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Wahlen beim ZJD - Teil 1:
Was heißt hier jüdisch?

Der Zentralrat der Juden wählt am Wochenende einen neuen Vorsitzenden
- wohl zum letzten Mal einen Holocaust-Überlebenden.
Dahinter formieren sich die Jüngeren.

Von Jörg Lau
http://www.ZEIT.de/tag/aktuell/200002.lau.2_.html
Nr. 2/2000

In den sechziger Jahren kam es vor, dass Salomon Korn von ahnungsvollen Frankfurter Mitbürgern gefragt wurde, was er "denn eigentlich für ein Landsmann" sei. Solche Fragen - oft mit einem süffisanten Unterton versehen - pflegte er mit dem Satz zu beantworten: "Ich bin polnischer Jude." Danach, sagt er, konnte man meist ein einigermaßen "normales Gespräch" beginnen.

Der Architekt und Publizist Korn, heute Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Frankfurt, ein angesehenes und einflussreiches Mitglied im Präsidium des Zentralrats, erzählt von seinen frühen Begegnungen mit den leidigen deutsch-jüdischen Identitätsfragen wie von bestandenen Mutproben. Er habe sich stets offen zu seiner Herkunft bekannt und sei damit gut gefahren. In seinen fünf Frankfurter Jahrzehnten sind ihm - anders als den meisten jüdischen Funktionsträgern - antisemitische Angriffe erspart geblieben.

Salomon Korn

 

 

 

 

Salomon Korn vor dem Frankfurter Gemeindezentrum, das nach seinem Entwurf gebaut wurde. "Wer ein Haus baut, will bleiben", sagte Korn, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main bei der Eröffnung des Zentrums 1986 - ein Jahr nach dem Bitburg-Skandal und mitten im Historikerstreit. Dieser Satz markierte damals den allmählichen Bewusstseinswandel in der jüdischen Gemeinschaft.

Wann immer die Rede auf "jüdisches Leben im heutigen Deutschland" kommt, stellt sich unweigerlich eine merkwürdig belegte Stimmlage ein. Allen Beschwörungen einer neuen Normalität zum Trotz scheint es auch heute noch unendlich schwer, über deutsch-jüdische Angelegenheiten zu sprechen, ohne entweder in verhalten-verklemmten oder hohl-pathetischen Ton zu verfallen. Willkommen im Reich der unterdrückten Fragen, des hilflosen Wohlwollens und der mühsam verborgenen Ressentiments!

Korns Familie hatte den Holocaust in Polen im Versteck überlebt und kam nach dem Krieg in das Lager für "Displaced Persons" nach Zeilsheim. Nach der Auflösung des Lagers zog man nach Frankfurt, wo man auf sprichwörtlichen "gepackten Koffern" saß und auf die Einreisegenehmigung in die USA wartete. Der Vater begann unterdessen, sich im Frankfurter Immobiliengeschäft zu etablieren. "Die Koffer wurden immer voller", sagt Korn, "und als man sie schließlich aufheben wollte, waren sie zu schwer geworden." Die Korns blieben also - aus pragmatischen Gründen und mit schlechtem Gewissen - im Land der ehemaligen Täter. Erst spät konnte man sich eingestehen, dass aus dem Wartesaal ein Zuhause geworden war.

Je fremder
- um so besser...

Auf den ersten Blick erscheint Salomon Korns Geschichte seiner Selbstbehauptung als "polnischer Jude" als eine erfreuliche und zuversichtlich stimmende Ausnahme von der Regel des verhexten deutsch-jüdischen Gesprächs. Auf den zweiten Blick ist die Sache nicht so einfach. "Natürlich war ich damals kein polnischer Jude mehr", sagt Korn. Er verstand sich als Frankfurter Bürger, wenn auch noch mit Vorbehalten. Ein "normales Gespräch" mit einem Juden war aber seinerzeit offenbar leichter möglich, wenn jener klar als doppelt Fremder definiert war: polnisch und jüdisch.

Oft spricht Salomon Korn über "Normalität", aber stets hört man dabei die Anführungszeichen mit. "Spontaneität können Sie nun einmal nicht befehlen. Und 'Normalität' kann nicht herbeigeredet werden. Man kann sie nur leben." Kürzlich hat er einen ihm gut bekannten Mann des öffentlichen Lebens, einen Nichtjuden, bei einer jener wohlgemeinten Veranstaltungen zur christlich-jüdischen Verständigung gefragt, wann ihm zum ersten Mal das Wort "Jude" ohne mulmiges Gefühl über die Lippen gekommen sei. Die Antwort: Bis auf den heutigen Tag nicht. "Wir befinden uns in einem historischen Prozess, der vom Juden in Deutschland über den deutschen Juden hin zum jüdischen Deutschen führen wird", sagt Korn. Allerdings werde dies sicher noch zwei oder drei Generationen in Anspruch nehmen.

Am kommenden Wochenende wird der Zentralrat der Juden in Deutschland einen Nachfolger für Ignatz Bubis bestimmen. Salomon Korn, den viele gern auf diesem Posten sähen, hat auf eine Kandidatur verzichtet. Noch einmal, wohl zum letzten Mal, wird ein Jude aus der Generation der Holocaust-Zeugen und -Überlebenden gekürt werden. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Münchner Jüdischen Gemeinde, und der Düsseldorfer Künstleragent Paul Spiegel. Der fällige Generationswechsel muss während dieser Amtsperiode vorbereitet werden. Die Zeit der Patriarchen, deren vitalster Vertreter der nimmermüde Bubis war, geht zu Ende. "Wir sind aus anderem Holz", sagt Korn. "Uns Juden der zweiten Generation fehlt die Kraft, die diese Überlebenden aufgebracht haben. Hinter dieser Vitalität standen oft Schwüre aus der Zeit der Verfolgung: Wenn ich jemals hier rauskomme, dann werde ich mein Leben der jüdischen Sache widmen."

Korn spricht voller Respekt von Bubis' Leistung, aber er lässt keinen Zweifel daran, dass sich etwas ändern muss am Stil, in dem die deutschen Juden öffentlich repräsentiert werden. Man wird sich "nicht mehr zu allem und jedem äußern", sich nicht mehr die Rolle des moralischen "Oberschiedsrichters" aufdrängen lassen und auch nicht mehr als Reiseeskorte für jede Israel-Fahrt eines deutschen Politikers zur Verfügung stehen.

Als Funktionsjuden
missbraucht...

Die bittere Erfahrung, dass kaum einer der Politiker, die Ignatz Bubis immer wieder als beliebter "Funktionsjude" begleitet hat, dem Toten auf seiner letzten Reise nach Israel die Ehre gab, hat zur Ernüchterung über den Sinn solch symbolischer Politik geführt.

Es spricht wenig dafür, zu glauben, dass der deutsch-jüdische Umgangston wie von selbst harmonischer wird, wenn bald die zweite, weiter vom Massenmord entfernte Generation beiderseits die Geschicke bestimmt. Das Gegenteil zeichnet sich ab: Die deutsche Politik tritt gelegentlich schon in neuer Forschheit gegenüber jenen jüngeren jüdischen Repräsentanten auf, die nun einmal - wie das böse Wort lautet - "keine Nummern am Arm haben". Umgekehrt werden die Juden der zweiten und erst recht der dritten Generation sich nicht mehr umstandslos als Vorzeigeminderheit bei deutschen Gedenkveranstaltungen vereinnahmen lassen.

Der Zentralratsvorsitzende, der um des lieben Friedens willen am Volkstrauertag in Begleitung des Staatsoberhaupts den gefallenen deutschen Soldaten die Ehre erweist, ist wahrscheinlich schon bald eine Figur der Vergangenheit. Zu groß ist die Unlust insbesondere unter jüngeren Juden, ihr Leben in Deutschland weiterhin als "Lackmustest" für die gelungene Demokratisierung der Bundesrepublik zu begreifen.

Vielleicht beginnt sich die "negative Symbiose" zwischen Deutschen und Juden zu lockern, von der Dan Diner 1986, kurz vor dem Historikerstreit, sprach: Deutsche und Juden seien durch das Ereignis der Massenvernichtung neu aufeinander bezogen worden, in einer Art "gegensätzlicher Gemeinsamkeit - ob sie es wollen oder nicht". Heute tritt immer deutlicher zutage, dass beide Seiten durch eine "geteilte Erinnerung" - so die trefflich zweideutige Formel von Salomon Korn - zugleich miteinander verbunden und voneinander geschieden sind.

  • · · Bernard Wasserstein: Europa ohne Juden Das europäische Judentum seit 1945; Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999; 388 S., 75,- DM
    · · Diana Pinto: Europa - ein neuer "jüdischer Ort" in: Menora. Jahrbuch für deutsch- jüdische Geschichte 1999; Philo-Verlag, Berlin 1999; 386 S., 39,80 DM
    · · Micha Brumlik (Hrsg.): Zuhause, keine Heimat? Junge Juden und ihre Zukunft in Deutschland; Bleicher-Verlag, Gerlingen 1998; 216 S., 28,- DM

Unter www.zeit.de/links/ erhalten Sie weitere Informationen zum Thema.

Artikel zu diesem Thema:
DIE ZEIT 2/2000: Nach 1945 schien ein Wiederbeginn jüdischen Lebens in Deutschland undenkbar

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