehen zu haben. Nicht leichten Herzens
verabschiedete ich mich von dieser Stadt, denn das Gefühl hei meiner
Ankunft habe ich noch nicht ver wunden.
EVA KOVAC
* Anm. der Red.: Es wurde nur
die
Vorhalle der 'Neuen Synagoge zu Berlin'
wiederaufgebaut. Der grosse eigentliche
Betsaal fehlt.
haGalil onLine
21-06-2000
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